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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.07.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-07-20
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070720026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907072002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907072002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-07
- Tag1907-07-20
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DezugS-PreiS für Leipzig und Sororte durch uns«« lrüger und Spediteure in« Hau« gebracht: Aus gabe L (nur morgen«) vierteljLhrlich 3 Dl., monatlich I M., Ausgabe » (morgen« und abend«) vierteljthrlich 4.SO M., monatlich 1.50 M. Durch di« Vok bezogea <2 »al täglich) innerhalb Deutschland« u der deutschen Kolonien viertrljihrlich S.25 M. monatlich 1.75 M. autschl. Poftbeftellaeld, für Oesterreich 9 L 66 v, Ungarn 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annabm«: Luguftu-Vkatz 8^ bei unseren Trägern, Filialen, Spediteure» und Annahmestellen, sowie Postämter» u»d Briesträgern. Di- einzelne Nuinmrr kostet 1v Pf^ Pedaktton und «xpedUto»- Johannitgaffe 8. Telephon Nr. I4S92, Nr. I4S93, Nr. 148»«. Abend-Ausgabe v. MpMerTagMalt Hllndelszeitung. Berltoer Nedaktto»- -lvur««t! Berlin 7. Prinz Loui« gerdinand- Strahe 1. Telephon I, Nr. 9275. Amtsblatt -es Rates und -es Volizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Nr. 189 Sonnabend 20. Juli 1907. Uuzeigru-Preit Haupt - Filiale Berlin: ilarl Duncka., Herzog!. Baqr. Hosbuch- handlung, Lützowstrahe 10. (Telephon VI, Nr. 4803). für Inserate au« Leipzig und Umgebung dl, 8a»spalt«»e Petitjeile 25 Pi . ftnanziell« Anzeige» 30 Ps., Reklamen I M.; von a»«wärt« 30 Ps., Reklamen 1.20 Ni.. rom Lutland SOPs., finanz. Anzeigen 75 Ps., Reklamen I SO M. Inserate v. Behärden im amtlichen Teil 40 Ps Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. cheschäst«anze>gen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Hestert eil re Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Srscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustu-platz 8, bei sämtlichen Filiale» u. allen Annoncen expeditionen de« In» und Aurlande«. 191. Jahrgang. Da» Wichtigst« voin Tag«. * Der Kaiser ist gestern abend vor Drontheim eingetroffen. * Der Dampfer .Feldmarschall* mit dem Staatssekretär Dernburg an Bord ist gestern in Portsaid eingetroffen. * In Odessa ist d»S türkische Konsulat von Leuten deS russischen Verbände- überfalle». (S. AuSl.) * Die Anklage wegen Verschwörung gegen das Leben des Zaren ist jetzt vom Petersburger Gerichtshof erhoben. (S. AuSl.) * J-tschak hat den Thron von Korea bestiegen. (S. AuSl.) Deutschlands edelstes Aapital. „Des Staates edelstes Kapital ist der Mensch." Die- gilt in ganz besonderem Maße für Deutschland. Ist doch unser Vaterland im Ver gleich zu den mit ihm wirtschaftlich konkurrierenden Staaten verhältnis mäßig arm an solchen Werten/ die im allgemeinen konkurrenzfähig machen im Wettkampf der Völker. Es hat keine eigene Baumwolle, nur wenig eigene Wolle, um den Mehr als zweihunderttausend Betrieben der Textil industrie mit ihrem Milliooenheer von Arbeitern Beschäftigung zu geben. Es birgt auch nicht so viel eigene Erze in seinem Innern, als für das noch größere Arbeiterheer in den Betrieben der Metall verarbeitung und der Maschinenindustrie erforderlich sind. Rauchende Schlote, surrende Webstühle, klappernde Maschinen, im Dienste der Industrie von früh bis abend- sich abmühende Menschen allerorten: an Rohstoffen aber ein empfindlicher, die Konkurrenzfähigkeit herab drückender Mangel. Und es fehlt weiter — trotz der gegenteiligen Ver sicherung unserer Agrarier — au Fläche, um der in stetem Wachstum begriffenen Bevölkerung die zur Ernährung erforderlichen Körnerfrüchte zu