01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.03.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-15
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040315016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904031501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904031501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-03
- Tag1904-03-15
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Dem Stutt garter OrtSverbanbe -eS Evangelischen Bunde- sind infolge -er wachsenden Erregung über die Verstümmelung -eS IselsuitengesetzeA über 100 neue Mitglieder beigetreten. * Der Vertreter -er mecklenburgischen Re- -ieung hat im Bundesrate gegen die Aufhebung des 8 2 des Iesuitengesetzes gestimmt. * Im Reichstage wurde gestern der Antrag Graf Oriola (natltb.) auf Wiederherstellung der Ne- gterungSvorlag« bezüglich -er Zahl -er Unte rafft- ziere des stehenden Heeres mit Stimmengleichheit ab- gelehnt. Daraus wurde ein Antrag Gpayn auf Be willigung von 119 Unteroffizieren mehr, als von der Budgetkommtffron genehmigt, mit großer Mehrheit an genommen. * In der bayerischen Kammer -er Astge - ordneten kam gestern der Fall des Zentrumsübge- ordnete« vr. Pichler und feines einjährig-freiwilligen Schützlings! EraS zur Sprache. Der Kriegs Minister kündigte an, daß vr. Pichler wegen seiner AuSsagen vor dem Gerichte sich auch noch gerichtlich zu verantworten haben werde. _______ * Ein Vermächtnis im Betrage von 180 000 bestimmt verschämter Armut zu helfen, hinterließ ein Wohltäter, der nicht genannt sein will, der Stadt Leipzig. . .. * Nach 4in«m in Port Arthur vorgestern o-ea- 7 Uhr ausgegebenen und in Dsientstn gestern vor mittag 11 Uhr eingegangenen Telegramm ist daS Ge- rücht, die Japaner hätten Port Arthur besetzt, gänzlich unbegründet. Llll Zuldebung »sn 8 r äe; Zrrattengezetrer. Derselben hochgeschätzte^ Persönlichkeit, deren höchst wertvolle Auslassungen über die Derfassunas- bedenken bezüglich der Neugestaltung des Iesuitengesetzes erst vor wenigen Tagen im „Leipziger Tageblatt" auszugsweise reproduziert wurden, verdanken wir folgenden Artikel: Die gewaltige, und allem Anschein nach im fort- währenden Wachsen begriffene Aufregung im protestan- tischen deutschen Volke über die vom Bundesrat in seiner Mehrheit beschlossene Aufhebung von 8 2 des Jesuiten- gcsetzeS läßt eS als gerechtfertigt erscheinen, auch der recht, lichen und verfassungspolitischen Seite dieses Beschlusses noch einemal seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Zuvör derst möge der Wortlaut deS Gesetzes, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872 in Erinnerung ge- bracht werden; er enthält folgende Bestimmungen: 8 1. Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm ver wandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen find vom Gebiete deS Deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Errichtung von Niederlassungen derselben ist untersagt. Die zur Zeit bestehenden Niederlassungen find binnen einer vom DundeSrat zu bestimmenden Frist, welche sechs Monate nicht übersteigen darf, auf- zulöfen. 8 2. . . . Die Angehörigen deS Ordens der Gesellschaft Jesu oder der ihm verwandten Orden oder orden-ähnlichen Kongregationen können, wenn sie Ausländer sind, au» dem Ländergebiet auSgewiesen werden; wenn sie In- länder sind, kann ihnen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. Dem Reichstage 189V lagen nun zur Abänderung dieses Gesetzes drei auS der Initiative deS HgufeS hervor- gegangene Anträge auf Aufhebung bezw. Abänderung deS Gesetzes vor; der eine, ausgehend vom Abg. Graf Hompesch und Genossen auS der Fraktion des Zen- trumS, bezweckte gänzliche Aufhebung deS Gesetzes, die beiden anderen, der eine gestellt vom Grafen Lim- bürg - Stirum und 1b Genossen, darunter aus Sachsen