02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-31
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040831023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904083102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904083102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-31
- Monat1904-08
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile Lk Reklamen unter dem Redakttonsstrich (4 gespalten > 7S nach de» Familteunach- richtrn lSgespalten) SO Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lsfrrtenannahme 2V AnnLtzmeschlust für A«ret,aa: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au»gabe: nachmittag» 4 Uhr. Extra-Vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Autgabe, ohne Postbefördrrnug 60.—, m l t Postbrsürderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pal» in Leipzig (Inh. vx. V., R. ch W- Kliukhardt). Nr. M Var wichtigste vom Lage. * Lord Lonsdale reiste beute von London nach Berlin ab, um al» Gast Kaiser Wilhelm» an denManövern teilzunehmeu. * In Sreaedin streiken sämtliche Bauarbeiter wegen Lohnstreitigkeiten. * Die Gerüchte von Mißhelligkeiten zwischen Großfürst Boris und General Kuropatkin werden offiziös damit zu widerlegen gesucht, daß erklärt wird, der Großfürst werde bereit« nach vierzehn Tagen auf den Kriegsschauplatz zurückkehren. * Nach eiver Meldung au« Tokio haben die Japaner die Wasserleitung von Port Arthur erobert. Mobiimschtmg Oer Ktbeitgeberver. dänlie gegen Sie frivatangestemen. Bisher haben die Organisationen der Privatange- stellten eS größtenteils vermieden, daS von den Arbeitern gegebene gewerkschaftliche Vorbild nachzuahmen. Die meisten zählen Arbeitgeber zu ihren Mitgliedern, sind in keiner Weise Kampfvereine, viele sind sich ihres Charak ters als Verbände von Arbeitnehmern noch kaum bewußt. Es scheint, als wollten nunmehr die Arbeitgeber ihnen diesen Charakter zum Bewußtsein bringen, sie in eine Kampfstellung drängen. Die unter der Führung des „Zentralverbandes deutscher Industrieller" gegründete „Haupt stelle deutscher Arbeitgeberver bände" hat ihre Tätigkeit über den bisherigen Rahmen eine« Schutz- und Abwehrvereins gegen Arbeiter über, schritten, indem sie al? Abteilung II einen „Arbeits - nachweis für kaufmännische und tech- nische Beamte der deutschen Industrie'' einge- richtet hat. Was bedeutet das? Allerdings wird in dem Rund- schreiben, durch daS die Arbeitgeber „zur gefälligen Be nutzung dieser Einrichtung" eingeladen werden, betont: „Der Arbeitsnachweis wird als eine gemeinnützige Insti tution der deutschen Industrie eingerichtet und geführt werden": die Abteilung II will sich „bemühen, dieser neuen Einrichtung bei allen Beteiligten durch Ob jektivität und möglichst große Zuverlässigkeit Vertrauen zu erwerben", und hofft, „damit den deutschen In- dustriellen, wie den industriellen Beamten Nutzen bringen zu können". Aber die Hauptstelle hofft und behauptet sicherlich auch, durch die Arbeitsnachweise der Abteilung I „den Industriellen wie den Arbeitern Nutzen bringen zu können". Und doch ist die Einrichtung und Förderung von Arbeitsnachweisen nichts als -'n Kampfmittel gegen die Arbeiter. Abteilung II kann nicht anderen Zweck und andere Wirkung haben. Außer dem schaut auch an anderer Stelle des Rundschreibens die wahre Absicht nur zu deutlich durch. Da heißt es: „Wir beabsichtigen, über diejenigen Beamten, die durch