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Dresdner Journal : 16.03.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-03-16
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188403164
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18840316
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18840316
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Journal
- Jahr1884
- Monat1884-03
- Tag1884-03-16
- Monat1884-03
- Jahr1884
- Titel
- Dresdner Journal : 16.03.1884
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* Berlin, 14. März. Se. kaiserl. und königl. Hoheit der Kronprinz und Ihre königl. Hoheiten dm Prinzen Wilhelm und Heinrich sind heute früh aus Kiel unter enthusiastischen Kundgebungen der Bevölke rung nach Berlin abgereist. — In der unter dem Vorsitz de- StaatsministerS v. Bötticher gestern abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesraths wurden den zustän digen Ausschüssen überwiesen: der Antrag Sachsens, betreffend den Entwurf eines Gesetzes wegen Abände rung der Maß- und Gewichtsordnung, vom l 7. August 186«, sowie die Mittheilung über die erfolgte Decharge für die allgemeine Rechnung über den Landeshaushalt von Elsaß-Lothringen für das Etatsjahr 1879/80. Um eine Anleitung zur Aufstellung von Cassenstatuten nach dem Gesetze über die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 zu geben, beschloß die Versamm lung die Veröffentlichung der von den Ausschüssen vor gelegten Entwürfe von Statuten für eine Ortskranken- casse und für eine BetriebS-(Fabrik- Kcankencasse. Ab lehnend beschieden wurden Eingaben, betreffend die Zollbehandlung eiserner Nägel; die Rückerstattung von Holl für gesägte Marmorplatten; Rückerstattung von Zoll für gemahlenen Cacao. Den Gesuchen um Rück erstattung von doppelt gezahltem Zoll für Weizen und um Erlaß von Tabaksteuer wurde aus Billigkeitsrück sichten ausnahmsweise willfahrt. Zur Wiederbesetzung der durch den Tod des königl. württembergischen Ober landesgerichtsvicepräsidenten vr. v. Kübel erledigten Stelle eines Mitgliedes der Commission zur Aus arbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs wählte die Versammlung den Professor der Rechts wissenschaften an der Universität Tübingen, Ur. v. Mandry, zum Mitglied der gedachten Commission. Auch ertheilte dieselbe dem Entwürfe eines Gesetzes, betreffend die Controle des Reichshaushalts und des Landeshaushalts von Elsaß-Lothringen für das Etats jahr 1883 84, die Zustimmung. Dem Beschluß des Reichstags vom >3. Januar 1883, betreffend die Vor legung des Actenmaterials über die Verhaftung des Abg Dietz lHamburg), gab die Versammlung keine Folge. Nachdem für die Berathungen im Reichstage mehrere Commissare gewählt worden waren, faßte die Versammlung schließlich Beschluß über die ge schäftliche Behandlung zahlreicher Eingaben — In der gestern abgehaltenen 4.Plenarsitzung des Reichstags erschien bereits vor Eröffnung derselben um K2 Uhr am Bnndesrathstische der Reichskanzler Fürst v. Bis marck an seinem Platze, und er nahm auch, nachdem die Sitzung vom Präsidenten v. Levetzow eröffnet war, vor dem Eintritt in die Tagesordnung das Wort, uni vor dichtbesetzten Tribünen die Gründe darzulegen, die ihn hätten veranlassen müssen, die sogenannte Lasker Resolution an ihre Adresse nicht zu befördern. Die darauf vom Abg- Hänel zu dieser Frage gemachten Gegenbemerkungen veranlaßten den Reichskanzler zu kurzer Entgegnung. Die Rede des Fürsten war ein rhetorisches Meisterwerk. Vielleicht nie, sagt die „Schles. Ztg.", hat sich dialektische Kunst mit der Sicherheit, dem Tacte und dem Muthe des Gentleman glücklicher vereinigt, als in dem Augenblicke, in wel chem von fortschrittlicher