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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902122702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902122702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-27
- Monat1902-12
- Jahr1902
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Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (8 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung Vi 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geößnet vou früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 86. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. Dezember. Pflicht und Steigung. Auch auf die Feststimmung am deutschen Kaiserhofe baden, wie uns aus Berlin geschrieben wird, die tragischen Vorgänge in unserm sächsischen KönigShause dämpfend eingewirkt. Und sicherlich sind diese Vorgänge an keinem deutschen Fürstenbause spurlos vorübergegangen. Kommt doch zu dem Mitgefühl mit dem erst kürzlich so schwer heimgesuchten Hause der Wettiner das Bewußtsein, daß in jedem Falle, in dem ein Mitglied eines Fürstenhauses einen Fehltritt sich zu schulden kommen läßt, die verschämte und die skrupellose Demokratie sür diesen Fehltritt nicht nur daS ganze HauS, sondern fürstliche Art und fürstliche LebenS- gewohnheiten verantwortlich macken und an den Säulen rütteln, auf denen die Throne ruhen. Die sozialdemokratische Presse und ihr verwandte Blätter haben denn auch bereits begonnen, in dieser Weise den Vorgang zu verwerten, und stoffaungrige Romanschreiber und -Schreiberinnen werden nickt ermangeln, mit Hülse dessen, was Hof- und Stadlklatsch verumträgt, ein Bild zu entwerfen, in dem in den lichtesten Farben die un glückliche bedauernswerte Frau strahlt, die nach unsäg lichen Oualen, die sie lange Jahre bat erdulden müssen, in die Arme der Freiheit und der Liebe sich rettet. Und Tausende werden Tränen vergießen bei diesem Bitte und die im stillen schaffende Phantasie der Leser wird daS, was die Verfasser der Romane aus Furcht vor Strafe kaum anzudeutcn wagen, in den dunkelsten Farben weiter auSmalen. So becauernswert daS aber nicht nur sür unser sächsisches Königshaus, sondern für alle Fürsten häuser überhaupt ist, so hat es doch auch ein Gutes, das einen Trost bildet für die Betroffenen: es beschleunigt die Scheidung der Geister, die schon seit Jahren begonnen hat und immer nötiger wird. Und ge rade „unser Fall" ist dazu angetan, diese Scheidung zu vollenden. Das eigene Geständnis der Flüchtigen, daß Liebe zu einem Manne, der nicht ihr Gatte ist, sie zu dem ver hängnisvollen Schritte getrieben habe, stellt unwiderleglich fest, daß eine Pslichtvergessenheit vorliegt, die zum Glück zu den Seltenheiten gehört. Mag man auch zugeben, daß die Flüchtige, ihrer ganzen Erziehung und LebenSgewohnheik nach gerade am Dresdener Hof nicht recht heimisch werden konnte; mag man auch zugeben, daß der Zwang, dem sie sich unter werfen sollte, gerade ihr schwerer wurde als er mancher anderen geworden sein würde: was ihr vor allem fehlte, war und ist jenes Pflichtbewußtfeln, daS besonders von denen gefordert werten muß, die ihre Geburt auf die Stufen eines Thrones gehoben hat und die vorbildlich einem Volke sein sollen. So erscheint sie als Repräsentantin jenes Uebermenschen- tumS, das ein Recht darauf zu besitzen meint, sich auSzuleben, und, jenseits von Gut und Böse stehend, die Moralgeseye als bindend nur für die blut- und leiden schaftslose Herde der Durchschnittsmenschen eracktet. Gerade deshalb wird sie zur Märtyrerin für die Vertreter deS schrankenlosen Individualismus, der auch im politischen Leben eine so unheilvolle Rolle spielt. Wie kurzsichtig er ist, beweist er selbst dadurch, daß er alle die, die unter der Ungebundenheit der Flüchtigen leiden mußten, des Rechtes, sich, ihre Art und ihre