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01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 30.06.1932
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1932-06-30
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19320630011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1932063001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1932063001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1932
- Monat1932-06
- Tag1932-06-30
- Monat1932-06
- Jahr1932
- Titel
- 01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 30.06.1932
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Vresilnev -laevkiriiten Für Ferientav» Vaul Retter: „Vergrabenes Sui* — Arth Müller-Partenttrchen: Minder- — Rudolf Greluzr „Das fröhliche Dorf -— Liesbel Dltt: „Leuchtende Lage- — Rudolf Herzog: „horrldoh Lützow- Reportage und Sestalttm» Otto Alfred Palitzsch: „Die Marie- - Han» Fallada: „Kleiner Mann — «aS «««?- — Ludwig Wolsk: «Mensch ans der Flucht- — Karl Han» Strobl: «Die Flamänder von Prag- — Lott« vran«: „Madelon Sieben- — Wilhelm Speyer: «Sommer in Italien" Der junge Otto Alfred Palitzsch gilt in einem b«. stimmten literarischen Lager als besondere Hoffnung des zeitgenössischen Schrifttums. Sein Roman «Die Marte" (Propyläen-Verlag, Berlin) zeigt deutlich die VorauS- fetzungen, die zu derartiger „Wertschätzung" führen. Sie liegen einmal im Stofflichen, zum anderen in der Form be gründet. DaS Niveau des Stofflichen läßt sich nicht besser charakterisieren, als durch eine Feststellung, die der Autor trifft, da man über Fragen des sexuellen Taktes diskutiert: „Daß die Ehe als Lebensform nur deshalb noch existiert, «veil sie beliebig oft und mit beliebig vielen Gptelparinern gebrochen werden kann, darüber sind sich alle einig." Auch sonst handelt es sich bet diesem Bericht über das Dienst- müochen Marte, bas schließlich zur Mörderin wird, in der Hauptsache um „erotische Transaktionen", wie Palitzsch das tournaltstisch so handgreiflich auSbrttcken kann. Und damit sind wir schon mitten in der Form. Reportage ist Trumpf. Reportage macht aus einer Gerichtsverhandlung einen Roman. Reportage verwechselt sensationelle Ausmachung mit epischer Gestaltung. «Mit wie billigem Menschen matertal kann man heute große Erfolge machen", steht an einer Stelle dieses Romans. Mit wie billiger Reportage kann man heute große Bucherfolge machen, ließe sich dieser Satz kritisch abwanbeln. Weniger nivellierend im Stofflichen, aber immer noch reichlich photograpHiegetreu, ohne dichterische Retusche, zeigt sich Hans Fallaba, der Autor des erfolgreichen Buches „Bauern, Bonzen und Bomben", in seinem neuen Werk »Kleiner Mann — waSnun?" iBerlag Rowohlt, Berlin). Wiederum strotzt alles von gewollter Sachlichkeit. ES wird in keinerlei Hinsicht irgendein Blatt vor den Mund genommen. Sozusagen mit der Porttütlinse nimmt Fallada alles aus nächster Nühe auf. Der Leser sindet keinen dichte rischen Haltepunkt, er rast mit seinem Dichter-Reporter durch zwei Fahre Arbeitslosigkeit des kleinen Mannes Pinneberg und erlebt zugleich Berlin und die Gegenwart aus der Per spektive der Hinterhöfe und der Laubenkolonien. Nur, baß Fallada trotz allem ein echter Ironiker bleibt, denn sein Humor schmeckt mehr nach Salz als nach Trünen. Immer- hin üngstigt die Tatsache, wie rasch die Technik der Reportage vom Radio und der Sportberichterstattung auf die Dichtung übergegrisfen hat. Auch hier mag einmal Besinnung kommen, die über Nacht zum Umlernen zwingen wird, wenn Talente wie Palitzsch oder Fallada sich behaupten wollen. Spannende