Für st e r und vr. v. Frege-Weltzien, der zweite vonRickert, gingen nur auf Beseitigung deS 8 2. Der Antrag Limburg-Stirum wurde angenommen. Die Anträge hatten ihre Vorgeschichte, denn bereits im Jahre 1894 hatte der Reichstag zum ersten Male den Beschluß gefaßt, das Jesuitengessstz aufzuheben, der BundeSrat hatte aber schon am 9. Juli 1894 ablehnenden Beschluß gefaßt; der Reichstag hatte aber seinen Beschluß im Februar 1890 und im April 1897 wiederholt, ohne daß der BundeSrat darauf Beschluß faßte; der damalige Reichskanzler Fürst Hohenlohe hatte im Juni 1896 er- klärt, die Beschlußfassung de» BundeSrateS im Juli 1894 Kege verhältnismäßig erst so kurze Zeit zurück, daß man Dienstag den > , geglaubt habe, nicht Anlaß zu einer erneuten Stellung, nähme zu haben. Auch nach dem Reichstagsbeschluß vom 1. Februar 1899 erfolgte zunächst kein Beschluß des BundeSrateS. Im Januar 1902 wurde eine Inter pellation von Graf Hompesch und Genossen deshalb eingebracht, die von dem Abg. Spahn ausführlich begrün- det wurde und auf welche Graf Posadowsky eine Mitteilung der Entschließung der verbündeten Regie rungen noch in der laufenden Session in Aussicht stellte In der denkwürdigen Sitzung des Reichstages vom 3. Februar 1903 nun gab der Reichskanzler Graf Bülow jene bekannte Erklärung ab, in der er seine Geneigtheit aussprach, die preußischen Stimmen im BundeSrate für Annahme des Antrags, der den Namen Limburg-Stirum trägt, also auf Aufhebung des 8 2, instruieren zu wollen. Die Verhandlungen des Bundesrates entziehen sich der Öffentlichkeit, aber nach allem, was darüber bekannt ist, kann es sich bei dem am 9. d. MtS. gefaßten Bundesrats- beschlufse nur um die Zustimmung zu dem vom Reichs- tage vor fünf Jahren gefaßten Beschluß zum An- trage Limburg-Stirum handeln. Was nun die rechtliche Beurteilung deS BundeSrats- bcschlusses anlangt, so gehen zwei schwere Be denken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieses Beschlusses bei. Es ist in diesem Blatte bereits in den Nummern 103 und 105 vorigen Jahres (auszugs- weise in Nr. 132 dieses Jahres reproduziert) die staats rechtliche Seite der Aufhebung des 8 2 des Jesuiten gesetzes erörtert und dabei die Ansicht vertreten worden, daß diese Aufhebung eine Aenderung der durch Spezial- gesetz geänderten Reichsverfassung enthalte, und deshalb wie jede Verfassungsänderung nach 8 78 Abs. 1 als abge- lehnt.zu gelten habe, wenn sie im Bundesräte 14 Stirn-- inen gegen sich habe. Der Abg. Spahn hat in der Reichs- tagSsitzüng vom-2L> Mär» 1903 darüber gesagt: Ein Ärtftel irn „LerpziKtc Tageblatt" führt sogur aus: Die Aufhebung fei' ausgeschlossen, wenn nur 14 Stimmen dagegen seien, denn es handle sich um eine Verfassungsfrage, und dieser Artikel wird einem in politischen Sachen versierten Manne zugeschrieben — nicht dem Herrn Kollegen vr. Hasse. (Heiterkeit.) Daß dieser Scherz und die damit erregte Heiterkeit nicht die Gründe ersetzen kann, wird der Abg. Spahn wohl selbst zugehen, wogegen man ihm ja auch zugeben kann, daß ein führendes Mitglied des Zentrums im Reichstage Gründe überhaupt nicht nötig hat. Aber außer- halb des Reichstags ist es doch doch wohl nicht nur Recht, son dern Pflicht, sich über die verfassungsmäßigen Grundlagen eines Beschlusses klar zu werden, das ist Recht und Pflicht jedes Staatsbürgers, vor allem aber der Regierungen, in deren Entschließung durch die Reichsverfassung die ganze Verantwortlichkeit für die Verfassungsmäßigkeit eines Beschlusses nach 8 78 Abs. 1 der Reichsverfassung gelegt ist. Die im „Leipziger Tageblatt" vertretene An sicht steht aber auch durchaus nicht so vereinzelt da, daß man sich einer Widerlegung der darin aufgeführten Gründe für enthoben ansehen könnte. Einer der besten Kenner und scharfsinnigsten Beurteiler des deutschen Staatsrechts, Albert