bauen, daS zur vollen Versorgung mit Fleisch nötige Vieh zu züchten. Die Einfuhr von Rohstoffen und Nahrungsmitteln überstieg denn auch die Ausfuhr von jeher um ein beträchtliches, 1905 um reichlich zwei Milliarden in dem einen, um ziemlich zwei Milliarden in dem andern Falle. In diesen von der Natur gegebenen und darum unabänderlichen Verhältnissen liegt das Ziel, das sich Deutschland stecken muß, wenn es den von Natur beAinstigten Industriestaaten der Dcde eben bürtig, gleichwertig sein will: es muß auf möglichste Güt« feiner Erzeugnisse binarbeiten. Nickt mit dem Grundsätze: „Billig und — schlecht", sondern nur mit dem Satze: „Gut, gediegen und darum preiswert" wird es sich auf dem Weltmarkt behaupte». Er zeugnisse aber, die solchen Ansprüchen genügen, könne» nicht von impor tierten Kulis, sonder» nur von Qualitätsarbeitern erwartet werden, von Leuten, die als Glieder einer durchgebildeten Masse ihre Arbeit besser und mit geringerem Aufwand von Arbeitskraft verrichten als un geschulte, nicht oder ungenügend gebildete Leute. An Menschen fehlt es in Deutschland hierzu nicht, die Bevölkerungsziffer steigt jährlich fast um eine Million. Aber daS muß Gegenstand der gemeinsamen Sorge sei», daß alle diese binzu geborenen und bereits vorhandenen Kräfte sittliche und technische Qualitäten werden. Nur von hier aus versteht man, warum Schule und Volksbildung zu den vitalsten Interessen unseres Volkes gehören, warum insbesondere wirtschaftliches Gedeihen und Volksschule, die doch 90 v. H. aller deut schen Knaben und Mädchen mit Unterricht versorgt, nicht ohne einander gedacht werden können. Darum müßten sich die Unterrichtsverwrltungea aller deutschen Staaten, die Schulverwaltungen aller deutschen Gemeinden immer, namentlich aber bei Ausstellung der SchuletatS mit allem Ernste fragen: „Geschieht auch alles, um die Millionen deutscher Schulkinder, die dereinst das Millionenbeer deutscher Arbeiter ergänzen und stärken sollen, mit den erforderlichen sittlichen, geistigen und technischen Quali täten auszurüsten?" Und die Mitglieder aller deutschen Einzellandtage und alle Gemeindevertreter sollten sich bei der Festsetzung der für die Schule nötigen Gelder nur von der Absicht leiten lassen, ihre Schulen so auszustatten, daß jener Frage eine befriedigende Antwort wird. Sie sollten die Bewilligung von Staats- oder Gemeindegeldern für Unterhaltung und Hebung der Schule allgemein als geeignetste Gelegen heit benützen, ihr Verständnis für die Bedürfnisse unseres Volkes in die Tat umzusetzen. Aber geschieht dies wirklich in allen Staaten und an allen Orten? Die Geschichtsschreiber späterer Zeilen werden eö unserer Zeit auf die Schuldseite zu schreiben haben, daß diese Frage nirgends mit einem glatten Ja beantwortet werden kann. Nock immer hört man daS Lied von den großen, unerschwinglichen „Opfern", die Stadt und Gemeinde der Schule, und zwar der Volksschule insbesondere, darbräch ten — und doch entfallen nach der Volksschulstatistik von 1901 aus die Volksschulen 2,89 v. H., auf Heer und Flotte 16,06 v. H. der Gesamt ausgaben der deutschen Staaten. Noch immer gehen der Bewilligung größerer Mittel für die Volksschule heftige Kämpfe voraus, und die vom nationalen Standpunkte aus nötige Ausgestaltung deS Schulwesens muß den beteiligten Körperschaften meist Schritt für Schritt abgerungen werden. Kein Wunder darum, daß die deutsche Volksschule noch an denselbenUebeln krankt, unter denen sie schon vor Jahrzehnten zu leiden hatte; daß zumal das Grundübel der deutschen Volksschule, die Uederfüllung der Schulllassen, noch so ziemlich in der alten Stärke weiterlebt. Ziffernmäßig läßt sich diezeS liebel in seiner ganzen Größe kaum fassen: zahlreiche Zwergschulen und die Schulen unserer Großstädte verbessern den Gesamteindruck. Daß aber trotzdem für einen