Seite der Ruf „Pfui!" erschallte, nachdem Fürst Bismarck die Worte gesprochen: »Nun aber beuteten die Parteigenossen des verstorbenen Abg. LaSker zu derselben Zeit das Privilegium, welche» ihnen die Stellung am Grabe eines Freundes gab, unter Umständen, wo eine Kritik dem tief in unsern Herzen stehenden „ckc mar- tum nil wm den«" widersprach, in einer wunderbaren Weise aus.' Fürst Bismarck bewegte sich von seinem Platze am Tische des BundesratheS mit raschem Schritte gegen die Reihen der Fortschrittspartei und sagte in lebhaf tem Tone: .Meine Herren! Wer da .Pfui!' sagt, beleidigt mich in einer — ich will es nicht anders charakterisiren — »»höflichen Weise. Er wird vielleicht auch die Freundlichkeit haben, sich zu nennen; sonst rufe ich gegen ihn das Pfui der Verachtung, die mich gegen jeden anonymen Beschimpscr beseelt." Statt einer Antwort allgemeines Schweigen. Wir haben abzuwarten, welche Schritte die Partei des Pfui- rufers thun wird, um die Schmach abzuwaschen, welche ihr der feige Anonvmus angethan hat. In der im weitern Verlaufe der gestrigen Sitzung begonnenen ersten Berathnng des Unfallversicherungsgesetzes kamen nur drei Redner, Abg. v. Vollmar (socialdem.) v. Maltzahn-Gültz (cons.) und Oechelhäuser (nat.-lib ), zum Worte. Die weitere Debatte wurde dann bis auf heute vertagt Heute setzte der Reichstag die erste Berathung des Unfallversicherungsgesetzes fort. Abg. Lohren trat voll und ganz für die Vorlage ein, wäh rend Abg. Bamberger dieselbe bekämpfte. Wichtige Erklärungen, bezüglich welcher wir auf den Sitzungs bericht in der Beilage verweisen, wurden vom StaatS- minister v. Bötticher abgegeben. — In der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauses wurde zunächst die Interpellation des Abg Zelle wegen der neuesten Excesse in Neu st et tin verlesen. Der Minister deS Innern v. Puttkamer erklärte sich bereit, die Inler» pellation sofort zu beantworten. Abg. Zelle erhielt hieraus da« Wort zur Begründung seiner Interpellation Er führte auS: Bereit- vor 2 Jahren hätte daS Haus sich mit den Zuständen in Neustctlin beschäs- tigt, und der Minister erklärte bei jener Gelegenheit, daß seiten der Regierung m Neustettin Borkehrungen getroffen und Maß regeln ergriffen seien, sür die Aufrechterhaltung des Land friedens in Zukunft Lvrge zu tragen und das Eigenthum zu schützen. Dieses sei damals nur in einem Falle zerstört wor den. Die neuesten Vorgänge hätten bewiesen, daß sich diese Zustände von damals nicht erhalten hätten. In der Presse seien allerdings Berichte veröffentlicht worden, die einander widersprechen; aber das könne doch mindestens von der Behörde verlangt werden, daß die vom Gerichte Freigesprochei en un behelligt in ihre Heimath zurückkehren konnten. Redner ver langt eine Untersuchung darüber, wie die Kunde von der Frei sprechung nach Neustettin kam und in welchem Zusammenhänge dieselbe zu den Zusammenrottungen steht Redner verweist darauf, daß in den letzten Tagen sich auch in Dortmund be denkliche Erscheinungen gezeigt haben und daß es an der Zeit sei, den kalten Wasserstrahl anzuwenden, bevor die Flgmme auSbricht. StaatSminister v. Puttkamer bezieht sich bei den folgenden Mittheilungen auf den ihm zugegangenen Bericht des Regierungspräsidenten, welcher an Ort und Stelle Ermittelungen angestellt hat. Daraus constalirl der Minister, daß bis zum Sonnabend Abend in Neustetttn keine Erregung stattgefunden. Die Freigesprochenen, welche an diesem Sonn abend Abend mit dem Omnibus aus Konitz eintrasen, gelangten unbehelligt vor ein Bergnügungslocal, in welchem zufällig ein Maskenball stattsand. In diesem Augenblick flogen aus dem gegenüberliegenden Hause der jüdischen