Delete Search...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.05.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-05-30
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070530010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907053001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907053001
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-05
- Tag1907-05-30
- Monat1907-05
- Jahr1907
- Links
-
Downloads
- Download single page (JPG)
-
Fulltext page (XML)
Bezuqs-PreiS für Leipzig und Vorort« durch unser« Träger und Spediteur» in« -an» erbracht: Aus gabe S. nur morgen«) oieneljährlich i M, monattich l. M., 'l»-gabr L (morgens und abends) oierteliahrlich 4.K0 M„ monatlich I SO M. Durch di« Poft bezogen (1 mal täglich) innerhalb Deutschlands und der deutschen Kolonien vierteljährlich 3 M.. monatlich l M. au-schl. Posibestellgeld. für Orsierreich-Ungaru vierteljährlich 5 L 4ö tr. Abonnement-Annahme: AngustnSplatz 8, bet unseren Trägern. Filiale», Spediteuren und LnualMesrellen. sowie Postämtern uud Briefträger». Di« einzeln, Stummer kostet L» Pfg. «etattion nu» »rpe-ition: Iohaunisgafs« 8. Teleph. Nr. 14692. Nr. 14683, Nr. 146S4. verltuer NedattionS-Vureau: Berlin ttVV. 7, Prinz Louis Ferdinand- Straße 1. Telephon I. Nr. 927b. Morgen-AusFabe S. WxzMr TaMalt Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. "Anzerqen-^ZreiS für Inserate aus Leipzig u. llmgednug die 6 gespaltene PetitzeUe 25 Pf„ siuauzielle An zeige» 30 Pf, Reklamen 7bPf.; von anSwärt« 30 Pf.. Reklamen 1 M.; vom AuSlaud bO Pi, finanz Anzeigen75 Pf, Reklamen l.5O M. Inserate ».Behörden im amtlichen Teil 40Ps. Beilagegebühr ü M. p. Taufend exkl. Post- gebühr. Geschäfts«»,zeigen au bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarn Feslerteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für das Erscheine» an deiummten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeige» - Anuabme: AuguftuSPlat; 8, bei sämtlichen Filiale» u. alle» Aunoncen- Expeditione» des Ja- »ad Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: TarlD u n cke r,Herzgl.Bayr.vofbuchhandlj,., Lützowstraße 10 (Tel. VI. 4603. Nr. 118. Donnerstag 30. Mai 1907. 101. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Der Kaiser besichtigte gestern di« Truppen in Döberitz. lS. Dtschs. R. u. Letzte Dep.) * Die amtlichen „Braunschw. Anz." veröffentlichen die Arrtworttelegramme des Herzogs Johann Albrecht und des Fürsten Bülow auf die ihnen telegraphisch mitgeteilte erfolgte Wahl. lS. Letzte Dep.s * Die englischenJournalisten sind in Berlin eiwgetroffen. lS. d. bes. Art. u. Letzte Dep.) * Das Stadtverordnetenkollegium zu Leipzig bat an Stelle des Justizrats Dr. Junck den bisherigen Vizevorsteher Dr. Rothe zulm Vorsteher gewählt. lS. d. Bericht.) * Die südchinesischen Revolutionäre er lassen eine Proklamation, daß der Aufstand sich nurgegen die Regierung, nicht gegen die Fremden richte. lS. d. bes. Art.) * PrSsü>ent Falliäres wird im September König Haakons Besuch erwidern. * DaS portugiesisch« Ministerium soll be schlossen halben, drei Jahre lang ohne Parlament zu regiere«. * Die Reichsduma hat gestern dieDebatte über die Agrarfrage beendet. lS. Letzte Dep.) editis. Wie es Helden vor Agamemnon gegeben hat, deren Ge dächtnis vom Dunkel der vorgeschichtlichen Zeit verschlungen ist, so sind auch wagemutige Kaufleute in den langen Jahr hunderten vor Marco Polo zum fernen Reiche der Serer vorqedrunge«, deren