unsere Vermittelung Stellung suchen, durch Rückfragen bei ihren bisherigen Prinzipalen möglichst sichere und ausführliche Mittwoch den 31. August 1904. Auskunft über ihre Leistungen und ihre Zuver lässigkeit zu erlangen." Zuverlässigkeit im Sinne de« Arbeitgeberbundes! Zu deutsch: der kaufmännische Beamte, der eS etwa wagl, Ueberschreitungen der gesetzlichen Bestimmungen über Ladenschluß, Sonntagsruhe usw. zu rügen, der technische Beamte, der hinreichend verdächtigt erscheint, bei einem Streike mit den Forderungen der Arbeiter sympathisiert zu haben, alle solche sind nicht „zuverlässig": das wird genügen, alle Mitglieder der Hauptstelle von ihrer An stellung abzuhalten. Im Mittwochsblatt der „Berliner Zeitung" habe ich ausführlicher dargelegt, daß dieser Arbeitsnachweis e i n Schlag ins Gesicht der Beamtenorgani sationen ist, denn er kann nur den Zweck haben, die erst leise sich regende Bestrebung der Angestellten nach standesbewußtem Vorgehen, nach strammer Organisation, nach dem Wunsche, über die AnstellungS- und Arbeits bedingungen mitzureden, im Keime zu ersticken. Für alle anderen Zwecke genügen doch die bestehenden Arbeit«, nachweise. Abteilung II kann nur bezwecken, die Ange stellten in vollständige Abhängigkeit pom Unternehmer tum zu bringen, bezw. dort zu halten und sie als Hülfs- truppe gegen die Arbeiter zu benützen. Von der Hinderung energischer Tätigkeit von Stands-Vereinen ist dann nur em kleiner Schritt zum Vorgehen gegen bestehende, unbequeme Verbände. Von der Beherrschung de« Arbeitsnachweises ist nur ein kleiner Schritt bis zur Aufstellung von Mustern für Anstellung-Verträge. Da durch könnte der von einzelnen Deamtenvereinen ver tretene Wunsch nach allgemeiner Einführung schriftlicher Anstellung-Verträge rascher verwirklicht werden, als sie zu hoffen wagten. Allerdings auch in etwa« anderer Form, als ihnen vorschwebt. Die Schriftlichkeit der Ver träge könnte statt der gewünschten Rechtssicherheit leicht die Rechtlosigkeit bringen. Diesem gefährlichen Vorgehen der Hauptstelle gegen- über muß sofort, und zwar energisch gehandelt werden, denn noch ist es Zeit. Einiges, geschlossenes Vorgehen ist notwendig. Am besten wäre eS, wenn der „Haupt ausschuß für Pensionsversichcrung" die Sache in die Hand nähme und eine Delegiertenversamm- lung aller Berufsvereine beriefe. Fürchtet er, damit seinen nächstliegenden Zweck zu gefährden, so mögen die eintreten, welche die nächsten dazu sind, weil sie am zahl- reichsten, am besten organisiert und am meisten bedroht sind: die HandlungSgehülfen. Mögen sie dieser Gefahr gegenüber wieder einmal ihren Streit ver- gesien, sich die Hand reichen und die anderen Standes- genossen zur Abwehr aufrufen 1 Gegenüber der Abteilung II der Hauptstelle muß die Forderung nach paritätischem Arbeitsnachwcir erhoben werden, nach Anteilnahme der Be amten an der Verwaltung, damit die Ver- gewaltigung der Persönlichkeit durch Boykottierung der nicht „Zuverlässigen" ausgeschlossen ist. Und wenn die Forderung abgelehnt wird, dann gilt es, die Reihen zu schließen und sich zur Gegenwehr zu rüsten. Denn ein zentralisierter Stellennachweis in den Händen des „Zen tralverbandes deutscher Industrieller" bedeutet für die Prtvatbeamten fast in demselben Maße wie für die Arbeiter Abhängigkeit und Ohnmacht. vr. Heinz Potthoff, Mitglied deS Reichstages. ver r«rrirch iapanir»e Weg. Vie Fehler der Aussen