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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-31
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190310310
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19031031
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19031031
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-31
- Monat1903-10
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.10.1903
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Reklamen mttrr dem Redaktion-strich (4 gespalten) 78 vor den FamUieunach- richten <S gespalten) SO Tabellarischer and Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertruauuahme Lk (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt^ »», mtt der Morgen-Au-gab«, ohne Postbefördrrung ^ll SO.—, mit Postbesörderuug 70.—> Ännahmeschlnß für Anzeige«: Abend-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» a» die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» nuunterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonnabend den 31. Oktober 1903. > 87. Jahrgang. Die nächste Nninnrev erscheint nur Montag svich. Für Monat November kann das täglich zweimal erscheinende „Leipziger Tageblatt" zum Preise von Mark 1,00 (Mark I,L5 bei freier Zustellung ins Haus) sowohl durch sämtliche Zeitungsspediteure, wie auch durch die nachstehenden Ausgabestellen bezogen werden. Ausgabestellen des „Leipziger Tageblattes": In, Zentrum. vrkhl 5S, C. F. Schubert'« Nachf., Kolonialwarenhdlg. Uathartnenftr. 14, L. Lösche, Cigarrenbdla. 2935 Rttterftr. 4, Linckesche Leihbibliothek und Buchhdlz. Im Norden. iöerberftr. 8, H. L. Kröger, Butterhdlq. 8621 iSnetsrnauftr. 12, B. Ühlich, i. Fa. Ida Hartmann, Papierbdlg. Löhrftr 15, E. Hetzer, Kolonialwarenhdlg. 979 Aortstr. 32 (Ecke Berliner Straße), F. W. Kietz, Kolonialwarenhdlg. Im Osten. ZodaimtSgaffe 8, Hauptrxpedition 222 Lstplatz 4, Alfred Eiste, Cigarrenhdlg. Ranftsche Gaffe -, F. Fischer, Kolonialwarenhdlg. Schützenstr. 5, I. Scbümichen, Kolonialwarenhdlg. 1l78 Tauchaer Ttr. IS, E. R. Reichel, Drogenhdlg. 834 l Im Lüden. Arndtftr. S5, I. F. Canitz, Kolonialwarenhdlg. 3033 Bayersche Ttr. 45, H. Neuineister Nächst., Cigarrenhdlg. 3984 AöutgSplatz 7, L. Lösche, Cigarrenhdlg. 7505 Sternwartenstr. 24, Hanö Pahlitzsch, Kolonialwhdl. 2390 Zettzer Ltr. S5, V. Küster, Cigarrenhdlg. Im Westen. Beethovenstr. 21, Th. Peter, Kolonialwarenhdlg. 390 l Frankfurter Ltr. 22 (Ecke Waldstr.), L. Siever«, Kolonialwarenhdlg. Ranftädter Ttetnwkg I, O. Engelmann, Kolonialwhdlg. 2l5l Waldftr. SS, G. Beiterlein, Kolonialwarenhdlg. Westplatz S2, M. Leißner, Cigarrenhdlg. 2402 In den Vor- und Nachbarorten. Anger-Crottendorf, B. Friedel, Cigarrenhdlg., Zwei» naundorser Str. 6, O. Oehler, Bernhardstr. 51 Connewitz, Frau Fischer, Hermannstr. 23 - Th. Reusfiug, Waisenhaui'str. 2 (am Kreuz) Vutritzsch,MoritzNöggeralh,Cig.-Gelch.,Delitzsch.Str. 25 820 Gautzsch, Job. Wolf, Ecke Ring» und Oetzscber Str. Gohlis, Robert Altner Nächst., Linventh. Str. 6 820 » Paul Schmidt, Brüderstraße 8 Kleinzschocher, G. Grützmann, Zschochersche Str. 7a in L.'Plagw>tz 2586 Leutzsch, Albert Lindner, Wettiner Str. Ll io L.-Lindeoau Ltnvenau, Alb. Lindner, Wettiner Str. 5l in L.-Lindenau Möckern, Paul Schmidt, Brüderstr. 8 in L.-Gohlis Neustadt, Paul Kuck, Annonc.-Exped., Eisenbahnstr. 1 Nrufchönefeld, Paul Kuck, Ännoncen-Exp., Eisenbahustr.1 Oetzsch, Carl Scheffel, Ecke Ost» und Mittelstr. 6475 Plagwiy, G- Grützmann, Zschochersche Str. 7a 2586 Probsthetva, Reinhard Sachse, Buchbindergeschäft Reudnitz, W. Fugman», Marschallstr. 