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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190404241
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040424
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040424
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-04
- Tag1904-04-24
- Monat1904-04
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.04.1904
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Bezugs-Preis i» d« tzauptexpeditto» otxr d««a Autgak«- stellen aogeholt: vierteljährlich 3—. bei zweimaliger täglicher Znstellnna in» Han« .Zl 3.75. Durch die Post bezogen für Dentsch. land u. Oesterreich vierteljährlich LLO, für die übrigen Länder laut ZeitvnqSpreiSltst«. Nebattt-n mr» ^tzebittan: Johannt-gasse 8. Fernsprecher: RedaMon 18«. Expedition 22L Filtilexpebttioen: Alfred hah u.Bnchbaudlg., UntverfitätAstr. 8 iAernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen, sttaße 14 (Fernsprecher Nr. LSSK) «. König», platz 7 (Fernsprecher Nr. 7808). Haupt-Filiale Dresden: Marienstrabe34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Hautzt-Ailtnle verlt«: LarlDnncker, Herzgl-Vayr^ofbuchbandlg., Lützowstraße 10(F«rnsprecherAmtVI Rr.4603.) MpMer.. Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- «nd des Königliche« Amtsgerichtes Leipzig, des Aales «nd des Nalizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redakttontstrich (4 gespalten) 75 nach den Familtenuach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Hifferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Ofsertenannahme 25 Srtra-Vetlage« (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Pnslbejorderung -A 60.—, mlt Postbefvrderung 70.—. Annah»efchlutz für Anzeige«: Ab end-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgeu-AllSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pal- in Leipzig (Inh. vr. R. L W. Kliukhardt). Nr. 207 Sonntag den 24. April 1904. 98. Jahrgang. Var M»ti-rlt vom tage. * Der kommandierende General des XIX. Armee korps, General der Infanterie v. Treitfchke, ist in Genehmigung seines Abschiedsgesuches zur Dispo sition gestellt und zum General-Adju tanten deS Königs, der bisherige Generalleut, nant und Kommandeur der 4. Division Nr. 40, Graf Vitzthum von Eck st ädt, ist zum General der In- fanterie und zum kommandierenden General des XIX. Armeekorps ernannt worden. * Der Stadtrat -uMeihen genehmigte dem dortigen Gewerkschaftskartell einen Mai- festzug mit Musik. * Der Prinz und die Prinzessin von Wales sind in Stuttgar't eingetroffen. Unser geschätzter Reichstag beginnt, sich allmählich zu einer schnelleren Gangart zu bequemen. In der vorigen Woche wollten die Redebäche nicht enden, die auf den fassungslosen Kanzler niederströmten; in dieser suchte man dafür in der Kürze die Würze. Der Etat des auswärtigen Amtes ward in anderthalb Sitzungen erledigt: die Aussprache über Südwestafrika forderte mit allem drum und dran, mit Kolonialetat und Entschädigungen knapp einen Nachmittag. Das heißt man doch noch schnelle und prompte Arbeit; schade nur, daß auch bei diesem Jagdtempo das Herz einem nicht recht froh werden will. Daß man sich beim Auswärtigen Amt kurz faßte, mochte noch hingehen. Ucber Auswärtiges war schließlich schon mit dem Herrn Reichskanzler des weiteren geredet worden — soweit unser Reichstag sich überhaupt auf auswärtige Dinge versteht und nicht gläubig hinnimmt, was ihm von den amtlichen Hütern der Staatsheiligtümer präsentiert wird. Es war vielleicht auch ganz gut, daß sich bei der Gelegenheit für die allzu hart mitgenommenen Beamten unseres Konsulardienstes Fürsprecher und Verteidiger gefunden hatten. Die