Kaufmanns Flater Steine in die vor dem Gasthofe versammelten Zuschauer, ohne daß jedoch Jemand dadurch ein Haar gekrümmt worden. Tie Ruhe wurde von dem anwesenden Bürgermeister wieder her- gestellt und nur die Scheiben des Omnibus waren durch die Sleinwürse zertrümmert. Der Minister constatirt unter Beisall der rechten Seite des Hauses, daß alle dem entgegenftehenden Berichte der Presse falsch sind. Der Landrath v Bonin zog in der Nacht »och alle Gendarmen des Kreises und auch einige Nachtwächter mit allerdings mangelhafter Bewaffnung (Heiter keit zusammen, um sür alle eventuelle Fälle zum Sonntag vorbereitet zu sein. Alle Wirthjchasten wurden am Sonntag schon um K Uhr geschlossen. Trotzdem entstand am Sonntag Abend Tumult, bei dem einige Fensterscheiben und Fenster läden zertrümmert wurden. In zwei Läden drang die Menge ein, zerstreute den Inhalt der Tageskasse aus den Boden und zerstörten einige Gebinde Branniwein Etwa 8 bis io Personen haben diesen Unfug verübt, theils Gesellen, theils Landstreicher und bestraste Personen. Sie wurden verhaslet und sehen ihrer Bestrafung wegen Landsriedensbruch entgegen. Der Regierungs präsident hat Militär zur Hilse requirirt und dasselbe mit Genehmigung des Ministers des Innern zur Sicherheit noch eine Woche da behalten Tas seien die Thatsachen. Aber die Haltung eines Theiles der Preffe müsse er hier erwähnen und beklagen, ihre Ha'tung sei eine geradezu provocatorische. (Zu stimmung. — Rus: Wahlmanöver!) Sic beschuldigen die Behörden, welche im vollsten Umfange ihre Schuldigkeit gethan und die durch die getroffenen Borsichlemaßregeln sicher viel verhütet haben Der Minister resnmirt sich zum Schluß dahin, daß im Großen und Ganzen bedauerliche Ausschreitungen vor gekommen sind, die aber keineswegs so erheblich sind, wie ein Theil der Presse sie darzustellen sucht (Lebhafter Beifall rechts.) Auf Antrag des Abg. Frhrn. v. Minnigerode be schließt das Haus, in die Besprechung der Interpella tion einzutreten. Es erhält in derselben zunächst das Wort der Abg Stöcker: Der Gegenstand war nicht genügend ge klärt, um ihn zum Gegenstände eines so wichtigen Vorgehens, wie es eine Interpellation ist, z» machen Es scheine vielmehr eine Provocalion sein zu sollen. Die Lasker Afsaire im Reichstage ist verunglückt, und nun will man den Zweck bei der Neustettiner Affaire erreichen. Das erklärt sich, wenn man be denkt, daß jetzt bei den Liberalen die Sammelbüchsen sür Wahl zwecke hcrumgehen. Man will mit den Worten .deutsch" und „freisinnig" Propaganda machen und die Büchsen süllen. (Abg. Or. Hänel: Gemeinheit! Oho! rechts.) Der Vicepräsident ruft unter großem Tumult den Abg. Dr. Hänel zur Ordnung, bittet aber den Abg. Stöcker um Objectivität und Mäßigung. Abg. Stöcker geht auf die .nichtswürdige" liberale Partei presse über, welche die Dinge gröblich entstellt habe, die den .alten Heidemann" sür todt habe niederschlagen lassen, während jetzt constatirt sei, daß man ihm kein Haar gekrümmt habe. Redner führt Beispiele an, daß der jüdische Wucher die Christen bis auss Blut aussauge. Das sei cs, was die Bevölkerung ausreize. Da möchte man beinahe wünschen, daß das alte west Mische Edict wieder auSgesührt werde, nach welchem Juden nur einen Bauernhos erwerben konnten wenn sie ihn mit jüdischem Gelbe erkauften und mit jüdischem Gesinde bewirth- schasteten, ebenso daß Zahlungsanerkenntnisse sür Juden nur dann Giltigkeit haben, wenn sie vor Gericht geleistet sind. Die Liberalen betonen imme die Parteilosigkeit des Richters und dennoch schmähte der .Börsencourier" die Richter, welche daS erste Erkenntniß gegen die Neustettiner Juden gesällt. Wir sprechen nicht über daS sreijprcchende