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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.10.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-23
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071023025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907102302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907102302
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-23
- Monat1907-10
- Jahr1907
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Bezugs-Preis Kr Leipzig und Vororte durch olere Lräger und Spediteure in« Haas gebracht! Aufgabe « (»ar morgen«) oirrtrljthrUch 8 monLtnch L M., Ausgabe tt (morgen« und abends) viertel» jährlich 4.SO M. numallich 150 w. Durch di« Poch bezogen (2 mal iägllchj tnnerhgld Dentjchtand« und der deutschen tkvlonien viertelighrtich 5,L M., monatlich 1,75 M au«(chö PoR- deftellgeld iür Oesterreich v 8 i» a, Ungarn 8 tL vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Auguchn-Ulatz 8» bei unseren Trägern, (Malen. Spediteure» und Annahmeft^len^^ePochämtern and Die einzelne Nummer lochet tv Vtg. Stedakttoa und Expedtttour JohanuiLgaffe 8. Lelevdon Rr. I4S92 »r. 14««» »r. I4S84. Vrrltner Redaktion« Bureau! Berlin kl>v. t Prinz Louis gerixnaud- Skraße 1. Telephon l, Rr. V275. Abend-Ausgabe L KWMrTMbkü Hllndelszeitung. Amtsvlatt -es Rates und -es Nottzeiamtes -er Lla-t Leipzig. Auzeigeu-Preitz Wr Juseent« an« Letpaia und Umgebung di» «grjvaUene Peritzeile D Pt., stuon»elle «u»eig-» 3Ü Ps.. «eNameu I M ; von au«wärt» .10 Pf., Reklamen 1.20 M. vo«A»«land 50Bt.. fiaaur. «»zeigen 75 Pj., Reklamen 1.50 M. Inserate v. Behirden im amtlichen Teil 40 Pt. Beilagegrbühr 5 M. p. Daufcnd exkl. Poft- «bühr. SeichLjksanzelgen an bevor,uqnr «telle im Preise erhöht, viaban nach Taris, sssefterteilte Ansträae können nicht zurück- ae»ogrn werden, (für da« Lrjcheincn an bcstimurten Lagen und Plätzen ivtrd krine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme-. Lugnsta«platz 8i bei sämtlichen Filiale» u. allen Aunonceu- PMebitionea de« In- und Auslandes. Haupt Filiale Berlin r T»rl Dunck: Herzogs- Bapr Hosbuch- handlung, Lützowstraße 10. «elephon VI. Rr. 4603). Nr. M Mittwach 23. Oktober 1907. 1V1. Zabrqanq. Das wichtigst« von» Tag«. * Ein offizielles Bulletin erklärt eine Genesung Kaiser Franz Josefs für so gut wie gesichert. lS. Ausl.) * Die französische Kammerkonrmission beantragt die sofortige Abschaffung der Todesstrafe. (S. Ausl.) * Botschafter v. Iswolski ist in Paris erkrankt. lS. Ausl.) Tagesschau. Erzbergcr und die Keimbriefe des Flottenvereins. Äon unterrichteter Seite schreibt man uns: Herr Erzberger, der als Zeuge in der Untersuchungssache gegen den Briefdird Oskar Janke geladen wurde, hat bei seiner Vernehmung — wie belichtet — seine Aussage verweigert, weil er durch diese sich selbst die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung zuziehen würde. Die Nachricht entspricht der Tatsache. Ich bin in der Lage, Ihnen den „Werdegang" des Herrn Erzberger in dieser Angelegenheit näh«r zu bezeichnen. Der Vater des Briefdiebes, der Eisenbahnsckretär Janke, hatte seinen ganzen Ehrgeiz darin gelegt, seine beiden Söhne „geistlich oder Lehrer" werden zu lassen: Dazu fehlte es ihm aber an den nötigen Geldern und Beziehungen, weshalb er die Bekanntschaft Erzbergers an» strebte, dem man innerhalb