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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.04.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-04-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070403010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907040301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907040301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-04
- Tag1907-04-03
- Monat1907-04
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ES ist an- gebl ch angeregt, dieAbrüstungSsrage einer besonderen Konferenz vorzubehalteu. (S. d. be). Art.) - * Der Arbeitgeberverband für das Schneider ¬ gewerbe in Leipzig hat beschlossen, von heute ab sämtliche rrganisierteu Gehilfe» auSzusperreu. (S. Lpzg. Log.) * In Karlsruhe wurde gestern der 12. kirchlich, fvziale Kongreß eröffnet. lS. letzte Dep^ * In Reichender« i. B. ist die Aussperrung oer Webereiarbeiter in insgesamt 29 Betrieben er folgt. Die Zahl der AuSgesperrten und Streikenden beträgt etwa 25M. * Am Suez-Kanal ist ei» AuSstaud auSgebrvcheu. (G. Au-l.) Vie SIschen von stapailo. Herrn Tittoni beim Prinzip« Bülow zu sehen, ist just keine diplomatisch« Neberraschuug, und eS berührt eigenartig, daß man sich von der Wilhelmstrvße <ruS bemüht, durch be sonderes Aufgebot diesem Ereignis kv: Selbstverständlichkeit eine Wichtigkeit beizulegen, di« ihm durchaus nicht gebührt. Daß die dvlla Italia nach ihrem Divertissement mit der lateinischen Schwester und dem englischen Hausfreund von einer . Art besserer Erkenntnis und reuiger Heimkehr znm legitimen Hausgenossen ergriffen ist, kann man verstehen, denn der «x-.n Dreibund war sozusagen doch derjenige, der für Brot auf dem Tisch« sorgt«. In Wirklichkeit parzelliert Italia aber ihr großes Herz munter weiter, und wer glaubt, daß mit den schönen Erklärungen TittoniS, der immer anS der Versenkung auftaucht, wenn man in Rom den Dreibund nötig hat, eine neue und feste Aera in die italienische Politik einkehre, fitzt in den Nesseln. Um aber auch den heimlichen Freunden an der Sein« uud Themse keinen Zweifel auf kommen zu lassen, geht Viktoria Emanuele nach Athen. Drdi »t ordi wird indes feierlich verkündet, daß .Italien einem Antrag«, die AbrüstungSsrage auf bi« Tagesordnung der Haager Konferenz zu setz«n, nicht zustinnnen wird, s o lange nicht eine den Interessen aller Mächte angepaßt« Formel dafür gefunden ist." Und eS wird — Fürst Bülow mag stolz darauf fein — weiter kon statiert, daß >der Kanzler mit größter Befriedigung von den Erklärungen TittoniS Kenntnis genommen habe. Die Glocken läuten also neuen Ruhm. Wer kein politischer ABC-Schütze ist, lächelt ob der hohe» Befriedigung deS Kanzler«. Denn wenn man das Osterei Tittonis betrachtet, ist'S ein elendes Windei. Was bedeutet denn die gewundene Erklärung Italiens? — Zunächst doch nur: „Wir warten ab!" Wenn man in Rom klipp und klar, mit Hörnern und Zähnen ein« Antwort gäbe, daß man eine Erörterung der Abrüstung glatt ablchne, sobald Deutschland — denn gegen dieses ist die ganze Haager Gaukelei doch nur gerichtet — sie nicht wünsche, dann Knnte man von einer be rechtigten Befriedigung deS Kanzlers frechen. Aber so? Flamen, Camillo, nichts als Flausen! Und gesetzt den Fall, daß Herr Tittoni es wirklich chrlich meint — und wir wollen eS ihm tatsächlich glauben — so hat Algeciras uns doch ge lehrt, daß man im Onirinal und der Consultä nicht um Mittel verlegen ist, Herrn Tittoni rechtzeitig der Verant wortlichkeit für gegebene Versprechungen zu enthsbe». Mau läßt dann «ben, wi« dicht vor Algeciras, einen neuen Pharao aufkommeu, der nichts weiß von Josef und seine» Brüdern. Wenn also die Glocken von Rapallo so heftig geläutet werden, so ist daS mindestens