Lehrenden im Durchschnitt des Deutschen Reiches 61 Schüler ermittelt wurden, sagt genug. Als Menschenquälerei bezeichnete es vor wenigen Jahren der Kaiser, daß dem Lehrer von Eadinen bis 70 Kinder zum Unterrichte zugcmutet werden sollten. Diese Stellung des Kaisers ist begreiflich; in der ihm am nächsten stehenden Einrichtung, im Heere, ist es ja so ganz anders: auf die Ausbildung von 61 Gemeinen kommen etwa 3 Ossiziere und 10 Unteroffiziere. Und das zeigt, wie und wann es mit der deutschen Volksschule besser werden kann. Erst dann, wenn der nationale Wert der Schule ebenso erkannt sein wird, wie heute die Bedeutung eines schlagfertigen Heeres, so daß cs auch in Schulsachen heißt: „Was sein muß,, muß sein; es koste, was es wolle". Dann wird die Volksjchule aus Deutschlands Jugend bessere, d. h. sittlich und technisch vollkommenere Menschen machen und dem Volke helfen können, sich trotz ungenügender materieller Ausrüstung im Kampfe auf dem Weltmärkte zu behaupten. Jeitrrirgrstiinnren. Der Gegensatz, der sich in NordscyleSwig zwrichen der ruderen Behandlung der Dänen durch den Oberpräsidenten von Bülow und den gegen diese Richtung dec Politik in Harersleben demonstrierenden Deutschen offenbart hat, wird m der Presse lebhaft erörtert. Die „Germania" schreibt: In der „nationalen" und „heimdeutschen" Presse poltert und donnert es weiter, um der Regierung zu beweisen, welche schweren Gewitter von Norden her im Anzuge seien. Armer Fürst Bülow! Wie soll er sich aus der Afsäre ziehen? Soll er eS mit seinen bersrrkerdaften Anhängern verderben, indem er an der Politik der Versöhnung und Gerechtigkeit seslhält, oder soll er daS große Deutsche Reich vor der ganzen Welt blotzstellen, indem er ihr durch neue Gewaltmaßregeln gegen ein winziges Häuflein Dänen zeigt, daß daS deutsche Bolt jedes Selbstbewußtseins und jedes Ver trauen- in seine geistige Ueberlegenheit und Kraft har ist? Nach dem, was wir in der Aera Bülow schon erlebt haben, sollte es unS nicht wundern, wenn er sich durch die Schreier zu neuen Torheiten verleiten ließe, um sich Ruhe zu verschaffen. Der Kampf gegen das Dänentum verspricht ja auch immer noch weit eher Erfolg als der Kamps gegen das Polentum. Schon der Konsequenzen halber und um unsere Ueberdeutschen nicht an der nationalen Gesinnung des Reichskanzlers irre zu machen, müßte er geführt werden. Wieviel mehr, da er auch noch Siegeslorbeeren in Aussicht stellt! Nur kein Interesse der auswärtigen Politik vorschützen. Drauf! Drauf! Die „Nat.-3tg." tadelt den falschen Optimismus, in dem man auf Seiten der Regierung glaubt, Früchte einer Politik schnell ernten zu können, und vermutet für die Dänensreundlichkeit fremde Einflüsse: Mit reichlich 75 Kilometern Geschwindigkeit sollen Deutsche und Dänen in der Nordmark miteinander versöhnt werden. Drunter tun wirs nun einmal nicht, wenn unS eine Sache am Herzen liegt. Und haben doch mit dem for cierten Tempo in der Politik im ganzen keine ermutigenden Erfahrungen ge- macht. Von beute auf morgen gedachte man, vor 17 Jahren, die verhetzte Arbeiterschaft zu gewinnen — es folgten Umsturzgesetz und Zuchthaus vorlage. Im Sturm sollten die Herzen der Franzosen erobert werden — der Eroberungszug führte, nach Jahren, fast an die Schwelle des Krieges, lieber Nacht wurden die Polen verhätschelte Liebltngskinder — und find dem preußischen Staate heute so aufsässig wie nur je. All diese wunderlichen Ent wicklungen sollten zur Vorsicht, gerade in der Behandlung von Klaffen- und Stammesgegensätzen, geführt haben. Es scheint aber, daß auch in der Behand lung des dänischen Problems durch Uebereilung wieder mehr verdorben werden soll, als geduldige Arbeit nachher in Jahren und Jahrzehnten gut machen kann Schon manche Versöhnung, sie auf dem besten Wege war, reif zu werden, ist durch das