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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.07.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-06
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070706012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907070601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907070601
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
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Bezug--Preis «d «ptLitem» in» Hau» ^bracht: «u». » (nur auirarn») vtertrljthrlich 3 Ui-, »»«allta 1 H.: «usaube I (Margen» und abend«)i>t«r»ljihrljch «.S0 »., manallich 1.S0 M. Durch di« D»« b«»ogr» (2 inal «Mch) tunrrhalb Deullchland« ». d«r de-tsche» Nnlont«» »tertrljthrllch S,2b «., monatlich j,7ü vi. ausschl. Postbestellgild, (Ur O«chtrr»ich » L Ungar» 8 L Nbonnenrent^lnaabme: Auguftulvlatz 8, d«i uasaren Driaer», Filiale». Spediteuren und Annahmestellen^iowt« PostLmtern und Di« «iogeln« Nummer kostet 10 Df» «rdaktio» und «rpeditto»! Johannisgaste 8. relepho» Nr. 14882, Nr. I4M3, Nr. 14SS4. Morgen-Ausgabe 8. WpMtr T agtbl alt Handelszeitung. Nmtsvsatt des Rates und des Rokizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Nr. 185. Sonnabend 6. Juli 1807. Anzeigen.Preis fstr Anlerate an» Leipzig und Umgebung dm S-efpaltan« Netstgmle L W., stnanzielje Anzeigen 30 Pf., «eklaare» 1 «i ; den auIwLrt« 30 Pf., «ekl-men 1.20 Ak , vom AuNand3OA, stnai^. ^zeigen 73 Pf. Inserat« «. Pehiirde» im amtlichen l«U 40 PI «eilagegedstdr S Ak. p. Dausend exkl. Poft- gebühr, «elchüftla»zeigen an bevorzugte! Stelle i« Prmie rrhüht. Rabatt nach Lari« Fetzerteilt« Aufträa» kennen »ich, zurück- aezoge, «erden. Kür da« «scheinen an bestimmten Lage» »nd Plätzen wird chine Garantie tbrrnommen. Anzeigen. Annahme: Luatzstulplatz 8 bei sämtlichen Filiale» »lallen Annoncen Expeditionen de» In- und Auslände» H,»pt-Ktltale Var».: Tarl Dunck«.. Herzogl. Vahr. Hafduch» Handlung, LützowstraH« 10. (Delephon VI, Nr. 4M6). 1V1. Jahrgang. Dar wichtigste vonr Tage. * Der sichsifche Minister des Inner« Graf Ha-e«t-al «nd Serie« hielt «etter« anläßlich des Gemetudetage» i« Bautzen eine Rede über die Reser« des Landtasdwahlgesetzes. (S. Lettartttel, 2. Beilage u Art. 8. Sette.) * Der deutsche Kaiser ist zum Ehrenpräsidenten des dänischen Seeoffizier-Vereins ernannt worden. * Der .Reichsanzeiger' veröffentlicht eine Bekanntmachung betreffend die Außerkurssetzung der Eintalexstücke deutschen Gepräges, wonach die Eiutalerstücke vom t. Oktober 1907 ab nicht mehr als gesetzt licheS Zahlungsmittel gelten, jedoch bis zum 30. September 1908 bei den Reichs» und LandeSkaffeu zum Wertverhältnisse von 3 Mark sowohl «Zahlung als auch zur Umwechselung angenommen werden, und ferner eine Bekanntmachung, wonach die Beschäftigung von Kindern bei der Reinigung von Dampfkesseln verboten ist. * DaS Reichsvereinsgesetz wird dem Reichstag sofort bei seinem Zusammentritt zugeheu. * Die französische Kammer hat de» achtstündigen Arbeits tag für Bergarbeiter mit 427 : 123 Stimmen angenommen. (S. LuSl.) * Bei einer englischen Nachwahl entriß die Arbeiterpartei den Liberalen ein Mandat. (S. AuSl.) * Ito hat in Korea ein Ultimatum gestellt anläßlich des Auf tretens der Gesandtschaft im Haag. (S. AuSl) Di- A-forin -es sächsischen Landtagrrvahlrechtr. Am gestrigen Tage hat anläßlich des Gemeindetages in Bautzen der Minister des Innern Graf von Hohenthal und Bergen eine Rede ge halten, in der er Mitteilungen über die Art der Landtagswahlreform machte, wie sie die Regierung beabsichtigt, wie sie dann also in einer Gesetzesvorlage formuliert dem Landtag zur Beschlußfassung zugehen werden. Mir bringen die Rede des Ministers an anderer Stelle. 