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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-12-08
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-191412082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19141208
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19141208
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1914
- Monat1914-12
- Tag1914-12-08
- Monat1914-12
- Jahr1914
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 08.12.1914
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blatt herauSgeaeden, da« den Titel »Italia nostra" (Unser Italien) führt. Nur italienischen Zielen soll da» Blatt dienen; es richtet sich in keiner ersten Nummer mit aller Schärfe gegen die, welche den Krieg wollen, „nicht für die Nation, sondern für me Partei". In der Tat find es ja im allgemeinen nur die radikalen antimonarchischen Elemente, die Italien vom Dreibunde zum Dreiverbände herüberziehen möchten. Man wird der „Italia nostra" »ugeftehen müssen daß diese Kriegshetzer nicht die An- sicht der großen Mehrheit des Landes vertreten, aber der Lärm und das Geschrei, das sie erheben, hat heute schon manche Verwirrung in italienischen Köpfen angerichtet. Und deshalb verstehen wir eS, wenn gerade unter den Gebildeten Italien» der Widerwillen an dem Unfug jener Kriegshetze wächst und wenn sie auch ihrerseits diesem Treiben entgegenwirken wollen. Darum geben sie ihrer Wochenschrift den Leitsatz voran: „Wir sind weder für die Zentralmächte noch für den Dreiverband, weder a Priort (von vornherein) für den Krieg noch für den Frieden, wir sind für unser Land, Pro Italia nostra". In dem euer- aikchen Protest aber gegen die Verläumdung der Krieg führung einer Nation, der „niemand noch bis gestern einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Zivilisation verweigert hatte", deuten sie zugleich an, daß die italie» nische Politik, die sie wünschen und vertreten, sich frei gemacht hat von den Scheuklappen, die der Dreiverband der öffentlichen Meinung unter den Neutralen anzulegen beliebt. Die Schwieristkeiten der englische» Manuschaf^AnSßttdung. Der militärische Mitarbeiter der „BerlingSke Tidende" schreibt: Lord Kitchener hat ungeheuere Schwierigkeiten mit der Ausbildung eine« neuen Heere» fiir die Verbündeten. Während Deutschland seine junge Mannschaft zu einem bestimmten Zeitpunkte mit allen Hilfsmitteln, wie Kqsernen und alter Mannschaft, zu systematischem Unterricht ein beruft, ist der Militärdienst in England ein Trwerb»zwetg mit hohen Löhnen und bedeutenden Pensionen für die Hinterbliebenen der Gefallenen und Verwundeten. Die Kasernen sind nur für eine geringe Anzahl berechnet. Neue Rekruten treten täglich ein und erschweren somit den Unterricht. Offiziere und Unteroffiziere fehlen. ES ist schwer, den Soldaten militärische Disziplin beizubringen, da sie darin keine Vorschule haben. Der Emir voa Afghanistan geht zur Front. Zuverlässig verlaute», daß der Emir von Afghanistan mit großem Gefolge Kabul verlasse» und sich nach dem Süden seines Reiches begeben hat. Beratungen über das Schicksal Tsingtaus. Die offiziöse Petersburger Telegraphenagentur meldet au» Tokio: Der japanische Gesandte in Peking sei in Tokio zur Erledigung der Frage de» Schicksal» Tsingtau etngetroffen. Die neue englische Flottenltste. In der englischen Flottenliste für Dezember befinden sich unter den neuen Schissen die leichten Kreuzer „Cambrian" und „Wallaroo", der Panzerkreuzer „Jmperieuse" und ver schiedene Torpedoboote. Das Flaggschiff einer Flottille