Art, wie von manchen Seiten unsre Konsuln gewissermaßen programmäßig angegriffen werden, geht häufig genug wider Sinn und Verstand. Räudige Schafe gibt eS in allen Berufen und bei der Kürung von Wahl konsuln werden wir sicher mitunter ebenso daneben greifen, wie andere Staaten auch. Aber die Dinge nun dorstellen, als wären die Beamten unseres auswärtigen Dienstes sämtlich Tröpfe und schlechte Kerle, die mit Vor- liebe die Geschäfte des Auslandes besorgten, das verstößt wider jeden bon sens und ist, auch wenn es von besonders „nationalen" Leuten geübt wird, ein wenig patriotisches Geschäft. Also: die Eile, die man beim Auswärtigen Etat zeigte, mochte passieren, weil wir nämlich auf Besserung durch den Reichstag verzichten müssen; die Hast aber, mit der man dann den Kolo niale tat erledigte, war fast verstimmend. Gewiß, noch sind die Unterlagen wohl nicht beisammen. Feuilleton. Beschlagnahmungen. Von Paul Zschorlich. Zwar wird sie uns schwerlich nachweisen können, daß sic mit all ihrem Konfiszieren jemals etwas Positives er- reicht hat, aber wir wollen sie doch nicht herzlos lästern, die Zensur, die über unser aller Haupt und Herzen wacht. Sie ist „unverwüstlich mittelmäßig", wie Nietzsche von den braven Karrcnschiebern sagt, denen er sein ironisches „Heil!" zuruft, aber eben weil sie das ist, zerreibt sie nut dem Wackelzahn der Entrüstung alles, was da außer halb der gewohnten Kreise sich bewegt, will sagen: was excentrisch ist. Und so lange Unarten und Auswüchse be schnitten werden, schadet die Zensur nicht allzu viel (wenn sie auch herzlich wenig nützt). Leider macht sie es aber wie jener Schutzmann, der ehrbare Ehefrauen als Dirnen arretierte, weil sie besonders aufgeräumt durch die nächt lich stillen Straßen gingen und ihr Gang nicht die vor- schriftsmäßige Würde und Korrektheit zeigte. Sie ver greift sich leider. Und das ganz gehörig. Man muß die Sache mit einem nassen und einem heiteren Auge betrachten und nicht mit zwei nassen. Denn sonst gerät man leicht in Empörung und sagt Wahrheiten, die man hinterdrein teurer bezahlen kann, als es einem von denen gelohnt wird, für die man sich in die Bresche stellt. Also hör' zu, liebes Publikum. Sie haben dir wieder einige Werke beschlagnahmt, auf die du ein Anrecht hast. Zuerst kam Eamrlle Lemonniers „Liebe im Menschen" dran, ein Roman, über den Zola, Maeter linck, Daudet nur mit größter Begeisterung reden konnten. Stefan Zweig hat das Werk mit einer poetischen, warm empfundenen Einleitung versehen, die jedem Leser zeigt, daß es auch früher schon und anderswo (nämlich in Brügge) Staatsanwälte gegeben hat, welche di« literarische Bedeutung diese» Roman» gelten ließen. Dann hat man Diderot» Roman „Im Kloster" und HuvSmanS gewaltiges Werk „Do unten" mit Beschlag belegt. Schließlich auch LrSbillon» de» um die südwestafrikanischen Ereignisse erschöpfend zu be sprechen; daß man nicht schon jetzt die sogenannte Schuld- frage aufrollte, war ohne Frage taktvoll und würdig. Aber man hatte doch ganz allgemein die Empfindung, daß über unsere koloniale Beteiligung, für die, wie die Dinge auch ausgehen mögen, setzt ein kritischer Tag anbrach, etwas ausgiebiger hätte geredet werden können. So blieb es bei dem Eindruck, den man schon zu Beginn der Woche aus den Verhandlungen der Budgetkommission über die Entschädigungen mit weggenommen hatte. Und dieser Eindruck war beschämend genug. Da wurde geradezu um die Pfennige gefeilscht; kein Gedanke daran, datz die Leute, die sich dort drunten unter dem Schutze des deut- schen Aars als Pioniere niedergelassen und nun die Früchte jahrelanger Arbeit in Schutt und Trümmer sinken sahen, wohl