Namen kein Buch, kein Leichenstein meldet. Der kühne Venezianer ist für uns der erste PLingfahrer. Er hat das Wort „Million" geschaffen. Die Volksmenge der chinesischen Städte ließ sich mit irgend einem Vielfache» des Zahlwortes Mille nicht mehr ausdrücken. Auch die Größenverhältmfse europäischer Städte waren für Vergleichungen unbrauchbar geworden, seit der Agonie der alten Welt, seit den Barbarenstürmen der Völkerwanderung. Nicht einmal das damalige China machte den Versuch, seiner Volkszahl Nebermacht in der Welt zur Geltung zu bringen. Es erwiderte Europas erwachte Neugier nicht. Sein« Welt ist niemals über hüschgar und die Bengalen- Bucht hinausgewachsen. Chinas.Millionen sind auch heute noch nicht zuverlässig gezählt. Daß sie freilich nur von König Eduards Unter- tanenschrlt übertroffen werden, bleibt sicher. Trotzdem be- schränkt sich die Berichterstattung über das Reich der min destens 300 Millionen, des fünften Teiles der Erdenwohner, auf ein« dürftige Ecke in den Spalten der Tagesblätter. Das stammverwandte Nachbarland hat mit seinen 50 Millionen Chinas weltgeschichtliche Bedeutuna im Augenblick weit über- slügelt. Japan bat eine Gegenwart gewonnen. China hat ntzben seiner national und örtlich begrenzten Vergangenheit noch immer nur eine Zukunft. Seine Gegenwartsgeschichte war im abgelaufenen Jahr hundert rein passiv. Daß keine Verteidigungskraft nicht zu unterschätzen ist, lehrte die Mweisung des französischen An griffs von 1885. Es lehrte eigentlich dasselbe auch der Krieg von 1900, trotzdem zum zweiten Mal« die „rothaarigen Bar- baren" unwillkommene Gäste der „verbotenen Stadt" wur den. Wir wollen uns jetzt ruhig gestehen, daß der Zug des „Weltmarschalls" ein Fehlschlag geworden ist. Dem Moloch europäischer Einigkeit sind damals alle Möglichkeiten ernst hafter Erfolge der einzelnen interessierten Mächte zum Opfer geschlachtet. Freilich ist ein Gewinn erzielt. China hat eingesehen, daß China es nicht ohne eigenen Schaden mit allen Euro päern zugleich verderben darf. Darum glauben wir auch nicht, daß die neuen Angriffe auf Mifsionsanstalten als der Beginn einer neuen allgemeinen Boxerbewegunq angesehen werde« dürfen. Aber es hat eben gleichzeitig begriffen, daß Gesamt-Europa nicht imstande ist, an das Herz Chinas zu rühren. ES bedarf einer ernsten Erwägung, ob Europas chinesische Politik nicht grundfalsch ist. Europa kennt nur das China- Reich der Mandschus. Seit einem halben Jahrhundert ist ein Axiom der europäischen Diplomatie, daß das Mandschu- Regiment mit allen Kräften Europas geschützt und gestützt werden müsse. Gordon hat den Taipingaufstand niederge schlagen, und auch der Krieg von 1900 hat mit der Zurück führung der Mandschudynastie nach Peking feinen Abschluß gefunden. Mit Chinas Volk sind bis auf den heutigen Tag keine diplomatischen Beziehungen angeknüpft. Derselbe Fehler wird bekanntlich auch in den gegenseitigen Beziehun gen europäischer Staaten manchmal begangen. Die Diplomatie betrachtet die heutige Dynastie als ein verhältnismäßig fortschrittliches Element. Sie, die im Augenblick lebt und für den Augenblick arbeitet, von Augenblick zu Augenblick sortwurstelt, hat bloß ein schein bares Recht. Sie wird auch nicht belehrt durch die Er fahrung, daß in Japan der erstaunenswürdige Umschwung von der allerstrengsten Abschließungspolitik zum rückhaltlosen Eintritt in die europäische Völkergemeinschaft nicht durch die alte Shogunregierun« bewirkt