ein recht überflüssiges Privatvergnügen, und wir kennen einen wohlbeleibte» Mann, der den Spitzbart lächelnd streichelt und Clemenceaa an Shakespeare erinnert: „Es kommt die Zeit, da dieser nord'sch« Jüngling seinen Ruhm mir tauschen muß für mein« Schädlichkeiten." Aber die Glocken von Rapallo haben einen anderen gleichfalls zu großem Handeln gebracht: Herrn v. Tschirschkh und Bögendorff, seines Zeichens Staatssekretär deS Deut schen Reiches für die auswärtigen Angelegenheiten. Dieser Träger eines hohen ReichSamteS, daS einst der Name Bis marck zierte, hat sich für nicht zu erhaben geachtet, sich von einem englischen Blatte, der „Tribüne", die sonst auf alles Deutsche so tapfer zu schmälen wußte, antelegraphieren zu lassen und ein Dokument der Weltgeschichte an diese« eng lische Blatt zurückzudrahten: „Ich ermächtige Sie z« der Er- klärung, daß die Mitteilung de« Pariser „Temps", wonach Deutschland der Haager Konferenz für de» Fall, daß Eng land daS Abrüstungsthema zur Diskussion stellen will, fera- zubleiben beabsichtigt, ohne Begründung ist. Hoffentlich macht trotz aller Entstellung der Haltung Deutschlands der engere A n e i n a n d e r s ch l« ß Deutschland« und England« Fortschritte. Tschirschkh." Diese« Dokument muß man noch einmal festnageln. Die Habitus« der Wilhelmstrah« erzählt«» einander mit Behagen, Fürst Bülow habe sich mit Händen und Füßen ge wehrt, al« ihm die Kamarilla den Herrn v. Tschirschkh auf den Hals setzte. Wenn man die bisherigen Leistungen „Car- binoS" ansieht, so begreift man allerdings, daß Fürst Bülow ihm die Prok»ra n»r sehr, sehr ungern erteilte. Da« par lamentarische Debüt de« Herr» Staatssekretär« zwang die Erinnerung an da« Wort herauf, daS Vater Herodot die Spartaner zu den Samier» spreche» läßt: „Den Anfang eurer Red« haben wir wieder vergessen und da« Letzte »icht verstanden". Seiner Täte» Reihe eröffnete er mit seiner glorreichen Reise noch Wien und Rom, trotzdem von allen Seiten ihm berechtigte Abmahnung tönte. Und heute ver mehrt er seine Gloria um eine» neuen goldenen Strahl. Also der EtaatAsekretär de« Auswärtigen Amte« hat den ganze» großen Apparat der diplomatischen Vertretungen in Loudon und Berlin, die deutsche Presse und andere Helfer nicht für ausreichend gehalten, um seine Meinung an das Ohr der Regierenden in London kommen zu lassen. Er hat vielmehr ausgerechnet die „Tribüne" nötig gehabt. Was wohl BiSmarck zu einer solchen Anzapfung gesagt hätte! Wahrscheinlich wäre die Antwort sehr kurz gewesen: „Der „Temps" ist mir Wurst und Sie desgleichen". Aber irgend eine Tatarennachricht des „Temps" ist wichtig genug, daß ein Staatssekretär des Reiches ein offizielles Desavou für nötig hält und noch dazu durch ein englisches Blatt. Aber man merkt die Absicht. „Der engere Zusammenschluß Deutschlands und Englands" heißt das Programm. Viel leicht ist es wahr, daß man dem Kaiser den Weg nach Cowes möglich machen will. Wenn Herrn von Tschirschkh dieser Lorbeer lockt, so mögen wir über seinen Geschmack mit ihm zwar nicht streiten, aber er darf gewiß sein, daß die tiefe Verstimmung, die vom Burenkrieg her bei uns gegen Eng land herrschte, nicht sicherer wieder hervorgezaubert werden kann, als durch solche Musterleistungen, wie das Telegramm an die „Tribüne". Hat Herr von Tschirschkh wirklich nicht da« Gefühl, daß er uns unsäglich lächerlich macht? Wenn er wirklich die Petersburger Depeschen deS „Temps" eines Dementis würdigen wollte, so hatte er doch die Herren Offi ziösen zur Verfügung. Die Anzapfung der „Tribüne" konnte er sich wirklich schenken: ein Geheimrat nach dem Pariser Platz uud zu Sir Frank Lascelles geschickt — und die Sache war glatt und still erledigt. Vom Quai d'Orsay aus wäre dem „Temps" der nötige Wink gegeben worden. So aber lächelt man mit Recht an der Seine: „Ein Hahnenschrei — und das Auswärtige Amt in Berlin fährt mit beiden Beinen zugleich au« den Posen." Und in England lächeln die Wissenden ob des heißen Wunsches des deutschen Staats sekretärs nach engerem Anschluß. Dieser Wunsch macht sich besonders gut in der Zeit, wo König Edward die Ein kesselung Deutschlands mit allen Kräften betreibt. Sehr schön, wo das englische Königspaar bisher geflissentlich Ber lin gemieden uud in Paris gehätschelt; sehr schön, wo die englische Diplomatie mit allen Kräften unser Schwert zur Kinderfuchtel machen möchte und Unkraut mit Fäusten in unseren amerikanischen Weizen sät. Dir wissen sehr wohl, daß es ein Wort gibt: „Die einzige Art zu betrügen, die zuweilen noch Erfolg hat, ist offesherzigzu iein", aber solche« ganz große Spiel traute man wohl Bismarck zu, vielleicht auch hin und wieder Bülow, ober nimmermohr Herrn von Tschirschkh und Bögendorff. Wenn er spricht, ists Herzenssache, und man weiß das auch außerhalb Deutschlands. Wir möchten den Herrn Staats- sekretär auf die kaufmännisch« Bücherweisheit aufmerksam machen, daß der von vornherein ein Stümper ist, der das Geschäft auf den ersten Hieb verrät, das er machen will. Und wenn er als Diplomat noch nicht gelernt hat, daß ein« auf dem Präsentierteller «»gebotene Liebe als Abhub von der Herrentofel angesehen wird, daß man wie eine kluge Frau sich suchen lassen muß, wenn daS Herz auch noch so heiß brennt, so — nur so muß er tatsächlich in seinem Metier der sei», als welchen ihn sehr viel« Leute betrachten. Einst war es Italic», dem er seine« Herzens redlich« Minne offenbarte, haute einmal wieder Albion. Kein Zweifel, König Eduard wir hohe, tönende Worte des Lobes für den redlichen, deut schen Staatssekretär haben, aber ein Eduardslob für einen deutschen Staatsmann ist immer eine recht seltsame Blume. Wir zweifeln nicht, daß im Reichstag die gebührende Quit tung für das Tribunatelsgramm gegeben werden wird. Nicht deshalb, al« ob ein gutes Verhältnis -wischen England und Deutschland unerwünscht wäre, denn der wäre kurzsichtig, welcher an ewigem Hader -wischen Albion und dem Reiche sei» Wohlgefallen hätte, sondern nur dafür, daß der Herr Staatssekretär des Reiches die groß« Geschicklichkeit hatte» uns so etwas wie die Rolle des treuesten Hausgenossen zu- zumute», der schweifwedelnd vor dem Tische steht, auf dem „der engere Aneinanderschluß" als köstlicher Knochen liegt, nachdem der King mit seinem Pariser Freunde getafelt. Oder — dann würden wir Herrn von Tschirschkh seine Drohung gar nicht so krumm nehmen — ist das Ganze das Werk geschickter Leute, die dem Staatssekretär frischen Lor beer zeigen, dem er nachstürzen soll, ohne di« Fallgrube auf dem Pfade zu sehen? Er wäre der erste ja nicht. ?lber einstweilen zieht er mit am Strange, di« Glocken von Rapollo lauten Viktoria, und harmose Mensche» denken, e« ist ein hoher nationaler Festtag in die deutschen Land« eingekehrt. Zu Ostern, wen» die Veilchen sprießen und jung« Triebe an den Hecken und Herzen grünen, ist man ja zum Glauben so gern bereit. Das weiß man auch in Rapallo. * Minister Tittoni erklärte wiederholt vor seiner Abreise av« Rapallo, Italien sei mit Deutschland in jeder Hinsicht, auch in der Abrüstungsfrage, vollständig einig. Die Behauptung der „Tribuna", daß Italien sich England gegenüber bereits für den Ab- rüstuugsvorschlag verpflichtet habe, entspreche seinen Ab sichten nicht. E« sei ihm »i« eingefallen, sich England gegenüber von vornherein and ohne Vorbehalte zu binden. — Von einem hochstehende» italienischen Gewährsmann in Rapallo erfährt die „Neue Freie Presse", daß sowohl Tittoni als auch Fürst Bülow