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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.08.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-08-09
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070809010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907080901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907080901
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-08
- Tag1907-08-09
- Monat1907-08
- Jahr1907
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Morgen-Ausgabe 8. MpIMTaMM Handelszeitung. Nmlsvlatt des Rates «nb des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. - BezugS-Preit ftr Lei»»ta und Vororte durch unser« »rt-er und Lpedttrur« in« Hau« gebracht: Ludgab« L <nur morgen«) virrteljthrlich 3 M , monEch l vt.; Nurgabe v (morgent und abend») viertel jährlich 4.SO M., monatlich 1.SO M. Vnrch di« Post bezogen: <2 mal tLgltch) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5.25 M., monatlich 1.75 M. autsch i. Poft, bestellgeld, sür Oesterreich 9 U SS d, Ungarn 8 L vierteljährlich. Nbonnemenl-Nnnahme: Nugustu-Vlatz 8, bet unseren Drägern, Mlialen. Speditcureu und Nnnahmestellen. sowie Postämtern und Briesträgern. Di« einzelne Stummer kostet 10 Pfg. Reduktion und Expedition: Johaonirgaste 8. Deleohon Nr. 146S2, Nr. 14688, Nr. 14SS4. lverltner Redaktion«. lkureau: Berlin bkIV. 7, Prinz Limit Ferdinand- Htratze 1. Telephon I, Nr. 9275. Nr. 218. Anzeigen-Preit fftr Inserat« out Leipzig und Umgeb»»« dt» Sgespaltene Petttzeil« 25 Ps., Nnanziclle Anzeigen 30 Ps., Neklamen l M.: von autwärtt 30 Ps., Reklamen 1.20 M-: vomAutland 50Ps., ftnanz. Anzeigen75Pf., Reklamen 1.50 M. Inserate ». Behörden im amtlichen Teil 40 Ps. Beilagegebiibr 5 M. p. Tausend exkl. Poft- nebühr. Geichäslta»zeigen an bevorzugter stelle IM Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Fcftcrteille Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen an bellunmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen. Annahme: Luguftu«platz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de« In- und Autlande«. Haupt Filiale Berlin! llarl Duncke, Herzog!. Bahr. Hosbuch Handlung, Lützowstrahe 10. (Telephon VI. Nr. 4603). 101. Jahrgang. Das wichtigste von* Tage. * Der Kaiser ist von Alten-Grabow gestern nach Wilhelms- höhe abgereist. IS. Dischs. R.) * Der Zar weilt gegenwärtig in den finnischen Schären. IS. Ausl.j * Drei französische Dampfer passierten soeben die Meer enge von Gibraltar auf dem Wege nach Casablanca. IS. A'.'sl.) * Der „New Aork Herald" meldet aus Puerto Plata, daß deutsche Offiziere zu Instruktoren des dominika nischen Heeres gewählt worden seien. — Dazu bemerkt das Wolsfsche Telegraphenbureau: „An zuständiger Stelle ist hiervon nichts bekannt." *Olga Molitor ist in Baden-Baden gerichtlich vernommen worden. IS. Leitartikel u. Neues a. a. W. j * Prinz Borghese passierte gestern aus seiner Automobilsahrt Peking-Paris, aus Aachen kommend, um 5 Uhr nachmittags Lüttich, und gedachte noch abends Paris zu erreichen. Die Württemberger* rrnö -er „Vorwärts". Es gibt bürgerliche Politiker, denen die unentwegten Dogmen gläubigen der Sozialdemokratie lieber sind als die Revisionisten. Letztere erscheinen ihnen viel gefährlicher — als Wölfe in Schafspelzen. Diese Anschauung begründen sie ungefähr so: Der Revisionismus verwischt für den theoretisch wenig geschulten Sinn der Mehrzahl der Wähler leicht die Grenze zwischen Sozialdemokratie und Bürgertum. Er ver mindert die Angriffsflächen, läßt sich nicht so einfach bekämpfen und ist im Grunde doch von denselben Zielen beseelt wie die alte Garde. Nur viel gefährlicher ist er. Man darf annehmen, daß bis vor kurzem diese > Anschauung, in den meisten