in -er -»«schlacht v»v j>«rt Arthn» In einem Beihefte der „Marine-Rundschau" wird an deni Verhalten der russischen Führung in der Seeschlacht bei Port Arthur folgende Kritik geübt: Admiral Witböfft hatte die Aufgabe erhalten, sein Geschwader nach Wladiwostok hinüberzubringen, weil er in Port Arthur nicht länger bleiben konnte. Im Sinne der weiteren strategischen Absichten der russischen See kriegführung konnte möglichenfalls die Erhaltung dieses l. ostasiatischen Geschwaders bis zur Ankunft des II. aus der Ostsee als notwendig, ein Einsatz desselben als un richtig erscheinen. Maa Admiral Withöfft nun einen entsprechenden Be fehl erhalten oder seinerseits die strategische Lage in dieser Weise aufgefaßt haben, jedenfalls ist er mit der Absicht von Port Arthur weggegangen, seine Ausgabe unter Vermeidung eines Zusammenstoßes mit dem feind lichen Gros zu lösen. Wie er mit einem Gelingen dieses Planes überhaupt rechnen konnte, wo er am selben Tage aukltef und vom Auf-Reede-Gehen de« ersten Schiffes bis zum Verlassen des Bereiche« der Festung vier Stunden brauchte, ist zwar nicht ohne weitere« klar: möglich, daß er voraussetzte, di> Japaner hätten infolge der Anstrengungen der Blockad, stärker an Geschwindigkeit eingebüßt, als es tatsächlich der Fall, oder daß sie im Hinblick auf das Ostsee- aeschwader ihrerseits nicht wagen würden, ihre großen Schjffe zur Schlacht einzuseden, möglich auch, daß er durch eine falsche Nachricht über Entkernung des Blockade gros zu Reparaturen oder zum Kohlen getäuscht wurde. Jedenfalls mußte er bald erkennen, daß seine Voraus setzungen nach dieser Richtung nicht stimmten, und daß er zur Annahme des Kampfes gezwungen war. Damit war aber die Situation für ihn eine ganz andere geworden als sie in seinem Plane oder eventuell seinem Befehle zu grunde gelegen hatte, und er mußte nun die Konsequenz aus der neuen Situation ziehen, d. h., da er sein Ge schwader doch nicht bis zur Vereinigung mit dem aus der Ostsee kommenden intakt erhalten konnte, lediglich daraus ausgehen, den Gegner so zu schwächen, daß ihm daS Ost- sccgeschwader später allein überlegen war. Dies konnte aber nur dadurch erreicht werden, daß die Dckilacht auf entscheidenden Entfernungen und lediglich nach taktischen Gesichtspunkten so vollständig wie möglich durchgeschlagen wurde. Der Entschluß hierzu mußte den Russen um so leichter werden, als nach dem gegenseitigen Kräfteverhältnis die Schlacht für sie durchaus nicht aussichtslos war, hatten sie doch in der Linie 6 Linienschiffe gegen 4 Linienschiffe und 2 große Kreuzer des Gegners stehen. Von dem Schießen auf große Entfernung konnten nur Havarien erwartet werden. Mit solchen blieben aber die Japaner im Vorteil, selbst wenn beide Seiten gleichviel erlitten, weil sie die Hülfsmittel zur Ausbesserung reichlich und gesichert in der Nähe haben, während von den beiden russischen 98. Jahrgang. Wersten, die in Frage kamen, die eine bereits von den Geschossen der Belagerung erreicht, die andere vielleicht auch in nicht allzuferner Zeit zum Ziele de« feindlichen Angriffes werden wird. Was die Russen brauchen, sind Schiffsverluste beim Feinde: die können aber — hinsichtlich der Linienschiffe, auf die es ankommt — nur durch entscheidenden Nah kampf mit allen Waffen erzwungen werden. Der Ausgang der Gefechte deutet auch auf ein- bessere Schießausbildung der Japaner für das Fernaefccht