Unterhaltung gibt Ludwig Wolfs mit einem Roman „Mensch auf der Flucht" (Drei-Mas- ken-Vcrlag, Berlin). Hier erweitert sich die moderne For derung der Reportage geradezu zum Inhalt der Roman handlung selbst. DaS Zimmermädchen eines Luxushotels, tm Hauptberuf Schriftstellerin, wittert einen guten Noman stoss um die Person des Hotelgastes Kapitän Barker. Dieser Barker sncht seinen Vater, der der Welt des Scheins entfliehen wollte, weil er meint, daß «S keine Freiheit auf Erden gebe, daß aber der Reiche viel unfreier scheine als der Arme. Kapitän Barker, da er endlich den Vater ent deckt, um ihn zum zweiten Male zu verlieren, findet keinen Kontakt zu der schriftstellernden Heldin. Wie soll die Ge schichte enden? BtS im schmerzlichen Augenblick des Ab schieds klar wird, daß Wirklichkeit mit Erdichtetem nicht in Einklang zu bringen ist. Seinen erfolgreichen Roman „Der Schtpkapaß" hat Karl Hans Strobl jetzt neu herauSgegeben unter dem Titel „Die Flamänder von Prag" (Adam - Kraft - Verlag, Karlsbad). Auch heute vermag diele romantische Studenten geschichte, um das Wirtshaus vom Schtpkapaß geschrieben, noch stark zu fesseln. Es scheint sogar, als verdichte sich der UnterhaltungSwert des Buches in unserer Gegenwart zu einer Art Urkunde zur Geschichte des Deutschtums in Prag, der ältesten deutschen Universität. Noch immer sind die Kämpfe um deutsches Gut an diesem historischen Schauplatz nicht zu Ende geführt. Aus einem Mcmoirenvuch persön licher Färbung wird so ein Dokument geschichtlichen Er lebens, bas heiße Bekenntnis eines Dichters zu seinem Deutschtum. In die aufgeregte Zeit der Separatistenkämpfe am Rhein führt Lotte Braun mit ihrem Roman „Made lon Sieben" sVerlag L. Staackmann, Leipzig). In der Grenzstadt Mainz spielt die etwas breit ausgesponnene Fabel der Winzersfrau Sieben, die ungewollt in einen Ehe« konsltkt gerät, der zu einem politischen Skandal auszuarten droht, bis schließlich die allzu roh geknüpften Fäden sich ent wirren. Ein Buch mit starker Eptsodenschtlderung, aber leider auch mit ost tm schlechten Sinne kinohaften Effekten, die das Künstlerische der Gestaltung stark beeinträchtigen. Auch sprachlich bedürfte der Roman entschieden einer straffe ren Konzentration. Zum Schluß das Ruch eine» Dichters, Wilhelm SpeycrS Liebesgeschichte „Sommer in Italien" (Verlag Rowohlt, Berlin). Ein frühlingshafter Ausbruch geht durch diese kleine Komposition, diese zierliche Reise sinfonie, in das alte Land deutscher Sehnsucht. Im Mittel punkt bav Erlebnis von San Gtmignano, dem „New Bork des 1». Jahrhunderts", wie Speyer die vergessene toskanische Stadt nennt. Eine Liebesgeschichte voller Arabesken, mehr pastelltert als geschrieben, und so steht auch mehr zwischen den Zeilen, als ausgesprochen wird. Darum bleibt auch jener dichterische Klang zurück, der durch keine Reportage der Welt mit noch so rassintertester Technik ersetzt werden könnte. Heinrich Zerkaule«. Wie freut man sich, Paul Keller wieder einmal fo zu be gegnen, wie er uns früher vertraut war. Er hat in seinem neuesten Buche «Vergrabene» Gut" (Bergstabt- Verlag, BreSlau) sich selbst wieder mit ausgegraben, denn alles, was ihn zum Dichter bestimmte und was seine große Wir kung auf die Menschen ausmachte, ist hier wtedergefunden: Die Schlichtheit eines noch auf den Kinberstraßen wandern den Herzens, die immer lauter und lauter rufende Sehn sucht nach einer Heimat, die unter dem Strohdach zugleich eine Gottesheimat ist, das Lücheln über den Tob hinaus — das alles findet sich in den Plaudereien, Geschichten und Legenden wieder, die er hier sammelte. Da