bundesstaatlichen Regierungen zum Bei spiel, maßgebend war. In neuerer Zeit hat sich das vielleicht hier und da gewandelt, wie überhaupt heute, nach den Reichstagswahlen, manches in der Auffassung der sozialdemokratischen Bewegung anders geworden ist. Wer rein egoistisch oder schadenfroh oder kurzsichtig rationalistisch denkt, mag noch einen andern Grund anführen. Es ist ganz zweifellos, und gerade die Wahlbetrachtungen in der sozialdemokratischen Presse haben das bestätigt, daß der Zelotismus der sozialdemokratischen Ortho doxie zu der Wahlniederlage der Genossen erheblich beigetragen hat. Also, könnte man schließen, laßt doch die Sozialdemokraten so radikal sein, wie sie wollen. Um so mehr schaden sie sich selbst, um so ungefährlicher sind sic. Wir können uns diese Auffassung nicht zu eigen machen, denn uns bedeutet eine „Vernichtung" der Sozialdemokratie, auch wenn sie möglich wäre, kein erstrebenswertes Ziel. Wir sehen auch in den Sozial demokraten immer die Volksgenossen, schätzen das „Vernichten" wenig und setzen unsere Hoffnung auf eine Umbildung der sozialdemokratischen Partei oder wenigstens großer Teile in eine nationale Arbeiterpartei: wer die tiefe Bedeutung des alten griechischen Satzes erfaßt hat, daß alles fließt, der braucht die Hoffnung darauf nicht aufzugeben. Auch leben wir durchaus nicht in Revisionistenfurcht. Gewiß sagen diese Leute jetzt noch, daß sie nur eine andere Taktik wollen, im Grunde aber so gute Sozialdemokraten sind wie der Orthodoxesten einer. Aber die Verhältnisse sind stärker als die schönsten Absichten und Programme. Tatsächlich bedeutet der Revisionismus eine Abschwächung der sozial demokratischen Gegnerschaft gegen die Bourgeoisie. Und die Entwick lung wird eine revisionistische Partei ganz von selbst immer näher an die bürgerlichen Radikalen heranführen. Deshalb sehen wir im Re- visionismus nicht die größte Gefahr, sondern eine Hoffnung auf fried- liche Gesundung. Bei dieser Auffassung Ker Dinge ist es leicht verständlich, daß uns die Etatsbewilligung der württembergischen Sozialdemokraten mit Ge nugtuung erfüllt hat. Ein neuer Schritt auf dem Wege der Erkenntnis oder der Versöhnung. Und auch die Manier, in der vom „Vorwärts", also doch wohl in Uebereinstimmung mit der Parteileitung, die An gelegenheit behandelt wird, ist unseres Erachtens nicht ungünstig. Herr Kurt Eisner, der gemaßregelte Ethisch-Aesthetische, hätte es formell auch nicht viel glimpflicher machen können. Nun kann man zwar nicht gut eine ganze Landesorganisation so von oben herab behandeln und des Verrats zeihen, wie einen einzelnen Genossen. Aber wem die Dresdner Parteitagstöne noch im Ohre gellen, der muß sich doch baß verwundern über die Milde und Sachlichkeit Ker Polemik. In zwei Leitartikeln wird vom „Vorwärts" „die Frage der Budgetbewilligung" behandelt. Und es geht nicht nur ohne Schimpfen ab; den Württembergern wirk auch nicht einmal Verrat an der Sache des Proletariats vorgeworfen, son dern es heißt an einer Stelle ausdrücklich: „Es fällt uns nicht ein, wenn wir auch keineswegs die Frage der Rudgetbewilligung als eine bloße taktische Frage auffassen, die württembergischen Genossen deS Prin- zipienverrats zu bezichtigen." Das ist zwar einigermaßen unlogisch, denn entweder handelt es sich um Taktik, oder um Prinzipien, aber es ist auch sehr erfreulich. Und wenn der „Vorwärts" fortfährt: „Wir begreifen wenigstens zum Teil ihre Abstimmung auS den besonderen Verhältnissen Württembergs heraus", so verdient das dieselben beiden Epitheta. Das schärfste Wort der „VorwärtS"-Artikel gegen die Württem berger ist „bedenklich". Die Lehren des Wahlkampfes sind also nicht ver gebens erteilt worden. In der Sache freilich gibt der „Vorwärts" ein Recht auf Budgetbewilligung nicht zu. ES ist interessant, daß bei der Gelegenheit sogar August Bebel eine Nase erhält und sachlich zu weiten Entgegenkommens gegen den Revisionismus beschuldigt wird. Bebel Freitag 9. August 1907. hatte 1901 in Lübeck eine dann angenommene Resolution eingebracht, derzufolge das Gesamtbudget „normalerweise" abzulehnen sei. Und dies „normalerweise" erhielt dann in einem Nachsatz noch eine weitere Ein schränkung: „Eine Zustimmung kann nur ausnahmsweise aus zwingen den, in besonderen Verhältnissen liegenden Gründen gegeben werden." Also das Budget kann bewilligt werden, womit die Württemberger formell wenigstens gedeckt sind. Der „Vorwärts" überbebelt nun „den Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft" und hält die Debelsche Resolution nicht „für eine besonders glückliche Lösung der Streitfrage". Ucbrigens hatte Bebel, wie er in Lübeck ausführte, nur zwei Fälle im Auge, in denen das Budget bewilligt werden könne: bei einer sozialdemokrati schen Parlamentsmehrheit und bei der Möglichkeit der Verhütung eines „schlimmeren" Budgets mit mehr Steuern. Aber auch diese Ausnahmen möchte der „Vorwärts "nicht gelten lassen. Den ersteren Fall hält der „Vorwärts" für keine Ausnahme, da es sich bei ihm ja um ein sozial demokratisches Budget bandeln würde. Und auch die Möglichkeit, Steuern zu verhüten, hält der „Vorwärts" für keinen Entschuldigungs grund: Das Budget ist abzulehnen, pereat rnuncius. Erfreulich präzis formuliert schließlich das Zentralorgan die beiden Auffassungen der Württemberger sRevisionistens und der Orthodoxen (Kladdcradatsch- iheoretiker): „Wachsen wir ganz allmählich mit einer gewissen Not wendigkeit in den Zukunftsstaat hinein, und werden die Klassengegensätze zwischen den Proletariern und den unteren bürgerlichen Schichten durch das gleiche Streben nach höherer Kultur immer mehr ausgeglichen, dann ist es tatsächlich nur -ine Hemmung des friedlichen Werdeganges, wenn man dem Staate die Mittel zu dieser notwendigen organischen Ent wicklung versagt. Ist man dagegen der Ansicht, daß cs an den histori schen Bedingungen für eine derartige Entwicklung fehlt, daß die Klassen gegensätze sich verschärfen anstatt mildern .... dann erscheint die Budgetbewilligung als ein durchaus verfehltes Mittel." Die erste Auf fassung ist eben revisionistisch und die zweite orthodox, womit neben- bei bewiesen sein dürste, daß wir nunmehr eine ganze revisionistische Landesorganisation haben, die württembergische. Ist es nötig, noch ausdrücklich Nutzanwendungen aus der Situation im sozialdemokratischen Lager zu ziehen? Sie sind leicht zu erkennen. In der Sozialdemokratie sind manche hoffnungsvolle Ansätze zu er kennen. Und der Widerstand der Altgläubigen läßt ersichtlich nach. Mag auch der Name Revisionismus zu Tode gehetzt sein. Aus Namen und Titel kommt es nicht an. Die Hauptsache bleibt, daß die Sozial demokratie einen Wandlungsprozsß durchmacht, und schon heute stark revisionistisch durchsetzt ist. DaS ist noch lange kein Grund, die ganze Bewegung leicht zu nehmen oder gar zu triumphieren. Wir wollen überhaupt nicht triumphieren, wir wollen die Genossen auch nicht durch doch vergebliches gutes Zureden versöhnen. Aber wir möchten den Pro zeß auch nicht stören, sondern durch ehrliche soziale Arbeit und durch ruhige, stetige Politik ohne Scharfmacherei und törichtes Reizen fördern. Aus Württemberg ist uns eine neue Hoffnung gekommen. Liberale Gesetzgebung rn Rumänien. (Von unserem Bukarester Korrespondenten, Anfang August.) Die Liberalen, die gegenwärtig am Ruder sind, haben in der Oppo sition — ohne daß übrigens ihre politischen Gegner ihnen dazu einen Anlaß gegeben hätten — in stürmischen