hin. ein Grund mehr für die Russen, den Nahkqmvf zu er zwingen, anstatt durch Ausweichen Entfernungen herzu stellen, von welchen nur der Gegner Vorteil haben konnte Wie weit es den nach Port Arthur zuriickgegqngenen Rusten trotz ihrer Beschädigungen möglich gewesen wäre nach Wladiwostok hindnrchznkommen, läßt sich ans de> Ferne natürlich nicht beurteilen. Daß bei dem Stande der Belagerung Port Arthurs ihre Lage dort besonders mißlich, ihre Wiederherstellung besonders erschwert sein wird, ist offenkundig. poliürcde Lsgerredau. * Letpzi«, 3 t. August, von »er fosteUdcmokrattschen Frauentrwegung. Die Frauenbewegung bleibt eiu Schmerzenskind der Doüal- demokrarie. Nach den neuesten Meldungen »oll zwar die Zahl der organisierten weiblichen Mitglieder auf 40 666 angewacysen sein gegen 28 218 am Schluß de» Jahre» 1902- Aber einersett» repräsentieren die 40 666 weiblichen Mitglieder nur 4,36 Proz. der im Beruf tätigen Erwerbsgenossinnen, anderseits sind auch bittere Klagen darüber laut geworden, daß die männlichen Gewerkschaftsarnossen ihre weiblichen Familien angehörigen förmlich mit Gewalt in die Organisation hinein getrieben baden. Auch der Umstand, daß im vorigen Jahre sechs weibliche Organisationen Mitglieder ver loren haben, ist nickt geeignet, die Leiterinnen der sozial demokratischen Frauenbewegung mit Freude zu erfüllen. Allerlei schöne Projekte „zur Förderung der gewerkschaftlichen Arbeiterinnenrgltaüon" werben jetzt im Schoße der leitenden Kreise erwogen. Es sollen zunächst weibliche AgitationS- und DerwaltungSbeamte angestellt werden, sodann ist, um die gewerkschaftlichen organisierten weiblichen Mitglieder an die Organisation zu fesseln, von der Einführung einer Brautaussteueru.ng unter den ledigen, eine Wöchne rinnen Unterstützung unter den verheirateten Arbeite rinnen die Rede. Aber alle diese Projekte kosten viel Geld; um sie vurchzusühren, bleibt natürlich nicht» andere« übrig, als höhere Mitgliedsbeiträge für die Gewerkschaften zu erbeben. Und hier liegt der Hase im Pfeffer! ES ist jetzt schon sebr schwer möglich, die Beiträge von den weiblichen Mitgliedern zu erheben. Al- 1896 der große Streik der Schneiderinnen und Konfektionsarbeiterinnen in Berlin ausbrach, zählte die betreffende Organisation viele Tausende von Mitgliedern. Al» e» aber an da« Erheben der Beiträge ging, verflüchtigten sie sich auf vielleicht 60. Heute sollen in ganz Deutschland 897 Schnei derinnen und Konfektionsarbeiterinnen und 435 Wäsche arbeiterinnen „organisiert" sein, das sind zusammen 1,13 Prvz. der im Beruf tätigen Erwerbsgenossinnen. So steht es in allen Branchen, die in erster Linie für den Putz der Frauen tätig sind. Von den Handschuhmacherinnen sind 49 organisiert, im vorigen Jahre waren eS noch 61, allo 12 haben die Organisation satt bekommen; die 49 Organisierten sollen 2,95 Proz. der im Beruf tätigen Erwerbsgenossinnen repräsentieren. Bon den Gärtnerinnen sind — 4 organisiert, d. h. 0,05 Proz. Bon den Hutmacherinnen 321 gleich 7,22 Feuilleton. zj Vor -em Sedanfest. Novelle von Eduard Engel. Nachdruck verboten. „Stelle dir vor: weil ich nun mal das Eiserne Kreuz habe, und weil ich ein Held gewesen sein soll usw. usw., darum wollen sie mich morgen beim Bankett deS Krieger verein« zum Festredner haben, und ich soll da« Hoch auf den Kaiser ausbringen — ich!" „DaS finde ich nicht im mindesten wunderlich: ich wun- dere mich