1 1516 - O. Schmidt, Kohlgartenstr 67 1739 - Bernh. Weber, GabelSbergerstr. 11 Schleustig, G. Grützmann, Könneritzstr. 56 2586 Sellerhausen, O. Oehler, Anger-Crottendorf, Bern» hardstraße bl, pari. Stünz, O. Oehler, Anger-Crottend., Bernhardstr. 51, p. Thonberg, R. Häntsch, Reitzenhainer Str. 58 Bolkwar-bors, Paul Kuck, Ann.-Exped., Eisenbahnstr. 1 » Georg Niemann,Konradstr. 55(EckeElisabethflr.) Wahren, Paul Schmidt, Brüderstr. 8 in L.-Gohli- Neformaloren und Schwarmgeister. Die Wiederkehr des 81. Oktober legt es im Hinblick auf manche Erscheinungen in der Gegenwart nah«, an den Unterschied zwischen Reformatoren und Schwarmgeistern zu erinnern. Prinzipielle Gegner des Fortschrittes pflegen ihn zu leugnen, und so wird nicht selten der größte Reformator auf ktrchltch-religiösem Gebiete von ultra montanen Geschichtschreibern zu den Schwarmgeistern ge zählt. Und doch ist im Leben und Wirken Luthers der Unterschied, den es sestzustellen gilt, deutlich zu erkennen. Zur Erklärung vielmehr als zur Entschuldigung, das, dieser Unterschied öfters übersehen wird, mag dienen, daß Reformatoren und Schwärmer Gemeinsames haben und daß die Scheidelinie sich nicht überall scharf ziehen läßt. Di« «inen und die andern sind unzufrieden mit den be stehende» Verhältnissen mrd deren Verbesserung ist das ihnen vorschwebende Ziel. Um dieses zu erreichen, müssen sie die Schäden rücksichtslos aufüecken und polemisch auf treten. Aber die Art und Weise, w i e letzteres geschieht, unterscheidet den Reformator vom Schwärmer. Es mag den Gegnern der Reformation zugestandcn werden, das, Luther auch das Zeug zum Schwärmer in sich hatte und daß er in seiner Polemik gegen die römische Kirche und den „Endchrist Papst" nicht immer Maß gehalten hat. Aber wie sehr dies doch im großen und ganzen und wie bald er sich aus Uebertrcibungen zur Ruhe und Besonnenheit zu rückfand, das wird ersichtlich, wenn man ihn mit den zeit genössischen Schwarmgeistern, mit einem Karlstadt, Thomas Münzer und Konsorten vergleicht. Denn was diese kennzeichnet, das ist eben der gänzliche Mangel an Besonnenheit, wie daraus erhellt, daß sie, um das ersehnte, ihnen meist nur dunkel vorschwebende Ziel zu erreichen, nicht das Bestehende verbessern (refor mieren), sondern gründlich Umstürzen wollten, nm auf den Trümmern einen Neubau, an dem daun nichts mehr zu verbessern sein sollte, zu errichten. Luther wollte aller dings den Papst abgeschafft wissen, aber mit der alten Kirche zu brechen, um eine neue zu gründen, lag ihm fern. So vieles fand er aus jener bciznbehalten, und vom Wahne der Unfehlbarkeit sowohl seiner Person als seiner Re formen blieb er frei. Wäre es nötig gewesen, so würden ihn die Vorgänge in Zwickau und andern Orten — in der Schweiz und in Holland — die Augen für die Aus- sichts- und Hcillosigkeit des Treibens der „hiimnlischen Propheten" geöffnet haben. Denn aussichts- und heillos waren deren Reform versuche und sind's überall, aus dem einfacyen Güunde, weil in der Geschichte, gleichwie in der Natur, neue lebens kräftige Gebilde nicht urplötzlich, nicht mit einem Schlage entstehen und am wenigsten mit Gewalt zu erzwingen sind. Die Schwarmgeister können persönlich achtungswerte Leute sein, ja sogar Menschen von reiner, opferwilliger Gesinnung; aber sie sind durchweg Phantasten, die das Gesetz der allmählichen Entwicklung, dem alles unter, stellt ist, übersehen oder — ignorieren. In der franzö- züsischen Revolution war es der einzige Mtrabeau, der eö nicht übersah. Man hat gesagt, daß er für Frank» reich und die Welt zu früh gestorben sei, da