Erkenntniß des Könitzer Gericht-, wir erkenne» die Parteilosig'eit des Richterstandes an; aber die VerwaltnngSbcamten stehen nur ebenso hoch wie die Richter. Redner erörtert eingehend die Haltung der jüdischen Preffe, die oft mit dem Landetseinde coquettire und geradezu autspreche. daß die Christen durch die Juden erst auf diejenige Stufe der Bildung gehoben werden müßen, welche die Juden bereit- einnehmen (Lachen) Redner fordert die Juden zu mehr Mäßigung auf. (Lebhafter Beisall recht«. > StaatSminister v. Puttkamer rectificirt seine Dar legung von vorhin dahin, daß am Sonnabend der Zeuge Mei ner in Neustettin allerdings Stockschläge erhalten habe, aber keine Körperverletzungen Abg Munk el: Hr. Stöcker liebt mitunter die Juden, Hr. Henrici ist zwar nicht sein Apostel, aber sein Gesinnung-- genosse. Die antisemitische Preffe leistet in Verdächtigungen viel mehr «lS die Judenpreffe. .Wenn einmal ein Jude Wucher treibt, so mußten doch deshalb nicht die Freigesprochenen ge hauen werden? Ist da« der neueste Grundsatz christlicher Liebe?" (Unruhe und Unterbrechung recht-.) In Neustettin sind Stock schläge gesallcn und Fensterläden zertrümmert worden, aber in dem Proceß in Konitz haben sich Dinge ereignet, welche darauf schließen lassen, daß der Antisemitismus bei den Behörden Platz gegriffen Der Lindrath in Neustettin, der mit dem Staatsanwalt die Untersuchung führte, bot sich zum Zeugen an. Zeugen wurden beeinflußt, ja sogar die Geschworenen (Oho! rechts. Hr. v. Rauchhaupt: Vorsicht!) Dem Rechts- rnwalt Scheunemann wurde vom Landrath gesagt, er könne ehrenhalber doch die Bertheidigung der Juden nicht führen. Redner kritisirt die Unglaubwürdigkeit der vernommenen Be lastungszeugen, welche die Freisprechung ersorderte und behauptet dann, daß die Polireiverwaltung keine Vorkehrungen getroffen, trotzdem ihr die Auslegung bekannt war! ES sei die Bestrafung der Schuldigen in Aussicht gestellt, und da» stelle seine Partei zufrieden. StaatSminister v Puttkamer: Der Vorredner habe der Regierung schwere Vorwürfe gemacht, und zwar in sehr einseitiger Weise, wegen der Handiungen deS dortigen Land ratHS v. Bonin. Den Letztern müsse er vor dem Hause in Schutz nehmen gegen den Vorwurf, daß er sich zum Lomplicen einer Verschwörergeselljchast gemacht habe Aus Wunsch der Bertheidiger hat der Minister selbst einen Lriminalbeamten an Ort und Stelle gesendet, der dort gute Dienste geleistet habe. Abg. vr. Hänel erkennt in der Einmischung des Land ratHS in den Proceß eine gewiße Parteilichkeit, die noch einer weitern Untersuchung unterworsen werden wird Wenn Hr. Stöcker uns Geldintereffen als Motive sür unser Handeln unterschiebt, so haben wir dafür nur noch das Gefühl deS Ekels und der Berachtung. (Bewegung rechts: Ruse: Zur Ordnung!) Bicepräsident v Heeremaii erklärt, daß der Abg. Stöcker nur eine conditionelle Behauptung ausstellte. Redner bemerkt, daß es auch conditionelle Formen giebt, die ein Mann von Ehre vermeidet, betont dann, daß der Tumult sich an ein srei- sprcchendes Urtheil der Juden angekuüpst habe. Die Inter pellation habe durch die Beantwortung des Ministers ihren Zweck erreicht, Hrn Stöcker sei es gelungen, sie in das anti semitische Fahrwasser zu leiten, die Liberalen tragen daran keine Schuld Abg Frhr v. Minnigerode fragt nach dem Grunde, den die Fortschritt t Partei hatte, die Sache hier zur Sprache zu bringen. Man hätte doch erst die Entwickelung der Dinge abwarlen sollen. Die Ausführungen Stöcker'- seien von der Linken erheblich mißverstanden worden. Schon bei dem ersten Erkenntniß, bei dem die Angeklagten verurtheiit worden, seien Unruhen entstanden, da könne man doch die Freisprechung jetzt nicht