2. Beilage.) Das, was de: Minister an Ausführungen gab, genügt zwar, nm sich ein Bild von dem Charakter der geplanten Reform zu machen. Allein es fehlt doch so manches an Einzelheiten, daß dadurch dieses Bild nicht klar mnd deutlich, sondern verschwommen bleibe. Das wird zur unausbleiblichen Folge haben, daß von Anfang an Mißverständnisse über die Neformpläne der Regierung entstehen, die dem Gesetzentwurf nicht zum Vorteil gereichen werden. Denn die volle Veröffentlichung kommt dann erfahrungsgemäß zu spät, um solche Mißverständnisse wieder zu tilgen. Wir können der Regierung darum nicht den Vorwurf ersparen, daß eine solche Art der Publikation, die keine Publikation ist und doch als salche in der Oefsentlichkeit gewertet werden wird, — gelinde ge sagt — ungeschickt ist, und daß den Schaden hiervon die Regierung selbst tragen wird. Aus den Auslassungen des Ministers geht folgendes hervor: Das neue Wahlrecht sieht zwei Systeme vor und wendet bei einSm dieser Systeme die Verhältniswahl sProportionalwahlsystem) in Verbindung mit einem Pluralsystem an, bei dem anderen System erfolgt die Wahl durch Kommunalverbände. Und zwar sollen, wie bisher, 82 Ab geordnete gewählt werden, davon 42 auf Grund eines allgemeinen und direkten Proportionalwahlsystems unter Anwendung des Plural systems — 40 Abgeordnete werden von Kommunalverbänden gewählt. I. Die geheime, direkte Verhältniswahl mit Pluralshstem. Es werden auf Grund dieses Wahlsystems 42 Abgeordnete in 42 Wahlkreisen gewählt. Stimmberechtigt ist augenscheinlich jeder, der es bisher war. Jeder Wahlberechtigte hat eine Stimme, soweit ihm nicht nach den folgenden Bestimmungen zwei Stimmen zukommen. Zwei Stimmen haben alle Wahlberechtigten, die bei der staatlichen Ein» kommensteuer ein Einkommen von mehr als 1600 Mark versteuern, oder welche ihre wissenschaftliche Bildung durch Zeugnisse, die für den einjährig-freiwilligen Militärdienst genügen, nachweisen können, oder welche auf Grund ihres Grundbesitzes das Wahlrecht zum Landeskultur- rat besitzen. Kein Wähler hat aber mehr als zwei Stimmen. Zur Ermittelung des Wahlergebnisses wird nicht das bisher bei dem Proportionalwahlsystem vielfach benützte schwierige und komplizierte Listenshstem angewandt, sondern es wird so eingerichtet sein, daß der Wähler seine Stimme direkt für seinen Kandidaten abgibt, an keine Listen und Parteiverpflichtung gebunden ist, und daß durch das Ver fahren alle Vorteile der Verhältniswahl bleiben, insbesondere auch kleinere Parteien zu einer Vertretung im Lande kommen können. 2. Wahl durch Kommuualverbäude. Werden durch die vorgenannte Wahl 42 Abgeordnete gewählt, so sollen die übrigen 40 Abgeordneten durch Kommunalverbände gewählt werden. Aber sie werden nicht einfach delegiert oder ernannt, sondern sie werden aus den Kommunalverbänden heraus gewählt. Zur Beurteilung der Wahlrechtsreform. Zu einer richtigen Beurteilung dieser Pläne wird es not wendig sein, sich die gegenwärtige, durch daS Wahlgesetz von 1896 ge schaffene Situation zu vergegenwärtigen, sich die parteipolitische und die verfassungsrechtliche Lage Sachsens klar vor Augen zu halten und endlich vom eigenen Parteistandpunkte aus, daS ist bei uns der liberale, daS Urteil zu fällen. DaS Wahlrecht von 1896 hat einen unerträglichen Zustand geschaffen. DaS empfindet daS gesamte sächsische Volk bis auf kleine, aber mächtige konservative Kreise, die an diesem Wahlrecht hängen, weil es ihnen die entscheidende Mehrheit in der Zweiten Kammer