LedenSanfchau- ungen zu betätigen, berauben will. Wohin eS kommen müßte, wenn das Recht der Selbstbestimmung, das der Flüchtigen zugeschrieben wird, allen zuzeschrieben würde, sehen deren Verteidiger nicht oder wollen e« nicht sehen. Und doch liegt es klar auf der Hand für alle, die nicht durch sentimen tale Parteinahme für eine kühne „Heldin" ihr gesundes Urteil trüben lassen. Und deshalb tritt an diese die unabweisbare Pflicht heran, mit aller Entschiedenheit Stellung zu nehmen in diesem Konflikte zwischen Pflicht und Neigung und den Vertretern der Pflicht zur Seite zu stehen gegen die Anstürme und Anwürfe der mit sich selbst im Widerspruche stehenden Verfechter deS Rechtes der Neigung. Erster Vertreter der Pflicht ist in unserm Falle Se. Majestät König Georg, der nicht nur die Ehre und Würde seines königlichen Hauses zu wahren, sondern auch dafür zu sorgen hat, daß von allen Gliedern dieses Hauses auf sein Volk der vorbild liche Einfluß ferner ausgebe, der von ibm ausgeganzen ist so lange Jahre hindurch. Und zweiter Vertreter ist der am tiefsten berührte königliche Gatte, dem als Thronerben die selbe Pflicht obliegt. Möchten beide in ihrem Schmerze er kennen, daß die weit überwiegende Ueberzahl der getreuen Sachsen jetzt noch mehr als früher in ihnen die Hüter der Sitte, die Schirmer der Pflichterfüllung erblickt und ver ehrt, und möge das Sachsenvolk bei der Scheidung der Geister vorbildlich werden allen andern deutschen Stämmen, denen die Verfechter des schrankenlosen Individualismus jetzt einzuredcn suchen, die Flucht der sächsischen Kronprinzessin aus den Banden der Pflicht in den Arm der Liebe sei ein von fürstlicher Hand geführter Tedesstreich gegen dir Tyrannei des Monarchismus. Parlamentarische Aussichten. Während unmittelbar nach der Annahme deS Zolltarifs bestimmt verlautete, dem Reichstage werde nach den Ferien noch die Novelle zum Börsengesetze vorgelegt werden, wird jetzt das Gegenteil versichert. Und in einer anscheinend offiziösen Zuschrift der „Köln. Ztg." aus Berlin wird als Grund der Abneigung der verbündeten Regierungen gegen den Versuch, mit dem jetzigen Reichstage zu einer Ver ständigung über die Novelle zu gelangen, LaS Folgende angeführt: Die Verhältnisse im Reichstage haben sich in letzter Zeit so zu gespitzt, daß eS höchst zweifelhaft erscheint, ob überhaupt ein posi- tiveS Ergebnis za erreichen ist. Wenn auch bis tief in die Reihen deS Zentrums und der konservativen Partei der Gedanke einer Notwendigkeit der Verbesserung des Börfengesetzes gedrungen ist, so haben die extremen Agrarier doch wiederholt ihre Gegenanträge angekündigt, jo daß ein Teil dieser Parteien kaum zu einem Eingeständnis der früher begangenen Fehler zu bewegen sein dürste, während es audrrjeits sehr ungewiß ist, ob die sozialdemokratische Partei nach ihrer jetzt erlittenen schweren Niederlage sich zu der Stolle des Jasagers in diesem Falle bequeinen würde. Bei diesen mißlichen parlamentarischen Verhältnissen ist davon abzuraten, den Reichstag noch vor Toresschluß mit einer An- gelegenheit zu befassen, die keine genügende Aussicht auf eine rein sachliche Erledigung hat. Selbst wenn also für einige der am meisten empfundenen Uebelstände des BörjengesetzeS eine Abänderung zu er reichen wäre, bleibt doch zu besorgen, daß dir Reform nicht in dem Umfange durchzujetzen ist, der als erforderlich und notwendig erkannt worden ist. In dieser Hinsicht hat die im September vorigen Jahres aus Veranlassung deS Handelsministers abgehaltene Beratung von Sach verständigen eine Grundlage geliefert, indessen betrifft diese nur das eigentliche Börsengesetz, während von den deutschen Börsen die Erhöhung der Stempelsteuern mindestens als ebenso schäd- sich und lähmend empfunden worden ist wie dir Einschnürungen des Börsengesetzes. Hinsichtlich der