der Zentrumswählerschaft uachrühmte, intime Beziehungen mit der katholischen Geistlichkeit zu haben. Jankes Wunsch sollte bald in Erfüllung gehen. Im Piusvercin lernte ihn Herr Erz berger kennen, der auch seinerseits an Herrn Janke ein lebhaftes Inter esse bekundete, als er hörte, daß Janke beim Flottenverein und -war in direkter Nähe des vom Zentrum so stark verhaßten General Keim zwei Söhne in Vertrauensposten fitzen habe. Zu jener Zeit hatte der „Bayrische Kurier", dem Herr Erzberger publizistisch nahesteht, mehrere Angriffsartikel gegen General Keim gebracht, daher war es Herrn Erz. bcrger wie ein Geschenk des Himmels überkommen, durch Janke endlich den Mann gesunden zu haben, durch den er sich ungestört über den Flottenverein informieren konnte. Das Zentrum oder vielmehr seine Presse wird jetzt nicht mehr die Stirn haben wollen, zu leugnen, daß sich das so verhält, denn ein leibhaftiges Mitglied dieser Partei war es doch, das anläßlich der Wistuba-Affäre im Oktober 1906, also zu der Zeit der Beziehungen Erzberger-Janke, in Heller Freude verkünden ließ, „daß nächstens Zentrumsenthüllungen über den Jlottenverein kommen würden". Freilich gab es damals noch nichts zn enthüllen, aber die Tätigkeit, d. h. die des Schriftstellers Erzberger, trat in der Zentrums- preiic wfvrt in Aktton, als er im Januar die,es Jahres hörte, im Flottenvercin sei über ihn eine Broschüre s„Die Lügen des Herrn Erz berger") zu Wahlzwecken verschickt worden, und sie setzte dann mit uner müdlicher Tatkraft ein, als es ihm im Februar dieses Jahres gelang, das gestohlene Gut des Janke in die Zentrumspresie unterzubringen. Ob noch andere Zentrumsabgeordnete an dieser Sache mitgewirkt haben, er- scheint uns nach den Mitteilungen des verstorbenen Dasbach, weil ihm die Quellen des Herrn Erzberger nicht sauber erschienen, ziemlich zweifelhaft. Es muß vielmehr angenommen werden, daß der Reichstags abgeordnete Erzberger den ganzen Preßfeldzug gegen General Keim und den Flottenvercin auf eigene Faust unternommen hat. Beweise hierfür sprechen genug. Einmal waren die Briefe des Generals Keim, die auf das Zentrum Bezug hatten, in ihren Texten so entstellt und gehalten, daß sie unier allen Umständen den General bei anderen bürgerlichen Parteien diskreditieren mußten. Das konnte nur ein „Kenner" der einschlägigen politischen Verhältnisse getan haben, nicht aber ein kaum dem Schulhause entlaufener Schreiber wie der Bri-fdieb. Dann war die Zentrumspresie über den Flottenverein während der Hetze „immer gut informiert". Auch diese Arbeit konnte unmöglich, wenigstens zum größten Teil nicht von den Redakteuren jener Presse berstammen, sondern von einem feder gewandten Journalisten, der in die Sache gut eingefuchst war und die „Quellen" hinter sich hatte. Jetzt ist Erzbergers Tätigkeit auf diesem Ge biete vorbei, denn dadurch, daß seinetwegen ein anderer, nämlich Dasbach, in unverschuldeter Weise iu die Enge getrieben wurde, ist er von diesem „selbst enthüllt' worden, wobei freilich auch die Zentrumspresse ganz un freiwillig mit in die Nesseln gesetzt würbe. Die ganze Geschichte ist aber nicht ohne humoristischen Beigeschmack. Die Zentrumspresie hoffte General Keim, dessen politische Tätigkeit sie durch die veröffentlichten gestohlenen Briefe bloßgestellt zu haben glaubte, einen Strick zu drehen, dabei hat