es ihm durch sein maßhaltendes Vorgehen gelungen sein würde, das Königtum mit -er freisinnigen Konstitution zu retten und die Gräuel der Revolution vom Jahre 1793 an zu ver hüten. Ich kann das nicht glauben. Die Schwarm» geisteret, die alle Gesetze verwirft, steht doch auch unter einem; ich meine, unter dem, -atz sie, wenn nicht recht» zeitig erstickt, lawinenartig wächst und daß je die radi kalsten Schreier die vom großen Haufen gefeiertsten werden und alle ihre Vorgänger, „die Verdächtigen, die Halben, die Gemäßigten, die Revisionisten" oder wie man sie sonst nennen mag, überbieten und aus dem Wege räumen. Mtrabeau, der 1791 hochgcpriesene, hätte zwei Jahre später, wahrscheinlich noch vor den Giron disten und Hsbertisten, auf der Guillotine geendigt. Man warf seine Leiche aus dem Pantheon heraus und setzte an ihre Stelle die des blutigen Marat. Weil die Geschichte aller Jahrhunderte bezeugt, daß die Schwarmgeister nichts Dauerndes schaffen können, so scheint vielen ihr Tun und Treiben keine sonderliche Be achtung zu verdienen. Aber bas ist ein Irrtum, der sich schwer rächt. Nicht freilich dadurch, daß „die Umwerter aller Werte" doch, für einige Zeit zur Herrschaft ge kommen, ihr Endziel erreichen — das ist aus dem angezeigten Grunde unmöglich und es würde ihnen selbst bald unheimlich werden, wenn es geschähe —, sondern da durch, daß eine gesunde Reform, die allezeit nötige, durch sie um ein paar Menschenalter zurückgeworfen, gehemmt und gehindert, oder gar durch eine von den Schwarmgeistern p-wvo- zierte rückschrittliche Bewegung ins Gegenteil verkehrt wird. Und das möglicherweise mit viel Blut und Tränen. Den Jakobinern verdankt Frankreich, nach zahl losen Opfern, ja, nach gänzlicher Zerrüttung, die Zucht rute des erstem Napoleon und ganz Europa hat für sein allzulanges Gewährenlassen des „Sansculvttismus" mit büßen müssen v. v. Der Frankfurter Arbeiterkongreß. Da« Sympathie-Telegramm de« Bunde» der Land wirte an den Frankfurter Arbeiterkongreß ist mit Recht lautem Spott anyLimgefallen. Denn der agrarisae Geist ist nicht da«, von dem diese Kreise Ach anaesprocyll fühlen. Und doch gibt r« einen Schlüssel zur Erklärung »'S agra rischen Grußes. Der Bund der Landwirte ist däs erste deutsche Beispiel eines großen Zusammenschlusses vor) wirt schaftlichen Gruppen zu politischem Wirke«. Wir hatten bi» Deutsches Reich. * Leipzig, 30. Oktober. Die Ueberlastung deS Reichsgerichts hat einen Grad erreicht, auf den das vom Oberreichsanwatt Dr. OlShausen in der „Deutsch. Juristen zeitung" veröffentlichte umfangreiche statistische Material ein grelles Licht wirft. ES ergibt sich auS diesem Materiale, daß die Strafsenate mit ihren Leistungen im Jahre 1902 das denkbare Maximum erreicht haben; eine Steigernng erscheint ausgeschlossen. Weder die Zahl der Sitzungen wird zu ver mehren sein, noch die Anzahl der in den einzelnen Sitzungen zu verhandelnden Sachen und der damit auf den einzelnen Beisitzer entfallenden Urteile. Trotzdem war das Geschäfts ergebnis der Strafsenate beim Schluffe des Jahres 1902 ein bislang noch nicht annähernd dagewesener Rest von 13 25 Sachen, gegen 843 deS Vorjahres, dem bis dabin vorhandenen Maximum, und gegen 695 des IabreS 1900, wieder dem damaligen Höchstbetrage. Rechnen wir, daß von dem verbliebenen Reste von 1325 Sachen etwa Io Proz. anderweit als durch Urteil erledigt werden, so würden auf die überjährigen Sachen 1200 Urteile entfallen, die — bei 15 Sachen im Durchschnitt, unter Außeracht lassung des Unterschiede» zwischen Verhandlungsterminen uud Urteilen — im ganzen 