gebracht hat. Sie haben kein Bedürfnis nach einer Wahlrechtsänderung, wenn sie cs nicht gar noch mehr zu ihren Gunsten umändern möchten. Dagegen hat die Re gierung mit der überwiegenden Mehrheit des sächsischen Volkes die Unerträglichkeit deS gegenwärtigen Zustandes erkannt. Was sie vor zwei Jahren an Verbesserungsvorschlägen brachte, war unzulänglich. Sie tritt darum jetzt mit einem neuen Plan vor das Land. Er ist nicht aufeinem System aufgebaut. Das ist, vom Standpunkt d«S prinzipiell urteilenden Politikers aus betrachtet, mehr als ein Schön heitsfehler. Aber diese Mischung von Systemen, wie wir sie hier vor unS sehen: direkte und geheime Wahl, Pluralwahlsystem, Proportional Wahl, Wahl durch Kommunalverbände — entspricht unserer gerade auf dem Gebiet der Wahlrechtsfrage gärenden Zeit. Die demokratische Idee des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, deren Verwirklichung in der Wahl zum deutschen Reichstag von unS als unantastbarer Besitz gewertet wird, stößt für ihre Verwirklichung in Sachsen auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Selbst wenn die Regie- rung ihr gewogen wäre, würde sie ihre Realisierung ohne Verfassungs- bruch nicht durchführen können. Denn nicht nur die Erste Kammer würde für eine solche Verfassungsänderung nicht zu haben sein — auch die Zweite Kammer mit ihrer konservativen Mehrheit würde sie nicht genehmigen, und bei dem jetzt gültigen Wahlgesetz, auf dessen Basis doch auch bei einer Landtagsauflösung wieder gewählt werden müßte» wäre gar nicht daran zu denken, daß für die Einführung des Reichstagswahl rechts sich eine Mehrheit finden ließe. Ebenso war für die Regierung ausgeschlossen, daß sie wieder mit einem einheitlichen, wenn auch abgcänderten Klassenwahlrecht käme, daS in all seinen Formen einen plutokratischen Charakter aufweist und auf- weisen muß. Und gerade dieser Charakter ist es ja, der das bestehende Wahlrecht mit vollem Recht so verhaßt gemacht hat. So blieb der Ne gierung nichts anderes übrig, als auf eine Mischung verschiedener Systeme bedacht zu sein. Die Nachprüfung muß nun zeigen, ob diese Mischung erträglich ist, ob sie einen Fortschritt gegen den bisherigen Zustand aufweist und ob z. B. von unserem Standpunkte aus die Opfer, die den Liberalen zugemutet werden, gebracht werden dürfen in dem Be wußtsein, daß wir, wenn auch kein ideales, so doch ein besseres Wahl recht als das bisherige mit der Annahme des neuen Wahlrechts erhalten. Prüfen wir von hier aus die geplante Reform. Treffend deutet der Minister in seiner Rede an, daß jede gute Volks vertretung alles, was im Volke vertretungsbedürftig ist, auch wirklich zur Vertretung bringen muß. Das war bei dem bisherigen Wahlrecht nicht der Fall. Die Wähler der dritten Klasse wurden von denen der zweiten und ersten Klasse von vornherein majorisiert. Tas ist im ganzen Lande jedermann, der sich überhaupt mit den Wahlen beschäftigt hat, be kannt. Diese Ungerechtigkeit mußte gehoben werden. Der Wahlrechts entwurf erstrebt dies durch Einführung der allgemeinen, geheimen und direkten Verhältniswahl. Zunächst wird dadurch, daß keine Klassenwahl im Sinne der bis herigen stattfindet, eine allgemeine und direkte Wahl erzielt, die freilich, wie lyir noch besprechen werden, der vollen Gleichheit entbehrt, aber die dafür durch die Hinzunahme der Verhältniswahl jeder Stimme ein weit größeres Gewicht gibt, als es selbst bei dem Rcichstagswablrccht der Fall ist. Denn auch be dem R:ic-,>stagswcdlrech: liegt es ja so, daß die Minderheiten in einem Wahlkreis ihr Gewicht verlieren. Ein Bei spiel. Es stehen sich bei der