ist, bei der Diplomaten und Kaufleute bettelhast antichambrierten, sondern durch einen Umsturz der Verfassung, durch den Ueberyang der Herrschaft vom hohen zum niederen Adel, der bis dahin für eine fortschrittsfeindliche Kaste gehalten war. Ein« ähnliche Erscheinung beobachten wir heutzutage in Persien, besten Schahs uns so lange als sie einzigen modern denkenden Männer deS Landes ausgegebe» waren, nunmehr aber be reits den hemmenden Faktor darsiellen. ES wird ja recht schwer werden, Fühlung mit der chinesi schen Volksseele zu gewinnen, zumal heute, nachdem «in halbes Jahrhundert fehlerhafter Politik eine so ungeheure Kluft de- Mißtrauens aufgerissen hat. Auch den Missio naren wird es nicht leicht sein, die, um mit Scheinerfolgen prunken zu können, sich durch die Verbindung mit den sitt lich minderwertigen Volksteilen so vielfach kompromittiert haben. Ueber die Geheimbünde, in denen Chinas Leben pulsiert, haben unsere Gesandtschaften, unsere Missionen, unsere Handelskreise so schreiend mangelhafte Informa tionen. daß die ungeheure Uoberraschung durch bei. explo siven Ausbruch des Roxeraufstandes möglich wurde. Einige Feuilletons über die Zeremonien der Einweihung und andere äußere Symbole — das ist -alles, was wir erfahren. Dränge man tiefer eiu, so würde man vielleicht die alte Schulweis heit umlernen müssen, daß das chinesische Volk eine schwer flüssige, durch die Jahrhunderte hindurch vegetierende Maste geworden sei. Ein Ding dürfen wir wohl mit Sicherheit aussagen über dieses uns so dunkle Innenleben des fremdartigen Volkes: daß der Charakter seines politischen Strebens und also die Tendenz aller seiner geheimen Gesellschaften national bis in die Knochen ist. Eben darum ist sie auch mandschu- feindlich, dynastiefeindlich. Freilich auch europäerfeindlich. Aber doch nur so lange -rnbedingt, als Europas plumper Egoismus mit einem fremden Nationalismus sich in un überwindbarem Widerstreit befindlich wähnt, als die in ihrem «igenen Lande national gesinnten Europäer keine andere Nationalität neben der eigenen anerkennen wollen, als die Erbringe nur zurück und nicht aufeinander wirken. So lange allerdings wird man die Fühlung nicht aufgeden mögen mit dem Herrscherhaus der Eindringlinge, welches die Unter- worfenen noch nach einem siertel Jahrtausend verschmähen, nach einem Zeiträume, in >em Englands französisches Königsgeschlecht längst eine nationale Dynastie ge worden war. Wir wagen kaum zu hoffen, daß unsere Diplomatie aus ihren ausgetretenen Geleisen heraustreten wird. Sie wird das Mandschuregiment mit ihren unzureichenden Kräften zu halten suchen, die Partei des minderbegabten Volks teiles nehmen gegen die hochbefähigte Eingeborenenraste, welche die uralte Kultur des Landes geschaffen und nur den Firnis dieser Kultur den Eroberern mitgeteilt hat. Bis das Regiment eines guten Tages doch zusammenstürzt. Daß es dann viel schwerer werden wird, die Fühlung mit der neuen nationalen Regierung herzustellen, darüber^ lassen sich di« „Zünftigen" beute noch keine grauen Haare wachsen. Was Europa verabsäumt, wird ein anderer nicht Unter lasten. Es-brenrcht« nicht erst geschrieben zu werden, es war selbstverständlich, daß Japans Sieg einen ungeheuren Ein- druck in ganz Asten hervorgerufen hat. Daß Japan diese Stimmung überall ausnutzt, auch in China, darüber stimmen alle Berichte überein. Japan, ohnehin du-ch seine Stammes- verwandtschaft begünstigt, versteht »s, den Anschluß