wohlmeinende Nachhelfen übereifriger Freunde wieder m die Brüche gegangen. Der Politik des Fürsten Bülow liegt das ungeduldige Drängen solchen Uebereifers eigentlich fern. Sollten da wieder andere Einflüsse mitgewirkt habe»? Dann war der Oberpräsident von Bülow übel beraten, als er ihnen nachgab. An der Seite des Oberpräsidenten findet mau die „Frankfurter Zeitung": Zum Glück sind die Demonstranten von Hadersleben nicht identisch mit der schleswig-holsteiniichen Bevölkerung, die in ihrer ganz überwiegenden Mehr heit — nicht bloß aus wirtschaftlichen, sondern auch aus ethischen Motiven — die Politik der Verhetzung von jeher mißbilligt hat und demgemäß auch jetzt die versöhnliche Tonart des Oberpräsidenlen nur als gerecht und zweckmäßig begrüßen wird. Deutsches Reich. Leipzig, 20 Juli. * Zum Streit um Pctrrs. Die „Post" veröffentlichst eine Zuschrift Bennigsens, in der dieser erklärt, er habe über den Inhalt des Artikels in der „Kölnischen Zeitung" weder vor, noch nach der Niederschrift desselben mit Geheimrat Hellwig gesprochen. Hellwig stehe dem Artikel, der lediglich seiner (Bennigsens) Initiative entsprungen fei, voll kommen fern. * ArbcitSkammergcsetz. Nachdem der Staatssekretär des Innern Dr. von Bethmann-Hollweg über die Weiterführung der Vorarbeiten zu einem Arbeilskammergesetz Bestimmung getroffen hat, werden jetzt vom Neichsamte deö Innern im Vereine mit den beteiligten preußischen Ministerien die abschließenden Beratungen über den Entwurf gepflogen. Es handelt sich vor allem darum, die Einrichtung der Arbeitskammern so zu gestalten, daß sie einen fachkunvigcn Beirat bilden und einen unmittelbaren praktischen Nutzen für Gesetzgebung und Veiwaltung gewähren. cä. Zur Täiirnpolitik. Aus Flensburg meldet unS ein Privattelegramm: Redakteur A. Grau des dänischen „Flens- borg Aw>s" ist wegen Beleidigung der preußischen Regierung auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhaftet und in Untersuchungshaft genommen worden. * Der Fall Renz. Zu einem Glied in der Reibe der Kette von Fällen, die nachgerade die Index-Bewegung aufweist, gehört auch die vor einiger Zeit in Münster vollzogene Maßregelung des Dogmatikers in der dortigen katholischen Fakultät. Er wurde im Herbst vorigen Jahres von der bischöflichen Kurie in München aufgefordert, fick schriftlich wegen einiger Ideen zu rechifertigen, die er über die Schöpfungs geschichte, die Erbsünde und andere Glaubenssätze in seinen Vorlesungen vorgrtcagen Halle. Als Professor Renz diesem Verlangen entfprach, wurden feine Ansichten als ketzerisch bezeichnet. Zugleich wurde den Studenien der katholischen Theologie in Münster untersagt, diese Vor- Feuilleton. Es genügt nicht, daß man Geist hat. Ohne den Charakter werden die Kunstwerke, was man auch anfange, stets mittel mäßig bleiben. Die Ehrlichkeit ist die erste Bedingung, FlauberL Max Liebermann. Zu seinem KV. Geburtstag. Von Dr. Paul Landau lDerlin). Es ist eine traurige Erscheinung in unserer Zeit, daß die künstle- rischen Talente so selten sich ganz entwickeln, daß eine ruhige, reine Ent wickelung, das langsame Ausreifen einer Begabung uns kaum noch ent gegentritt. Geniale Ansätze, erste kühne Sonnenflüge hier und dort! Aber dann: jähes Herabstürzen, unsicheres Schwanken, frühes Er- lahmen. Schnell welken die Blütenträume dahin, und wo wir «inen ernteschweren Sommer erhofft haben, stellt sich früh der Herbst ein, ein Schwächegefühl, das vergebens in unfruchtbaren Anstrengungen sich aufbäumt. Wer von der Zungen Dichtergencration der 80er Jahre hat die Erwartungen erfüllt, die man an schöne Erstlinge knüpfen durfte? Der Hauptmann von „Vor Sonnenaufgang", der Wedekinds des „Früh lingserwachens", was hätten sie unS schenken können, wenn sie ruhig und sicher auf ihrem Wege fortgeschritten wären? Und nicht viel anders ist