Reichstagswahl in einem Wahlkreis gegen über 10 000 sozialdemokratische, 6000 nationalliberale und 3000 kon servative Stimmen. Tas Resultat der Wahl ist dann, daß nicht nur der Sozialdemokrat gewählt ist, auch die 9000 Stimmen, die nicht auf ihn fielen, sind gegenstandslos geworden. Bei Einführung der Verhältnis wahl, wie sie für den sächsischen Landtag jetzt erstrebt wird, sind die Stimmen der Minderheiten dagegen nicht verloren. Sie zählen bei dem Gesamtresultat für ihre Parteien mit. Aus diese Weise ist es mög lich, daß Minderheitspartcien überhaupt eher zu einem Erfolg bei der Wahl kommen, und auch der Wähler, der in seinem Wahlkreis die eigene Partei nur ganz schwach vertreten sieht, trägt für den Gesamtersolg seiner Partei bei, indem er seine Stimme für einen Kandidaten dieser Partei abgibt. Auf diese Weise werden manche Wahlberechtigte, die bisher nur deshalb nicht wählten, weil in ihrem Wahlkreis kein Kandidat ihrer Richtung durchzukommen vermochte, wieder Lust an der Wahl be kommen — denn sie können nun ihre Stimme wirklich mit in die Wagschale werfen. Freilich wird dieses Wahlsystem das Parteiwesen befördern. Denn ein „wilder" Kandidat, der also keiner Partei angehört, hat eben nur bei beträchtlicher Stimmenzahl im eigenen Wahlkreis Aus sicht auf Erfolg. Seine vergeblich für ihn abgegebenen Stimmen werden eben sonst niemand zugercchnet werden können. Wir bedauern diese Verschärfung des Parteiwesens nicht. Es dient zur Klärung der An schauungen. Rein wirtschaftliche Gruppen aber leiden darunter nicht, denn sie können natürlich gerade so gut, wie die politischen Partei- gruppen, auf Grund der Verhältniswahl aus den verschiedensten Wahl kreisen ihre Stimmen gewinnen. Auch Gruppen, wie den evangelischen Arbeitervereinen, christlichen Gewerkschaften usw., kann es auf diese Weise ermöglicht werden, eine Vertretung im Landtag zu finden. Die Verbindung des allgemeinen, direkten, geheimen Wahlrechts mit der Verhältniswahl halten wir darum in dem Plane der Negierung für außerordentlich günstig und begrüßen sie mit Freuden. Weniger ist dies der Fall im Blick darauf, daß die Regierung sich nicht hat entschließen können, das Wahlrecht nun auch gleich zu ge stalten. Die Regierung schlägt darum ein Pluralshstem vor. Das batten wir bisher ja in krassester Form im Dreiklassen. Wahlrecht. Die 22 604 Wahlberechtigten der I. Abteilung, vermehrt um die 103 873 Wahlberechtigten der H. Abteilung, hatten weit mehr Ge wicht, als die 530 168 Wahlberechtigten der III. Klasse. Von diesem plutokratischen Charakter hat der neue Vorschlag der Regierung so gut wie nichts an sich. Es gibt nur noch zwei Klassen, die, rein nach der Einkommensteuer eingeschätzt, 1 oder 2 Stimmen haben sollen. Es sind die, die weniger als 1600 .<l versteuern, und die, die mehr als 1600 .tl versteuern. Die wenigen mit der Berechtigung zum Einjährigendienst Ausgestatteten, die nicht zugleich auch schon mehr als 1600 .E Ein kommen haben, kommen nicht wesentlich in Betracht. Wohl aber läßt sich sagen, daß die Zahl der Arbeiter, die mehr als 1600 .E haben, gar nicht verschwindend gering ist (10—12 000 dürsten cs sein). Vor allem aber ist zu berücksichtigen, daß weite Kreise deS Mittelstandes auf diese Weise einen vermehrten Einfluß erhalten, und daß ihnen gegenüber die Kreise, die weit mehr Einkommen besteuern, nichts mehr voraus haben sollen. Denn niemand, der über 1600 .