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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-21
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031021027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-21
- Monat1903-10
- Jahr1903
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Bezug--Preis U der Hauptexpedition oder deren Ausgabe stellen abgeholt; vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- ^l 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich s.50, siir die übrigen Länder laut ZeitungspreiSUste. Nr-aktion und Erpedition: JohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialerpeditionerr: Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitStSstr.S, L. Lösche, Katharinenstr. 1s, ». KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße Ss. Fernsprecher Amt 1 Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Aarl Duncker, Herzgl. Bahr. Hosbllchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4S0S» Abend-Ausgabe. Mjp)igcr TllgMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »Preis die 6gespaltene Pelttzeüe 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten <6 gespalten) 50 H. 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Nachr." heute eine War nung vor der optimistischen Annahme folgen, daß schon in Kürze die einzelstaatlichen Finanzminister nicht mehr in der peinlichen Lage sein würden, von Matrikularbeitragen zu reden, die durch Ueberweisungen nicht gedeckt seien. Diese Warnung lautet: „Hier und da werden bereits Vermutungen über den Finanz abschluß deS laufenden Etatsjahres geäußert. Sie sind natürlich verfrüht. Selbst bei den Schätzungen, die der Staatssekretär des Reichsschatzamtcs über den Ausfall von Einnahme und Ausgabe des laufenden Etatsjahres bei der Vorlegung des Etats des nächsten Jahres im Reichstage vor- zunehmen pflegt, hat er mindestens die Ergebnisse der ersten sieben Monate vor sich, letztere aber sind noch gar nicht einmal verflossen, geschweige denn, daß ihre Ergebnisse festgcstellt wären. ES ist allerdings bei der Wichtigkeit der in Betracht kommenden Verhältnisse begreiflich, daß über die finanziellen Ergebnisse des Reichs schon frühzeitig Betrachtungen angestellt werden. Wenn aber auch jetzt noch die Vornahme der letzteren mit der Rück wirkung der Reichsfinanzen auf die Etats der Einzel st aalen begründet wird, so ist dieser Hinweis, so weit ein etwaiger günstiger Ausfall der Ueberweisungssteuern in Betracht kommt, vorläufig wenigstens hinfällig. Im finanziellen Verhältnis des Reichs und der Einzelstaaten können sich nur Ver schlechterungen für die letzteren gegenüber dem Etat Herausstellen etwaige Verbesserungen würden ibnen nicht zu gute kommen. Schon bei dem Finalabschluß für 1902 ist das zu beobachten gewesen. Obschon die Ueberweisungssteuern 8,4 Millionen Mark über die Etatsanschläge erbracht hatten, wurde diese Summe den Einzclstaaten nicht, wie in srüheren Zeiten gezahlt, sie wurde vielmehr zur Tilgung der im Etat für 1903 ausgebrachten Zuschußanleihe zurückbchalten. Wie mit dem Ueberschusse der Ueberweisungssteuern über den Etat im Jahre 1902 würde aber mit einem etwaigen ebensolchen im Jahre 1903 und im folgenden Jahre ver fahren werden, und zwar so lange, bis die auf 72 Millionen sich belaufene Zuschußanleihe gedeckt sein würde. Bon irgend einer Verbesserung des finanziellen Verhältnisses der Einzelstaaten zum Reiche kann daher für 1903 schwerlich eine Rede sein, es müßte denn schon, was doch kaum als möglich anzunehmcn ist, der Ueberschuß der Ueberweisungssteuern über den Etat die Differenz von 72 und 8,4 Millionen Mark, also die Summe von 63,6 Millionen Mark, übersteigen. Wohl aber würden, wenn die Ueberweisungssteuern unter dem Etatsanschlage blechen würden, die Einzelstaaten gezwungen werden, die Matrikular- umlagen zu erhöhen. Nach dem Etat für 1903 übersteigen die letzteren