es auf dem Gebiete der Malerei. Sind wohl alle die wundervollen Möglichkeiten in Uhde, Trübner, Kalkreuth zur Entwickelung gelangt? Hat Klinger gehalten, was er versprach? Auch bei Menzel, bei Böcklin preist man besonders die Frühwerke, von den Unzähligen ganz zu schweigen, die nach einem einzigen Schlager zusammenbrachen. Unser« Zeit scheint wirklich kein geistiges Klima zu besitzen, in dem daS Genie frei und stolz gedeihen kann. Der Hemmungen und Abweg« sind zu viele! Da ist es allein schon ein prächtiges Gefühl der Freude und Sicher heit, die Entwickelung Max Liebermanns zu betrachten, Mut zu schöpfen aus diesem energischen, beständig aufwärts und vorwärts strebenden Ringen, das seine nun 60jährige Lebensarbeit kennzeichnet. Diese einheitliche, geschlossene Persönlichkeit stärkt und hält aufrecht den vielfach erschütterten Glauben an den „Beruf unserer Zeit" zur Pflege und Entfaltung des Künstlers; sie vermag den Mitstrebenden Zuversicht un'. Entschlossenheit zu verleihen, um auf eigenen Pfaden vorzudringen; sie gibt dem Betrachter einen Maßstab, dem Publikum Einsicht und Ge wißheit, wenn sie sich in dem labyrinthischen Gewirr der Kunst strömungen zurechtfinden wollen. So ist die Bedeutung der Lieber. mannschen Wesensart, seine feste und überragende Stellung im heutigen Kunstleben und in dem folgerichtigen Schaffen, dem zielsicheren Vollenden dieses Künstlers begründet. Ob sie wollen oder nicht, die jungen, zukunftsreichen Talente müssen sich alle mit ihm auseinander setzen und in Nachfolge oder in Gegensatz der einzigartigen Erscheinung ihren Tribut zollen. Liebermann gehört zu den seltenen Persönlichkeiten, deren stetes inneres Formen an sich selbst, deren scharfe Selbstkritik und beständige Arbeit an der eigenen Entwickelung nicht geringere Bewunderung er weckt als das Werk, das sie dem spröden Gehalt ihrer Seele abzuringen, ja abzutrotzen wissen. Ich scheue mich nicht, ihn in diesem „Geschäft" des allmählichen Läuterns und Emporbildens mit Schiller zu ver gleichen, denn die klare Verstandeshelle des Schaffens, der nie er mattende Fleiß, die bewußte Begrenzung und Konzentrierung des Welt bildes lassen ihn verwandt erscheinen mit dem größten Meister der be herrschten Schöpferkraft, der gewaltsamen Umformung des Jchs. Liebermann hat in unserer Zeit die schwere Kunst vollbracht, durch voll kommene und weise Ausnutzung aller Kräfte seinem spröden und ein seitigen Talent Werke abzugewinnen, die fast die Größe und Ruhe des Genies haben. Indem er nichts von seiner ursprünglichen Begabung verschwendete oder verlor, sondern alle Einflüsse und Eindrücke ins Per. sönlich«, ihm Eigentümliche zu wenden vermochte, schuf er eine innere Kristallisation, eine Intensität des Aufnehmens und Produzierens, die ihn sogar über sich selbst hinaushoben. Als ein Meisterstück geistiger Oekonomie und künstlerischer Erziehung darf sein Leben seiner und den kommenden Generationen zum Vorbild und Muster dienen. Früh hatte der junge Meister erreicht, was andere Maler ein langes Leben hindurch befriedigt und ausfüllt: eine tüchtige Technik, einen starken Wirklichkeitssinn, eine äußere Bewältigung der Motive. Die „Gänserupferinnen" des Fün^undzwanzigjährigen sind in der Sicherheit der Zeichnung, der Schärfe der Charakterisierung so Vorzug- lich, wie nur die Arbeit eines Mannes sein kann, der bei dem Belgier Pauwels Komposition studiert, von Munkaszy den dunkeln Galerieton übernommen und auch schon etwas von Courbct gehört hat. Aber Liebermann war das nicht genug. Seine Lehrjahre begannen nun erst. Bei den Meistern von Barbizon hat er gelernt, hat die vollere Massig keit der Landschaft bei Troyon, die zartere Anmut CorotS durchgefühlt. CourbetS Malergenie ergriff ibn mit Macht; unbezwinglich zog es ihn zu der stillen Monumentalität Millets. Die