an Chinas Volk herbeizuführen, und wird im gegebenen Augenblick nicht zögern, Chinas Dynastie den letzten Stoß zu geben. Schon ist es der wirkliche Herr ihres Stammlandes geworden. Daß Europa einst ernten wird, wo Japan gesät hat: dieser Wahn wandelt sich mit jedem neuen Tage mehr zur Un wahrscheinlichkeit. * Die Revolutionäre Gesellschaft in Swatow erklärt öffent lich, daß sich der Aufst amd nicht gegen die Frem den, noch gegen die gewöhnlichen Chinesen Vicht«; ihre Absicht sei vielmehr, alle Regierungsgebäuc« niä>erzubrenncn und die Beamten zu töten, um die Re gierung zu stürzen. Die Missionen werden von der Bewegung nicht berührt, doch verlassen die Missionare die Stationen nr.d flüchten nach Swatow. Die Behörden sehen di« Lage als ernst an und haben an die Negierung von Canton das dringende Ersuchen gerichtet, Kanonenboote zu senden. Auf der Eisenbahn nach und von Tschautschoufu wer de«' die Reisenden durchsucht. Vie englische« Journalisten in veftin. Am gestrigen Tage sind die englischen Journalisten, die in Erwiderung deS deutschen Besuches in England im vorigen Jahr seit Anfang der Woche in Deutschland weilen, in der RerchShauptstadt eingetroffen. Bebalten wir uns auch ein Wort der Begrüßung noch für den Tag vor, an dem sie die Grenze unseres engeren Vaterlandes überschreiten und Sachsens Hauptstadt besuchen, so geben wir doch schon an dieser Stelle dem Wunsche Ausdruck, daß ihr Aufenibalt iu Deutschland dazu dienen möge, in ihnen das Vertrauen auf den friedliebenden Charakter unseres Volkes zu stärken und sie davon zu überzeugen, daß wir, gleich allen den Frieden liebenden Kreisen Englands, keine Gelegenbeit wollen vorüber gehen lasten, die geeignet ist, ein freundschaftliches Verständ nis »wischen der deutschen und der englischen Nation zu fördern und damit die Aufgabe der Politik beider Staaten zu erleichtern, unter Wahrung ihrer Lebensinteressen den Frieden in Europa und in der Welt zu erhalten. Die englischen Journalisten trafen gestern mittag 1 Uhr auf dem Lehrter Bahnhof ein. Zur Begrüßung waren an wesend Fürst Hatzfeld und die Mitglieder des Zentralkomitees. Die Herren begaben sich nach dem Palastbotel, wo Fürst Hatzfeld die Gäste begrüßte, für die Wilson dankte, wobei er betonte, daß ihnen die Tage in Bremen und Hamburg unvergeßlich sein würden, und daß sie von aufrichtiger Zuneigung für ihre deutschen Freunde er füllt seien. Der Redner schloß mit dem Wunsche, J>aß der Zweig der teutonischen Raste, dem die Engländer angeboren, und der deutsche Mutterstamm durch nähere Bekanntschaft da- Baud finden würden, das beide iu Freundschaft ver einige. Hierauf begaben sich die Journalisten nach dem Kaiserkeller ,um Lunch, wo Friedrich Deruburg die Gäste willkommen hieß. Nach dem Lunch folgte eiue Auto- mobilruudfahrt durch die Stadt. Das vaukett t» Lsnlsgifche« Garten. Während wir au anderer Stelle über deu Verlauf des Bankett- berichten werden, da- gestern abend zu Ehreu der englischen Jourualisteu stattfaod, sei hier der Haupt inhalt der bei dem Bankett von deutscher Seite zur Be grüßung der Gäste gehalteuen Redeu wiedergegebeu. Als Präsident des EmpfangSkomiteeS begrüßte Herzog zu Trachenbcrg, Sürst v. Hatzfeld. Er begann mit dem Dank für die im vorigen Jahre der deutschen Presse in England gewährte Gastsreundschast und fuhr dann fort: Sie werden bei Ihrem Besuche hier ein Deutschland vorfindeu, welches wesentlich verschieden ist von dem alten Deutschland, von