hat den Namen „Botha- erhalten. Der Panzer für daS neue Panzerschiff „Royal Oak" ist fertig. Dieses soll bald in Dienst gestellt werden. Ueber die Behandlung der Engländer im Lager Ruhlebeu herrschen vielfach falsche Anschauungen. Namentlich ist die Ansicht verbleitet, daß die Behandlung zu gut sei. DaS Lagerkommando wird vom Publikum häufig oufgefordert, den internierten Engländern eine möglichst schlechte Auf- nähme zuteil werden zu lassen. Dem gegenüber muß bemerkt werden, daß die Behandlung, wenn auch human, so doch im übrige» durchaus streng ist. Den Internierten wird jede Gelegenheit unterbunden, ihre Neigung zu ver- feinerter Lebensweise zu befriedigen. Sie erhalten alles, wa» sie zum Lebensunterhalt benötigen, aber nicht mehr. Jeder Luxus bleibt dem Engländerlager Ruhleben fern. Damit wird dem durchaus berechtigten Empfinden weiter BolkSkreise Rechnung getragen,' angesichts der menschen unwürdigen Behandlung, die unsere Landsleute in den englischen Konzentrationslagern zum Teil zu erdulden haben. Die fetndltcheu Flieger über Freiburg. Die Flieger, die über Freiburg Bomben abwarfen, waren einer amtlichen Nachricht zufolge Franzosen. Goltz in Konstantinopel. Der „Franks. Ztg.- wird aus Konstantinopel tele graphiert: Feldmarschall Frhr. v. d. Goltz trifft zur Ueber- nähme seiner neuen, ehrenvollen Stellung am Dienstag hier ein. Dem verdienten Freiherrn wird ein besonderer Empfang bereitet. Der Sultan hat seinem deutschen Generaladsulanten eine fürstliche Wohnung im Palast Dolmabagdsche rinräumen lassen. Die lange Dauer der heutigen Kämpfe. Früher war man gewöhnt, die großen Zusammen stöße der Heere an einem Tage zur Entscheidung gebracht zu sehen. Am frühen Morgen wurde die Schlacht einge- lettet, und am Abend war der Sieg erfochten. So ge schah es bei Königgrätz am 3. Juli 1866, bei Wörth und Saarbrücken, in den drei großen Augustschlachten bei Metz und bei Sedan im Jahre 1870. Stets gab eS da nur einen Schlachttag. Ein andres Bild zeigte dagegen der Russisch-Japanische Krieg in Ostasien 1904/05. Dort trat uns bereits an allen entscheidenden Wendepunkten ein lange andauerndes Ringen um den Sieg entgegen. — Fünf, sechs Tage hindurch und mehr. Nicht immer zwar in gleicher, unverminderter Heftigkeit auf allen Teilen des weiten Kampffeldes und auch nicht ohne zeitweise Gc- fechtSpausen. Aber das Anstürmen und Abwehren dauerte unter Zuhilfenahme aller Mittel der neuzeitlichen Tech nik an, bis schließlich die Kraft der einen Partei — durch weg der Russen — erlahmte oder völlig gebrochen wurde. Aehnliches sehen wir im jetzigen Weltkriege auf allen Fronten, im Westen in Flandern und Nordfrankreich, im Osten auf den Schlachtfeldern Polens und Galiziens, und weit unten im Süden, wo die Oesterreichcr den Serben zu Leibe gehen. Unwillkürlich drängt sich daher die Frage auf, woher diese gegen früher so wesentlich abweichende Erscheinung wohl kommen mag. Zwei Gründe sind eS, die sie verursacht haben: die außerordentlich gesteigerte Leistungsfähigkeit der Feuerwaffen und die nach Hundert tausenden oder gar Millionen von Kämpfern zählende Starke der heute zur Entscheidung einander gegenüber tretenden Heere. Die weittragende Wirksamkeit der neuzeitlichen Ge schütz« hat zur Folge, haß hie Kämpfe auf viel größere Entfernungen beginnen als früher. Schon aus 5- bi» 6000 Meter Abstand wird der Angreifer durch die Artillerie deS Verteidiger» zur Entwicklung und zur Erwiderung de» Feuer» gezwungen. Seine Infanterie muß, noch lange bevor sie einen Femd sieht ,die Marschkolonne aufgeben und gefechtsmäßige Formen annehmen. Der Raum, den die Truppe unter der Wirkung de» feindlichen Feuer» zu- rückzulegen hat, vergrößert sich dadurch ganz erheblich. Naturgemäß erfordert das Durchschreiten diese» Raume» entsprechend mehr Zeit: denn es ist ein großer Unter schied, ob man nur etwa 2000 oder ob man 6000 Meter querfeldein im Geschoßhagel des Gegners vorgehen und sich mühsam heranarbelren muß. Hierzu kommt noch, daß die Wirkung des feindlichen Feuer» mit jedem Schritt nach vorwärts verheerender wird. Die Folge davon ist, daß sich daS Vorgehen verlangsamt, je näher man an den Feind herankommt, denn daS Gelände muß, soweit es nur irgend Deckung bietet, auf das allersorgsamste auSge- nutzt werden. Das Auftreten geschlossener Formationen wird bald unmöglich. In Schützenlinien, deren Verluste durch das Nachschieben frischer Abteilungen Ersatz finden, sucht die Infanterie vorwärts zu kommen ,bis sie eine Entfernung erreicht, die es ihr gestattet, von ihrem Gewehr erfolgreich Gebrauch zu machen. Dann erst beginnt ihre eigentliche Kampfestätigkcit. Im Verein mit der Artillerie gilt es, den Gegner all mählich mürbe zu machen. Hierbei kann die Infanterie ihre Schießfertigkeit beweisen, denn das Beschießen einer im Gelände geschickt eingcnistetcn feindlichen Linie ist keine leichte Aufgabe. Dieses allmähliche Niederringcn wird, sofern sich gleichgute Truppen gegenttbersteben, lange Zeit, Tage und Nächte, in Anspruch nehmen, denri ein Vorgehen zur Herbeiführung der endgültigen Entschei dung ist mit Aussicht auf Erfolg nur tunlich, wenn man die Feuerüberlegenheit erreicht hat. Ein Vorstoß, ehe das feindliche Feuer niedcrgehalten ist, würde zu allznschwcrcn Verlusten, wenn nicht gar zur Vernichtung des Angreifers führen. Erklärlich ist es, daß bei solch langem Ringen auch dieser — nicht nur der Verteidiger — zum Spaten greift. Wo er zum Halten genötigt wird, schafft er sich schleunigst Deckungen, die anfangs natürlich, nur ganz flüchtiger Art sind, dann aber bei längerem'Verweilen rn der Stellung weiter ausgebaut werden. So entstehen auch im Bewegungskriege mit der Zeit tief eingeschnittcne Schützengräben, in denen — wie jetzt in Nordfrank reich — der Kampf wochenlang fortgesetzt wird. Auch daS Auftreten der heutigen Massenheere führt eine längere Dauer der Kümpfe herbei. Die Kampffronten sind ganz wesentlich größer geworden. Dies erfordert weite Märsche für alle auf das Schlachtfeld herange zogenen Verbände, namentlich für diejenigen, denen die Aufgabe zuteil wird, einen der feindlichen Flügel zu um fassen. Infolge der meilenweiten Ausdehnung der Schlacht front können an einzelnen Punkten errungene Teilerfolge, die früher oft schon die Gesamtentscheidung brachten, jetzt nur nach und nach eine Wirkung auf das Ganze ausüben. In solcher Lage befindet sich jetzt unsre Armee im Westen. Die Erstürmung des vielumstrittenen Ortes Dixmuidcn, die Eroberung von Vailly bei SoissonS und der Höhen von Berry au Bae bei Reims, sowie die Wegnahme einer Reihe von Stützpunkten in den Argonnen sind solche Teil erfolge, die zwar langsam aber sicher unfern endgültigen Sieg herbeiführen. Zio. Ta»esgeschichtk. Deutsches Reich. Zur Frage der Petroleumversorgung hat der Verband deutscher kaufmännischer Gcnostcnschaften, der die Einkaufsvereine der Kolonialwarenbranche des Deutschen Reiches vereinigt, an den Bundesrat eine Ein gabe gerichtet und darum gebeten, daß die Petroleum versorgung unter die Aussicht des Reiches gestellt wird und daß jeder