nur, daß du dich sträubst, dabei zu sein. Ist eS dir etwa nicht recht, daß wir bei Sedan den Napoleo nischen Bovist aufgestochen und bald darauf und zumeist durch Sedan das aufgerichtet haben, wofür du als Pri maner geschwärmt hast wie kein anderer von uns allen?" „Ja, ja, was man nicht als dummer Junge alles für Dummheiten macht!" sagte Tassilo und spielte gedanken los oder gedankenschwer mit einem langen Gartenmesser. „Solche Dummheiten gehören überhaupt zu dem Besten, wa» wir besitzen, lieber Sohn, und ich verbitte mir ernstlich deine überlegentuenden Redensarten. Soll ich dir etwa vordeklamieren, wie Posa der Königin, „daß man für di« Träume seiner Jugend soll Achtung tragen?" Wer von un« beiden ist hier eigentlich der Prediger? — Ich will dir etwas sagen, mein guter Tassilo, du bist ent weder ein ganz niederträchtiger Philister geworden, und das ist das Unwahrscheinlichere — oder du bist krank, woran, da» weiß ich noch nicht, aber ernsthaft krank, und dann kriegst du es mit mir zu tun." „Ich bin so gesund wie du und wie ihr alle, und ein Philister geworden bin ich auch nicht, soweit man sich selber beurteilen kann." ,.Wa« aber in dreier PomuchclSköpfe Namen bist du denn, wenn du weder «in Philister bist noch krank?" Er sah mich fist an und sagt« langsam: »Ein gan- erbärmlicher Lump! — Jawohl, ich, der Ritter des Eiser nen Kreuzes, der gefeierte Held von Gravelotte, der vor treffliche Diener am göttlichen Wort usw. usw. usw. Alles Larifari. Worte, Worte, Worte!" „Du bist krank, lieber Tassilo, und sollst mein erster Patient hier in dem alten Nest werden." Er schwieg und schlug die reifen Mohnköpfe mit dem Gartenmesser herunter. Ich wollte ihn auf vernünftige Gedanken und Reden bringen: „Erzähle mir lieber, wo du deine Frau kennen gelernt: dahinter soll ja ein bißchen Romantik gesteckt haben." „Romantik? Ich habe sie mir erschwindelt, wie alles andere eben auch." Er war offenkundig verrückt. Die letzten Worte hatte er ohne Aufregung, nur todeStraurig gesprochen und mit einem Ton schonungsloser Selbstanklage, der mir durchs Herz schnitt. „WaS soll dqs heißen: wie alle» andere eben auch?" fragte ich ihn. „Du brauchst nur zu fragen —: Alles und jedes, Leben und Gesundheit — eine nette Gesundheit! Dazu das Eiserne Kreuz — na, das trage ich wenigsten» nie. Dann die gute Pfarrstelle, auf der mein ehrlicher Alter 43 Jahre gesessen. Dann meine Frau, den Engel de« Lichte», auch meinen Jungen." — Er blieb vor mir stehen, legte mir beide Hände auf die Schultern und blickte mir grenzenlo» elend in die Augen: „Franz, kannst du dir eine Borstellung davon machen, wie einem zu Mute ist, wenn man Tag um Lrg, ein halbes Leben lang in der Lüge steckt, mit der Lüge aufsteht und zu Bette geht? Nein, da« kannst du nicht. Gott im Himmel bewahre einen jeden in Gnaden davor! E» ist «ntfttzlich, alle», wa» man sein nennt, alle», wa» ds» Dasein» höhere Freude au»macht, Weib und Kind, Amt und Ehre und guten Namen einer ungeheuren Lüge zu verdanken, einem Betrüge, einer Fälschung oder noch Schlimmerem!" Und das sagst du mir, Tassilo, den du seit Jahren zum eistenmal wiedersiehst, und deiner Frau hast du es all die Jahre verschwiegen!" „Gerade darum, weil ich es ihr so lange verschwiegen! In den ersten Jahren — ach nein, da vielleicht nicht mehr: aber in den ersten Tagen, als ich sie kennen lernte, gleich im Lazarett, da hätte ich es tun