ebensalls als die Veranlassung der jetzigen Tumulte an- sehcn Die Liberalen treten hier als Partei aus sür Leute, die mit 300 Procent gewuchert haben. (Zustimmung.) Bei dem agitmorischen Charakter der Interpellation durste man sie nicht ohne Protest vorübergehen lassen. Avg. Stöcker erinnert den Abg. Hänel daran, daß seine Partei die Antisemiten als bezahlte und bestrafte Subjccte hin stelle Er und seine Partei wolle nicht, daß ein fremder Stamm unser Volk durch Lug und Trug sich unterwerfe. Wenn die Herren dort mir empfahlen, meine Fürsorge den Neustettiner Zeugen zuzuwenden, so erwidere ich Ihnen, Ihre Aufmerksam keit dem Neustettincr Synagogenvorstande zuzuwenden, in dem noch vor Kurzem 2 bestrafte Subjccte saßen. Abg. l)r. Hänel kann solche Verhältnisse allerdings nicht billigen und wenn van den Juden der Wucher in so eminentem Maße getrieben werde, dann ruse cr: „Psui! über diese wuche rischen Juden." Jeder Wucherer sei ihm gleich verächtlich. Aber Hr. Stöcker muß sich erst, wenn er kämplt, einen Popanz machen, aus den er losschlägt, so auch hier. Hr. Stöcker höre sür ihn aus, ein Gegner zu sein; denn mit jedem Tage schwinde bei ihm die Sachlichkeit der Debatte, die innere sub- jective Wahrhaftigkeit. Der Bicepräsident erklärt diese letzte Aeußerung für unparlamentarisch. Abg. Munckel nennt den Abg. Stöcker den Vater des Antisemitismus, wenn auch unbewußt. Abg. Frhr v. Minnigerode vertheidigt den Landrath v Bonin in Neustettin gegen die Vorwürfe der Liberalen und ersucht diese, doch mit solchen Beschuldigungen vorsichtiger zu sein, die nur aus principieller Animosität entstehen können. Abg. Zelle verwahrt sich gegen den Vorwurf, al- ob pecuniäre Motive ihn veranlaßt, die Interpellation einzu bringen. Abg vr. Wagner (Osthavclland) nimmt seinen Freund und Parteigenossen Stöcker gegen die Beschuldigungen der Linken in Schutz und weist ihre geringschätzige Behandlung zu rück Das Vorhandensein großer Uebel unter den Juden ge stehen die Liberalen unter vier Bugen zu, aber nicht öffentlich, und die Antisemiten wollen sie an die große Glocke bringen, das sei der Unterschied zwischen beiden. Den Letzteren werde es bange um ihr liebe- Vaterland, und darum, weil sie den Juden entgegentreten, werden sie von der liberalen Preffe in den Koth getreten. DaS Könitzer Urtheil beruhe aus einem non liqu t Jeder könne über die Sache denken, wie er will. Mögen Sie Ihre Beschimpfung auf mich bergehoch häufen, das Maß meiner Berachtung erreichen Sie doch nicht. (Bewegung. Der Präsident rügt diesen Ausdruck als unparlamentarisch.) Die Debatte wird geschloffen, und eS folgen noch einige persönliche Bemerkungen der Abgg. Löwe (Ber lin), Stöcker, Hänel und Munckel. Dann werden ohne bemerkenSwerthe DiScufsion die schlesische Landgüter ordnung, daS Secundärbahngesetz und die Pensions novelle in dritter Lesung angenommen. — Der Monstreproceß gegen die Vorstandsmitglieder der hiesigen Gewerkschaften wegen Vergehens gegen daS Vereinsgesetz, begangen durch gemeinschaftliche Bc- rathung der bekannten Petition um Einführung eines Normalarbeitstages u. s. w., kam gestern (Donnerstag) noch einmal in der Revisionsinstanz vor dem Straf senat deS Kammergerichts (als höchstem Gerichtshof für Strafsachen innerhalb der Landesgesetzgebung) zur Verhandlung. Von den angeklagten 20 Vorstands mitgliedern wurden, wie noch erinnerlich sein dürfte, in der Ltägigen Verhandlung (am 8. und 9. August v. I.) von der 5. Strafkammer des königl. Land gerichts I 19 Angeklagte freigesprochen und 11 zu Geldstrafen von 30 resp. 15 Mark (event. 