sie sich aber durch ihr ganzes Verhalten selber einen Strick gedreht. Graf Zeppelin und daS Reich. Ferdinand Adolf August Heinrich Graf v. Zeppelin, württembergi- scher General der Kavallerie z. D., hat dieser Tage sein goldenes Dienst jubiläum gefeiert, und das „Militärwochenblatt" hat, wie sich das gehört, einen Festartikel gebracht und allerlei aus dem kühnen Helden- und Reiterleben des Jubilars erzählt. Aber uns will scheinen, als ob es damit nicht sein Bewenden baben könnte. Als ob das deutsche Volk dem trefflichen und genialen Mann noch anderen Dank schuldete. Seit fünfzehn Jahren — seit 1892 — widmet sich Graf Zeppelin den Ver- suchen, die seinen Namen fauch im buchstäblichen) Sinne in alle Lüste getragen haben. Und fast ebcnwlange blickte der aufgeklärte Zeitgenosie auf ibn und sein Möben mit einem Gemisch von Spott und Mitleid: ein Phantast, der Zeit und Geld an eine fixe Idee verschwendet: ein zweiter Ganswindt; nur einer aus wesentlich soliderem Holz. Graf Zeppelin ließ sich nicht irre machen; ward auch von den häufigen Miß erfolgen nicht entmutigt. Unverdrossen, unbeirrbar reihte er Versuch an Versuch, bis dann das schwierige Werk dem Unermüdlichen doch ge lang: bis er in diesen Tagen über Kleingläubige, Besserwisser und Neider triumphieren durfte. Aber die jahrelangen Versuche kosteten Geld, viel Geld. In den fünfzehn Jahren setzte der idealistische, selbst lose Mann sein nicht unbeträchtliches Vermögen an die Erreichung des stolzen Zieles. Heute, wo manche ihn im Hafen wähnen, soll es, wie man uns glaubwürdig berichtet, dem Grafen mitunter schwer fallen, die lausenden Mittel zusammenzubringen, die sein gewaltiges Unternehmen »ort und fort gebraucht. Hier, dunkt uns, ist es Pflicht des Reiches, helfend einzligreifen. Unserem Reich und seiner Wehr wird das Mühen des Grasen 'jApelin in erster Reihe zugute kommen; es ginge nur nach Recht und Billigkeit, wenn die Gemeinschaft, für die er durch fünfzehn lange, bange Jahre gearbeitet, ihm wenigstens die pekuniären Lasten nun von den Schultern nähme. Vermehrung der Fahrbetriebsmittel der sächsischen Staatseiseabahne». Im Staatshaushaltsetat für die Finanzperiode 1908/09 ist auch eine umfangreiche Vermehrung der Lokomotiven und Tender, sowie der Personen- und Güterwagen vorgesehen. Nach den aufgestellten Be- rechnungen sind Ende 1909 für die Vollspurbahnen 137« Lokomotiven und für die Schmalspurbahnen 108 Lokomotiven erforderlich. Da zur zeit nur 1346 Vollspurlokomotiven und 98 Schmalspnrlokvmotiven vor handen sind, müssen von ersterer Qcrt 30 Stück und von letzterer Sorte 10 Stück neu beschafft werden. Der Aufwand beziffert sich auf ins gesamt 2834 000 F, und zwar mit 2 351 500 für 30 vollspurige Loko motiven mit 72 500 für 5 vollspurige Tender und mit 410 000 ük für 10 schmalspurige Tenderlokomotiven. Mit dieser Vermehrung glaubt die Negierung auch für den Fall einer stärkeren Verkehrs zunahme ausreichend Vorsorge getroffen zu haben, da die neu zu be schaffenden Lokomotiven gegenüber den vorhandenen, bez. zn ersetzen- den Lokomotiven erheblich größere Leistungsfähigkeit besitzen werden. Auch soll für eine schnellere Instandsetzung der Lokomotiven in den Werkstätten gesorgt werden. Für die Vermehrung der Personen- und Güterwagen ist ein Betrag von 4 415 000 ^l. ausgeworfen. Es sollen 'wschafft werden: 30 