80, also durchschnitt lich für jeden Senat 20 Sitzungen, erfordern. Da die Strafsenate an die Grenze ihrer Leistungsfähig keit gelangt sind, so muß notwendig, falls der Eingang neuer RevlsionSsachen im laufenden Jahre dem deS BorjabreS gleich bleibt, der am Schluffe dieses Jahres verbleibende Rest mindestens um dieselbe Zeit sich vermehren, wie die Zunahme von 1901 auf 1902 betrug, d. h. also um 480 Sachen, so daß beim Ablaufe dieses Jahre» ein Rest von 1800 un erledigten Sachen verbleiben würde. Bei anhaltendem, gleich starkem Eingänge in den weiteren Jahren würde der Rest sich jährlich in gleicher Weise vermehren, also Ende 1906 schon erheblich über 3000 Sachen betragen! Dieser so vorgezeichneten Entwickelung binsichtlich der Erledigung dahin nur Parteien gehabt, innerhalb deren die verschiedenen Erwerböklassen Betätigung und Vertretung suchten. Die Sozialdemokratie bitdete davon keine Ausnahme. Sie war und ist nicht lediglich Arbeiterpartei. Ihr ist die Ver tretung von Arbeiterinteressen nur daS Mittel, die großen Massen an sich zu fesseln und, mit deren Mandaten versehen, die politische Destruktion vorzubereilen. Der Bund der Landwirte kennt nur einen Gesichtspunkt: das Interesse der Landwirtschaft. In den Wahlaufrufen wird zwar auch dem Mittelstand immer Einiges versprochen. Damit sollen aber nur die Stimmen der Kteingewerbler in den Landstädten für die BundeSkandidalcu gewonnen werden. Eine solche Inter essengruppe, wie der Bund, fühlt sich unwillkürlich hin gezogen zu einer Neubildung, die ebenfalls ein rein wirt schaftliches Programm ausstellt, das die Bundeökreise kaum irgendwo stören könnte, mit dem sich aber bei Stichwahlen und anderem Kuhhandel gelegentlich ein Geschäft machen läßt. Wir können aber auch den politischen Parteien nur empfehlen, unter dein rein wirtschaftlichen, nicht aber unter parteipolitischem Gesichtspunkte Wesen und Bedeutung dieses Kongresses zu beurteiten. Der Hintergrund, von dem die Frankfurter Veranstaltung sich abhcdt, ist allerdings und selbstverständlich politisch. Wir meinen das Ergebnis der tetzten Reichstagswahl. Unter den drei Millionen Stimmen, die auf sozialdemo kratische Kandidaten gefallen sind, müssen zahlreiche her gerührt haben von Arbeitern, die eben nur diese eine Arbeiterpartei kennen, von deren politisch-antiinonar- chischcm Programm sie zwar nichts wissen wollen, von der sie aber eine r! erwarten. jegliche Rücksicht auf seine Interessen vermissen lassen. den, noch dazu unanständigen, Streitereien über das Dogma vom Staate und den persönlichen Zänkereien kann der Arbeiter den Gedanken nicht zusammenreuuen, daß Vertretung des Arbeiterslandes Hauptaufgabe der Sozialdemokratie sei. Er sieht eine Lücke, deren Ausfüllung durch eine wirtlich stän dische Arbeilergruppe geradezu Bedürfnis wird, ohne daß allerdings allzu große Hoffnungen aus Ausschaltung der Sozialdemokratie gerechtfertigt wären. Und doch ist den Genossen dieser Kongreß schon jetzt in die Nase gestiegen. Allem Anscheine nach hatten sie erwartet, man würde dort nicht biliauökvmmen über Hurrastimmung und Loyalitäts duselei im Stile der Breslauer Arbeilerveputalion. Etwas anders ist es nun doch gekommen. Bedeutsamer Weise Hal hier das Hoch auf den Kaiser nicht gefehlt. Auch das Huldigungstelegramm ist, wie bei sonstigen bürgerlichen Kongressen, abgeschickt worden. Aber schon seine Stili sierung ist abgewichen von der Phraseologie gewöhn licher Festtundgebungen, indem die Arbeiter aussprachen, daß sie unter dankbarer Anerkennung deS bis jetzt Geschehenen die Wetterführung der Sozialreform