Kleinhändler, der schon vor dem 1. August mit Petroleum gehandelt hat, eine bestimmte Menge zur Abgabe an seine Kundschaft erhält. Eine neue Ehrung für Hindenburg. Dem Gemeindeoorstande von Zabrze ist au» dem Hauptquartier Ost folgende» vom 4. Dezember datierte» Telegramm zu gegangen: Dem Gemeindeoorstande teile ich ergebenst mit, daß Se. Exz. der Generalfeldmarschall v. Hindenburg gc. stattet, daß bei einer Namensänderung Ihrer Gemeinde sein Name gewählt werde. Exzellenz bemerkt jedoch, hier durch nicht der königlichen StaatSregierung als der hierfür zuständigen Behörde vorgreifen zu wolle». Im Auftrage: Cämmerer, Hauptmann, erster Adjutant. Serbien. Die „Franks. Ztg." meldet aus Nisch: Das neue Ministerium ist ein Koalitionskabinett. Pasitsch, hat wie bisher, den Vorsitz und das Portefeuille ^"-b-ren, Oberst Bojovitsch ist Kriegsmimster. Japan Wie der „Franks. Ztg." indirekt ans Tokio gemeldet wird, kündigt das Organ des MuuiterrumS des Aeußeren an, es würden neue Gesetzentwürfe des Staate» Kalifmnie gegen den Erwerb von Landbesitz durch Japaner veröffent licht. Die japanische» Diplomaten seien dadurch sehr beunruhigt. Lodz. Eine geschichtslose Stadt hat Geschichte erlebt: daS ist die Neuigkeit des TageSl Denn bis zu diesen Dezember tagen war die Kreisstadt Lodzim russischen Gouvernement Piotr kow eine der uninteressantesten auf der Welt. We niger noch als an Birmingham oderSheffield, Cincinnati, und vielleicht Oberhausen oder Gelsenkirchen heftete sich an das „polnische Manchester" irgend eine Erinnerung. Im Jahre 1826 sollen sächsische Strumpfwirker in daS polnische Nest von 800 Einwohnern gelangt sein: die sind sein RomuluS und sein RemuS geworden! Mauern haben sie freilich nicht gebaut,- aber ein Fabrikschlot nach dem andern ist seitdem aus -em unbeschreiblichen Kote emporgewachscn, der jene Liliput-Stadt umgab. Daß die Entwicklung in knapp 90 Jahren von den sagenhaften 800 Ur-Lodzern bis zu 800 000 und darüber gehen würde, haben sich die Strumpf-Conquistadoren auS der Chemnitzer Gegend gewiß nicht geträumt. Eine Dido, ein großer Alexander und andere bewährte „Gründer" sind wenigstens bei Städteanlagen doch etwas umsichtiger vorge- gangen und mehr auf eine symetrische und den BerkehrS- bcdürfnissen entsprechende Gestaltung deS Stadtbildes be dacht gewesen. Die heutige Großstadt Lodz hat das Ge präge deS verschollenen polnischen Dorfes behalten, dessen Namen sic ohne seine Art geerbt hat. Die Dörfer lausen ja endlos lang, den Wanderer zur Verzweiflung bringend an der Landstraße entlang, als fürchteten sie, bei jedem Schritte seitwärts in »en Gu«»f zu ersticken — eine nicht ganz grundlose Furcht. Und in Lodz nmß «an nnch lange an dem Wahne festgchaltcn haben, ein polnische» Dorf ge blieben zu sein. Sonst wäre eine Hauptstraße von 11 bis 12 Kilometer einfach unerklärlich: also beinahe viermal so l««g wie die Berliner Frtedrichsiraßet „Pt»- rrkow »kaia' nennt sich öa» Ungeheuer: also unter ka«s- ttger deutscher Herrschaft wohl „Petrikauer Straße", wenn nicht gleich ein« „Htndenburgrr" daran» gemacht wird. Denn verdient hat» der alte Held um die Halbmilltonen- Stadt vvn heute, wenn ihr« künftigen Geschlechter ihn al» deren „zweiten" Gründer feiern werbe«: wie Rom sein Eamtllu», Martu» und Sieero seinen Romulu» und Remul» an die Seite stellte. Wie jene „Väter ihrer Vaterstadt" sich neben de» Ziehkindern der berühmten Wölfin sehen lassen durften, weil sie di« Gtebenhügelftadt vor Galliern, Sim- der« und Catiltnariern gerettet hatten, so wird der Ver