einen begründeten Anspruch auf Ent- schädigung hätten. Wie Hülfeflehende, wie unbequeme Bettler wurden sie von den großen Rechenmeistern des Zentrums in der Kommission behandelt, und im Plenum wurde ihnen leider kein anderes Geschick zu teil: für die Zukunft unserer Ansiedelungstätigkeit leicht ein geradezu verhängnisvoller Beschluß. Da aber der Reichstag sich ausnahmsweise einmal gebefreudig zeigte, besagte die Regierung: bei -en Verhandlungen über den Vete ranensold, zu denen der bekannte nationalliberale Antrag Oriola Anlaß bot, zeigte sie von neuem jene übelangebrachte Zurückhaltung, die schon so viel böses Blut gemacht hat. Und doch war diese Debatte wohl nicht verloren. Nicht nur, daß sie vermutlich den Eifer der Regierung beflügelt haben dürfte — schon verheißt eine offiziös gespeiste Korrespondenz: Kriegsminister und Reichsschatzsekretär würden sich nunmehr „sputen" — sie zeichnete daneben doch auch das eine und andere erfreuliche Bild. Es ist nun einmal nicht ander»: über den einen verlorenen Sohn ist, wenn er wiederkehrt, allemal mehr Freude al» über 99 Gereckte, und so hörte man mit be sonderer Genugtuung, daß ein sozialdemokratischer Kämpfer von anno 70, Herr Grünberg, ungekünstelt und mit natürlicher Wärme vom Vaterlande redete, an dem auch seine Partei Freude hätte, so lange man ihr das Reichstagswahlrecht, die Errungenschaft großer Tage, lasse. Damit soll übrigens der „Entgleisung" — im sozialdemokratischen Sinne — besondere Bedeutung nicht zuerkannt werden. Ganz verloren wird hoffentlich auch die Debatte vom Donnerstag nicht sein, da man sich im Anschluß an eine sozialdemokratische Interpellation über die Still legungen im Ruhrkohlenrevier unterhielt. Die Regierung nahm an dieser Aussprache zwar nicht Teil, weil ihre staatsrechtlichen Bedenken es nicht zu- ließen, daß die preußische Sache vor dem Forum des Reiches abgehandelt würde. Aber zum Glück werden die Zeitungen ja auch in den Reichsämtern gelesen, und aus ihnen werden die maßgebenden Herren inzwischen wohl erfahren hgben, daß sich für die seltsame Stellung des preußischen HandelSministers im Reichstage keine Hand erhob; daß von der äußersten Rechten bis zu den Gegen Jüngeren Sopha-Geschichten. Die Begründung seitens des Censors wird schematisch-gleichartig in allen vier Fällen sein: Die Sittlichkeit werde verletzt. Bei jedem Buche fragt man sich: Für wen ist es ge schrieben? Sollen wir Äelteren uns darüber aufregen, daß es dumme Jndiancrgeschichten gibt und Robinsona- dcn? Nein. Wir sollen es nicht. Wir brauchen die Bücher ja nicht §u lesen. Also haben wir auch nicht nötig, uns weiter darüber aufzuregen. Mag sic goutieren, wer will. Wir verzichten. Damit ist die Frage für uns erledigt. Ich sehe im Schaufenster einer Buchhandlung aus gelegt „Claire", ein masochistischer Roman von Hanns Fuchs. Oder ich sehe den „Kaviar-Kalender" oder den „Simplicissimus". Wem die Lektüte verhaßt ist, der kann ja weiter gehen. Er braucht sie ja uicht zu kaufen. Ich frage mich also: wer liest Huysmans, Diderot, CrSbillon und Lcmonnier? Kinder? Nein. Arbeiter? Nein. Der Durchschnittsbürger? Nein. Es bleiben also nur die Gebildeten übrig. Das hcitzt also: Leute, bei denen man vorauSsetzen darf, daß Gefühl und Er ziehung ihrer Lektüre em guter Mentor sein werden. Leute, die das Pikante oder meinetwegen Gepfefferte vom Zotigen zu unterscheiden fähig sind. Kurzum: Leute, die keinem Censor der Welt da« Recht geben, über ihre Moral zu wachen. Ein gewagtes Buch kann in unrechte Hände geraten. Gewiß. Aber cS braucht nicht gerade Huysmans oder Lemonnier zu sein. Pennäler lesen die Bibel. Es ist noch nie ein Mensch