gibt es vor allem ein Gedenkblatt für seinen Vater. Es ist das ein fachste und schlicht geschriebenste Ehrenblatt für «inen Mann, bas ich jemals gelesen habe. Wie er diesen fahren den Kaufmann, den Musikanten und Träumer noch einmal beim Anblick der toten Hände sieht, das erschüttert einen und bewegt einen so tief, baß man fühlt, hier tritt ein Dich- ter wieder zu uns, dem wir nicht umsonst unsere Liebe gaben. Es sind ja immer Leute, die abseits vom Weg« gehen, die nicht in den groben Palüsten wohnen, auch kein« Revolutionäre der Arbeit, sondern Dorsmenschen auch in der groben Stadt, die uns Paul Keller lebendig werben läßt. Aber sie sind alle, wie auch der Letermann Augustin, Könige des Lebens. Sie werben grob vor uns bei all ihrem unbekannten kleinen Wesen. Dann macht un» Paul Keller wieder lachend, wenn er neckisch von feinen Erlebnissen als BortragSrcisender plaudert — kurzum, man geht mit diesem schönen HeimatSbuchc wie durch einen ganzen Sommer. Genau so wandert man durch einen Sommer hindurch auf der Straße in die Kindheit mit einem ost verkannten Dichter Fritz Mttller-Partenkirchen, weil er nicht immer den großen Bogen des Himmels über sich sieht, son- dern sich niederbeugt und in einem Bltttenstern den ganzen Himmel sehen kann, weil er eben tm Kleinsten das Größte schaut, ist er so oft übersehen worben. Aber man hat ihm bitter unrecht getan. Er ist in feinen Geschichten wirklich einer, der in den kleinen Dingen eine ganze Welt etnfängt. In diesem Buche „Kinder" (L. Staackmann-Berlag, Leipzig) hat er uns eigentlich das geschenkt, was wir so lange vergaßen, daß wir unser tiefstes Leben in aller Ur sprünglichkeit nur in der Kindheit leben, und daß das große Leben der Erwachsenen mehr oder weniger Variationen dieser ersten KindhettSwelt sind. Die Welt der Kinder ist wirklich eine ganze Welt, alles geht an den Kindern vor- über: Gutes und Böses, Schönes und Häßliches. So ist das Kind, wenn es krank daniederltegt, schon im Hose des Himmels, und weiß mit einem anderen Wissen, dab es durch die Krankheit zwischen Himmel und Erde geführt wurde. Wie klein ist die Acngstlichkeit und Sorge der Erwachsenen ost gegenüber der Ruhe des Kindes, das keine Gesahr kennt und im Gerümpel von Eisen ruhig schläft, fo, als ob ein Engel neben dem Kinde süße. Und tbr Groben könnt wohl vom Sturm erzählen, aber thr könnt nicht so den Sturm „machen" wie das Kind, bas der größte Dichter ist, wenn es aus dem Traume ausfährt und von dem Sturm erzählt. Ja — mein Gott — ich möchte alle Geschichten aufzählen und auch die kleinen Sünder mit nennen, die da herrlich ausschneiden, lügen ohne zu lügen, wenn ich nicht damit dem köstlichen Kinderbuche den Blütenstaub von den Schmetter. ltngSfltigeln nehmen würde. Nehmt euch mitten in da» blühende Sommcrlebcn diesen Schmetterling aus eurer Kindheit mit und labt euch von Fritz Mttller-Partenkirchen wieder zu Kindern wandeln. Ihr werdet eS nicht bereuen. Es wird in diesem Jahre ja vielen so ergehen, dab sie nur über die Landkarte reisen können, und wenn sie dann auf dieser Reise bis nach Tirol kommen, dann wissen sie wohl, dab dort die herrlichsten Berge kühn in den Himmel ragen und die Menschen wie AndreaS-Hofer-Gestalten über die Bergwelt schreiten, und sie können sich auch noch ein paar Jodler vorstellen, bte da abends von den Berghütten ausgehen, aber das Lachen, das da manchmal unter den Dächern lebendig ist — das kann die Landkartenreise doch nicht bringen. Dann heitzt es, schon einmal ein fo früh- Kleine Vücheranzetgen X Deutscher Seift i» Gefahr. von Ernst Robert