der Zeit, als Deutschland nur ein neographischer Begriff war. In Bremen rin) Hamburg haben Sie die Entwickelung kenne« gelernt, welche unsere Seehäfen genommen haben; freilich ist Ihr Seeverkehr immer noch fast viermal io groß als der nnsrige. Hier im Binncnlande wollen wir Ihnen weiter zeigen, welche Forlschritte Deutschland auf dem Gebiete der Kultur, der sanitären Einrichtungen, der Fürjorge iür die Arbeiter, der Wissenschaft und der Kunst gemacht bat. Wir können noch manches von Ihnen lernen, aber wir wagen zu hoffen, daß Sie finden werden, daß wir doch schon manches gelernt und manche Fortschritte gemacht haben. Wir glauben, daß die Kenntnisse, die Sie von dem neuen Deutschland erlangen werden — und niemand ist wohl geeigneter, lchärser zu beobachten und klarer zu sehen als Sie, meine Herren — von selbst ein Verständnis für unsere Eigenart herbeisühren und dadurch auch zu einer weiteren Ausgestaltung freundlicher Gefühle zwilchen uns beitragen werden. Wir baden den aufrichtigen Wunsch, daß Sie sich bei uns wohl fühlen und bei Ihrer Rückkehr in die Heimat angenehme Er innerungen au die unter uns verbrachte Zeit mitnehmen. Die Rede schloß mit einem Hoch auf die englische» Gäste. Die politisch bemerkenswerteste Rede des Abends hielt dann eiu Mitglied deS Auswärtigen Amtes iu Berlin, Untcrstaatssetretär Tr. von Mühlberg. Er schloß sich der herzlichen Begrüßung durch deu Herzog von Trachenbcrg an und ging dann josort auf daS politiiche Gebiet über. Er fände fast täglich in der Presse deS Aus landes ein dort geglaubtes „merlwürvigeS Märchen", das „von ter Beunruhigung und Bedrohung deS Weltfriedens durch Deutschland". In erster Linie werde das deutsche Heer miß trauisch betrachtet. Allerdings sei das Heer tapfer und mächtig und wir Deutschen seien stolr darauf. Aber niemand könne sagen, daß wir eS mit der Existenz des Deutschen Reiches miß braucht und das Leben unterer Söhne freventlich ausS Spiel gesetzt haben. Die Heeresvcrfassunz sei aber nicht jetzt ge- tchaffen worden, sondern entstamme mit der allgemeinen Wehrpflicht den Tagen tiefster Not deS preußischen Staates. Dann ging Mühlberg zur Flotte über uud führte wört lich auS: Meine Herren! Da habe ich — und zwar gerade in Ihrem Lande — Stimmen gebärt, daß wir unser Programm verheim lichten und mit unseren Zielen binter dem Berge hielten. Ich verstehe dies nickt. Denn klar und bestimmt liegt unser Flotlen- vrogramm vor den Augen der Welt. Sehen Sie sich, bitte, bas deutsche Flottengejetz vom 14. Juni 1900 an, dessen Be stimmungen von den exekutiven Gewalten nicht überschritten werden dürfen, und Sie gelangen zu einem festen und klaren Bilde über die geplante Stärke der Flotte. Eia Vergleich mit dem Be stände der englischen Kriegsflotte kann aber dem objektiven Urteiler leinen Zweifel darüber lassen, daß unsere maritimen Streitkräfte nur dem Schutze unserer Küsten und unseres Seebandels dienstbar gemacht werden sollen. Weiler wollen wir nichts; dies aber wollen wir mit dem Recht, das jeder großen vorwärtsstrebenden und ehr- liebenden Nation zufleht. Sie werden, meine Herren, mich nun vielleicht fragen, ob denn das Teunche Reich wirklich die'er kostspieligen Vorkehrungen zu seiner Sicherheit bedarf. Werten Sie. bitte, einen fluchtigen Blick auf die Geschichte unseres Volkes. Sie hat uns furchtbare, un vergeßliche Lehren erteilt. Da ist kein Land in ganz Europa, das unter den Tritten fremder Kriegsvölker so