Stempelsteuern aber zur Zeit mit bestimmten Vorschlägen an den Reichstag heranzutreten, wird nicht angängig sein, so lange nicht die Frag« der ReichSfinanzeu weiter geklärt ist. ES läßt sich nickt leugnen, daß diese Bedenken begründet sind; aber jedenfalls ist eS sehr fraglich, ob der nächste Reichstag so zusammengesetzt sein wird, daß er eine bessere Gewähr für das Gelingen einer gründlichen Reform des BörsengesetzeS bietet, als der jetzige. Vor allem ist es frag lich, ob der einer solchen Reform geneigte Teil der Kon servativen gestärkt oder geschwächt aus den Wahlen hervor gebt. In Zentrumskreisen scheint man das zu bezweifeln; wenigstens schreibt der „Westfäl. Merk.": „Besonders bedauerlich ist, daß die Konservativen sich nun wieder einfach von den Bündlern in« Schlepptau nehmen lassen wollen, statt gegen ihr Treiben aufzutreten. Wenn sie glauben, damit ihrem eigenen Interesse am besten zu dienen so könnten sie sich doch auch täuschen. Den Bündlern schwillt jetzt gewaltig der Kamm, und bald dürfte die Zeit kommen, wo sie sich stark genug fühlen, um den Konservativen als eigene politische Partei rntgegenzutreten. Das jüngste Pronunciamrnto des „engeren Vorstandes" war ja schon ei» Vorspiel des Kommenden. Durch die Ereignisse, die inzwischen eingetrrten sind, werden die Bündler nicht wenig ermutigt worden sein. Vielleicht wird bei den kommenden Wahlen schon die Generalprobe auf die Gründung einer Bündlerpartei gemacht. Nachdem die Konservativen so demütig bekannt haben, daß !sie ohne die Bündler nicht existieren könnten, wird die Drohung, keinen, der sür den Antrag Kardorff gestimmt hat, wählen zu wollen, wohl häufiger ausgeführt werden, als den Konservativen lieb sein mag. Halten diese trotzdem an dem Ge- ächteten fest, so muß sich ja zeigea, wie weit der Einfluß de« Bundes reicht. Vielleicht blamiert cr sich, vielleicht auch nicht. Unterwerfen sich die Konservativen und lassen sie sich vom Bunde ihre Kandidaten anszwingen, dann wird dieser erst recht üppig werden und sich ongereizt fühlen, den Konservativen, die ihm so lange Handlanger dienste geleistet haben, den Stuhl vor die Türe zu setzen. Jedenfalls wird man regierungsseitig, sofern man den ernsten Willen bat, im nächsten Reichstage eine gründliche Reform des Börsengesetzes durchzusetzen, bei Zeiten daran denken müssen, den bündlerischen Kandidaten jene amtlichen HülfStruppen zu entziehen, die ihnen da und dort bei den letzten Wahlen zu Siegen verholfen haben. Noch besser wäre eS freilich, den immerhin zweifelhaften Ausfall der Wahlen nicht erst abzuwarten, sondern zu der ursprünglichen Absicht, noch den jetzigen Reichstag mit der Novelle zu be fassen, zurückzukehren. Daan würde sich zeigen, daß die Bündler nicht nur Gegner einer notwendigen Reform sind, sondern aus mehr als einem Grunde bei ungeschwäch- ler Rückkehr in den Reichstag eine Gefahr für unjer parla mentarisches Leben bedeuten. Das schweizerische Gesetz gegen -en Anarchismus. Der ueue gegen den Anarchismus gerichtete Artikel, welcher dem BundeS-Strafrecht vom 4. Februar 1853 ein- gegliedcrt werden soll, lautet: „Wer eine strafbare Handlung, die vorwiegend den Charakter eines gemeinen Verbrechens oder schwere» Vergehens hat, öffentlich in einer Weise verherrlicht, die geeignet ist, zur Begehung solcher Handlungen anzureizen, wird mit Gefängnis bestraft. Wird die strasbare Handlung durch die Druckerpresje oder durch ähnliche Mittel begangen, so sind sämtliche Teilnehmer straf bar, und e« finden auf dieselben die Vorschriften des Art. 69 bezw. 72 keine Anwendung." Diese neue Bestimmung, welche sich gegen die Sozial demokraten und Anarchisten kicktet, die ein Gewerbe daraus machen, die militärischen Institutionen zu verhöhnen und Monarchen ausländischer Staaten aufs schwerste zu beleidi gen, ist, wie den „Bert. N. N." geschrieben wird, insofern neu und scharf, als sie schon „die Verherrlichung einer strafbaren Handlung" unter Strafe setzt, welche „geeignetist, zur Begehung solcher Handlungen anzureizen", allein eS ist notwendig, daß hier der Richter nicht allzusehr eingeengt, und seinem Ermessen ein möglichst breiter Spielraum eingeräumt wird. Die Anarchie ist in der Wahl ihrer Mittel erfinderisch und ohne Skrupel, so daß eine stereotype Umschreibung der Quellen und Ursachen der Vergeben sehr erschwert, ja unmöglich ist. Uebrigens steht hier einer besseren Redaktion deS Passus, welche dem Zweifel eine weniger große Angriffsfläche bietet, nichts im Wege. In jedem Fall aber muß daran festgehalten werden, daß unter dieser neuen Bestimmung sich nickt politische Delikte mit vorwiegend gemeinem Cbarakter straflos machen können. Die radikale Presse verhält sich gegenüber dem BeschluffeS- entwurf noch reserviert, während die gemäßigte und konser vative eher Geneigtheit zeigt, zuzustimmen. Da die Novelle noch die Beratungen der Bundesversammlung zu passieren bat und womöglich auch dem Entscheid des Volke« unterliegt, kann bis zur Promulgation der Bestimmung noch manche Aenverung beliebt werden. Verwirft da« Schweizer Volk schließlich daS Gesetz, so ist freilich dagegen nicktS zu machen, aber die oberste BuudeSexekutive ist dann der Verantwortlich- lichkeit, welche ihr Verfassung und Gesetz auferlegen, enthoben. Ter Erzbischof von Chicago. AuS Nom wird der „Pol. Korr." geschrieben: Die Propaganda hat den Vorschlag für die Ernennung des neuen Erzbischofs von Chicago bereit- festgestellt und von den beiden Kandidaten, dem Bischof von Buffalo, Msgr. Ouigly, und dem Bischof von Peoria, Msgr. Spalding, ent gegen allen Erwartungen, die Wahl des ersteren anenipsohlen. Von unterrichteter Seite werden Rücksichten der Propaganda auf die Verwaltung der Diözese bei dieser Wahl als die aus schlaggebende Ursache bezeichnet. Ohne Zweifel dürften aber auch die freisinnigen und maßvollen Anschauungen des Msgr. Spalding den unversöhnlichen Elementen in der Propaganda N'cht sehr sympathisch gewesen sein. Allein dieser Grund hätte für sich allein doch nicht genügt, uni die Kandidatur deS Msgr. Spalding auSzufchalten. Es Hal sich vielmehr als unabweisl ch herauSgestellt, der Diözese Ehicago, die sich in beklagenswertem Zustande befindet, rind innerhalb welcher die Bande der Disziplin sehr gelockert sind, einen tüchtigen Verwalter zu gebe». ES bedürfe einer festen Hand, eines wachsamen Auges, um die Diözese wieder in ein normales Geleise zu bringen. Diese Leistung sei aber von Msgr. Spalding wegen seiner mannigfaltigen Inanspruchnahme und namentlich auch wegen seiner jüngsten Ernennung zum Mitglied« deS Schiedsgerichtes in der penn sylvanischen Koblensrage, die seine öftere Abwesenheit von seiner Diözese Peoria bedingt, nicht zu erwarten gewesen. Er habe selbst in jüngster Zeit vom heiligen Stuhl einen Koadjutor verlangt. Dieser Umstand habe wesentlich dazu Feuilleton. io! Rhenania sei's panier! Roman aus dem Studentcnleben von Arthur Zapp. vervr'N'U. Draußen in -er Mühle wandte sie sich plötzlich von ihm hinweg und trat an den Baumeister mit einer Frage «heran. Und sie nahm auch neben Herrn Rusche Platz und unterhielt sich während der ganzen Zeit der Rast an gelegentlich mit ihm, ohne mich nur einmal den Blick auf den still erstaunten, betretenen Studenten zu richten. Während man sich zur Heimkehr rüstete, schien sie sich plötzlich wieder anders besonnen zu haben, denn sie näherte sich ihm wieder, gerade als Hildegard Hellwig in ihrer burschikosen Art erklärt hatte: „Na, dann können wir uns ja wieder auf -en Weg machen, Kinder! Wir haben ja alles verzehrt, was wir bezahlt haben. Kommen Sie, Herr Baumeister, wir als die Aeltesten gehen voran." Herr Nnsche trat mit