schon als Vertreter des Drei bunds dem englischen Vorschlag der Einschränkung der Rüstung«» nicht beistimmen könnten, weil der Dreibundver trag alle» drei Staaten volle Freiheit in dieser Beziehung läßt. Jtalen aber könnte schon deshalb nicht weniger rüsten, weil Oesterreich »nevtwegt und systematisch seine Rüstungen vermehrt. Aus derselben Quelle wird »itgeteilt, Minister präsident Giolitti wollte auch zum Besuch des Fürsten Bülow »ach Rapallo kommen, wurde aber von Tittoni da von abgehalten, welcher fürchtete, Frankreich und England könnten glauben, die Entrevue sei gegen sie gerichtet. Auf die Frage, ob ein geheimer Vertrag zwischen England und Oesterreich bestehe, derOesterreich den Besitz Triests sichere, oab der Gewährsmann zur Antwort, ein solcher Vertrag be- stehe nicht. Fürst Bülow und Tittoni sollen entschlossen sein, den atitns quo am Balkan aufrecht zu erhalten. Di« Staatsmänner besprachen auch neue Protokolle, die sie dem da« all- der e»n be. Dreibundvertrag beifügen wollen. Nach zweieinhalbstündi ger Dauer der Entrevue redigierten Fürst Bülow und Tittoni einen Bericht über die verhandelten Fragen, der von beiden unterzeichnet und dann nach Nom und Berlin geschickt wurde. In Pariser Regierungskreisen findet man den angeblich von Italien ausgehenden Vorschlag der Einberufung einer eigenen Konferenz zur Besprechung der Abrüstungsmöglich keiten durchaus erwägenswert, wenngleich man die Schwie rigkeiten nicht verkennt, welche einer nur von den großen Militär st aaten zu beschickenden Sonderkonferenz entgegenständen. Als Hauptfrage gilt, ob England unbedingt darauf besteht, daß diese Sonder konferenz gleichzeitig und parallel mit der allgemeinen im Haag während der Sommerwochen von 1907 tage, oder ob das Londoner Kabinett geneigt wäre, einem nach Erledigung des allseitig genehmigten Programms zu fassenden Beschlüsse über Datum und Charakter der Sonderberatung zuzustim men. Der Haltung des Wiener Kabinetts, welches berufen scheint, gemeinsam mit dem italienischen an der Ausgleichung der noch bestehenden Differenzen über die Arbeitsmethode zu wirken, wird in Paris mit lebhaftem Interesse entgegen gesehen. virmarclr uns <lsr allgemeine Aadlrecht. II. ES ist bekannt, baß Oesterreich durch die Ansage deS Frankfurter Fürstentages für Anfang August 1863 jein«» höchsten Trumpf auszuspielen beabsichtigte, ebenso bekannt, daß König Wilhelm I. durch Bismarck abgehalten wurde, nach Frankfurt zu gehen, und dadurch di« ganze mit so großem Pompe inszenierte Veranstaltung resultatlos machte. In jener Zeit, nämlich Ende Juni oder Anfang Juli, hat sich Bismarck während eines kurzen Aufenthaltes in Karlsbad zu dem bekannten französischen StaatSmanne, dem Herzog von Gramont, über die Unzulänglichkeit der preußi chen Wahlverfassung und über die Notwendigkeit ihrer Rcorgani. sation auf breiterer, nationaler Grundlage geäußert (Hans Blum, Fürst Bismarck und sein« Zeit II, 41^. Doch dos trat gegen die allgemein deutsche Angelegenheit zurück, die zum Gegenstände eines Berichtes deS StaotsnumsteriumS an den König vom 15. September 1863 gemacht wurd« In diesem Dokumente, zweifellos einem der bedeutendsten und bedeutungsvollsten, das aus Bismarcks Feder geflossen ist, heißt eS u. a.: die Refvrmakte, wie sie von Oesterreich pro- poniert seien, ließen jede Bürgschaft vermissen, daß in der beabsichtigten neuen Organisation des Bundes die wahren Interessen und Bedürfnisse der deutschen Nation und nicht partikularistische Bestrebungen zur Geltung kommen werden. „Diese Bürgschaft", fährt der Bericht dann fort, „kann Ew. Majestät Staatsministerimn nur in einer wahren, au« di rekter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden Natio- nalvertretung