die Ueberweisungssteuern bereits um 24 Millionen Mark. Die Zahlung dieser Summe an dasReich würde also der bestmögliche Abschluß des Etatsjahres 1903 für die Einzelstaaten darstellen". Wir haben dieser Darlegung nur die Frage hinzuzufügen, warum die Finanzminister-Konferenz nicht schon längst stattgefunden hat und warum nicht wenigstens schon voreinem Jahre erwogen worden ist, wie einem derartigen Abschlüsse des EtatsjahreS 1903 für die Einzelstaaten vorgebeugt werden könnte. Damals wußte man ganz genau, was in Aussicht stand, denn bereits am 8. Januar 1902 schänkte der damalige Reichsschatzsekretär v. Thiel mann dem Reichs tage klaren Wein über die FinanzmisZre der Einzelstaaten ein. Am folgenden Tage, in der „Politischen Tagesschau" der Abend-Ausgabe vom 9. Januar, schrieben wir über die Etatsrede des ReichsschatzsekretärS: „Herr v. Thielmann erörterte, wie ein deutscher Finanzverwalter heute nicht anders kann, der Zeiten Weh und Ach, den geschäft lichen Rückgang und seine Folgen für die Staatswirtschaft. Dabei erging er sich über die Lage der Einzelstaaten, die größeren namhaft machend und insbesondere die Notlage der kleinen und kleinsten berücksichtigend. Leider ist auch der Zustand der säch sischen Finanzen nicht derart, daß der Reichssäckelwart schweigend an ihnen vorübergehen konnte. Er wies auf die erheblichen Steuererhöhungen hin, mit denen unser Land seinen inneren Finanzschwierigkciten zu begegnen im Begriffe steht, und bemerkte sehr zutreffend: „Würden in Sachsen weiter erhöhte Matrikularbeiträge hinzukommen, so würden diese Steuerzuschläge noch größer und für das wirtschaft liche Leben Sachsens noch störender werden." Freiherr v. Thielmann entwarf seine Schilderung von der finanziellen Be drängnis der Einzelstaaten zur Rechtfertigung des Vorschlags, „ein richtiges Reichsdefizit von 35 Millionen entstehen zu lassen und den Betrag mit Anleihegeldern zu decken"; im anderen Falle, so meinte er mit Recht, würde eine Reihe von Einzelstaaten seine Schulden noch stärker ver mehren müssen, als ohnehin nötig, was das Reich, d. h. den Reichsgedanken, schwer schädigen müßte." Und dieser bereits am 8. Januar l902 gehaltenen Rede, die klar und scharf die Folgen weiterer Steigerung der Matrikularbeiträge nickt nur für die Einzelstaaten, son dern auch für das Reich schilderte und den Vorschlag machte, zur Abwendung dieser Folgen das Reich selbst für sich sorgen zu lassen, folgt astücklick in der Mitte des Oktobers 1903 eine Finanzministerkonferenz, um der Frage näher zu treten, was zu tun sei! Wenn bei solchem Tempo des Brunnen- zudeckcns die einzelstaatlichen Kinder bis an den Hals in das Wasser des Abschlusses des Etatsjahres 1903 fallen, so ist das kein Wunder. Und wird dieses Tempo beibehalten, so werden ja wohl die Kinder sammt und sonders ersoffen sein, wenn der Brunnen zugedeckt wird. DaS doppelte Wahlrecht. In der Freisprechung eines Reichstagswählers, der nachgcwiescnermaßen an zwei Orten das Wahlrecht aus geübt hatte, und zu dem Beschlüsse der Wahlprüfungs- kvmmission des Reichstages vom 4. Mai 1898, nach dem Wahlberechtigte mit mehreren Wohnsitzen an diesen mehreren Wohnsitzen in die Wählerlisten aufzunchincn sind, macht die „Kreuzzcitung" einige sehr zutreffende Be merkungen. Sie sagt: „Hiernach mußte der Angeklagte am Wohnorte und am Beschäftigung-Sorte eingetragen werden und war nack Ansicht des Gerichts also zur Doppelwahl befugt. Der Be schluß der Wahlprüfungskommission ist an sich theoretisch gewiß zutreffend und liegt auch im Interesse vieler Wähler, in der Praxis begegnet er aber den allergrößten Bedenken. Denn — mag man den guten Glauben des Wählers in solchem Falle an nehmen oder nicht — jedenfalls wird die mehrfache Aus übung des Wahlrechts sich in der Regel über haupt jeder Feststellung entziehen. Dem Miß brauch ist mithin, wie vorliegender Fall zeigt, Tür und Tor