nichter der Russenherrschast über Lod» aut ewige Dankbar- kett der Befreiten vollgültigen Anspruch haben. Den ge waltigen Aufschwung der Stadt hat sie ja nicht gehindert, auch wohl sebft gesürdert, wie jeder nicht ganz verblendete Mensch ihm zufällig zugevflogene Goldeter legende Hennen mit Sorgfalt hegt und pflegt. Aber eine leidliche Sicher heit der Straße herzustellen: mit der Aufgabe hat sie jämmerlichen Bankrott gemacht. Mord und Totschlag sollen in Lodz verhältnismäßig häufiger sein, und vor allem die Täter häufiger unentbcckt bleiben, al» selbst in Chicago, daS leider auch mit diesem nicht feine» Ruhme echt amert- kanischer„rccordS" gewonnen hat. Sah es schon vorher schlimm in der Petrikauer Kreisstadt aus, so war sie vollend- durch die Revolution von 1908 außer Rand und Band geraten. Die Henker Stolypin- bekamen in ihr noch mehr Arbeit zu leisten als in Warschau. Und richtige „Revolu tionäre" waren wohl die wenigsten der Burschen, die da mals den Galgen beziehen mußten. Die Hauptsache war Gesindel, das auch ohne Revolution geraubt und gemordet haben würde, nnn aber die bequeme Gelegenheit benutzte» seinen Taten ein etwas vornehmeres Mäntelchen umzuhän gen. Vorachalten hat aber jene Radikalkur der Stolipyn- schen RcaktionSepocbe nicht. Noch in den Frtedenmonaten vvn 1914 sollen alltäglich Schießereien auf der Straße vor gekommen sein: Ranbanfälle, bei deren Abwehr allemal bewaffneter Pöbel die Partei der Verbrecher genommen hat. Nimmt man dazu das elende, halbverfaulte Holzpflaster sogar in der Hauptstraße, die selbst einer Kleinstadt un würdige Beleuchtung und sonstige Erscheinungen einer gren zenlosen Verwahrlosung, so begreift sich, welche Kulturarbeit liier zu leiste» sein wird. Aber sie wirb sich auch belohnen. Schon vor Jahrzehnten erzählten uns Lodzer, daß man dort sich nach Ablösung der russischen Verwaltung durch eine solide deutsche sehne. Natürlich sagten das keine Polen, die am liebsten ihr eigenes Königreich wieder erhielten. Aber die Polen stellen nicht die Mehrheit der Bewohner dar. Man zählt vielmehr über 40 Prozent deutscher Her kunft, und zu denen treten noch 20 bis 25 Prozent einhei mische Inden, die alle ytddisch ober auch — die Gebildeten — richtiger deutsch sprechen oder wenigsten verstehen. Denen aber wird Hindenburg der Befreier von der »«heiligen Dreiheit: Zarismus, Tschin und Pogroms samt all den Mißbräuchen und Unterlassungen von Korruption und Lotterwirtschaft heißen, die allerorten dem Russentum, wo e» sich cingcntstet hat, sein Gepräge aufdrttckcn. Auf der russische» Weichsel. Die Weichsel, die jetzt der Zeuge so zahlreicher blutiger Kämpfe zwischen den Russen und den Deutschen, sowie ihren Verbündeten ist, entspringt in österreichisch Schlesien auf dem Jablnnkagebirge. Aehnlich der Donau und dem Maine besitzt auch die Weichsel verschiedene kleine Quell flüsse. Ein kurzes Stück bildet der noch schmale Fluß die Grenze zwischen Deutschland und Oesterreich, schlän gelt sich dann durch Galizien an Krakau vorbei, um so dann für eine längere Strecke die Grenze zwischen Ruß land und Oesterreich zu bilden. In der Nähe von San- domir tritt der Strom, dessen Gesamtlänge 1150 Kilo meter beträgt, auf russisches Gebiet über. Fast genau die Hälfte seiner Länge, über 550 Kilometer fließt er nun durch russisches Gebiet, bis er wieder Polen verläßt und ober halb Thorn auf deutsches Gebiet übertritt. Verfolgen wir einnial seinen Lauf durch Polen und sehen zu, was für Städte er dort au feinen Ufern grüßt. Sandomir, die erste größere