unter gesetz licher Mitwirkung und Betätigung der Selbsthülse erstreben. Die Antwort war denn auch kein gewöhnlicher „LucanuS", sondern der Kaiser selbst sprach sein Interesse aus für diese Beratungen und fügte hinzu: „Ich werde . . . auch in Zu kunst allen Anregungen und Maßnahmen, welche geeignet erscheinen, das mir und meiner Regierung am Herzen liegende Wohl der deutschen Arbeiter zu fördern, gern meinen Schutz und Beistand zu teil werden lassen." So hat der Arbeiter mit der Monarchie gut angeknüpst und er vergibt sich auch nichts mit der Entsendung einer Deputation, die dem Reichs kanzler die Bestrebungen und Forderungen der nichtsozial demokratischen deutschen Arbeiterschaft zur Kenntnis unter breiten soll. So hat man sich in den Rahmen gestellt, der für jede Gruppe sich eigentlich vou selbst verstehen sollte: in den Rahmen des deutschen Vaterlands, den Kaiser und Kanzler repräsentiert. Der Rahmen aber hat das Bild keineswegs beengt. Und Vas ist die große Enttäuschung für die Sozialdemokratie. Keine Spur von flammenden Protesten gegen die rote Internationale! Schon der erste Hauptredner erklärte ohne Umschweife, daß er die Aufgabe des Kongresses nicht erblicke in der negativen Stellungnahme gegen die Sozialdemokratie. Damit ist die Möglichkeit weggcsallcn, die Hundertlausente der in Frank furt vertreten gewesenen Arbeiter als Schutztruppe des sogenannten Scharfmachertums zu diskreditieren. Noch mehr will eS aber sagen, daß die einseitigen Forderungen der Arbeiterklasse in orankfurt mit aller Schärfe zum Ausdruck gelangt sind. Alle Forderungen fortgeschrittener Sozialpolitik mit allen gesetzlichen Mitteln und mit demselben Nachdruck wie die anderen Organisationen zu erstreben, — so lautete die Devise, und ihr ist in vollstem Umfange entsprochen worden. Die Beschlüsse über das Koalitionsrecht und über die Rechtsfähigkeit der Berufsvereinc verraten in keinem Satze, keinem Worte auch nur die leiseste Rücksicht auf das, was etwa „oben" gefallen oder verschnupsen könnte. Ungeschminkt war auch die Sprache der Führer. „Wir sind in erster Reihe Arbeiter und empfinden als Klassengenossen und wollen als solche in erster Reche, daß der soziale Karren weiler geschoben wird." Dieses Thema ist in Frankfurt immer wieder variiert worden. „Ungerechte Ausnahmestellung" und auch krassere Schlagworte kamen in den Reden gar nicht selten vor. Aber den „Vorwärts" erfreut das Alles gar nicht. Er Hal mit seinem entwickelten -Spürsinn die Gefahr dieser Konkurrenz sofort herausgewtttert. Darum mäkelt er an den großen Zahlen, mit denen in Frankfurt operiert wurde, rechnet heraus, nicht sechs-, sondern nur viermal hunderttausend Arbeiter seien dort vertret-m gewesen. Oder Und die bürgerliche Gesellschaft? Die „Post" und ihre ängstlichen Gesinnungsgenossen sind im entgegengesetzten Sinne enttäuscbt. Sie vermögen nicht zu verkennen, „daß von der Gesamtheit der christlichen Arbeiterorganisationen nach den Eiudrückeu des ersten deutschen Arbeiterkongresses nur herzlich wenig zu erwarten ist. Es wurde nicht nur offen aus gesprochen, daß man in der rücksichtslosen Bekämpfung der Sozialdemokratie keineswegs seine Aufgabe sehe, sondern auch in den Wünschen und Forderungen neigte man sich so weil wie möglich nach der sozialdemokratischen Seite. Die Ton art, welche von einzelnen Rednern gegen die Arbeitgeber angeschlagen wurde, hätte glauben machen können, man befinde sich im Kreise waschechter Genoffen". Wir für unfern Teil bekennen, daß uns die Frankfurter Beschlüsse unv Reden ganz und gar nicht erschreckt oder