ge öffnet, und die Herren Sozialdemokraten werden gewiß von dem sich bietenden Vorteile gern Gebrauch machen, falls nichr beizeiten ein Riegel vorgeschoben wird." Zunächst ist es ganz richtig, wenn die „Kreuzztg." be merkt, daß gerade die Sozialdemokraten davon Borteil ziehen würden, denn es handelt sich bei den Dvppelcintragungen hauptsächlich um Kellner, Saison arbeiter usw., die an dem einen Orte den Sommer über beschäftigt sind, an dem anderen ihren eigentlichen Wohn sitz haben. Darüber, daß auch formell niemand das Recht besitzt, a,n zwei Orten zu wählen, selbst wenn er in zwei verschiedene Wählerlisten eingetragen ist, kann ein Zweifel nicht obwalten. Ties ergibt sich nicht nur ans der einfachsten Erwägnng des gesunden Menschenver standes, sondern aus dem klaren Wortlaute des Gesetzes. In dem auch von den süddeutschen Staaten angenomme nen Wahlgesetze für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mat 1869 lautet der Absatz 2 des 8 7: „Jeder darf nur an einem Orte wählen" Wird also jemand, der nachgewiesenermaßen an zwei Orten gewählt hat, freigesprochen, so kann dies nun und nimmer geschehen, weil er formell im Rechte gewesen wäre — denn ein formelles Recht kann es gegenüber dem klaren Wortlaute des Gesetzes nicht geben —, sondern höchstens, wenn man die Unkenntnis des bestehenden Wahl rechts bei ihm voraussetzt. Im übrigen aber kommt es gar nicht so sehr auf die eine Freisprechung an, denn die „Krcugztg."hat darin ganz recht-datz die mehrfache Ausübung des Wahlrechts sich fast immer der Feststellung entziehen wird. Demgemäß ist nicht so sehr die Bestrafung im einzelnen Falle als Abschreckungsmittel von Wert, sondern eS muß die doppelteEintragungzu vermeiden ge sucht werden. Ties könnte in der Weise geschehen, daß gleichzeitig mit der Auslegung der Wählerlisten alle Per- sonen, bei denen es zweifelhaft sein kann, wo sie alS Wähler einzutragen siind, aufgefordert werden, sofort an- zngeben, w o sie das Wahlrecht anSüben wallen, und daß sic dann dementsprechend nur in die Liste dieses Ortes ein getragen werden. Gleichzeitig wären sie darauf hinzu- weisen, daß sie unter keinen Umständen das Recht besitzen, an zwei Orten das Wahlrecht anszuüben. Melden sie sich dann nicht und üben sie an zwei Stellen das Wahlrecht aus, so wird ein Zweifel an dem Mangel an gutem Glauben wohl nicht mehr obwalton können. Der Besuch des Königs der Belgier in Wien wird, wenn man allein nach den bei dem Galadiner in der Hofburg gehaltenen Toasten urteilt, eine politische Be- dcntung kaum beanspruchen dürfen, denn Kaiser Franz Josef sowohl wie König Leopold haben nur das unver änderte Fortbestehen ihrer persönlichen Freundschaft und die guten Beziehungen Oesterreich-Ungarns und Belgiens betont. Indessen ist cs nicht unbemerkt geblieben, daß einerseits der belgische Minister -e Borchgrave, ander seits der österreichische Minister des Auswärtigen Graf Goluchoivski und der Ministerpräsident v. Körber durch hohe Ordensverleihungen ausgezeichnet worden sind. Angesichts dieser Vorgänge hält die belgische Presse nicht nur die seit Jahren zwischen beiden Höfen schwebenden Mißverständnisse für ausgeglichen,,sic ich auch geneigt, an- zunchmen, daß König Leopold sowohl im Verlause der Begegnung mit dem Kaiser, wie in der drewiertelstün- digen Unterredung mit dem Grafen GoluchowSki Gelegen heit gefunden hat, die Kongo-Frage zur Sprache zu bringen. In der Tat kann, wenn überhaupt mit der Reise des Königs der Belgier ein politischer Zweck in Ver bindung gebracht werden soll, kaum ein anderes Thema als dieses in Betracht kommen. Doch wäre es mindestens stark verfrüht, wenn man annchmcn wollte, daß in Wien entscheidende Maßnahmen verabredet oder gar bindende Abmachungen getroffen seien. Mit solcher Absicht, deren Verwirklichung von vornherein aussichtslos gewesen wäre, ist König Leopold gewiß nicht nach Wien gekommen. Wohl