TurttuS. tDeutsch« Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin.s Ernst Robert LurttuS, der Bonner «ele-rtr, der durch seine Werk« über Frank- reich und als Deuter der französischen Kultur tm Sn- und Aus- lande bekannt ist, letzt sich in dieser temperamentvollen Schrift mit den Besabrtn auseinander, die im heutigen Deutschland dem weifte drohen. Sein Buch ist nicht «tstenschastliche Untersuchung, sonder« kulturpolitische Zeitkrtttk, die alle angeht, denen in Deutschland noch an geistigen Wütern und Werten etwa» gelegea tft. X Der Heilizeuhaf von Hermann Stehr. Da» Haupt werk de» in di» Liebe und da» Verständnis de» deutschen Volk«» und tn vollste literarische Anerkennung hinetngewachsenen schlesi schen Dichter» «st vom Horenverlag »n Leipzig in einer volkSau«. gäbe ne« HerauSgegeben worden. Diese Ausgabe in einem Bande «Auslage lvlXXi) tn Leinen, mit karbigem Umschlag von Proseffor W. Buh« und typographisch vorzüglich -«»gestattet, enthält da» Wefamtwerk ohne sede Kürzung und dürste dir zahlreiche Anhänger- schast Stehr» um weiter« Tausende vermehren. dub» SattOtko. von Hann» Sach». «Internationaler Psychoanalytischer Verlag, vienl.) Eit, einzigartig«», wirre» und verwirrende» Leben, do» an Spannungen und Ueberralchungen jede romanhaft« Ersindung hinter sich lllhtl vebentnah «ritt Ealigula» Gestalt vor un»: da» Uebermah feiner Au»fchw«Isunge» und Misse taten, sein« erotische Bindung an die Schwester, selbst da», wa» bi», her al» rssarrnwahn galt, erscheint al» Ergehn«» einer folgerichtig geu seelischen EniwickjWg-, . . licheS Buch heranholen, wie un» Rudolf Greinz jetzt beschert mit feinem „Dasfrühltche Dorf, lustige Tiroler Geschichten" (L. Staackmann-Berlag, Leiv- zig). ES bauert keine zwei Minuten und der Leser vergißt, baß er nicht in Wirklichkeit tn Tirol sitzt. Wer Rudolf Grein» nicht einmal schon kennen gelernt bat, der ist er- staunt, wie dieser Tiroler Menschenschlag allen das Lachen lehrt. Freilich wird hier nicht gelächelt, sondern das Lachen poltert rauh und derb daher und die Späße, bte die Men- schen miteinander treiben, sind ander» wie die Witze der Menschen tn der Stadt. Es ist so, als hörte man das Aus- klatschen der harten Hände auf die Leberhosen als Begleit musik dazu. Aber e» wird auch manchmal r^nen, und e» gibt ja nicht immer nur strahlende Tage. So wird man auch in diesen Gommertagen sich bewegen lasten und misten, daß das wahre Gesicht de» Leben» so wechselvoll ist, wie ein launischer Gommer. LteSbet Dill will uns das in ihrem Roman „Leuchtende Tage" (Paul-Franke- Verlag, Berlin) vor Augen führen. Man könnte ja auch den alten Schlager dazu singen „ES kann ja nicht immer so bletbenl". ES ist ein wenig allzu sommerliche Lebens philosophie, die hier zurecht geschürzt tm Stil eines leichteren UnterhaltungSromaneS „unter dem Strich" uns darge boten wird. Denn oft genug kennen wir die glücklichen Ehen, die eine Reihe von leuchtenden Tagen darstellcn, die dann plötzlich in die Brüche gehen, wenn ein romantischer Märchenprtnz vom fremden Land tn das Leben tritt. Dann kommen die bekannten Wolken, eS blitzt und donnert, und der Regen fällt unbarmherzig über das junge Glück. So ist eS auch hier. ES kommen aber manchmal auch Zeitungen tn die sommerliche Stille und erinnern auch den stillen Menschen daran, baß er in einem wilden Zeitgeschehen steht. Es kann sein, daß er dann nicht mehr aus und ein weiß, und seine ganze Ruhe verliert. Wenn er sich aber in seinen stillen Sommer den neuesten Rubols Herzog „Horridoh Lützow" (Verlag K. F. Köhler, Leipzig) mitnahm, so wird er wieder