gelitten, so geblutet hätte wie das deutsche. AuS aller Herren Länder sind sie gekommen, um auf den deutichen Gefilden ihre Kämpfe auszufechlen. Er erinnerte an den Dreißigjährigen Krieg mit seine» Ver wüstungen und an die Verheerungen, die die Kriege am Anfang des 19. Jahrhunderts über Deutschland gebracht haben. Für ein Volk mit solchen Leiden in der Vergangenheit ist die Rüstung eiue historische Notwendigkeit. Trotz alledem werden Skeptiker mir entgegenhalten: Das sind gefährliche Instrumente, die Ihr da besitzt, und sie könnten Euch eines Tages verleiten, für Eure sich so stark vermehrende Be völkerung nach außen hin Lust zu schaffen. Keine Beiorgnis, meine Herren. Es ist ja richtig, daß wir einen jährlichen Zuwachs unserer Bevölkerung um 8 —900 000 Seelen zu verzeichnen haben. Aber wir brauchen, um uns in unserem Lande wvhlzusüblen, doch noch nicht die Theorie Ihres berühmten Landsmannes MalthuS anzuwenden. Sie sind jetzt in Deutschland — gehen Sie hin und siagen Sie im Osten des Landes unsere xentrr — sie wird Ihnen vorklagen, daß sie die Felder nicht ordentlich bestellen, die Ernten nicht einfahreu, die Wälder nicht Pflegen kann, weil es an Arbeitskräften gebricht. Gehen Sie in unsere Minen und industriellen Etablissements nach dem Westen — Sie begegnen dem gleichen Notschrei — es sind nicht Hände genug da, um die harrende Arbeit zu bewältigen. Fragen Sie endlich in len Städten die Hausfrauen, und derielbe Schrei über Leutenot tönt Ihnen ent gegen. Wer dies immer noch nicht glauben will, den verweise ich auf unsere Auswanderun aszisfer. Wahrend sie vor einem Vierteljahrhundert sich um 200000 herum bewegte, hat sie seit den 90er Jahren die Zahl von 30000 nicht mehr überschritten. Das möge Ihnen beweisen, daß wir einer territorialen Expansion nicht bedürfen, daß die deutsche Erde noch Raum und Arbeit für jeden neuen deutschen Erdenbürger bietet. Aber, meine Herren, ich will uuS nicht schöner machen, als wir sind — politische Asketen sind wir nicht. Das, was wir brauchen, was wir erstreben, das ist der freie, ehrliche Wettbewerb im Welthandel. Man will in unserer Politik oft Beständigkeit, Stetigkeit vermißen. Das ist ein Irrtum. Wer sie genau verfolgt, wird leicht den roten Faden in ihr entdecken. Sei eS tu Asien, sei eS in Afrika, überall verfolgten wir nur ein Ziel: die Politik der offenen Tür. Und gerade in diesem Punkte, in dieser Politik, glaube ich, könnten wir unS begegnen und sollten auf Verständnis bei Ihnen rechnen. Denn wo immer England ein Land in seine Jnteressenlphäre hineinzog — und eS ist kein kleiner Teil des Globus, wo dies geschehen — haben Sie niemals di« Entwickelung des fremden Landes darniedergehalte» und unterdrückt, wie manche andere Nation es zn ihrem eiqenen Schaden getan; sondern Sie haben Ihre Kräfte und Arbeit dafür eingesetzt, die Produktionsquellen des Lande- zu erschließen und es der Kultur und Zivilisation näher zu bringen. Bon dieser Arbeit schloffen Sie auch andere Staate» in den unter britischem Einfluß siedenden Ge biete» nicht aus, sondern ließen sie den gleichen Weg mit Ihnen geben. Einen der größte» Triumphe feierte diese Ihre Politik jetzt in Aegypten. In geradezu erstaunlicher Weise hat der eminente Siaatsmauu Lord Cromer, nach diesem Prinzipe bandelnd, es verstanden, da- alte Land der Pharaonen zn neuem Leben, zu neuer Kraft zu erwecken. Die Politik meines er- lauchten Kaiserliche» Herr» teilt diese Auffassung von den Aufgaben