russische Stadt auf dem linken Ufer der Weichsel, rst Sitz eines römisch-katholischen Bischofs. Gegründet wurde die Stadt, die malerisch auf einem hohen Berge liegt, etwas oberhalb der Einmündung des San, im Jahre 1236. Eine altertümliche Kathedrale und ein Schloß aus der Zeit Kasimirs des Großen sind ihre Wahrzeichen. Hier war es, wo im Jahre 1570 sämtliche polnische Protestanten sich zu einer Union zusammenfanden und auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis einigten. Etwas weichselabwärts trägt einen das Schiff nach Kazi- mierz, einem alten Städtchen im Lubliner Gouverne ment. Auch hier sind noch Spuren aus der Zeit KasimirS des Großen, der Kazimierz gründete, vorhanden in Ge stalt einer gutcrhaltcncn gotischen Pfarrkirche. Weiter trägt uns der Dampfer die Weichsel hinab über Parchatka nach Nowo-Alexandria, oder Pulawy, wie es auch ge nannt wird. Das hier gelegene ehemalige Schloß der Fürsten Czartorhskt birgt jetzt ein sorstwissenschastliche» Institut. In dem wcitgedehnten schattigen Parke liegt ver steckt zwischen düsteren Bäumen der Shbillentempel, eine Nachahmung des Tempels in Tivoli. Kurz hinter Nowo- Alexandria treten die bis dahin schroffen Talränder vom Flusse znrück und weichen einer häufig sogar sumpfigen Ebene. Die Weichsel ist in Rußland nicht eingedämmt und so sind oft, bisweilen dreimal im Jahre, ihre Niederungen vom Hochwasser überflutet. Wir nähern uns nunmehr Iwangorod, das der Mittelpunkt so mancher blutigen Schlacht dieses Feldzuges gewesen ist. Iwangorod ist eme Festung, deren Hauptwerke eine kurze Strecke oberhalb des Stromes an seiner Vereinigung mit dem Wieprz liegen. Iwangorod bildet mit Brest-Litomsk und Nowo-GeorgiewSk das bedeutsame polnische Festungsdreieck. Auf der an dern Seite der Weichsel grüßt Siceiechow herüber, wohl die älteste der polnischen Benediktiner-Abteien. Die Reise führt uns nun weiter über Maciejowici, ein reiche» Dorf des Grafen Zamoyski, in dessen Nähe am 10. Ok tober 1794 der polnische Held Kosciuszko von den Russen besiegt und gefangen genommen wurde. Weiter strom abwärts bei Mniszew nimmt die Weichsel von rechts die Pilica auf. Immer belebter wird der Schiffsverkehr, die Nähe einer großen Stadt macht sich bereits bemerkbar. Au dem Kloster von Gora Kalwarya geht es vorbei und bald winken aus der Ferne die Türme der polnischen Haupt stadt Warschau herüber. Es würde in diesem engen Rahmen zu weit führen, alle die kostbaren Schätze War schaus, die die Sehenswürdigkci en der Stadt bilden, auf zuzählen, deshalb seien nur einige kärgliche Daten an feiner Vergangenheit genannt. Warschau, heute eine Stadt von 800 OOO Einwohnern, ist eine Gründung des 12. Jahr hunderts. Vom Beginne des 14. Jahrhunderts bis zum Jahre 1526 waren die Herzöge von Masovien Herren der Stadt; nach ihrem AuSsterben fiel sie an Polen zurück. Um 1550 wurde sie durch König SiegiSmund II. August zur Residenzstadt und damit zur Hauplstadt de» Landes erhoben. DaS Jahr 1656 sah brandenburgische und schwedische Truppen unter der Führung deS tapferen General- von Sparr in der dreitägigen Schlacht von Warschau k««psen und siegen. — Im Nordischen Kriege wurde die »tedt am 24. Mei 1702 eine Beute Karls XÜ. Um die Mitte deS 18. Jahrhunderts war Warschau ein Schauplatz ständiger Unruhen, bis endlich im Jahre 1764 die Russen nicht ohne preußische Hilfe unter dem Für sten Repnin die Stadt besetzten und Stani-lau» Pontä- towSK »um Könige machte«. Aber auch unter keiner Herr-
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