aber wird man der in belgischen, der Kongo-An gelegenheit nahestel-enden Kreisen herrschenden Auffassung beipslichren dürfen, wonach König Leopold sich gewisser maßen die gute Meinung und eine freundliche Hal tung der kontinentalen Signatarmächte der Berliner Kongo-Akte sichern will, in der Voraussetzung, daß die grobbritannische Regierung aus den gegen die Verwaltung des Kongo-Staates erhobenen Anschuldigungen irgend eine Aktion zur praktischen Durchführung ihrer Forderungen nicht ohne die Zu stimmung der übrigen Signatarmächte herleiten könnte. Man wird also vorausfetzcn dürfen, daß der König der Belgier zu der Rundreise an mehrere kontinentale Höfe sich durch das Bestreben veranlaßt gesehen hat, bei den Regierungen, die ebenso wie die britische den Berliner Vertrag unterzeichnet haben, die Sympathien zu erwerben oder zu stärken, deren er notwendig bedarf, wenn England Anstalten machen sollte, mit weitergehenden Vorschlägen behufs Regelung der Kongofrage an die Signatarmächte hcranzutreten. Der neue päpstliche Staatssekretär. Wie schon telegraphisch mitgeteilt, hat der Papst seinen bisherigen interimistischen Staatssekretär Raphael Merry del Val zum Staatssekretär deö päpstlichen Sttlckles er nannt. Die klerikale „Köln. Volksztg." weiß über die näheren Lebensdaten des 'Nachfolgers Rampollas folgen des mitzuteilen. Raplwel Merrn del Val ist am 10. Okto ber 18S5 in London geboren. 'Sein Vater, ehemaliger spanischer Botschafter beim hl. Stuhl, erfreute sich während seines Aufenthaltes in Rom großer Beliebtheit und des unbedingten Vertrauens des Papstes. Tie Mutter ent stammt einer englisch gewordenen spanischen Adelsfamilie. Seine erste Bildung genoß der jnnge Merry del Val in London, und daher kommt es anch. daß er bis heute noch der Diözese Westminster zugezählt wird. Nach der Ucber- siedelung seines Vaters nach Brüssel als spanischer Ge sandter am belgischen Hofe setzte er daselbst seine Stu dien fort, kehrte aber bald darauf nach England zurück, wo er in einem Seminar sich Kenntnisse in der Philosophie aneignete. Theologie studierte er in Rom, und zwar wurde er auf Wunsch Leos XIII. Mitglied der adeligen Priester akademie. Gleich nach den Weihen erhielt er den Mon- signortitel und wurde dazu auscrseben. den Kardinal Nuffo Scilla nach England zu begleiten, um der Königin Viktoria die Glückwünsche des hl. Stuhles zu ihrem Jubiläum dar zubringen. Im März 1888 ging Merry del Val als Se kretär des Kardinals Galimberti nach Berlin zur Leichen feierlichkeit Kaiser Wilhelms I. Nach Nom zurückgekehrt, ernannte ihn der hl. Vater zu seinem Cameriere Parte- cipante, und sandte ibn am 24. Mai 1889 als päpstlichen Ablcgaten zur Ueberbringuna des Baretts an den Kar dinal Paul v. Tchönbvrn, Erzbischof von Prag. Von jetzt ab war Msgr. Merry del Val verschiedene Jahre in der Seelsorge tätig und erwarb sich große Verdienste um das Wohl seiner englischen Landsleute in Nom, unterstützte auch aus seinen Mitteln eine Schule in Trastevere. In dies« Zeit fallen auch seine mehrfachen Reisen nach Spa nien, wo sein Bruder in diplomatischen Diensten ver wendet wurde und augenblicklich Sekretär des Königs ist. 1897 erhob ihn der Pavst zur Würde eines Hausprälaten und sandte ihn nach Kanada, wo er mit vielem Geschick den Schulstreit zwischen den Bischösen und dem Staate schlichtete. Seit vier Jahren führt Prälat Merry del Bal den Vorsitz in der adligen Priesterakademie, und an, Feuilleton. Das neue Modell. 