Demonstrationen, die sich auch auf die Straße fortpflanzten, eine „nationale" Politik in Haus und Schule, sowie in Handel und Industrie verlangt. Nicht znm geringsten Teil ist auf diese Agitation die Entstehung der Baucrnrevolte im März dieses Jahres zurück zuführen, wobei man ja auch eine Anzahl liberaler Partisanen als Aufwiegler dingfest machte. Es war ein geschickter Schachzug der da- maligen konservativen Negierung, daß sie zurücktrat, um den Liberalen Platz zu machen, die nun, um die vom ganzen Lande stürmisch verlangte Ordnung wiederherzustellen, genötigt war, mit Schnellfcuerkanonen gegen die Aufrührer vorzngehen, die sie doch erst zu ihrer Bewegung ver- anlaßt hatten. In nicht zu ferner Zeit wird sich das unabänderliche Fazit daraus ergeben. Aber um zu zeigen, daß sie mit allem Fremdtun in Rumänien aufräumen will, erläßt die „liberale" Regierung eine Ver ordnung nach der anderen, um Stellen im Staatsdienst sowohl wie in privaten Unternehmungen für Vollblut-Rumänicr frei zu machen. Es .fr noch nicht zu lange her, daß Rumänien noch den Dornröschenschlaf schlief. Das herbeigerufene fremde Kapital weckte es auf und schuf die Vorbedingungen, durch die sich Rumänien seine Unabhängigkeit er- kämpfen und sich zu einem Kultnrstaate emporheben konnte. Die Re formen in den landwirtschaftlichen Betrieben, die Eisenbahnen, die Hafenanlagen, die Einführung der Industrie, die Erschließung der Pe troleumterrains — alles, alles verdankt Rumänien den ausländischen Kapitalien und den Männern, die mit diesen ins Land kamen, um sach kundig und mit Energie die oorgenommenen Pläne durchzuführen. Die rumänische Gesetzgebung wurde diesen Verhältnissen bis vor kurzem ge- recht und suchte den Fremden unter natürlicher Wahrung deS nationalen Standpunktes entgegenzukommen. ES wurde deshalb auch ein Gesetz zur Beförderung der Industrie erlassen. Aber später wurde dieses im Sinne einer immer schärferen Betonung des nationalen Standpunktes reformiert, indem man den Rumänen größere Vorteile zu verschaffen suchte als den Fremden. Jetzt wird nun gar ein Gesetzentwurf ange kündigt, in dem in allen industriellen und Handelsunternehmuungen das technische, Verwaltnngs- und Arbeiterpersonal zu zwei Dritteln aus Rumänen bestehen, und diese auch keinen geringeren Gehalt beziehen sollen als wie die Fremden. Wird — woran bei der großen Majorität, die die „Liberalen" in dem neuen Parlament haben, kaum zu zweifeln ist — dieser Gesetzentwurf sanktioniert, dann werden viele auswärtige Unternehmungen in Rumänien kaum in der Lage sein, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Denn alle Hochachtung vor den Eigenschaften der Rumänen — aber die technischen und sonstigen Fertigkeiten, namentlich auch die Arbeitsdauerhaftigkeit, die die Fremden mitbringen, können sie, auch wenn noch ein Drittel der Personalzahl im Besitze der Fremden verbleibt, trotz allen guten Willens nicht in dem erforderlichen Umfange ersetzen. Ein weiteres kommt noch dazu. Sehr viele der in fremden und einheimischen Etablissements beschäftigten Leute sind in Rumänien geborene Juden, tue aber die rumänische Staatsangehörigkeit nicht be sitzen und deshalb von den Behörden auch nicht «IS Rumänen angesehen werden, obgleich sie n. a. verpflichtet sind. Militärdienst zu leisten. Die „Liberalen" sind auch nicht geneigt, diese Juden in den rumänischen Staatsverbond anszunehmen. Nach dem projektierten Ukas wird nun ein großer Teil von ihnen ihr Brot verlieren. Was soll aus diesen Leuten werden? Wie die Parias werden sic in dem Lande, in dem sie geboren wurden, ohne daß sie es „Vaterland" nennen dürfen, gehetzt. Und ferner: soll der fremde Unternehmer nicht mehr Herr in seinem Haufe sein dürfen? Das