Toten und die Lebenden mußten ihm in Holland Hilfe und Rat leihen. Rembrandts Nadie- rungen,'die ihm eine Welt des Raumgefühls erschlossen, Franz Halsens Impressionen, an denen er mit dem Geist und der Seele malen lernte, die innig Weiche Art Meister Israels umfingen ihn mit ihrem Bann. Und er hatte zum Schwersten den Mut, sich selbst aufzugebcn, um sein höheres Ich zu finden. So hat dieser geistreiche, von funkelnden Ge danken durchsprühtc Kopf mit einer fast Jbsenschcn Strenge gegen seine Neigungen gekämpft, im bescheidenen Sichhingeben an seine Vorbilder, die eigenen Ideen und Absichten niedergehalten. In ihm lebt eine Sucht nach blendendem Apercus, nach einzigen Einfällen, ein Erbteil der Rasse und des Berliner Milieus; in manchen frühen Bildern, in dem „Christus im Tempel" ist er vereinzelt solchen Eingebungen gefolgt. Er hätte ein zweiter Menzel werden können; die Verwandtschaft zwischen beiden blitzt im nervösen Strich der Zeichnung, in tausend Einzelheiten durch. Er aber wurde ein andächtiger, bescheidener Schilderer des Alltäglichen, der Arbeit. Mitleid hat ihn nicht dazu geführt, wie den Dichter der „Weber", sondern der Wunsch nach Vertiefung, die Begier nach dem Neuen, dem die Zukunft gehörte. Er verleugnet so kurze Zeit seine Individualität, um ganz in den fremden Meistern aufzugehen. Doch immer ring: er selbst sich durch, sein eigenstes Wesen. Einmal lockt ihn in dem Bild der „kartoffcllescnden Bauern" die Weite des Raumes, in dem die gebückten Gestalten mit Wald und Feld der reich gegliederten Landschaft sich zu sammenschließen; ein Jahr später stellt er nur noch eine Gestalt ins weite, öde Feld gegen den dunklen Baumstreifen, die ganze ernst schwere Stimmung groß zusammenfassend. Tie Kunst Millets hat in ihm den Monumcntalmaler, den bewußt stilisierenden Künstler ent bunden. Liebermann hat nie den michelangelesken Zug, durch den der Maler des „Angelus" seine Bauern zu Propheten und Herren steigert. Er bleibt einfach und schlicht. Ihm fehlt die pathetische mystische Groß- artigkeit. Aber nicht minder groß ist er in der Schilderung menschlicher Kraft und Gesundheit, wenn er die lebensprühende, kraftdurchwogte Ge stalt seiner „Netzeflickerin" gegen jagende Wolken, in den sausenden Sturm stellt, wie eine Verkörperung der wilden Elemente selbst, wenn er in der „Frau mit den Ziegen" die Menschennatur sich anfreckcn läßt ohne allen Schwang, doch zäh und hart gegen die engen umklammernden Linien der Düne, oder wenn er müde resignierend den allen Mann hin sinken läßt, umfangen von der Heimaterde, der er entsprossen ist und zu der er zurückkchren wird. Es ist nichts von der grandiosen Geste des Franzosen in diesen machtvoll reifen Werken, aber etwas Inniges, Stilles, ein feines.Zusammenstimmen von Natur und Mensch, und nie mand wird von Liebermanns kalter Naturabschildcrung mehr sprechen können, der den StimmunAsgehalt dieser Bilder durchgefühlt hat. Von dieser ersten Höhe ist der Maler unentwegt weiter fortge schritten. Er hat sich mit Manet und Degas auseinandergesetzt, hat im Impressionismus sein persönlichstes Mittel, seine eigenste Technik ge funden. Seine geistvoll nervöse, von schnellen Einfällen belebte Natur, die er in seiner ersten Periode so ganz zurückgedrängt und geläutert hatte, trat nun wieder in einer verfeinerten beseelten Form auf. Das leichte Spiel der Lichter, d»r Helle Tanz der Sonnenflecken, umhüllten seine Gestalten; Luft und Leben schloffen alle Massen und Formen zur frischesten, duftigsten Einheit zusammen. Immer mehr verzichtete er auf koloristische Effekte: immer reicher ward die bezwingende Allgewalt seiner Pinselsührung, die Mannigfaltigkeit und Feinheit seiner säst un materiell erscheinenden Technik. Wieder ward ein Höhepunkt erreicht
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