durch ein Buch verdorben worden, am allerwenigsten durch einen Roman. Eine wirkliche Einwirkung kann nur dann stattfinden, wenn eine gewisse Lektüre systematisch und andauernd gepflegt wird. Und wer zu einer solchen Lektüre Neigung hat, -ex weiß sie sich auch dann zu verschaffen, wenn sic kon fisziert und auS der Oeffentlichkeit verbannt ist. Im Notfall greift er zu Aehnlichem oder Verderbterem. Wer den Annoncenteil gewisser „Witz" Blätter kennt, weiß, > wie leicht man zu jenen trübe»: Quellen steigt, die noch keines Censor» mutiger Forschersinn entdeckt und ver stopft hat. Da» entschieden gegen die neuerlichen Beschlag nahmungen einnimmt, da» ist der Umstand, daß diese spielern auf der Linken nur eine Stimme darüber war, daß Stilllegungen noch rentabler Zechen zur Erhöhung deS Syndikatsprofites Brutalitäten bedeuteten. Inzwischen hat das preußische Abgeord netenhaus sich mühsam durch seine zweiteEtats- beratung gequält. Die letzten Tage waren finan ziellen Problemen gewidmet; man regte allerlei Ver besserungen — Verbesserungen und Verböserungen, beides — der Einkommensteuer an und Herr v. Rheinbaben berichtete im Tone der Klage über die Mittel, die er anwenden will, den Kurs preußischer Staatspapiere zu heben. Im übrigen geht es Preußen bei seinem stattlichen werbenden Vermögen nicht schlecht; nur das Reich seufzt mehr als je unter seinen finanzasthmatischen Beklemmungen, und noch immer ist es fraglich, ob die Aerzte, die jetzt unter Führung des Leibmedikus von Stengel in der Budgetkommission des Reichstages zum Konsilium versammelt sind, dafür Sorge tragen wer den, daß „das Kind Luft bekommt". Eine Weile schien es düster zu stehen um die Aussichten der kleinen Reichsfinanzreform; auch die österliche Ferien arbeit des Staatssekretär hatte die Zentrumsblätter wenig befriedigt. Jetzt aber hat es fast den Anschein, als käme mild und lind plötzlich ein Wind von Süden her, von Leipzig nämlich; denn am Freitag hat Herr Reichs- gerichtsrat Spahn zum 8 I einen Vermittlungsantrag ge- stellt, der vom Schatzsekretär, von den Nationalliberalen und den Freikonservativen gutgeheißen wurde. Herr Spahn stellte diesen Antrag zwar zunächst nur für seine Person, und wirklich stimmten von acht Zentrums mitgliedern vorläufig auch noch drei dagegen. Aber mit solchen „unverbindlichen nur für die eigene Person ge machten" Zentrumsvorschlägen pflegt erfahrungsgemäß der Weg zum Kompromiß gepflastert zu sein. — Eine charakteristische Begleiterscheinung dieser Kommissions- beratungen über die I« Stengel ist übrigens die, fast möchte man sagen, lächerliche Angst vor neuen Flotten forderungen. Die schön und eindrucksvoll verlaufene Dresdener Tagung des Flottenvereins hat es den Herren angetan und jedes einzelne Wort, das dort in begeisterter Stunde gesprochen wurde, wird nun von den Beckmessern des Zentrums, denen aber auch an dere Leute noch ganz wacker assistieren, sorglich nach der Tabulatur geprüft. So sind wir nun einmal iin lieben Deutschland! „Großzügige Politik" soll gemacht werden, und über den Kanzler, der sie nicht macht, kommt der Januschaner Oldenburg mit den ausgesuchtesten Bos heiten. Wird aber einmal auf das unerläßliche Mittel zu solcher Politik gewiesen, da schweigen wie auf Kom mando alle Flöten, und in den agrarischen Blättern liest man, daß nur „Heimatspolitik" den Staat Friedrichs des Großen großgezogen habe. . . . Aus S ü d w e st a f r i k a hat uns die Woche eine schmerzliche und eine befriedigende Nachricht gebracht: den schweren, verlustreichen Kampf, den Oberst Leutwcin bei Okatumba mit den Herero ausgefochten hat, konnte er rigorosen Verfügungen Werke treffen, die