18j Roman von Paul Oskar Höcker. verboten Eine merkliche Erregung hatte sich Liselottens bemäch tigt. Nun nahm ihr Gesicht plötzlich eine fast ängstliche Spannung an. „Vielleicht war er bei uns — bei Marion?" An diese Möglichkeit hatte Mittwald noch gar nicht gedacht. „Gewiß, so wird es sein. Ja, da konnten wir ihn freilich nicht erwarten." Zwischen ihm und Frau Ea- pitant bestand kein gutes Einvernehmen. Mit ihren An sprüchen, ihren Gewohnheiten paßte Frau Marion nicht mehr in diesen engen, bescheidenen Rahmen. Daß die pe kuniären Verhältnisse ihres Mannes sic gezwungen hatten, sich mit den Kindern für vorläufig noch ganz unabsehbare Zett hier niederzulassen, das schien sie ihre Umgebung ent gelten lasten zu wollen. Wo es anging, vermied Mitt wald also die Begegnung mit ihr. Auch jetzt trennte er sich von Liselotte vor dem Hause, ohne mit einzutreten. Vom Dienstmädchen erfuhr Liselotte, daß ihre Schwester am Abend zuvor Besuch gehabt hatte. Den Namen wußte das Mädchen nicht, aber ein Offizier se gewesen. Marion war so munter und guter Dinge, wie die Schwester sie lange nicht mehr gesehen hatte. Es war gar nicht, als ob man noch tiefe Trauer im Hause hätte. Ueber Donats Besuch sprach sie aber erst, als Liselotte ste direkt fragte. ,Ha, denk nur, Lotti, die Ueberraschungl Natürlich läßt er dich grüßen. Was haben wir nur alles zu schmatzen gehabt. Ich war im Anfang ja sehr böse, weil er uns da- mals doch so ganz ohne triftigen Grund im Stich gelosten hat. Aber jetzt ist die alte Freundschaft wieder vollkommen hrrgestellt. Ja, vollkommen." Eö kostete Liselotte eine große Ucberwindung, die Schwester, die sofort flüchtig zu einem andern Thema überpehen wollte, noch weiter nach ihm zu fragen. Aber e» drängte sie doch zu sehr, näheres über ihn zu erfahren. „Und wie fühlt er sich in seinem alten Kreise in der Garnison? Hat er sich da wieder völlig elngelebt?" „Doch nicht so recht", sagte Marion. „Schon beruflich nicht. Er ist nnn einmal doch mehr Ingenieur, Maschinen bauer, Konstrukteur oder was du willst, als Soldat. Ja!" Sie stand vor dem Spiegel, wo sie an ihrer Frisur ordnete. Leicht den Kopf wendend, so daß sie im Spiegel nicht länger den Blick der Schwester aushalten mußte, setzte sie hinzu: „Und cs ist nicht ausgeschlossen, daß er über klrrz oder lang doch noch den bunten Rock auszieht!" Liselotte war einen Schritt näher herangekommen und blickte Marion forschend an. „Ja, steh mal, mein Schatz", fuhr Marion fort; „es kommt da noch so manches andere hinzu. Wer einmal Großstadtluft eingeatmet hat, der taugt nicht mehr für die eng begrenzten Verhältnisse eines kleinen Garnison städtchens. Die guten und getreuen Nachbarn verstehen einen nicht mehr — aber man versteht sie selbst auch nicht, man paßt nicht mehr in die frühere Umgebung hinein!" „Im Ernst, Marion, es ist also seine bestimmte Absicht?" „Ich habe ihn nicht so dringend ausfragen wollen; aber cs machte mir allerdings so den Eindruck, als fei das nun endlich sein fester Entschluß." Danach sprach sie nicht mehr über diesen Besuch DonatS. Liselotte merkte, daß Marion ihr nur mit Widerstreben antwortete — und sie konnte auch den Verdacht nicht los werden, daß Marion ihr nicht in allem die Wahrheit sagte. Es war kein erauicklickes Leben im Hause. Jetzt noch weniger, als wo die Mutter daheim gewesen war, deren Gesundheitszustand seit dem Traucrfall fortwährend ängstliche Rücksicht gefordert hatte. Marion hielt diesen gezwungenen Aufenthalt im Elternhause nur für eine vorübergehende Störung. Sie sollte nach Paris zurück kehren, sobald die dringendsten Geschäfte dort abgcwickelt, mit einem Worte, die peinlichsten Zahlungsschwierigkeiten beseitigt waren. Nack dein kurzen Stillstände der Fabrik hatte sich ihr Gatte mit seinen Gläubigern dahin geeinigt, daß der Be trieb des Automobilwerks zunächst für Rechnung der Ge samtmasse weitergcführt werden sollte. Vom Bau des neuen Modells mußte er vorläufig Abstand nehmen, weil bei der fortgesetzten Kontrolle durch die Vertrauens männer der Gläubiger die Geheimhaltung der Kon struktion nicht genügend gesichert gewesen wäre. Gerade in diesen Tagen fand die Wettfahrt Paris-Bordeaux statt. Fest hatte Capitant darauf gerechnet gehabt, daß sein Haus dabei aufs glänzendste vertreten sein werde; die Ent zweiung mit