und Zielen, dle eiu Lulturstaat sich stellen muß. Hier, meine Herren, ist, glaube ich, die Brücke ge schlagen, aus die wir gemeinsam treten uud uns in gemeinsamer Arbeit die Hände reichen können, ohne daß dadurch Freundsckosteu und Allianzen, die Ihr Reich mit anderen Nationen verbinden Beeinträchtigung zu ersahreu brauchen. Lasten Sie uns. Sie und Ihre deutschen Kollegen als Träger und Dolmetscher der Gedanken und Gefühle des Volkes, in Gemein, schäft mit uns, der amtlichen Welt, lasten Sie uns daran arbeiten, gegenseitiges Verständnis, gegenseitige Achtung vor den Eigenheiten unserer Nationen zu erwecken, falsche Legenden zu zerstören und ungerechtferligles Mißtrauen zu beseitigen. Erheben wix unsere Gläser und stotzerr wir an auf die Wohlfahrt, Las Gedeihen, die Würde uud deu Ruhm uaserer Länder: Deutschland und Großbritannien. Im Namen von Handel and Industrie der Reichs hauptstadt sprach «eh. Kommerzienrat Franz von Mendelssohn. Er führte auS: „Es ist für mich eine besondere Freude und Ehr«, unsere hoch verehrten Gäste im Namen von Handel und Industrie der Reichs- Hauptstadt begrüßen zn dürfen. Handel nud Industrie haben ein hohes Interesse an dieser Zusammenkunft, welche als ein Wahr zeichen der Friedensliebe zweier großer Nationen von eminenier Bedeutung ist. Wir Kaufleute pflegen zwar erst am Ende des Geschäftsjahres unsere Bilanz zu machen, und so ist eS vielleicht etwas verfrüht, uns schon heute über das Fazit unseres Zusammenseins auSzusprechen. Immerhin möchte ich bereits in diesem Augenblicke Vorschlägen, daß alles, waS bisher an Miß stimmung vorhanden gewesen sein lollle, abgeschrieben wird, und daß als Reingewinn die so wünschenswerte eotentv eoräinls be stehen bleibt. Handel uud Industrie könne» ob»e riaen ge- sicherten, dauerhaften Frieden nicht existieren, einen Frieden, der nicht durch tönende Phrasen, sondern durch die großen wirtschaftlichen Bedürfnisse und die sich daraus er gebenden Beziehungen d«r beiden Völker verbürgt werden soll. Das hat die überwiegende Majorität der Presse hüben und drüben in gerechter Würdigung der wirtschaftlich so interessanten und bc- dentlamen Zeit, die wir durchleben, erkannt, und sür diese Erkennt nis danken mir ihr und hoffen, Laß sie auf der Bahn der aegen- fettigen Verständigung immer weiter fortschreiten wird zum Nutzen und Frommen des englischen und dentfcheu Vaterlandes. In diesem Sinne bitte ich Sie, die Gläser zu erheben und auf das Wohl der Presse beider Nationen zu trinken." DaS Wort ergriff dann im Namen der Presse Schriftsteller Friedrich Deruburg, der Vater de- Staatssekretärs. Er wolle gegenüber so aus gezeichnete» Vertretern der Presse, wie sie hier als MW erschienen seien, nicht von der Bedeutung der Presse reden. Er wolle sich an daS erinnern, was die deutschen Journalisten im vorigen Jahre aus England mitaebracht hätten. DaS war weniger die Einzelkenntnis aus Schulen, Museen usw-, daS war der Eindruck eines großen Landes, in dem Geschichte und Gegenwart in wunderbarem ungetrennien Zusammenhang stehen. In ler Westminsterabtri haben wir Ihren großetl Toten gehuldigt und in dem Prrlamenlspalast wie auf dessen Terrasse emvfanden wir uns im Mittelpunkt eines großen Wellreichs, besten Pulsschlag wir zu verspüren glaubten, mitten unter dem Fortsätze von einer ruhmvollen Vergangenheit. Und wir mußten die Sonne des Glücks Preisen, die über England geschienen hat und ihm gespendet bat, was so vielen