enttäuscht haben. Die Arbeiterklasse hat dort gesprochen, wie sie denkt. Ebenso wie Landwirte gegen den Handel, Kleinkaufleute gegen Warenhäuser, Großkausleute gegen Zölle, so haben sie sich gegen Beschränkung des Koalitionsrechtes gewendet. Mit keiner Silbe aber haben sie den Anspruch erhoben, daß nun mit einem Male unter dem einen Gesichtspunkte der Arbeiter interessen die gesamte StaalS- und Gesellschaftsordnung ge ändert werden solle. Das unterscheidet sie von den Sozial demokraten. Sie haben in erster Linie dafür gesorgt, daß Regierungen und Parteien über ihre Wünsche jetzt nicht mehr im Unklaren ru sein vorgeben können. Die nationalliberale Partei hat schon im voraus ihr werktätige« Interesse ver sprochen durch Befürwortung der Arbeiterwünsche im Rahmen der Staatsmöglichkeiten. Jetzt liegt das Material klar gefaßt Vertretung ihrer besonderen wirtschaftlichen Wünsche ! vor unfern Äugen. Inwieweit eS zur Uebernahme in die Der Dresdner Parteitag hat nun den Arbeiter! Gesetzgebung sich eignet, darüber werden Reichstag und icksichl auf seine Interessen vermissen lassen. Mit Bundesrat sich schlüssig machen. Eine Richtschnur Haven sie . in dem schönen Worte des großen Bismarck, der die Arbeilersürforge als Aufgabe praktischen Christentums be- zcicknete und hinzufügte: „Ich sehe nicht ein, mit welchem ) Rechte wir für unsere gesamten Privathandlungen die Gebote des Christentums, lebendig oder fossil, anerkennen und sie gerade bei den wichtigsten Handlungen, bei der wichtigsten Betätigung unserer Pflichten, bei der Teilnahme an der Ge setzgebung eines Landes von 45 Millionen, in den Hinter grund schieben wollen und sagen: Hier haben wir uns daran nicht zu keyren. Ich meinerseits bekenne mich offen dazu, baß dieser mein Glaube an die Ausflüsse unserer offenbarten Religion in Gestalt der sitteulehre vorzugsweise bestimmend für mich ist und jedenfalls auch für die Stellung des Kaisers zu der Sache, und daß damit die Frage von dem christlichen oder nichtchristlichen Staate gar nichts zu tun hat. Ich, der Minister dieses Staates, bin Christ und entschlossen, als solcher zu handeln^ wie ich glaube, eö vor Gott rechtfertigen zu können!" Sein Christentum hat den großen Kanzler niemals verleitet, auf Kosten der staatsautoritäl oder der anderen Berufsklassen die Forderungen der Arbeiter ^u erfüllen. Aber es hat ihm die Grundlage gegeben zu ter Sozialpolitik, die sich in den letzten zwanzig Jahren zum Ruhme des deutschen Reiches vorbildlich aeitaltet hat für alle Kultur nationen. Wir empfehlen dayer seine goldenen Worte zur Beherzigung den engen Seelen, die in so großes Entsetzen geraten sind, weil in Frankfurt christliche Arbeiter so gar nicht salbungsvoll gesprochen haben. hunderttausend Arbeiter seien dort vertret-m gewesen. Oder ! der Straffachen beim Reichsgerichte kann man in der Tat nicht er prophezeit, diesen Arbeitern würde man einen Teil ihrer - obnc Besorgnis entgegenseben. Niemand kann e» für gleich. Wünsche erfüllen und sie damit beschwichtigen, während die gültig oder auch nur als eine Sache minderer Bedeutung Sozialdemokratie dem Arbeiter sein „gutes Recht" auf Er- anseben, wenn die endgültige Erledigung der beim Reichs füllung aller seiner Forderungen sichere. Kurz und gut, der gerichte in die Revistonsinslan; gelangenden Strafsachen so Frankfurter Kongreß ist den Publizisten der Sozialdemokratie, lange hinausgezogen wird, wie es geschehen muh, falls nicht zu bedeutend gewesen. j Wandel geschaffen wird. Da» Reichsgericht selbst, so meint
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