unbeschwert in das ruhige Gleichmaß seiner Tage kommen können, denn dieses Buch gibt mit seiner ge schichtlichen Schilderung des heißen Levens des jungen Freischärlers Lützow zugleich so viel Ausblicke auf eine be- wegte Gegenwart, daß man doch das Gekühl bat, wie auch der Sturm brausen möge, der deutsche Walo hält! Und so, wie vor hundert Jahren ein Orkan durch die Welt brauste und alles zu vernichten drohte, so sieht es ja auch in unserer Gegenwart trostlos genug aus. Aber damals mar es eine aus der Jugend herauSkommendc glühende Vater landsliebe, die diesem Sturme widerstand und man braucht diesen Gedanken nicht weiter zu spinnen — er ist schon da. Man muß sich wirklich so in diese» stürmische Buch von Rudolf Herzog hineinlesen, um zu sehen, baß die Welt geschichte nicht allein am grünen Tisch gemacht wird und durch Verhandlungen und Ministerkonferenzen entschieden wird, sondern dab eS doch der blutvolle Mensch ist, der die Geschichte zu allen Zeiten schuf. Rudolf Herzog hat fclbst etwas von dem stürmischen Äeitergeist in sich und versteht es, diese Gestalten aus Deutschlands großer Zeit, Gneisenau, Blücher, Schill, ?)ork, Körner und Lützow fo lebendig nah zu bringen, daß sie uns nicht mehr Gestalten der Geschichte sind. Es hat keinen Sinn, das bekannte Leben hier noch einmal darzustellen. Man muß eS mit dieser atemlosen Spannung in Rubols Herzogs Buch miterleben und sehen, daß dieser Lützow eben ein Mensch mit allen guten und schlechten Seiten ist. Man muß baS Liebeserleben und LtebeSerleiden der beiden miteinander auf Tod und Leben verknüpften Menschen LutzowS mit burchleiden, um zuletzt wirklich keinen geschichtlichen Roman, sondern einen blutvoll lebendigen gelesen zu haben, der zugleich diese trostvolle Beruhigung bringt: Auch unserer bedrohten Zeit wird der Retter in einer Zukunft ersteken. Alles kann wohl unter gehen, aber Deutschland wird lebens Han» Christoph Kaergel. Di» Sprache als Bildnerin der Völker Es ist gewiß kein Zufall, dab Georg Schmidt- Rohr in seinem neue» Buche „Die Sprache als Bildnerin der Völker" (Verlag Dtederichs, Jena, Schriften der Deutschen Akademie Nr. 12) bet seinen sprach- philosophischen, sprachpäbagogtschen utch sprachpolitischen Untersuchungen, die den Kern seine» Werke» bilden, von W. v. Humboldt und Fichte ausgeht, Männern einer wissen- gastlichen Grundhaltung, die heute wieder mehr und mehr Anhänger gewinnt. Insbesondere der Satz aus der 4. Rede an die deutsche Nation, wo Fichte darauf btnweist, dab „weit mehr die Menschen von der Sprache gebildet wer- den, denn die Sprache von den Menschen", ist e», besten ungeheure Fruchtbarkeit Schmidt erkannt hat; er ist der Punkt deS ArchimedeS, von dem au» die bisherigen An. fchauungen über das Wesen der Sprache au» den Angeln ge» hoben werden. . . Die Sprache also macht Schmidt auf» neue zum Brenn- punkt nationaler Wcsensersorschung. Ihre Untersuchung und die sich daraus ergebenden neuen Erkenntnisse — vor- uehmltch auf deutschem Kode» gewouueu — leitete» «tust bte nationalstaatliche Entwicklung in Europa ein, aber die wissenschaftliche Bewältigung des sprachlichen Rohstoffe» stellte an die Gelehrten aller Völker so gewaltige Anforde rungen, dab die philologische Kleinarbeit lange Zeit den Vorrang in der Sprachforschung etnnehmen konme. Erst in den letzten Jahrzehnten bahnte sich deutlich ein Wandel an — vielfach in bewußter Kampfstellung gegen da» Nur- Phtlologcntum und darauf wiederum wett über daS Ziel hinausschicßcnd. In der Methodik Schmidts spielt dieser Gegensatz keine wesentliche Rolle, weil er sich unter