vollspurige vierachsige Durchgangspersonenwagen ./2./3. Klasse für 1530 000 20 vollspurige Personenwagen 4. Kl^e ür 400 000 F, 20 schmalspurige vierachsiye Personenwagen 3. Klasse ür 200 000 .E, 10 schmalspurige vierachsige Gepöck-(Zugführer-)Wagcn ür 50 000 320 vollspurige Güterwagen für 1450 000 ^l, 40 voll- purige vier- bez. sechsachsige Plattformwagen für 400 000 50 schmal- purige vierachsige bedeckte Güterwagen für 10 Tonnen Ladegewicht für 225 000 50 schmalspurige Rollwagen für 160 000 Da sowohl in Personen-, als auch im Güterverkehr eine fortdauernde Verkehrs- steigerung und infolgedessen Wagenmangel zu beobachten ist, sind die Vermehrungen als sehr geringe zu bezeichnen, und man darf deshalb erwarten, daß der Landtag auf eine weitere Vermehrung der Betriebs mittel, insbesondere der Personenwagen 4. Klasse, wo der Wagenmangel besonders fühlbar hervortritt, zukommcn wird. Deutsches Reich. -'cipzvl, 23. Oktober. * Deutschland uud Mazedonien Der Berliner Vertreter der Wiener »Neuen Freien Presse" meldet seinem Blatt als Erklärung von maßgebender deutscher Stelle: „Deutschland treibt in der mazedonischen Frage leine eigene Politik und unterstützt lediglich diejenige, welche die beiden Mächte des Mürzsteger Programms bei der Piorre vertreten." ES scheint nicht überflüssig, bemerkt hierzu die offiziöse „Süddeutsche ReichSkorresp.', dies ausdrücklich zu bestätigen, da an gewissen Stellen der europäischen Presse neuerdings wieder mit Ver dächtigungen unserer Orienipolitik bei Oesterreich-Ungarn und Rußland gearbeitet wird. Ein Anhaltspunkt für lolche Beschwerden ist nickt er findlich. Die Kabinette von Wien, Petersburg, Ivie auch von Rom und London baben erst kürzlich bei den Begegnungen zwischen Monarchen und Staatsmännern während des letzten Sommers bestimmte Ausschlüsse über die Stellung der deutschen Politik zu den Balkanfragen erhallen. Unter Platz bleibt sür die mazedonischen Angelegenheiten nack wie vor hinter den beiden anderen Kaisermächten als den berufenen Vrrsechtern des Mürzsteger Programms, dessen Durchsührung wir fördern, odne zu hemmen oder zu treiben. Daß wir in einer Nebenrolle verharren, ent spricht durchaus den Wünschen der in erster Reihe beteiligten Mächte. Mit dieser Einschränkung aber können wir unsere wiederholt bewiesene Beihilfe um so ruhiger fortsetzen, als die früher vielleicht ins Auge zu fassende Möglichkeit eines AblenkenS der mazedonische« Politik in türkenseindliche Bahnen seit Monaten ganz zurückgetreteu ist, weil zur zeit alle Großmächte ihren Beziehungen zur Pforte eine ziemlich gleich mäßige Pflege widmen. b. Fürst Wilhelm zu Wied -p. In dem Fürsten Wilhelm zu Wied, der gestern in Neuwied im 63. Lebensjahr dahingegangen ist, verliert daS deutsche Vaterland «inen aus nationalem Gebiet verdienten Mann. Er hat als Präsident deS Herrenhauses, als Vorsitzender des Deutschen Flottenvereins, als Mitglied d«S Kolonialrates, als Offizier, den das Eiserne Kreuz I. Klass« schmückte, sich hohe Verdienste erworben. Als Vorsitzender des Deutschen Flottenvereins hat er keine Mühen und Opfer gescheut, um das Interesse für unsere Flotte zu wecken und zu fördern. Am Ist. November 1878 war er iu daS Herrenhaus getreten, am 21. Jaauar 1897 wurde er Präsident desselben, 7 Jahre laug Hal er daS Präsidium mit selt-ner Umsicht nod großem Takt