<l Einkommen ver steuert, und wäre cs ein mehrfacher Millionär, erhält mehr als zwei Stimmen. Recht anfechtbar bleibt aber, daß noch einer dritten Gruppe die zwei Stimmen zugebilligt werden, den Besitzern von Grund und Boden in einem bestimmten Umfang. Sie sind mit denen identisch, die zum Landcskulturrat wählen dürfen. Hier liegt eine Konzession der Negierung an agrarische Kreise vor, indem man Leute mit einem be stimmten Landbesitz, auch wenn dieser nicht 1600 .il einbringt, doch mit dem vermehrten Einfluß ausstatten will. Ist es schon für Liberale schwer, dem Plnralsystem überhaupt zuzustimmen, so vermehrt sich dies durch diese Auszeichnung deS Jmmobilienbesitzes. Und die Kritik wird an dieser Stelle sich nickt leicht abweisen lassen. Etwas ganz Neues ist nun in dem Entwurf der Regierung der Wahlmodus, der für die andere Hälfte der Zweiten Kammer, die nicht durch direkte Wahl zusammengesetzt werden soll, die Wahl durch Aommunalverbände vorschlägt. Die Regierung hofft hierdurch die Wahl von tüchtigen, er- probten, unabhängigen Männern zu sichern — eine Sicherung, die ihr das allgemeine und direkte Wahlrecht auch bei jener Vermischung mit dem Pluralsystem nicht zu bieten scheint. Bekanntlich hatte man zu demselben Zweck eine Wiedereinführung von Stände- und Berufswahlen vorgeschlagen. Namentlich von kon- servativer Seite ist dieser Gedanke wiederholt vertreten worden. Ganz abgesehen von den großen Schwierigkeiten, die eine solche Wahl bei der Aufstellung der Wählerlisten, bei der Abschätzung des Wertes und der Be deutung der einzelnen Berufe und bei her Schaffung der notwendigen Organisationen verursachen würde — ist dieser Gedanke einer Erneue rung der Berufs- und Standesvertretungen so illiberal gedacht, daß er bei allen Liberalen auf den heftigsten Widerstand stoßen müßte. Wenn mit ihm der Wahlrechtsentwurf der Regierung belastet wäre, wie man vielfach befürchtet hat — so würde er von vornherein unannehmbar er scheinen müssen. Sympathischer berührt die Wahl durch Kommunalverbände, d. h. durch Organisationen, die die Selbstverwaltung des Volkes repräsen tieren In ihnen sind schon heute alle Volksklassen vertreten, und sie zu dieser Vertretung umzugestalten, wird dann um so mehr Pflicht und Ausgabe der politischen Parteien werden, wenn aus ihnen politische Wahlen hervorgchen sollen. Es wird bei diesem Wahlmodus erleichtert werden, schon in den Gemeindeverwaltungen erfahrene Männer aller Parteien in den Landtag zu senden, die in der Kommunalpraxis geschult sind. Das ist das Gute an diesem Vorschlag. Tas theoretisch Anfecht- bare liegt darin, daß so das Wahlrecht gespalten wird und daß zwei Arten von Abgeordneten geschaffen werden. Darüber wie über Einzel heiten des Entwurfs wird in den nächsten Wochen noch viel zu sagen sein, und der unausbleibliche Austausch der Kritik von rechts und links wird zur Entfachung einer regen Diskussion beitragen. Hoffentlich er- folgt zu diesem Zweck auch die Veröffentlichung der Vorlage baldigst! Wir begnügen uns heute mit der Darlegung der wesentlichen Punkte des Plans und dieser allgemeinen Würdigung. Sollen wir unser Urteil zusammenfassen, so ist cs dies: Ter Wahlgesetzentwurf der Regierung scheint nach den Darlegungen des Herrn Ministers folgende Vorzüge aufzuweisen: 1) Er hebt den Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Wahl kreisen auf. 2) Er setzt an die Stelle der indirekten Wahl wenigstens zur Hälfte der Abgeordnetensitze die direkte Wahl. 3) Er vermehrt das Gewicht der Stimme jedes Wählers durch die Einführung der Verhältniswahl. 4) Er beschneidet den plutokratischen Charakter des Wahlrecht- be trächtlich. 5) Er macht das Institut der Stichwahlen in jeder Beziehung über» flüssig. Dagegen hat der Wahlrechtsentwurf folgende Mängel: 1) Er zeigt keinen einheitlichen Charakter, sondern läßt neben direkter Wahl auch die indirekte bestehen. 