finden. Nur eine solche Vertretung wird für Preußen die Sicherheit gewähren, daß es nicht« zu opfern hat, was nicht dem ganzen Deutschland zugute komme. Kern noch so künstlich ausgemachter Organismus von Bundes behörden kann das Spiel und Widerspiel dynastischer und partikularistischer Interessen ausschließen, welches sein Gegengewicht und sein Korrektiv in der Nationalvertretung finden muß." — Dieser Bericht wurde am 22. September sämtlichen deutschen Fürsten, die die Frankfurter Resormakte unterzeichnet hatten, zngesteut und auch durch di« Presse ver öffentlicht. Es ist ein merkwürdiger Zufall, wenn anders in solchen Dingen von Zufall die Rede sein kann, daß sich gerade in Es ist ein merkwürdiger Zufall, wenn anders in solo Dingen von Zufall die Rede sein kann, daß sich gerade diesem inhaltsschweren und entscheidungsvollen Augenblicke die Wege Bismarcks mit denen jenes merkwürdigen Mannes kreuzten, der von der heutigen deutschen Sozialdemokratie mit Recht als einer ihrer Hauptgründer und -Größen i« Anspruch genommen wird, und dock in einem Haupt- und Grundzuge seines Wesens so himmelweit sich von ihr unter schied, wir meinen Ferdinand Lassalle. Für die äußere Veranlassung der Begegnung dieser beiden Männer muß verwiesen werden auf das interessante Buch von Her mann Oncken, Lassalle (Stuttgart, Fr. Frommann) S. 327 bis 357. Wir haben uns nur zu fragen: was brachte diese zwei so grundverschieden gearteten Naturen zusammen, und was wollten sie von einander, was hoffte namentlich Lassalle von Bismarck? Gemeinsim war beiden der Haß gegen die Fortschrittspartei, freilich aus recht verschiedenen Gründen: während sie dem einen mit ihren demokratischen Neigungen und unfruchtbaren Nörgeleien zu weit ging, sah der andere sie mit Mißvergnügen und Verachtung auf halbem Wege stehen bleiben. In seiner Rede: „Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag , die er Ende September 1868 dreimal in den Rheinlanden gehalten hat, ruft Lassalle auS: „Und wenn wir Flintenschüsse mit Herrn von Bismarck wechselten, so würde die Gerechtigkeit erfordern, noch wäh rend der Salven einzugestehen: er ist ein Mann, jene aber sind — alte Weiber! Und während so Lassalle die mannes mutige Konsequenz Bismarcks bewunderte, zollte dieser jenem volle Achtung wegen des unbedingt nationalen und mon- archischen ZugeS, der Lassalle fthr zum Unterschied von seinen Epigonen auszeichnete. — Was aber Lassalle von Bismarck erhoffte, war die alsbaldige Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts, während Bismarck den zweifellos von Lassalle ausgehenden Annäherungsversuchen deshalb gern entgegen- kam. um den damals auf der Sonnenhöhe stehenden Lenker der großen Massen Auge in Auge, und damit am besten auch seine letzten Ziele kennen zu lernen. Um den 19. oder 20. Oktober 1863 ist Lassalle zum ersten Male von dem Leiter der preußischen Politik empfangen worden, und die Be ziehungen sind bis in den Februar 1864 fortgesetzt worden. I» seiner Reichstagsrede vom 17. September 1878 meint Bismarck sich nur auf drei bis vier Unterredungen mit dem sozialistischen Tribunen besinnen zu können, die allerdings stundenlang gewährt hätten; es dürften aber doch höchst- wahrscheinlich mehr gewesen sein (s. Oncken S. 345>. Gegen stand dieser Unterredungen war einerseits das sogenannte Hundert-Millionen-Projekt Lassalle«, d. h. eine mit der genannten Summe auS Staatsmitteln herzustellende Pro- duktivgenossenschaft, die private Unternehmungen aufsaugen und vor allem dem Arbeiter eine gesicherte Lebensstellung verschaffe» sollte; in erster Linie aber bildete daS allgemeine Wahlrecht das Gesprächsthema. Daß BiSmarck nicht erst, wie von sozialistischer Seite behauptet worden ist, durch