6 resp. 3 Tagen Gefängniß) verurtheilt, außerdem die vom Schöffengericht bereits ausgesprochene Schließung des Vereins der Vergolder und der Fayadenputzer wieder aufgehoben. Die von den Verurtheilten beantragte Revision wurde nach kurzer Verhandlung zurückgewlesen. * Straßburg i. E., 14. März. Die 11. Session deS Landesausschusses wurde heute durch den Staats sekretär v. Hofmann auf Grund eines kaiserl. Erlasses geschlossen. * München, 14. März. Die Abgeordneten kammer trat gestern in die Berathung der Regie rungsvorlage, betreffend die Gewährung von fixen Wohnungsgeldzuschüssen an die pragmatischen Staatsbeamten, ein, wofür im Budget für die 17. Finanzperiode eine Ausgabe von 1 566 00< ' M. ein gesetzt ist. Der Finanzausschuß beantragt, das Postulat völlig abzulehnen. Abg. vr. Frankenburger: Unsere Beamten zeichnen sich durch Integrität, Pflichttreue und Würde mit verschwindend wenigen Ausnahmen in hohem Grade aus; mir dürfen auf dieselben st^lz sein Der Erhaltung eine- solchen Beamten wesens gegenüber habe man im Ausschuß die finanzielle Frage allzu sehr in den Vordergrund gestellt. Wenn man sich frage angesichts der bestehenden BesoldungSverhäliniffe, wie cs mög lich sei, daß sich die Unbestechlichkeit in so hohem Maße be wahrt hat, man müßte glauben, daß unsere Beamten von Gott besonders begnadet sind, um ihr Amt unter diesen finanziellen Verhältnissen so zu verwalten daß keine Klagen bestehen. Das Bcdürfniß einer Ausbesserung unserer Civilstaatsbeamten ergiebt sich auS der Berechnung des Finanzministers, daß seit t868 die Preise der LcbenSbedürsnisse der Beamten um t85Proecnt, die Aufbesserung nur um 7V Proccnl zngenommen haben Na mentlich die Ausgaben für den Unterricht sind so bedeutend gestiegen. Das Bedürfnis beweisen seiner die viel höhere Be soldung der Offiziere und Militärbeamten- die bedeutend höheren Gehalte der Civilstaatsbeamten in allen anderen deutschen Staaten und die der Gemeindebeamten in Bayern selbst. Die Berufung auf die Finanzlage ist nicht berechtigt. Die aller trübste Zukunft sür die Fuianzlaye in späteren Budgetperioden als Folge der Annahme der Regierungsvorlage wäre die, daß auf 20 M. Steuer 4 Pf. mehr treffen. Befürchte man denn nichts für die Zukunft durch die jüngste Bewilligung von Millionen sür die Secundärbahnen und für Hagelversicherung? Ja, wenn die Secundärbahnen so rentiren sollen, warum soll man diese Rente nicht sür die Erhöhung der Beamtengehalte verwenden? Der StaatSminister der Finanzen vr. v. Riedel er greift das Wort, um den Beamten und dem Volke zu zeigen, daß die Staatsregierung die berechtigten Wünsche der Beamten nicht nur anerkennt und ihnen trcu zur Seite steht, sondern auch mit aller Entichiedenheit sie vertritt. Die Frage, die vor- liegt, ist eine Krage des höchsten StaatsintereffeS. Mit der Achtung vor dem Beamten steigt und sinkt die Achtung vor dem Staat. Redner verbreitet sich über die idealen Seilen des Staatsbeamtcnthum-. das mit klingender Münze nicht be lohnt werden kann, wenn eS seinen gewichtigen Aufgaben mit Aufopferung, Berus-treue und Amtseistr sich hingiebt, wovon das Staatswohl abhängt. Der Beamte muß jeden Privatvor theil hintansetzen Daraus ergiebt sich die Nothwendigkeit dcS Eingreifens der StaatScaffe, wenn die Besoldung des Beamten nicht ouSreicht, die von ihm zu ! eachtcnde sociale Stellung zu behaupten. Diese Unzureichendheit ist aber vor handen, nachdem allein die Ausgaben für Wohnung, Dienst boten, Kleidung und Unterricht der Kinder weit die Hälfte Dessen übersteigen was der pragmatische Beamte dermalen vom Staate bezieht. Der Minister legt sodann in umsassender Weise die materielle Stellung der pragmatischen Beamten nach verschiedenen Richtungen dar und bespricht dieser und der Forderung eines nur 8procentigen nicht pensionSsähigen