gesüh-i. Fürst Wilhelm ist am 10. Juni 1866 Leutnant geworden, am 3. August 1883 wurde er zum Generalmajor, am 22. März 1887 zum Generalleutnant, am 27. Januar 1893 rum General der Infanterie befördert. Der Fürst war Ehrendoktor der Universität Bonn. Er hatte lebhaftes und warmes Interesse sür die Literatur. Mit vollen Händen gab er für alle Huma nitären Zwecke. Seine Schwester ist bekanntlich die Königin Elisabeth von Rumänien (Carmen Sylva). — Der nunmehrige Fürst Friedlich ist am 27. Jun» 1872 geboren und hat sich am 29. Oktober 1898 mir Pauline, Prinzessin von Württemberg, der einzigen Tochter des Königs, vermählt. Der nunmehrige Fürst Friedrich ist Rittmeister beim Garve- Kürassier-Regiment. * Sozialpolitische InformatiouSreiseu. Der Staatssekretär des Innern v. Bethmaun-Hollweg und der preußische Handelsminister Del brück beabsichtigen, sich über die Grundlage zur Umgestaltung der Arbeiterversicherung und zur Krankenkasseu-Gesetzgebuug persönlich in unseren wichtigsten Industriegebieten zu informieren; sie werden sich zu diesem Zwecke iu einigen Tagen nach Schlesien und demnächst in die Rheiuprovinz begeben. * Der Telephongebührenlaris bildet den Gegenstand von Konferenzen im bayrischen Verkehrsministerium von Vertretern des ReichSpostamieS, Feuilleton. Wenn Männer von hoher Stellung den Mut ihrer Meinung nicht haben, was läßt sich da von Männern in niedriger Stellung erwarten? Samuel Smiles. An Schwester Henny Aren-, Polizeiassistentin, Stuttgart. Verehrte Schwester Henny! Beim Zeitunglesen — wie man so in der Hast eines Berliner Ar beitstages Zeitungen liest — fiel mein Blick aus einen Artikel: „Men schen, die den Pfad verloren . . Solch umständliche Ueber- schristen mag ich eigentlich nicht, und ich gestehe offen: Um an dem Kon trast zwischen dem Zuviel der Ueberschrrst und dem Zuwenig des In- Halles ein kleines Ergötzen zu haben, überflog ich den Artikel. Dann las ich ihn, und nun hab ich mir daS Buch*) kommen lasten. Darf ich hierüber mit Ihnen ein paar Worte sprechen, vor allem über das, vas die stärkste Wirkung aus mich ausgeübt hat ? Ganz schlicht und ganz klar geben Sie Rechenschaft über Ihre bis herige vierjährige Tätigkeit als Polizeiasfiftentin am Stadtpolizeiamt zu Stuttgart. Ach, wenn doch die vielen und reichen Vereine und Stif tungen, die sich der Verlassenen nnd Verkommenen annehmen, die glei chen Erfolge aufzuweisen hätten, wie Sie, die Sie das meiste und schwerste allein taten und der nur sehr bescheidene Mittel zur Ver- sügung standen. Wäre das der Fall, eine große Anzahl jener Vereine und Gesellschaften könnte sich auflösen: das jetzt noch so weite Arbeits feld würde enger und enger werden. Da ich sozusagen auch Statistiker bin, halte ich mich an die Zahlen. In ben vier Jahren Ihrer Wirk- samkeit haben Sie im ganzen 4386 weibliche Eingeliescrte in Behänd- lung gehabt; von diesen konnten 552 Frauen und Mädchen in Rettungs anstalten, 146 in die Heimat uud 124 in Stellung gebracht werden. Sic batten ferner 202 Männer in Fürsorge; von diesen fanden 102 Stellung resp. Aufnahme in Trinkerheilstätten oder in Arbeiterkolonien. Und sie haben sich außerdem noch einer ganzen Schar verwahrloster und mißhandelter Kinder — mit reichem Erfolge — angenommen. Um all dies leisten zu können, brauchten Sie — rund 7700 T<l. Und da sprechen Sie von bedeutenden