einer süß-sauren Miene an ihre Seite. Aks letztes Paar folgten Gravenhorst und Else Wredenkamp. „Wie lange studieren Sie schon, Herr Gravenhorst?" fragte die letztere. „Schon sechs Semester, gnädiges Fräulein." „Dann gehen Tie wohl bald ins Examen?" Er verneinte vergnügt. „Davon dispensiere ich mich, gnädiges Fräulein." Sie sah ihn erstaunt an. „Was studieren Sie denn?" „Bon allem ein bißchen. In erster Linie Landwirt schaft. Ich bin nämlich ein ganz gewöhnlicher Landwirt und erstrebe kein Staatsamt." Sie nickte, als ginge ihr plötzlich ein BerständnkS auf, und ein halblautes „Aha!" entfuhr ihr. „Wie meinen gnädiges Fräulein?" „Ich meinte nur: nun begreife ich auch, warum Sie immer so vergnügt und selbstzufrieden sind", gab sie etwas spöttisch und mit einer Scharfe zur Antwort, die ihm un verständlich war. „Freilich", sagte er lachend, „das Gespenst deS EramenS liegt mir nicht wie ein Alb auf der Brust, wie eS bei bei» meisten metner Kommilitonen der Fall ist. Warum sollte ich also Grillen fangen und die lustige Bnrschenzeit nicht aus frohem Herzen genießen? Das Philistertum kommt immer noch früh genug." Um die Lippen des jungen Mädchens zuckte es eigen tümlich. „Da haben Sie wohl vor", fragte sie und streifte ihn mit einem fast geringschätzigen Blick, „noch recht lange zu — studieren?" Er sah sie verwundert an. Ihr Ton und ihre Mienen befremdeten ihn. Auch cr wurde plötzlich ernst, und ihren Blick suchend, erwiderte er: „Eigentlich war cs meine Ab sicht, mich mit Schluß dieses Semesters philistricren zu laßen, aber nun werde ich doch wohl noch ein oder zwei Semester zugebcn." Sie lächelte spöttisch. „Ich begreife das — aus Ihrem Charakter heraus." Ihm stieg daS Blut in die Wangen und seine Augen leuchteten auf. „Wie, Sie haben sich die Mühe gegeben, meinen Charakter zu studieren, gnädiges Fräulein ?" Der triumphierende Ton in seiner Stimme schien sie sehr zu verstimmen; sie zog ihre Augenbrauen zusammen und ihr Blick nahm wieder den kühlen, hochmütigen Aus druck an, während sie entgegnete: „Sie irren. Dazu lag für mich nicht die mindeste Veranlassung vor. Aber daß Sie ganz in dem studentischen Treiben aufgehen, das sieht man ja auf den ersten Blick. Und wenn es Ihnen schmeichelt, will ich auch noch htnzufiigen: Sie gelten ja in der ganzen Stadt als der Typüs eines flotten Studenten." „Sie sagen daS mit einem Ausdruck, gnädiges Fräu lein, der alles eher als Bewunderung verrät." Sie zuckte nachlässig mit den Achseln. »Ich finde bei einem Manne nur ein zieldewuhteS, ernstes, arbeitsames Leben bewundernswert." Eine Pause entstand. Kurt Gravenhorst biß sich auf die Lippen und sah mit entnüchterter, finsterer Miene vor sich hin. Plötzlich erhob er sein Gesicht. „Sie Haven ganz recht, gnädiges Fräulein. Ich bin fast fünfundzwanzig Jahre alt. Da ist eS Zeit, daß man ernst wird und an seinen Berus denkt." Lp streifte sie mit einem spürenden Blick und in seinen Augey blitzte eS wieder von Uebermut und Wagelust. „Freilich, wenn ich mich entschlossen habe, noch ein paar Semester zUzulegen, so sollten Sie mir das am wenigsten verdenken." „Ich habe nicht den Vorzug, Sie zu verstehen", ent gegnete sie, ihre Lippen aufwerfend. „Sie selbst, gnädiges Fräulein, sind die Ursache der Acnderung meines Entschlusses." Sie lachte spöttisch auf. „Ich wüßte nicht, wie ich zu dieser Ehre käme." Er sah ihr fest ins Gesicht; in seinen Mienen zuckte verhaltene Spannnng und Erregung. „Sie wißen", sagte er, „daß mir ein gütiger Zufall das Glück Ihrer Bekanntschaft vermittelte. Ist es nicht natürlich, daß ich den Wunsch hege, dieses Glück so lange wie möglich zu genießen?" In den Augen des jungen Mädchens züngelte ein Blitz und es hatte den Anschein, als ob sie seine Keckheit mit einer heiligen Abweisung beantworten wollte, aber sie bezwang sich; ein