Woh- nungsgeldzuschusscS gegenüber die dermalige Finanzlage, welche gestaltet sei, daß Redner sowohl sür die >7. als die > 8. Finanz- p.riode die Eventualität einer Steuererhöhung nicht befürchten könne Und wenn selbst eine öprocentige Steuererhöhung nothwendig wäre, so würde sie, da 8b Procent der Grund- steucrpflichligen unter, ferner nur 15 Procent der Gewerbe-, 14 Procent der Capitalrenten- und nur 2'/,, Procent der Ein kommensteuerpflichtigen über 20 M. JahrcSsteuer entrichten, die überwiegende Zahl der Steuerpflichtigen nur mit 1 M. be lasten. Der Budgetentwurf werde mit einem Ueberschuß von 400 000 M. abichließen Den Klagen über die schlechten wirth- schaftlichen Zustände müsse ge^enübergestellt werden, daß seit mehreren Jahren ein namhafter Rückgang sowohl in den Sub- hastationen al- in den Steuerrückständen eingetreten ist — 1882 betrugen bei einem Budgetbetrag von 23l vou ooo M. glieder deS Vereins wurde gedacht. Durch Acclamation wurde der bisherige Vorstand — Generallieutenant v. Carlowitz und Professor Dr. Steche als 1. und 2. Director, Archivrath Vr. Ermisch als Secretär, Biblio thekar v. Ende als Cassirer, Hofrath Büttner als Mu- seumsvorstand — wieder gewählt. Das vom Cassirer vorgelegte Budget auf das Vereinsjahr 1884 85 fand allseitige Genehmigung; um Prüfung der Jahresrech nung pro 1883/84 wurden Oberst z. D. Bartcki und Hosuhrmacher Weise ersucht. Archivrath Oe. Ermisch theilte sodann mit, daß das Localcomits für die Er richtung eines nationalen Denkmals der Gebrüder Grimm in deren Vaterstadt Hanau, dessen Grund legung womöglich am 4. Januar 1885, dem hundert jährigen Geburtstage Jakob Grimm s, stattfinden soll, auch dem AlterlhumSvereins die Aufforderung hat zu- aehen lassen, für diesen Zweck zu wirken, und erklärte sich bereit, mündlich weitere Auskunft zu ertheilen. Professor Vr. Steche berichtete über die von ihm im Auftrage des Vereins am 10. Februar besichtigten Reste eines dem Ende des 15. oder Anfang deS 16. Jahrhundert- angehörigen Altarwerke in der Kirche zu Mittelfrohna bei Limbach und machte Vorschläge zu einer geeigneten Aufstellung in der dortigen Kirche. Im Auftrage des Direktors Prof. Vr. Treu richtete derselbe ferner an die Mitglieder des Vereins eine Einladung zur Besichtigung der aus dem Ende des 16. Jahrhunderts stammenden, auS Messing gegoßenen Figuren Herzog Heinrich'- des Frommen und seiner Gemahlin Katharina, die behufs Absormung in Gyps aus Freiberg, wo sie sich in der Domkirche befinden, hierher gebracht und zur Zeit im Museum der GypSabgüsse aufgestellt sind. Nach Aufnahme und Anmeldung mehrerer neuer Mitglieder hieli schließlich Major Frhr. v. ManSberg de« angekündigteu Vor trag: „Staats- und Heerwesen der Republik Polen zur Zeit der Königswahl August'S I I.,Kursürsten von Sachsen (1697)." Nachdem der Vortragende einleitend darauf hingewiesen, daß auch für den sächsischen Historiker eine Kenntniß der polnischen Zustände vor Eintritt der sächsischen Herrschaft durchaus erforderlich sei, gab er einen kurzen Umblick über die Entwickelung der polnifchen Staatsverfassung. Bereits seit dem 14. Jahrhundert stand Polen unter der Herrschaft einer „Adelsdemokratie", welche die Macht des Königshauses mehr und mehr brach, bis unter dem Einflüsse der pacta evorvuta, Verträge zwischen König und Adel, Vie bei jedem Thronwechsel erneuert wurden, an die Stelle des erblichen das volle Wahlkönigthum trat. Daß der Ritterstand, die Schlachta, der neben König und Senat der dritte gesetzgebende Factor war, sich seit 1468 durch Landboten (nuncii terrcstres^, die meist zu einem bestimmten Votum verpflichtet wurden, auf dem Reichstage vertreten ließ, bewirkte mehr