Hänel, langjähriges Mitglie des Reichstags, zeitweise dessen Vizepräsident, sagt in seinen Studien zum deutschen Staatsrecht, I, 1, 255 folgende-: „Die Reichsverfassung räumt für die Aenderung gemeingültiger Derfassungsbestimmungen, an deren Aufrechterhaltung oder Abänderung ein gleichartiges rechtliches Interesse wenn nicht aller Bundesglieder, doch einer Mehrzahl vorausgesetzt ist, bereits dem Widerspruche von 14 Stimmen im BundeSrate die rechtliche Wirkung der Ablehnung deS Gesetzentwurfes ein. Diese Erfordernisse gelten für Ver- fassungsänderungenaller und jederArt in dem Sinne, daß eS gleichgültig ist, ob sie durch ein Gesetz oder auf Grund eines Vertrags erfolgen; daß eS gleichgültig ist, ob die Aenderung Bestimmungen, die durch Bezugnahmen der Verfassung der ersten gleich wertig erklärt worden sind, oder endlich solche, die in der Form selbständiger Gesetze Vorschriften der Verfassungsurkunde ersetzt oder erweitert haben." Hier ist also klippundklarausgesprochen, was in . jenem Artikel nachzuwcisen versucht worden ist. Hänel polemisiert in der Note 6 a. a. O. gegen Thu - dichum, DerfassungS-Recht, welcher die Behauptung aufgestellt hatte, daß die Formen der Verfassungsände rung für solche selbständige Gesetze nur dann einzuhalten seien, wenn in ihnen bestimmt, ausgesprochen sei, daß die neuen Bestimmungen einen Bestandteil der Ver- fassungsurkunde bilden sollen, und sagt: WaS in den Formen der Verfassungsänderung als eine Ersetzung oder Erweiterung der Verfassungs urkunde beschlossen ist, da» ist eine andere oder weitere Derfassungsbestimmung und daS kann unmöglich als einfaches Gesetz gelten und in dessen Formen ge- 15. März 1904. ändert oder aufgehoben werden, solange Artikel 28 schlechthin und ohne Unterscheidung für „Derände- rungen der Verfassung" seine Vorschriften macht. Gegen die Exemplifikation ThudichumS auf das Gesetz über daS Oberhandelsgericht sagt er: Die Unbeachtlichkeit einer äußeren Vermischung verfassungsgesetzlicher Bestimmungen mit einfach gesetz- lichen tritt hier in ihrer ganzen Schärfe hervor. Aber sie berechtigt nicht zu der Limitation desArtikels 78, die Thudichum verneint. Daß das Jesuitengesetz seinerzeit in den Formen der Verfassungsänderung vom Bundesrat beschlossen worden, ist in dem zitierten Artikel des „L. T." bereits erwähnt worden, es treffen also die Hänelschen Ausführungen daraufvoll st ändigzu. Es ist noch nicht offiziell bekannt, wie das Stimmen verhältnis bei dem Beschlüsse des BundeSrateS gewesen ist, aber es ist von der höchsten Wichtigkeit, daß darübet: Auskunft erteilt werde, und wenn 14 Stimmen dagegen gewesen sind, so leiden die ausgeführten Verfassungs- bedenken darauf Anwendung. Tas deutsche Volk hat deshalb einRechtdarauf, baldmöglichst zu erfahren, wie das Stimmenverhältnis im Bundesräte gewesen ist. ('Laß tatsächlich mehrals 14Stimmengegendie Aufhebung gewesen sind, haben wir schon als unumstöß- lich sicher mitteilen können. — Red.) Aber es tritt noch ein zweites Bedenken hinzu: Nach dem Artikel 5 Abs. 1 der Reichsverfassung ist dieUeber- einstimm ung der Mehrheitsbeschlüsse des Bundes- rateS und des Reichstages zu einem Reichsgesetze erforder- lich und ausreichend. Es besteht keine Rangordnung hin sichtlich der Zeitfolge der Beschlußfassung. Es hat dem- nach jede der beiden Körperschaften die sogenannte Initiative. Um einen solchen Initiativantrag Reichstags handelt eS sich nach dem oben Gesagten im gegenwärtigen Falle; derselbe ist in Form eines Gesetzentwurfs an den Bundesrat ge bracht worden. Es ist nun die Frage entstanden, wie lange kann der Bundesrat eine Gesetzesvorlage des Reichstages und wie lange kann der Reichstag eine Ge- setzeSvorlage des Bundesrates annchmen, namentlich ob noch nach Schluß der Reichstagssession. Tie in der Theorie