Samossin hatte ihm aber auch durch diese Rechnung einen dicken Strich gemacht. Als Sieger ging aus der vielbesprochenen Wettfahrt ein Landsmann Capitants, der ehemalige Radrennfahrer Fournier, hervor. Seine Maschine wies eine ganz vor zügliche Leistung auf. In dein kleinen Kreise der Ein geweihten — derer, die die Probefahrten der „Marion" beobachtet hatten — herrschte aber das einstimmige Ur teil, daß das neue «Modell der Eapitantschen Fabrik dem Fahrzeuge Fourniers bedeutend zu schaffen gemacht haben würde. In dieser Periode, in der so viele Konkurrenten günstige Konjunkturen erzielten, erhielt Marion sehr exaltierte, fast verzweifelte Briese von ihrem Manne. Liselotte hatte unter den nervös wechselnden Stimmungen ihrer Schwester daher viel zu leiden. Mit einem Schlage schien sich das dann aber ändern zu wollen. Liselotte kam eines Morgens von einer Unter richtsstunde, die sie im Orte erteilte, nach Hause zurück und fand die Schwester in großer Ekstase. Bon Eapitant war ein Schreiben eingetroffen, das in Marion eine Art Siegesjubel geweckt halte. Sie ging voll freudiger Er regung durchs Zimmer. „O. jetzt wird alles gut werden! Jetzt wird alles gut werden! Denke nur, Herzensschay, endlich hat sich der rettende Engel gefunden, ein Brüsseler Herr, einer der Besitzer der Holzstoffabrik, deren Filiale unser Papa ge habt hat. Ist das nickt ein ganz eigenartiger Zufall ? Ja, der interessiert sich lebhaft kür das neue Modell von Donat. Er kennt ihn schon von früher her. Hier in Ebateau- Lannen hat er ihn kennen gelernt. Das mar damals bei dem Brande von der «Fabrik. Da lmt ihm schon einmal eine Arbeit von ihm sehr imponiert. Weißt du, das Sprengmittel — du erinnerst dich doch? Ei, du hast mir noch selbst davon erzählt!" So plauderte sie weiter, dann las sie auch ein paar Stellen aus dem Briefe laut vor. „Nun noch höchstens ein paar Wochen, und es ist alles wieder im Geleise!" schrieb George Eapitant voller Zu versicht. „In den nächsten Tagen kommt unser neuer Ge schäftsfreund zum dritten Male her, um nun endgültig den Kontrakt abzuschlieben. Ich werde dir dann sofort wieder berichten. Die einzige Sicherheit, die er verlangt, ist die, daß ihm das Patent „Marion" verpfändet werden mutz. Wir haben uns verpflichtet, bis zum Sommer zehn neue Maschinen Donatscher Konstruktion zu bauen. Tu kannst dir denken, welch fieberhafte Tätigkeit eö da auf- zubicten gilt. Eine wahre Erlösung ist es für mich, daß mit übermorgen, dem Tage, an dem die Schuldenlast mit dem Brüsseler Geldc glatt abacschüttelt wird, jegliche Be aufsichtigung und Bevormundung durch die Vertrauens männer der Gläubiger ein Ende hat. In dieser Weise wäre es nicht mehr lange wcitcrgegangen. Da war kein Unternehmungsgeist, kein Wagen, kein Riskieren möglich. Nun wird mit dieser Gesellschaft tabula rasa gemacht." Von Stund an schien es Marion gar nicht mehr in Chateau-'Lanncy zu dulden. Aber jetzt schon nach Paris zurückzukehrcn, das gestatteten die Verhältnisse doch nicht; denn die Führung eines groben Hausl-altes in Paris ver schlang Unsummen. „Ja — wenn ich wüsste, wo einstweilen die Kinder lassen — dann wäre es ja etwas ganz anderes!" sagte sie seufzend. Und wieder entwickelte sie der Schwester, von wie grotzer Wichtigkeit ihre baldige Rückkehr nach Paris sei. Das war ihre größte Sorge, daß vielleicht der Sommer kommen könnte, wo ganz Paris in alle vier Winde zerstob, bevor sie sich dort wieder unter den alten Bekannten zu zeigen vermöchte. „Denn sickfft dik, Lotte, vergessen werden — das darf man um alles in der Welt nicht. Das ist das Schlimmste, was einer Dame aus unseren Kreisen widerfahren kann." Eisig legte sichS Liselotte aufs Gemüt, als sic die Schwester so reden hörte. Da Marion immer wieder darauf zuruckkam, sagte sic endlich an einem der nächsten Tage: „Wenn du dich von de»
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