Lassalle auf diesen Gegenstand und seine Bedeutung gebracht worden ist, braucht nack dem bisher Mitgeteilten nickt be sonders bewiesen zu werden. Dagegen mag erst durch diesen Mann BiSmarck über den eminent innerpolitischen Wert dieses Losungswortes so recht völlig ins klare gekommen sein, nachdem er diese Frage bislang doch mehr aus dem Ge sichtspunkte dey äußeren, wenn auch deutschen Politik be trachtet hatte. Allerdings, eWprechend dem ganz verschiedenen Uni- gangs- und Wirkungskreise der beiden Männer waren auch die Ansichten von den Wirkungen des allgemeinen Stimm rechts grundverschieden. Lassalle, von den ihm vertrauten Jdustriebezirken, namentlich dem rheinischen, vorschnell aus den ganzen preußischen Staat schließend, sah in dem er strebten Rechte das zunächst einzige und vornehmste Mittel, um den Arbeiter zu emauzipieren «nd den von ihm ge träumten Zielen unter Niederwerfung der Bourgeoisie ent- gegenzusühren. Bismarck dagegen, dem im wesentlichen da- mals die stabilen Verhältnisse der Landbevölkerung in Preußen, Pommern, Brandenburg, der Provinz Sachsen usw. vorschwebten, konnte noch am 19. April 1866 an den Grafen Bernstorfs, damaligen preußischen Gesandten in London, schreiben: „In einem Lande mit monarchischen Traditionen und loyaler Gesinnung wird das allgemeine Stimmrecht, indem eS die Einflüsse der liberalen Bourgeoisteklassen beseitigt, auch zu monarchischen Wahlen führen. In Preußen aber sind neun Zehntel deS Volkes dem König treu, und nur durch den künstlichen Mechanismus der Wahl (nämlich der preußischen Klassenwahl) um den Aus druck ihrer Meinung gebracht." — Soll man hier noch die Frage aufwerfen, wer von beiden Männern die feinere Witterung von der Zukunft gehabt habe? Anderseits habe» sich aber doch auch beide, feder nach seinem damaligen Stand punkte rn verschiedener Weise, über den Charakter der so genannten „Bourgeoisie" getäuscht. Bismarck war eS ver gönnt, von der zum deutschen Bürgertum sich wandelnden „Bourgeoisie" in seinem langjährigen weiteren Wirken eine andere Bewertung zu gewinnen und darum doch am all gemeinen Stimmrecht festzuhalten. Ein wesentlicher Unterschied, der damals Lassalle von Bismarck trennte, wenngleich keineswegs in feindlicher Weise, bestand darin, daß das allgemeine Stimmrecht für jenen das einzige gesetzliche Mittel, eben das Mittel schlecht hin war, um seine Ideale verwirklicken zu können, während Bismarck noch andere Eisen im Feuer hielt und es darum so eilig mit jenem Mittel nicht batte. Schon am 12. Mai 1859 hatte er an den Minister v. Scheinitz daS bekannte Wort geschrieben: „Ich sehe in unserem Bunde-verhältni- ein Gebrechen Preußens, welches wir früher oder später Isrro st isrni werde» Hellen müssen". Die . Zeit zu dieser Art der Kur war da und drängte zmiächst die milderen Me dikamente in den Hintergrund. Aber bekanntlich erfolgte noch in zwölfter Stunde vor Ausbruch des Kriege« von 1866 am 9. April 1866 die Einladung a» die Bundes regierungen, das Frankfurter Wahlgesetz vom 12. April 1849 als Grundstein der Bundesreorganisation anzunehmen. Somit war es nur eine naturgemäße Folgeerscheinung aller bisher in Bewegung gesetzten Faktoren, wenn dem ersten Reichstage des Norddeutschen Bunde« über seine eigene Zukunft der Artikel 21 zur Entscheidung vorgelegt wurde: „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen hervor, welche bis zum Erlaß eine« Neichstags- wahlaesetzes nach Maßgabe des Gesetzes zu erfolgen haben, auf Grund dessen der erste Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt worden ist." Rückblickend auf die Genest« dieses Artikels sagte Bismarck u. a. in Vertretung der Re gierungsvorlage am 28. März 1867: „Das allgemeine Wahl- recht ist uns gewissermaßen