Kosten und großen Summen, meinen wohl gar, die paar tausend Mark hätten'« geschafft. Nein, Schwester Henny, Geld allein tat's hier wirklich nicht. Ich kenne glänzend organisierte und reichlich ausgestattete Asyle und Stifte, aber wenn man näher zusieht. *) Schwester Henriette Arendt: „Menschen, die den Pfad verloren." lStuttgart, Max Kielmanu.) zeigt sich, wie unvernünftig der ganze Betrieb ist. Da kommen auf I^ien Pflegling zwar sechs Kuratoriumsmitglieder, aber seine Erhal tung kostet darum doch Tausende, und eine englische Missionsgesell schaft — habe ich irgendwo gelesen — wendet an )ede „gerettete Seele" — will sagen, an jeden getauften Juden — ein kleines Vermögen. Dock dieses Beispiel ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt; den Idealen, die hinter einer religiösen Propaganda stehen, fehlt es heute an wer- bcnder Kraft. Ucberzeugender scheint ein Hinweis auf die Heilsarmee, deren noch viel zu wenig gewürdigte Bedeutung für die soziale Hilssa Sie ja selbst am besten zu schätzen wissen. Ist es nicht der schöpferische Wille des von Toren belächelten Charles ÄooH, der diese bei allen Seltsamkeiten gewaltige Organisation aus dem Nichts und mit Mitteln, die im einzelnen so gut sirw wie nichts, geschaffen hat? Wozu ich Ihnen solches schreibe? Gewiß nicht, um als Jndivi- dualitätshubcr das Lob der starken Persönlichkeit zu singen, die im Hochgefühl des eigenen Könnens, ohne und — wenn es sein muß — auch gegen andere durchsetzt, was ihr der Mühe wert erscheint. Das wäre Ihnen gegenüber, Schwester Henny, wahrlich nicht der rechte Standpunkt, denn wer gleich Ihnen nicht müde wird, jenen, die von der menschlichen Gesellschaft ausgesperrt wurden, die Tore wieder und immer wieder zu öffnen, zeigt, wie tief und ehrlich seine Achtung, Menschenachtung ist. Was ich Ihnen sagen wollte, ist vielmehr dieses: Mehr als die meisten Sozialpolitiker von Beruf hatten Sie in Ihrer Tätigkeit Gelegenheit, die schwierigsten und heikelsten Probleme der sozialen Hilfsarbcit kennen zu lernen. Im täglichen Verkehr mit Magdalenen, mit verwahrlosten Kindern, mit verkommenen Männern und Frauen gelangten Sie zu jener Ueberzeugung, die Sie das: „Alles verstehen, heißt alles verzeihen" als Motto wählen ließ und machten Sie sich die gütige Lehre zu eigen, daß man von jenen, über die man meist nur spricht, um sie mit harten Worten zu verurteilen, nicht stet- wie von Schuldigen reden sollte. „Kaum kann man von einer Schuld sprechen", sagen Sie. Trifft aber die Gesellschaft die Verantwortung, nun, so ist cs auch ihre Pflicht, daS, was sie versündigte, wieder gut zu machen und den Schuldiggewordenen die Möglichkeit zu geben, ein neues geordnetes Leben zu beginnen. Und mit klugem Verstehen erkennen Sie, daß es wenig Sinn hat, nur an den Symptomen yerumzudoktern, sondern daß Staat und Gesellschaft auf ihr Programm zu schreiben haben: Vorbeugende Fürsorge für alle Bedrohten und Gefährdeten, wenn sie den sozialen Körper gesund erbalten wollen. Ein solches Programm stellen Sie auf: Sie geben wertvolle Anregungen, welche Stellung der Staat der Prostitution gegenüber einnehmen müßte; Sie verlange», baß er mebr als bisher die Jugend fürsorge in dys Bereich seiner Ausgaben ziehen und die Fürsorge für die uneheliche Mutter und ihr Kind neu hinzunehmen sollte, und Sie machen sich zum Anwalt einer