sollen. Aber da verboten auch dieAerzte undEmma selber das vieloSprechen,hielten alles für Fieberwahn, wenn ich doch davon anfangen wollte — und nun kann ich nicht aus dem Sumpfe heraus. Einmal in der Lüge drin, einmal in dieses zähe Schlamm moor versunken — und kein Gott hilft einem heraus." „So sprichst du, der Priester?" „Ja, gerade ich, der Priester." „Und deine Frau? Ich komme immer wieder auf sic zurück." „O, diese Scham! Die Scham vor ihr! Ich schäme mich so, daß ich sie kaum ansehen mag, daß ich oft beim reinen Glockenton ihrer Stimme am ganzen Leibe zittere, als höbe jetzt da« Gericht an. Und selbst vor meinem Knaben schäme ich mich: je ähnlicher er mir äußerlich wird, desto mehr. Es hat eine Zeit gegeben wo ich war wie er, alle sagen es mir, und wie ich darunter leide, das weiß nur ich." „Aber mir mußt du dein Herz ausschütten, Mann, und sogleich!" „Es hat sich was mit ausschütten! — Ich möchte, aber ich glaube, ich kann es nicht. ES gibt Dinge, die man dem besten Freunde nicht sagen kann, die man sich selber nur noch in den schlaflosen Nächten gesteht, wenn der Herbst- sturm an den Toren rüttelt und der Regln an die Fenster klatscht." „Und doch Mußt du es sagen, jetzt gleich! Nicht dem Freunde, sage e» dem Arzte. Wir sind ja auch Beicht- Väter, wie ihr Priester, hier setz' dich hin auf diese Bank, hier sieht und hört un« niemand." Tabei wollte ich ihn in di« mit wildem Wein dicht umrankte Laube ziehen. Loch da ri,f d«» Knaben hell, Stimm, au» der off,- ncn Flügeltür in den Garten herab: „Mama läßt Papa und Onkel zu Tisch bitten!" Ter Augenblick war verpaßt. Wir mußten folgen. Tassilo nahm müde meinen Arm und stieg schleppenden Schrittes mit mir die steinernen Stufen zu seinem Arbeitszimmer hinauf. Frau Emma hatte dort den Abendtisch hergerichtet. Ein weitbauchiger irdener Krug voll herbduftender Spät- sommerblumen stand in der Mitte. Es nützte alles nichts, ich brauchte nur in Tassilos hoffnungsloses Gesicht zu blicken, um alle Eßlust zu verlieren. Frau Emma zwang sich zum Essen, um ihrem Gatten und mir ein ein ladendes Beispiel zu geben. Tas Gespräch floß einsilbig dahin. Auch der Knabe war durch die Anwesenheit des Gastes etwas eingeschüchtert, und doch mußte ich mich seiner wieder bedienen, um über die schwerlastende Stunde hinwegzukommcn. Dann sagte Frau Emma ein paar Worte über das Sedanfest: „Mein Mann hat nie mals dabei sein wollen, er ist so übertrieben bescheiden und hat keine heiteren Erinnerungen an den Krieg. Es ist ja auch nur einen Tag dabei gewesen, aber jetzt haben sie keine Ruhe gegeben, und morgen soll er durchaus d-n Kaiscrtoast ausbringen." — Tassilo stöhnte aus. — „Der Oberst von den Husaren", fuhr sie fort, „ist auf Urlaub in Berlin. Ter alte Major von Nostiz ist kein Redner und hat auch nicht da« Eiserne Kreuz, da haben sie Tassilo ge beten —" „Gezwungen", sagte der Pastor spitz. „Sic, lieber Freund, nehmen ja auch teil an dem Bankett, al« unser neuer Stadtarzt — vielleicht bleiben Sie an seiner Sette oder dock ihm gegenüber." Dabei warf sie mir einen langen, bittenden Blick zu. Nach dem Esten verabschiedete sich Frau Emma, der Knabe müsse zu Bett. Ne sei angegriffen von dem Besuch am Grob,, und Taffilo und ich hätten auch wohl noch mancherlei miteinander von alten Zettln ungestört zu baspr^en. „Luf Wieders»-«: mors« in all,» Früh,,
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