als ein Erbteil der Entwickelung der deutschen Einheitsbestrebunaen überkommen; wir haben es in der Reichsverfassung gehabt, wie sie in Frankfurt ent worfen wurde; wir haben es im Jahre 1863 den damaligen Bestrebungen Oesterreichs entgegengesetzt, und ich kann nur sagen: ich kenne wenigstens kein besseres Wahlgesetz. Es hat ja gewiß eine große Anzahl von Mängeln, die machen, daß auch dieses Wahlgesetz die wirklich besonnene und be rechtigte Meinung eines Volkes nicht vollständig photo- araphiert und vn ministnov widerglbt" .... Weiterhin führte er noch folgenden praktischen Grund inS Feld: „Ich habe den Eindruck, daß wir bei dem direkten Wahlrecht be deutendere Kapazitäten in daS Haus bringen, als bei dem indirekten." Der Artikel 21 wurde dann angenommen in der Fassung: „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Dahlen mit geheimer Abstimmung hervor, welche" usw. w. o. Der Zusatz der geheimen Abstimmung war auf Antrag des Abg. Fries bineingebracht; er fand sich nicht, wie oben zu bemerken, in der Regierungsvorlage, sand sich aber auch schon in der Frankfurter Verfassung nicht. Wenn BiS marck, Gedanken und Erinnerungen II, S. 59, von der Re gierungsvorlage behauptet, sie Hobe die Öffentlichkeit aus drücklich verlangt, so irrt er wenigsten- bezüglich der dem konstituierenden Reichstage vorgelegten Fassung. Das Dort zu dieser Frage hat er meines Wissens weder damal«, noch in einem der folgenden Reichstage ergriffen. Vom Norddeutschen Bunde ging da« so fixierte Wahlrecht ohne weiteres in die Verfassung deS Deutschen Reiches über. Auch hier finden sich gelegentlich dieselben Betrachtungen, die uns beweisen, daß die Stellung BiSmarck- sich iw Prinzip nicht geändert batte, wenn auch kleine Nüanciernngen mit unterlaufen. So heißt es u. a. in der schon erwähnten Rede, in der er auf seine Beziehungen zu Lassalle zu sprechen kam, vom 17. September 1878: Ach habe das allgemeine Wahlrecht akzeptiert mit einem gewissen Widerstreben als Frankfurter Tradition. In den deutschen Rivalitäten mit den Gegnern des Reiches war die Karte einmal ausgespiclt, und wir haben sie als auf dem Tische liegende Hinterlassen- schäft mit gefunden. Einen so festen Glauben an die bessere Wirkung eines anderen Wahlrechtes hatte ich nicht, daß wir im Kampf mit unseren Nebenbuhlern dieses populäre und von der früheren Frankfirrter Versammlung hinterlassen« Mittel hätten ablehnen sollen' eine feste Ueberzeugung von der Wirkung der einzelnen Wahlsysteme habe ich damals schwerlich gehabt. ... Ich kann mich nicht dazu verstehen, zuzugeben, daß das allgemeine Stimmrecht bisher ack ab- surckrun geführt wäre durch seine Ergebnisse, und daß anderes, namentlich ein besseres, sein Examen bereits standen hätte." Ziehen wir aus dem bisher mitgeteilten Material Fazit. Zunächst ergibt sich ganz klar, daS Bimarck da gemeine Wahlrecht nicht um seiner selbst willen als ... politischen Weisheit letzten Schluß angestrebt und in sein Programm ausgenommen bat, sondern um ganz greifbarer politischer Ziele willen, wie ja schließlich auch Lassalle es al« Mittel zu seinem Zwecke ansah. Aber für diesen und seine Parteinachfolger war und bleibt eS das einzige Mittel, wenn sie nicht zur Gewalt greisen wollen; für Bismarck standen vorerst, und zwar mit größerer Notwendigkeit, noch andere Wege zu benutzen. Demgemäß konnte sich ihm auch da- all gemeine Wahlrecht niemals zu einem Parieifetisch auSge- stalten, dessen unantastbare Heiligkeit schon den Gedanken an I die kleinste Aendcrung zum Hochverrat stempelt. Und dem entsprcckrcnd konnte er, ohne sich untreu zu werden, in seinen k „Gedanken und Erinnerungen" (II, G. 58) de» Satz <mS-
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