großzügigen, von chzialem Geiste er füllten Strafprozeß- und Strafvollzugsreform. Manche werden vor dieser Füll« von Forderungen vielleicht ängstlich zurückbebcn. Mir aber fordern Sie nicht zu viel, eher — zu wenig. Und wenn ich die eindringlich-herzlichen Schlußworte Ihres Buches lese, so will es mir fast Vorkommen, als ob auch Sie eigentlich noch mehr verlangen. Wie wäre es auch anders denkbar. Wenn man glaubt, daß es die Gesell- schast ist, die den Armen schuldig werden und ihn dann der Pein über läßt, so muß es einigermaßen zweifelhaft erscheinen, ob die gleiche Ge sellschaft ihm später mit hilfreicher Hand wird nahen wollen. Dies würde erst dann geschehen, wenn eine Gesellschaftsordnung des Ver zichts der Individualitäten im Sinne der sozialen Notwendigkeiten uns nicht bloß als ein zerflatterndes Ideal vorschwebte, sondern greifbare, solide Wirklichkeit geworden wäre. Soziale Optimisten hoffen auf eine solche Menschheitsdämmerung. Wie aber diese noch ferne Zukunft heranholen. In unserer Brust sind unseres Schicksals Sterne. Staat und Gesellschaft sind im Grunde doch nur das, was wir aus ihnen machen. Und da meine ich denn, solange unsere soziale Gesinnung nicht mebr ist, als ein recht fadenscheiniges Mäntelchen, das kaum die ärgsten Blößen unserer brutal egoistischen Lebensführung bedeckt, io lange wird auch der Appell an die Gesamtheit wenig ausrichten. Wir verlangen heute ein Eingreifen von Staat und Gesellschaft doch meist nur deshalb, weil die einzelnen nicht selbst handeln wollen, nicht aber, weil sie nicht selbst handeln könnten. Bauen Sie darum nicht allzu stark auf eine Allgemeinheit, in der unter dem Schutze einer bequemen Anonymität die Geschäfte allmächtiger Privatinteressen besorgt werden. Beträchtlich mehr dürfen Sie von ;enen erhoffen, bei denen durch Ihr Buch Vorurteile und Mißverständnisse getilgt wurden. Gewiß, deren werden nicht allzuviele sein, auch wenn Ihr Buch die Verbreitung findet, die ich ibm ausrichtig wünsche, allein in diesen Wenigen dürfen Sie dafür auch die Schwalben grüßen, die des Sommers Nahen künden. Ich bin, Schwester Henny, in besonderer Verehrung Ihnen sehr ergeben Leon Zeitlin. Berlin, den 20. Oktober 1907. * * Vnr-Sdorss über Schiller. Neue Mitteilungen üb« unsere klastischen Dichter werden immer seltener; nm so willkommen« ist da« Wenige, war etwa noch au« alten Briefen oder Aufzeichnungen zutage gesSrdert wird. Eine solche neu« Quelle bilden die Briefe Wilhelm von BurgSvorff«, dir demnächst im Berlage von B. Behr in Berkin «scheinen. Er hat Lieck, Rahel Levin- Bornhagen, sowie Wilhelm von Humboldt nahe gestanden, nnd in den Briefen, dir rr voy seinen Reisen an seine zahlreichen Freund« zu richten pflegte, bat er eine Fülle interessanter Mitteilungen au« jenen Tagen hinterlassen. Im Jahre 1796 kam Burg-dorss »ach Jena, wo damals Wilhelm von Humboldt mit seiner Frau wohnte, und durch Humboldt« nmrde Burg«dorff amb bei Schiller «in- geiührt. Er schilderte dies Erlebnis in einem Briese vom 21. November an Rahel: „Humboldt« sind alle Abend regelmäßig zu Schill,r, von 8 bi« nach 10 Uhr. Den zweiten Abrod ging ich gleich mit, und seitdem immer. E« ist mir unendlich viel wert. Schiller so zu sehe«. Er lebt nur in seinen Ideen, in rin« ewige« Aeipestttigkrit, da« Denke« n»d
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