in der Literaturwelt Ansehen besitzen. Das ist etwas, was ein Censor freilich nicht zu wissen braucht. Es kann anderseits aber den Gebildeten nicht verübelt werden, wenn sie sich in ihrer Denlfreiheit dadurch beeinträchtigt fühlen, daß Werke von Rang und Wert wegen einiger Gewagtheiten beschlagnahmt werden, während den breiten Sumpf niedrigster Kolportagelitcratur niemand trocken zu legen sich bemüßigt fühlt. Und doch ist es eine aus gemachte Tatsache, daß durch die Hintertreppenromane viel mehr Unheil im Volke angerichtet wird als durch die gewagtesten Werke der Franzosen. Im Cr^billon findet sich manches Pikante. Das soll gar nicht bestritten werden. WaS aber ein Montesquieu, ein Diderot, ein Voltaire, ein Rousseau zu schätzen wußten, kann nicht literarisch bedeutungslos sein. Jndein man Cröbillon in Deutschland verbietet, beraubt man uns eines interessanten, für die Mitte des 18. Jahrhunderts als Kulturdenkmal wichtigen Faktors. Jndein man Diderots „Jin Kloster" konfisziert, bindet man einem der größten Geister Frankreichs einen Maulkorb uin, und man tut damit nichts anderes, als wenn man der Ariadne von Danneckcr einen Unterrock anzögc. Indem man Huysmans mundtot zu machen sich bemüht, enthält man de»» Gebildeten eine Künstlernatur vor, die in ihrer Art kaum ihresgleichen hat. Man verbietet aus Sittlichkeits- gründen einen Schriftsteller, dessen Lebensernst so tief war, daß er nur in einem Kloster die Ruhe fand, die er zeitlebens ehrlich ringend vergebens gesucht. Camille Lemonniers „Liebe im Menschen", ein Buch, das reifen Lesern warm ans Herz gelegt sei, wurde bereits in Brügge einnial beschlagnahmt. Stefan Zweig hat markante Worte für diese Beschlagnahmung gefunden. In seiner Einleitung zu diesem Roinan (der, wie alle hier er wähnten Werke in» Magazin-Verlag von Jacques Hegner in Leipzig erschienen ist), sagt er: ,. In Brüagc weiß man nichts vom Leben und seinen Lei- denschasicn. Dort verflicht den Menschen ihr Dasein wie ein dunkler, ferner Traum der Traurigkeit und vergechigtcr Eni- lagnna Aie ritten die alten .Kirchenglocken vergebens »n die dunklen, stillen Straßen hinein zum Lebet, nirgends find so viel Menschen, die allen Arcuden so ganz entsagen." Damals wurde vor Gericht der Roman Lemonnrer» nicht auSnutzen; von der Ungunst de» Geländes zur Um- kehr gezwungen, versucht er nun, die Herero von Süden her zu fassen. Von uns genommen aber ist die Sorge um die Kolonne Glasenapp. Zwar haben die ungeheuren Strapazen ihren Gesundheitszustand nicht unbedenklich geschädigt; aber ihre Widerstandskraft ist ungebrochen. Ob aber die ersehnte große Entscheidungsschlacht über haupt zu erwarten ist, wird nach den bisherigen Er fahrungen immer zweifelhafter. Man muß sich auf ein langwieriges, Verlustteiches Ringen gefaßt machen. Ueber Ostasien ist's derweil wieder stiller ge- worden. Makarows Nachfolger wird nun bald seinen ernsten Weg antreten. Wenn sonst gut unterrichtete Leute recht haben, will er's mehr als seine Vorgänger mit der Geduld versuchen, die auch für den Landkrieg Kuro- patkin gepredigt hat. Freilich ist es nicht leicht zu ver stehen, was bei der Lage zur See, wie sie jetzt sich gestaltet hat, für die Russen von diesem neuen Rezept zu er warten ist. Mehr als der Krieg hat der ungarische Eisen- bahnerausstand das Interesse an der auswärtigen Politik in Anspruch genommen. Aus Ursachen ent sprungen, die schon alt waren, ist der Ausstand dort ganz plötzlich und über Nacht gekommen. Weit über die Grenzen Ungarns machen die schweren wirtschaftlichen Folgen einer völligen Lahmlegung der ungarischen Staatsbahnen sich fühlbar. Die Regierung hat in der Behandlung der wichtiger» Angelegenheit bis jetzt keine glückliche Hand gehabt. Ihr Vorbeugungsversuch kam zu spät, so datz er den Ausbrllch der Katastrophe nur he-* schleunigte. Dann gab der Ministerpräsident im Paria- ment eine schroffe Erklärung ab, und noch selbigen Tages fügte man sich einer Anzahl Forderungen, die von den Ausständigen gestellt wurden. Maßnahmen, die wohl von Anfang an besser unterblieben wären, wirkten doppelt zu Ungunsten der Regierung, als sie bald hinterher, zwar nicht freiwillig, wieder rückgängig gemacht wnRM."