Völkern versagt blieb, die Einheit in seinen Geschicken. Er erinnerte dann an die hohe Lebenskunst Englands, die man kennen gelernt habe, an die „schönste Blüte Eng lands, feine und holdselige Frauen", an das merr^ olä Lvgluuck, das viel besungene, altberühmte und sein Leib- und Nationallied vom jollzr gooä dozrund knüpfte daran daS Wort „ahmeu Sie unS nach. Sie werden sich Wohl befinden". In jeder Sprache, verehrte Gäste, finden sich Worte so Ursprung- kicher Art, so mit dem Weseu des Volks verbunden, daß sie hervor- gebracht hat, daß sie in eine andere Sprache unübersetzbar sind. Als ein solches Wort ist mir immer das Wort eommon sense erschienen, als das charakteristischste für die englische Sprache uud das englische Volk. Wir sprechen vom gesunden Menschenverstand; aber das trifft deu Sinn von eommon sense nur von fern. Im eomwo» senke kommt alles zusammen, was der Mensch für ei» gesundes, kräftiges Lebe» sozial, politisch, wirtschaftlich braucht. Das Höchste wie das Alltägliche findet darin Platz. Selbst Ihre Philosophie sicht unter diesem Zeichen. Und in dem eommon sense, glaub« ich, liegt das Geheimnis Englands, seiner Größe, seiner Freiheit, seiner Kultur. Diesem eommon r-eose vertrauen wir auch, wenn wir mit Zuversicht erwarten, daß alle die Ammenmärchen, mit denen man die Völker verhetzen will, wie faule Dünste zerblaseu werden. Bei uns Deutschen gibt es rin Wort, das auch die von Ihnen, welche mit unserer Sprache die oberflächlichste Bekanntschaft haben, kennen. Da wir einmal als Idealinen gellen und es wirklich auch sind, ist es ein idealistisches Wort das Wort Gemütlich. Gemütlich meine Herren, ist etwa- sehr Schönes: etwas Unbe fangenes, Heiteres, Ungezwungenes liegt darin; ich möchte beinahe sagen, etwas angenehm HinbummelndeS. Gemütlich ist es. wenn wir zusammensitzen, uns unserer Freundschaft versichern und darauf anstoßen, gemütlich dann, wen» wir uns gut und treu iu die Augen sehen. Die Völker sind auf deu Austausch nicht bloß ihrer materiellen Werte angewiesen, sondern auch auf den ihrer moralischen Werte. Nach beiden Richtungen, glaube ich, sind Eugländer und Deutsche gegenseitig die besten Kunden. So schlage ich Ihnen das Tausch- gerchäst vor. Profilieren wir von Ihrem eommon «ense als be währter Volksweisheit — wir haben in Deutschland gute Ver wendung — und nehme» Sie unser Gemütlich in Ihre» Gedanken- und Ihren Sprachschatz auf, jedenfalls während Ihres Aufenthalts bei unS. Wir wollen Ihnen das gemütliche Deutschland zeigen; von Ihnen hoffen wir. daß Sie uns meri^ olcl Lllpsisvä mitgebrachi habe». Und so lasten Sie uns trinken auf auf die Verbindung deS gemütlichen Deutschlands mit dem morr^ olä Lnglsnä, auf das mvrrze olcl Ln^lcroä mit seinen wackeren Mänuern und holden Frauen. ES lebe hoch! Deutsches Deich. Leipzig, 30. Mai. * Der Kniser in Döberitz. Der Kaiser traf gestern früh auf dem Truppenübungsplätze ein, auf dem die 2. Garbc- Jnsanterie-Brrgade unter der Führung des Kaisers eine G-fechtSübung gegen einen markierten Feind auSsührte. Beiden Teilen war Kavallerie, Artillerie und eine Maschinengewehr-Abteilung beizegeben. Der Kaiser dielt später eine halbstündige Kritik ad, nach der ein größeres Gefecht begann, ras bis um 12 Uhr dauerte. Nach der Krrtrk und dem Vorbeimarsch der Truppen führte der Laster
- Current page (TXT)
- METS file (XML)
- IIIF manifest (JSON)
- Show double pages
- Thumbnail Preview
First Page
Back 10 Pages
Previous Page