herrschende Meinung nimmt an, daß der gesamte Gesetzgebungsakt von der Einbringung deS Entwurfes im Reichstage bis zur Verkündigung der aus- gefertigten Gesetzesurkunde im „Reichsgesetzblatt" nach einem wirklichen konstitutionellen Gewohnheitsrechte und gemäß dem Prinzip der Diskontinuität der Reichstags sessionen, wie mit Rücksicht auf die vielleicht veränderte Stimmung im Reichstage beendigt sein müsse, bevor der Reichstag zu einer neuen Session zusammentritt. In den Staatsrechten der Einzelstaaten wird ja auch kaum irgendwo ein Zweifel darüber bestehen, daß Vorlagen und Anträge, die nicht etwa an eine Zwischendcputation ver wiesen sind, für eine neue Session nicht mehr existieren. Und wenn auch bezüglich deS Reiches es an abweichenden Meinungen nicht fehlt, so wird doch d i e Forderung ganz bestimmt aufgestellt werden müssen, daß die Ueberein- stimmung der beiden Faktoren innerhalb dersel ben Legislaturperiode vorhanden sein muß. Diese Forderung stellt namentlich G. M e y e r, S t a a t s- recht, auf. Denn eine Willenserklärung des Reichs- tags, die von der andern Seite nicht angenommen ist, kann doch die von der Verfassung erforderte Uebereinstimmung der beiden Körperschaften nicht mehr Herstellen, wenn die eine zu der Zeit, wo die andere zustimmt, gar nicht mehr vorhanden ist. Die von der Verfassung erforderte Uebereinstimmung kann doch nur von den Faktoren hergestellt werden, die z u d e r Z e i t, wo der beiderseitige Wille Gesetz wird, die gesetzgebende Gewalt hoben. ES wäre ja auch geradezu absurd, wenn der Bundesrat Jni- tiativgesetzentwllrfe des Reichstags gewissermaßen auf Lager haben, und sie dann zu ihm gelegener Zeit, nach fünf, zehn und noch mehr Jahren hervorholen könnte. So ist aber hier verfahren worden. Das Schreiben des Präsidenten des Reichstags, durch das der Entwurf des betreffenden Gesetzes dem BundeSrate übermittelt wor den, ist vom 1. Februar 1899! aus dem vorigen Jahr- hundert, und am 9. März 1904 ist der BundeSratsbeschluß gefaßt worden. Inzwischen ist ein neuer Reichstag ge wählt worden, zu oen Fragen, die bei den Wahlen das Volk am meisten erregt haben, gehörte die der Stellung des Kandidaten zur Aufhebung des Iesuitengesetzes, be währte und beliebte Abgeordnete sind wegen dieser ihrer Stellung nicht wieder gewählt worden, und nun wird, als ob gar nichts geschehen wäre, der alte Ladenhüter hervor- geholt und über Nacht zum Gesetz gemacht, ohne daß dem Reichstage die Möglichkeit gegeben worden wäre, seinen Willen zu bekunden. DaS ist gegen die Berfas- sung, das ist gegen die er st en konstitutio nellen Pflichten, eine Mißachtung des neuen Reichstags und des gesamten deutschen Volkes, nicht bloß deS evangelischen Teiles, wie sie schreiender nicht ge dacht werden kann. Es soll nicht gesagt werden, daß die 98. Jahrgang. Mehrheft im neuen Reichstag zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, aber nachdem die Frage, um die eS sich hier handelt, das deutsche Volk so in seinen Tiefen aufgeregt hatte, nachdem den alten Reichstagsmitgliedern Gelegen- heit gegeben war, mit ihren Wählern wieder Fühlung zu nehmen, nachdem viele neue Mitglieder in den Reichstag eingetreten waren, nachdem die angesehensten evangeli schen Vertretungen sich zu der Frage geäußert hatten, mußte den: neuen Reichstage die Möglichkeit geboten werden, erneut Stellung dazu zu nehmen, und man darf wohl gespannt sein, ob der Reichstag diese ver- ächtliche Beiseiteschiebung ruhig hinnehmen wird. Es liegt darin aber auch eine Verkürzung der Rechte der Minderheit der Bundesregierungen. Nach Art. 9 der Reichsverfassung hat jedes Mitglied des Bundesrates das Recht, im Reichstage zu erscheinen, und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrates nicht adoptiert worden sind. Hätte man den verfassungs- und ordnungsmäßi