^ Als die Ausständischen so ermuntert, ihre Forderungen- heraufschraubten, kehrte die Regierung dann zu ihrer schroffen Haltung vom Anfang zurück, und nun ist das Ende vorlägfiu kaum zu erwarten. , ver nirrirch-sapailitche ffrirg. vorn Jalu. Der Shanghaier Berichterstatter der „Morning Post" übermittelt die Meldung, daß die erste japanische Armee den Jaknfluß überschritten habe, ohne nennenswerten Widerstand gefunden zu haben. Ueber den russischen Vormarsch in Ostkorea drahtet der Berichterstatter de« „Daily Expreß" aus Kobe vom 22. d., die Russen hätten Syougtchin besetzt und gänzlich niederaehrannt. Das japanische Konsulat, das Zollamt, das Postamt seien ein Raub der Flammen ge worden. Dann seien die Ruffen nach Pakschön weiter marschiert hättenund auch diesen Ort besetzt. Diese-Abteilung-er Russen sei etwa 5000 Mann starr und habe augenscheinlich den Zweck, die,Japaner im Rücke n zu belästigen, während sich vorgelesen. Das ganze gebildete Belgien jauchzte, als das Werk srcigcgeben wurde. Blöder Parteifanatismus, hetzende Priester auf der einen, bigotte Bürger auf der andern Seite, hatten den Scheiterhaufen aufgcrichtet, dessen Anzündung gebildete Richter verhinderten. Lc monnier selbst hat damals das stolze Wort gesprochen: „Meine Bücher sind meine Waffen und meine Trophäen. Ob man sie auch zerbricht, sie werden bleiben." Und so ist es. Mit diesen Beschlagnahmungen verletzt man gerade die selbständigen, die denkendenEle- mente unseres Volkes. Und indem man weite Schichten behüten will, nrackit inan sic erst aufmerksam auf Werke, die von Anfang an nicht für die Masse geschrieben waren, die sich vielmehr an ein gebildetes, vorurteilsloses Publikum wandten, das keiner geistigen Bevormundung bedarf. Und wenn man solchen Konfiszierungen auf den Grund geht, erweise»» sic sich meist als das Resultat von Quertreibereien, bei denen Leute die Hand im Spiele haben, deren Sittlichkeit gegen jeden frischen Windzug so empfindlich ist wie ein Talglicht. Die wahrhaft Ge bildeten haben für derlei väterliche Fürsorge nichts übrig Und wenn sie beobachten, daß die Beschlagnahmungen Werke treffen, aut die weite Kreise Frankreichs stolz sind, so empfinden sie sogar etwas wie Groll über eine Eng herzigkeit, die an die Intoleranz des Mittelalters er innert. mit all den tönenden, schwungvolle», Worten aber von der Geistesfreibeit schon im Gymnasium bekommt man sic ja zu hören — in peinlichstem Widerspruch stehen. Ich halte es gar nicht einmal für anger.eigt, über Diderot und Huysmans vor der breiten Oeffentlichkeit breit zu reden. Denn ihre Werke bedürfen nicht der Popularität und werden izrir von denen geschätzt werden, die über die nötige geistige Vorbildung verfügen, sie zu verstehen. Da man aber den Versuch gemacht hat, freie Geister zu knebeln, so m ußte einmal darüber gesprochen werden. Und wenn jetzt einer oder der andere, der ohne dies auf der Suche nach Pikanterien »vor, sich die Werke aus Oesterreich kommen läßt oder sie iin französischen Original liest, dann: alle Schuld auf dein Haupt, Zensur!
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