fremde Kapital will Rumänien, es ist auch vergnüg: über die Schöpfungen, die der Fremde hervorbringt, aber er soll sich nur mit einem bescheidenen Anteil am Gewinn begnügen, alles übrige beansprucht der Rumäne. Es wäre vielleicht nicht unangebracht, wenn sich die fremden Regierungen etwas mehr um diese rumänischen Eigen- tümlichkeiten kümmerten, als dies bis jetzt geschehen ist. Namentlich bei Ausnahme neuer Anleihen und dem Abschluß von Handelsverträgen könnte da ein kräftig Wörtlein geredet werden! Lpsobuoulum. Als ich zum einunddreihigsten Male in Erörterungen des Hau- Prozesses auf die schöne Bemerkung gestoßen war, das Leben schasse doch bessere Dramen als der größte Dramatiker, tat ich einen gräßlichen, höchst unkollegialen Fluch. Ich überlegte, ob ein Tobsuchtsanfall oder ein Kognak leichter über den Nervenchok hinweghülfe, worauf ich mich entschloß, diesen Artikel zu schreiben. Ich erkläre hiermit diese Hau-Geschichte für die niederträchtigste literarische Schundarbeit. Was zu beweisen wäre, wenn es nicht schon der Bombenerfolg allzu deutlich dokumentierte. Immerhin einige Be merkungen zur Beruhigung des Gemüts. Wir wollen einmal ganz ab sehen von der blöden Requisiten, den Perücken und falschen Bärten. Aber laßt uns den Helden des Dramas betrachten. Er ist ein kolossal kluger, ein geistreicher, ein bedeutender Mensch. Woher ich das weiß? Es stehl doch in jeder Zeitung. Und woher weiß die cs? Ja, der Ver teidiger hat es doch gesagt. Darauf habe ich den ganzen Hau-Prozeß noch einmal von vorn bis hinten durchgelesen und setze nunmehr eine Prämie von ernem Dutzend Prozeßbroschüren aus für den, der aus dem Prozeß auch nur eine einzige geistreiche Bemerkung des Angeklagten nachweist. Ich habe bei der Gelegenheit der guten alten Marlitt einiges abznbitten. Was habe ich über die alte Dame geschimpft, wenn sie auf eder Seite eines Romanes sich dreimal verschwor, der Held der Ge- chichtc sei der geistig bedeutendste Mensch unter der Sonne, ohne daß re den Kerl auch nur den Mund austun ließ. Der Mann hatte so ziem- rch während des ganzen Sommers in imposanter, aber gemessener Hal- tnng xu verharren und fabelhaft geistreich zu schweigen. Aber die Suggestion, nicht der Marlitt, sondern des gedrückten Wortes an flcy erwies sich so stark/daß von hundert Lesern neunundneunzig ihre Hand dafür ins Feuer zu legen bereit waren, der Held sei ein immens geist- reicher Mensch. In der Hau-Affäre ist dieselbe verlegene Stümper technik und — dieselbe grandiose Wirkung. Wer Herrn Hau nicht für einen geistigen Heroen hält, setzte sich der Gefahr einer Internierung in einer mnison cke snnts aus. Und eine alte Preisfrage aus vergilbten Familienjournalen taucht in meinem Gedächtnis aut: Instinkt oder Ueberlegung? Habe ich mein Urteil über die Marlitt zu revidieren? War sie vielleicht gar nicht das harmlose Gemüt, sondern eine ganz raffinierte zynische Person? Das könnte mir imponieren. Wer mir aber immer noch nicht imponiert, dos ist das liebe Publi kum. Und erst diese sogenannten Damen, die den Angeklagten am licd- sten oorarn nudliao umarmt hätten, und die dem Verurteilten brünstige Briese ins Gefängnis schicken! Wir kennen sie schon. Es sind dieselben, die jedem Somalineger nachlaufen. Mögen sie laufen. Aber um unsere deutschen Landsleute, die den wegen Mordes Verurteilten ekstatisch hoch leben lassen, kann es einem leid tun. Denn das ist das Trübe: sie hat nicht etwa das Mitleid mit einem unschuldig Verdächtigten zu ihrem Tun getrieben, sic hat nicht das im edlen Sinne tragische Geschick eines hochstehenden Menjchen in der Seele ergriffen. In ihrem Schreien siegte die Herde über das Individuum, die Erregung über die Vernunft. Es lebe die Sensation! Die