gen Weg beschritten und dem Reichstage einen Gesetz- entwurf vorgelegt, so hätten die dissentierenden Regie- rungen ihre Ansichten frei und offen vor dem Reiche und dem evangelischen Volke vertreten können. Die Lage für Preußen wäre dadurch freilich recht mißlich geworden, und gerade sie hat man wohl vermeiden wollen, aber daS gibt doch dem Vorgehen keinen Schimmer von Rechtfertigung. Auf solche Weise ist denn ein Gesetz zu stände gekom men, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit die gewichtigsten Bedenken erhoben werden müssen, und ein solches Gesetz! Es ist damit für das Deutsche Reich eine Lage geschaffen worden, wie sie peinlicher nicht gedacht werden kann. Tie Frage, welche Gültigkeit ein verfassungswidrig zu stände gekommenes Gesetz zu beanspruchen habe, ist zum Glück noch nicht in das deutsche Volk hineingeworfen worden, das ist dem gegenwärtigen Reichskanzler Vorbehalten geblieben. Theoretisch wird sie zum Teil dahin beantwortet, daß der Richter darüber zu ur teilen habe. Hänel a. a. O. S. 262 f. argu mentiert so: Der Richter hat zu prüfen, ob Landes recht init Rcichsnorm in Widerspruch steht, dann muß er aber auch prüfen können, ob die Reichsnorm selbst rechts gültig ist. Dieser Fall kann ja bei dem vorliegenden Ge setze leicht eintreten. Laband, Staatsrecht, Bd. 2, S. 38, legt den Schwerpunkt in die Ausfertigung des Gesetzes durch den Kaiser; er sagt: „Die Ausfertigung des Gesetzes enthält also die kaiserliche Versicherung, daß das Gesetz die Zu- stimmung des Reichstags und Bundesrats erhalten hat, d. h. den Anforderungen der Reichsverfassung gemäß zu stände gekommen ist. Siesetztdemnacheine Prüfung des WegS, den daS Gesetzgebungswerk zurllckgelegt hat, voraus. Dem Kaiser als solchem steht zwar ein Veto gegen das Reichsgesetz nicht zu; aber der Kaiser hat das Recht und die Pflicht, zu untersuchen, ob das Gesetz in verfassungsmäßiger Weise die Zustimmung des Reichstags und BundeSrats und die Sanktion des durch den Bundesrat vertretenen Trägers der Reichsgewalt erhalten hat. Erhatda- her insbesonderezuprüfen,obim Bundes- rate die Abstimniung nach den in Art. 7 der Reichsver fassung aufgestellten Regeln, und ob die Beschlußfassung den Bestimmungen der Art. 5, 37 oder 78 der Reichs- Verfassung gemäß erfolgt ist; ob der Reichstag und Bundesrat die Gesetzesvorlage den bestehenden Vor schriften gemäß behandelt haben, ob zwischen den Be schlüssen beiderKörperschasten völligeUebereinstimmung besteht usw. Wenn diese Prüfung zu einem negativen Ergebnis führt, so hat der Kaiser nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, die Ausfertigung zu versagen, bis der Mangel gehoben ist." Und nun geht durch die Zeitungen die Nachricht, daß der Kaiser noch am nämlichen Tage, an dem der Bundes- rat seinen Beschluß gefaßt hat, das Gesetz vollzogen hat. Man hat ihm also nicht viel Zeit gelassen, um die nach der Verfassung ihm obliegende Pflicht der Prüfung auS- zuübenl Auf die politische Bedeutung des Gesetzes soll hier nicht weiter eingegangen werden, nur wenige Bemerkungen darüber noch zum Schluß: Der Herr Reichskanzler hat in seinen mehrfachen Reden gegen die Sozialdemokraten den Anschein erweckt, als ob er die bürgerlichen Parteien gegen diese sammeln wolle. Schon in der Sitzung des Reichstages vom 30. April 1903 hat aber der Abg. vr. Arendt rhm zu gerufen: „WaS hat denn die Regierung in den letzten Wochen getan? Sie hat uns die Schwierigkeiten für die Wahlen bei jeder Gelegenheit vermehrt. Ich erinnere Sie an die Bekanntgabe von der Aufhebung deS 8 2 des Iesuitengesetzes, welche einen Keil in die Parteien getrieben hat, die auf ein Zu- sammcngehen gegen die Sozialdemokratie angewiesen sind. . . . Nachdem wir eS für unsere Pflicht hielt«.
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