2) Er macht sich nicht völlig frei von Bevorzugungen der Besitzenden. 3) Er bleibt behaftet mit agrarischen Konzessionen. Diese Mängel werden die liberalen Kreise unseres Volkes schwer empfinden. Ter eine oder andere wird sich aber sicherlich heben oder verbessern lassen. Die Vorzüge, die der Entwurf gegen das bisherige Wahlgesetz aufweist, lassen ihn aber als durchaus diskutabel erscheinen. Leider liegen die parteipolitischen und staatsrechtlichen Verhältnisse in Sachsen zurzeit so, daß ein Wahlgesetz, welches liberalen Ansprüchen völlig genügt, sich nicht durchsetzen läßt. Wohl aber kann der ange kündigte Entwurf, obwohl bei ihm Opfer von liberaler Seite notwendig sind, durch liberale Mitarbeit annehmbar werden und dadurch die er sehnte Reform zustande kommen. Darum wird man von liberaler Seite die realpolitischc Aufgabe nicht verkennen dürfen, jetzt mit der Negierung auf Grund dieser Neformgedanken etwas Positives und Brauchbares zu schaffen. Di- Strafproz-tz-R-forni. i. Die Grnndziigc der geplanten Strafprozeßreform nach dem vor- läufigen Entwurf, der vom Reichsjustizamt ausgearbeitet und von den Vertretern der verbündeten Regierungen in der neulichen Berliner Kon- ferenz im wesentlichen gutgeheitzen worden ist, werden in der „Kölnischen Zeitung" veröffentlicht. Danach wird der definitive Gesetzentwurf dem Reichstage voraussichtlich im Winter 1908/09 zugehen. Tie Vorschläge des Neichsjustizamtes haben nach dem genannten Blatt folgenden Inhalt: Zur Organisation der Gerichte erster nnd zweiter Instanz schlägt das Neichsjustizamt folgendes vor: 1) Neben die bestehenden erst- instanzlichen Gerichte tritt für Bagatellsachen als erkennendes Gericht der Amtsrichter. 2) Tas amtsgcrichtliche Schöffengericht bleibt unver ändert. 3) Die Strafkammern weiden aus Richtern und Schöffen ge bildet, wobei kein Schöffe zu mehr als 5 Sitzungen im Jahre herangc- zogen werden darf. 4) Die Besetzung der Strafkammern mützte nach preußischem Vorschläge jo erfolgen, daß die Strafkammern höchstens 6 und mintestenS 5 Mitglieder besäßen, und zwar entweder drei Richter und zwei Schössen oder zwei Richter und drei Schöffen. 5) Di« Zu- sauiluensepung des Schwurgerichts bleibt unverändert. 6) Gegen die Ur- teile der Strafkammern wird die Berufung gewährt. Doch hatte die preußische Regierung in Vorschlag gebracht, daß im Gegensatz zu die>er Ausdehnung der Berufung aus die Strafkammerjachen für ganz kleine Sachen der amtsgerichllichen Instanz, etwa für solche, in welchen dem Urteil ei» amtsgerichtlichcr Strafbefehl vorausgegangen ist, die Be rufung ausgeschlossen würde. Die Bernfungsinstanz für Urteile der Strafkammern soll nach den Vorschlägen deS Reichs- justizamtes nicht bei den Oberlondesgerichten, sondern bei den Landes gerichten gebildet werden, und zwar nach folgenden Grundsätzen: Der Vorsitzende kann aus den Mitgliedern des OberlandcsaerichtS ge- nommen werden. Tie LandeSjnstizverwaltungen können mehrere Land- g.richte zu einem Berusungsgerichtsbezirk Zusammenlegen. ES ist zu- lässig, daß die Beriffungsgerichte in administrativer und vielleicht auch räumlicher Hinsicht an die Oberlandesgerichte angegliedert werden, doch werden die Mitglieder der Berufungsgerichte dadurch keineswegs Mit glieder des Oberlandesgerichts. Die Besetzung der Be rufungsgerichte ist folgendermaßen gedacht: DaS Berufungs gericht für die Urteile des Amtsrichters wird mit drei Rich tern besetzt, das Berufungsgericht für die Urteile der Straf-
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