mit allen Mitteln (wobei natürlich die plumpsten immer am meisten wirken) gesteigerte Sensation. Und es zeigte sich das andere trübe, daß das Publikum auf die Sensation ein Recht zu haben meint, daß sie ihm Bedürfnis ist, und daß ihm jeder als Feind erscheint, der zur Besinnung mahnt. Die Frage, ob Hau schuldig ist oder nicht, hat mit alledem gar nichts zu tun. Die Un gewißheit, ob dieser erotische Deutschamerikaner seine Schwieger- mutter erschossen hat oder ein anderer, hätte auch die Karlsruher nicht unruhig gemacht. Sondern es war gerade daS im literarischen Sinne schundhafte Machwerk, die auf niedrige Instinkte be rechnete Spekulation dieses Spektakelstüaes, die den Erfolg zeitigte. Nirgends eine psychologische Vertiefung, nirgends auch nur der Aus druck einfachen menschlichen Fühlens. Die einzige rührende Gestalt des Dramas, die keine spekulative Sentimentalität aufweist, hat die Bühne gar nicht erst betreten. Es ist die freiwillig aus dem Leben geschiedene Frau des Verurteilten. Dieser selbst aber, mag er schuldig sein oder nicht, ist persönlich ein überaus unsympathischer Charakter. Ein frühreifer Mensch, der in falsch verstandenem Uebermenschcntum und schnell über gestreiftem Geschäftsamerikanismus für sich persönlich keine Schranken kennt. Er pocht aut seine snirgends erprobtes geistige Ueberlegenheit und basiert daraus das Recht, Menschenleben zu verwüsten. Wenn man fick diesen Herrn Hau als das Ideal der Karlsruher und mancher anderen denkt, könnte man zum Philister oder zum Reaktionär werden. Für einen Demokraten ssa« pdrs->o müssen diese Begleitumstände des Prozesses sehr viel Nachdenkliches enthalten. And man darf sogar sagen, daß auch der Liberalismus gut tut, diese Erscheinungen ernst zu nehmen. Es hat sich in der Erregung der Massen erschrecklich viel Ge schmacklosigkeit und Unreife gezeigt. Und cs ist eine Lebensfrage auch sür den Liberalismus: Sind dicic O-nalitäten der Masse unausrodbar immanent, oder ist Hoffnung aus Besserung? Wer verzagen wollte, könnte seinen Liberalismus an den Nagel Höngen. ?lbcr unendlich schwere Arbeit ist hier noch zu leisten, winzig sind die Erfolge, und Rück- fälle werden wohl nie ganz ausbleiben. Immerhin gibt es einige ent schuldigende Momente. Da ist die Presse. Acngstlich gehen Hunderte deutscher Zeitungen jedem ernsthaften Stoff aus dem Wege. Nur nichts Langweiliges. Und was ernsthaft ist, langweilt. Ein NcchtSanwalt soll seine Schwiegermuter totgeschossen haben! Hurra! D i e Presse ist für die Zeit der sauren Gurre gerettet. Täglich werken Spalten mit dem elendesten, nichtigsten Klatsch über Herrn Hau gefüllt, wie sie bei irgend einer anderen Gelegenheit über Herrn Lehmann gefüllt worden sind. So wird das Publikum in die süße, törichte Erregung hineingetricben. Und wenn es erst drin ist, gar zu gern drin ist, dann wird alles ver- gcwaltigt, was ihm entaegentritt. Nun zwingen die Massen wieder die Presse, auch die widerstrebende Presse, in jeder Nummer Futter zu bringen. Der Kreislauf ist fertig. Tie Raserei steigt bis zu Tumulten. Und was die höchste politische Erregung nicht fertig bringt, daS dringt der Hau-Prozeß fertig Die Polizei ist machtlos. Militär muß kom men, um die Leute zu ernüchtern. Das Schauerdrama ist vorüber Aber schon hebt das Nachspiel an. Neue Zeugen treten auf. Ein freiheitlicher Zeuge mit einer dunklen Privatoffäre wartet, bis der Angeklagte verurteilt ist und wird dann redselig. Sollen wir das Spektakulum mit Beschämung noch einmal erleben? ES wäre für jeden ernsthaften Literaten eine dringende Mahnung, errötend den Spuren des Herrn Bonn zu folgen untz Räuberdramcn zu schreiben. ^ckolck Lolusckt.
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