dem höheren Gesichtswinkel v o l k S t u m h a f t e r Beziehungen auslöst. Hierhin — in dieses Hin und Ser seelischer Kaum- saßbarkeiten, in diesen Wirrwarr eigensüchtiger Deutungen, bewußter Fälschungen und kindlicher Glaubenslehren stellt Schmidt die Sprache: einmal als Geisteserscheinung schlecht hin, deren Erfassung an die tiefsten Wurzeln unsere» Den- ken» Überhaupt rührt, zum anderen al» wesentlichsten Aus- druck und Gestalter de» einzelnen Volkstum», al» einzig möglichen Ausgangspunkt einer wirklichen Völkerpsycho logie. Jede Sprache, weist Schmidt nach, lehrt ihre Sprecher- schast nicht nur eine besondere Art des Denken», sondern auch des Empfindens, Wertens und Handeln». Die still schweigende Voraussetzung einer einheitlichen Begriffs- und Vorstellungswelt, für bte bte verschiedenen Sprachen nur Kennmarkensysteme für ein und denselben Begriff»- und Vorstellungsschatz bedeuten, wird von Grund auf zerstört. Erst jetzt läbt sich beweisen, weshalb eine Verständigung zwischen den Völkern über eine gewisse Grenze hinaus unmöglich ist und nicht vom guten ober schlechten Willen der Beteiligten abhängt: die seelischen Gefahren der Zwei- sprachigkeit werben tn ihrer gänzen Schwere aufgezeigt: Probleme wie da» Nebertragen von Schriftwerken tn fremde Sprachen, oder die Schaffung von Kunstsprachen werben an ihrer Wurzel gepackt: Hochsprache und Mundart, Schrift- Hastigkeit und Wertrang der Sprachen, bte Bedeutung de» Fremdwortes, sttlisttsch-syntaktrsche und sprachgeschichtliche Fragen werden erörtert — wir können leider nur mit eln paar willkürlichen Stichworten den inhaltlichen Reichtum de» Buches anbeuten. Und dabei sind bi« Sprach-Kapitel eben doch nur ein Teil de» Ganzen. Wenn der Versaffer der Sprache «inen so einzigartigen Etnslub auf die Bildung von Äölkerpersönlichkelten beimtßt, so mutz er sich folge- richtig mit allen «rüderen die Volkswerbung mitbestimmen- ben Kräften auSeinandersehen. Gerade er, der den Ein- slüssen des Blutes ai, vielen Stellen seines Buches gerecht zu werden versucht, ist besonder» dazu berufen, die heute stimmungSmäßtg betriebene Ueberschätzung de» Rassischen aus ein wissenschaftlich vertretbares Mab zurückzusühcen. Er kämpft gegen bte Vergottung de» StaatSgebanken» un- für eine VolkStumSpolitik, dt« m der Sprachgrenze bi« Vomievtag. SV. „Grenze des nationalen EthoS" erblickt. Er sucht den religiösen Spannungen tm deutschen Volke gerecht zu wer den und behandelt in den Schlußkapiteln die Selbst zersetzung unseres Volke», aber neben bte unbeirrre Kritik tritt der ergreifende Glaube an neue GcstaltungSmöglich- keiten, deren Ansätze er in der bündtschen Bewegung der letzten Jahrzehnte erblickt. Wenn irgendwo, so hat in Schmidt daS Gedankengut der deutschen Frontgeneration. dies einzige und wahrhaft revolutionäre Gedankengut unteres Jahrhunderts, den voll- kommensten Ausdruck gemnden. Nicht als Programm, nicht al» abschätzige Verurteilung besten, was überwunden wer ben muß, sondern al» geistige Tat in des Wortes ver wegenster Bedeutung. Ein wahrhaft deutsches Ruch hat Schmidt auch insofern geschrieben, als es zwar in erster Linie und mit verzehrender Liebe der eigenen Nation und ihrer Zukunft dienen will, gleichzeitig aber auch allen anderen Völkern bte Brücke zur tieferen Erkenntnis ihrer selbst schlägt. Da» über 400 Seiten starke Werk ist tm Verlage E. Dtederichs, Jena» mit Unterstützung der Deutschen Akademie und der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft heraus- gekommen. Dr. Franz Thierselder.
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