spöttisches, höhrnsches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, während sie nun gelaßen ent gegnete: „Ein Glück nennen Sie meine Bekanntschaft? Vielleicht werden Sie später einmal eine andere Be zeichnung dafür finden." Er sah sie verwundert, überrascht an mrd schüttelte nachdenklich mit dem Kopfe. „Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein. Ihre Antwort klingt so orakelhaft. Darf ich Sie um eine Er läuterung bitten?" Sie machte eine unmutige Bewegung der Abwehr. „Laßen wir daS!" gab sie kurz, fast schroff zur Ant wort. Zugleich beflügelte sie ihre Schritte, bis sie dicht an das vor ihnen schreitende Paar, Klara Hellwig und Paul Berger, herangckommen war, mit denen sie nun ein gemeinsames Gespräch begann. Neuntes Kapitel. Karl Sägmüller saß mit aufgestemmten Armen vor dem Tisch in seiner Bude und stierte mit flirrenden Augen auf den Brief nieder, der vor ihm lag. DaS Schreiben rührte von seinem Bater her und enthielt nichts weniger als angenehme Mitteilungen; die ganzen eng voll geschriebenen vier Leiten waren eine einzige zornige Strafpredigt und behandelten das alte bekannte Thema, daS in einem alten Studentenliebe seinen drastisches Ausdruck sinket: „Du lernst mir nichts, du trinkst mir nur, Du wirft ein Lump am End', Bist lang genug gewesen In L-Stadt rin Student —" Schon wiederholt hatte cr solche unwirsche Mah nungen erhalten, sein Leichtsinn hatte sich immer wieder darüber hiuweggcsetzt. Diesmal aber — das sah er aus dem migewöhluich energischen Inhalt des Briefes — war cs dem Bater Ernst. Besonders der Schlußsatz erregte quälende Gebauten in ihm und jagte ihm heiße Schauer der Angst und Reue durch den gewichtigen Körper. „Das erkläre ich dir auf das bestimmteste", so hieß es in dem Briefe, „daß ich dir vom nächsten Semester an die Mittel, dein liederliches Leben fortzusctzcn, nicht mehr bieten werde. Hast du dann dein Studium nicht zum Ab schluß gebracht, so müßen wir darauf verzichten, dich einmal als Arzt zu scheu, dann bleibt dir nur noch die Subaltern - Laufbahn. Du kannst dann als Super- vumerar in die Eisenbahnverwaltung eintreten; dein Ehrgeiz i?j wird sich dann damit begnitgen müßen, ein mal dasselbe zu werden, wie dein Vater. Meine Schuld ist es nicht, wenn es dahin kommen wird. Im Gegenteil, ich muß mir den Vorwurf machen, daß ich allzu nachsichtig niit dir gewesen bin. Ich habe deiner Mutter, deiner Schwester und mir um deinetwillen mehr entzogen, als ich vor mir verantworten kann. Das muß und wird jetzt ein Ende nehmen —" Der alte Bursche stöhnte aus der Tiefe feines HerzenS. Ihm war so furchtbar elend zu Mute, wie noch nie in feinem Leben. Ter alte Herr hatte ganz recht, wenn er von ihm, dem Unverbesserlichen, endlich seine Hand abzog. Tas Haupt sank dem Zerknirschten aus die Brust un feine seelische Erschütterung trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn. Er wußte, wie schwer seinem Vater dieser Entschluß geworden sein mußte. Leine erhitzte Phantasie malte ihm den alten Mann, wie er zu Haufe trübsinnig umherging, gebückt, mit Sorgcnfalten im Gesicht, früh zeitig gealtert vor Kummer um den verlorenen Sohn; er sah Mutter und Schwester» die um ihn weinten, um ihn, den Stolz der Familie, der so gar nicht die Er wartungen erfüllt habe, die man frohen, stolzen Herzens in ihn gesetzt hatte, als cr — es waren über sechs Jahre her — als Mulus zur alma mster hinausgezogen war. In dem ersten Semester hatte er doch wenigstens neben dem Kommersiercn das Studium nicht ganz vergeßen und nach sechs Semestern hatte er glücklich das erste Examen — da« Physikum — bestanden. Aber dann war der Stillstand eingetreten; er war immer mehr ins Bummeln geraten >uid eigentlich batte er seitdem gar nichts mehr gelernt. S«»est«r auf war««
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