und mehr eine Machtlosigkeit auch dieser Versammlungen; denn die nach altem Princip erforderliche Einstimmigkeit der Beschlüsse ließ sich fast nie erzielen, und das Mittel, durch welches man Abhilfe zu schaffen suchte, die be rüchtigten Conföderationen, die sogar in das schon im 16. Jahrhundert geschaffene stehende Heer Eingang fanden, sanctionirte den in der Minorität gebliebenen Parteien ein Recht des Bürgerkrieges. DaS „liberum vetv" brachte die Verwirrung der Verfassungsverhält nisse auf den Gipfel. Gleich trostlose Zustände zeigt ein Blick auf die Lulturverhalimsse des höhern und nieder» Adels, die sich immer schärfer von einander scheiden, der Bürger und der Bauern. Auch der kriege rische Geist, der die Polen früher ausgezeichnet hatte, er starb allmählich; Mangel an Disciplin und an Geldmitteln machten eine geordnete Heeresverfassung unmöglich. Ueber das Heerwesen verbreitete sich der Vortragende nunmehr besonders ausführlich. Das Aufgebot des ganzen Adels, welches früher das stehende Heer ersetzt hatte, bestand zwar auch nach Errichtung eines solchen fort; aber es war völlig wirkungslos gegen äußere Feinde und für die inneren Verhältnisse verhängnißvoll. Die Stärke des stehenden Heeres wurde schon im 16. Jahr hundert auf 48 000 Mann festgesetzt; aber diese Zahl wurde nie auch nur annähernd erreicht. DaS Heer bestand aus den völlig gesonderten Armeen der Krone und des GroßfürstenthumS Litthauen, deren jede unter einem Hetmann mit fast königlichen Vollmachten stand; zu einem gedeihlichen Zusammenwirken beider kam es fast nie. Die Organisation des Ganzen und der ein zelnen Truppentheile wurde eingehend dargestellt. Unter letzteren zeichnete sich besonders die Reiterei (Domestica) aus, unter ihnen wieder in erster Linie die Husaren, die für die glänzendste Cavallerie Europas galten, und die Loricati. Die übrigen Truppen, In fanterie, Artillerie und Dragoner, Extranea genannt, waren in einem jämmerlichen Zustande. Die Kampf weise ähnelte der der OSmanen. Ueber alle Beschrei bung kläglich waren die Soldverhältnisse und die DiS- ciplin. Daß eS nicht schon früher zu einem völligen Verfall des polnischen Reiches kam, war wahrlich nicht ein Verdienst des polnischen Heeres. b. Balsams. . Nach den Mittheilungen eine- österreichischen Bildhauer«. Erzählung von Robert Waldmüller. (Ed. Duboc.) (Fortsetzung.) Nicht allein mit allen Thieren, denen der Schöpfer ein uniformes Aussehen gab, geht es so; auch das gleich mäßig uniformirte Militär lernt nach und nach das Uebersehen des allen Gemeinsamen und das Achtgeben auf das Besondere. Im ersten Monat hat der Recrut die größte Mühe, seine paar Bekanntschaften aus der Com pagnie, die ihnen gemeinsam ist, herauszufinden. Im letzten Monat seiner Dienstzeit braucht er dazu nur einen flüchtigen Umblick. Soll ich nun aufzählen, was dem Fürsten, was der Fürstin neben ihren schmückenden Eigenschaften auch an kleinen ererbten Unarten und Lässigkeiten eigen ist? Soll ich daneben von denjenigen Absonderlichkeiten des Mienenspiels reden, deren einige ihm, deren andere ihr und zwar ganz allem gehören? bei ihr beispielsweise das Doppel grübchen in der linken, nicht zugleich in der rechten Wange, so oft sie vom Lachen zum Weinen übergeht; bei ihm das Einziehen der Oberlippe, so oft ihn etwas überrascht, nicht wie herkömmlich der Unterlippe; und so ins Ungemessene fort? — Wir haben, meine ich, heute nicht die Zett, um uns auf ein so mikroskopisches Detail einzulassen, wie wenig ich als Physiognomiker dasselbe auch geringschätzen darf. Genug, unter den jungen Menschen, die der Fürst als Säuglinge einst quasi adoptirte und deren keiner doch dem fürstlichen Paare so nahe blieb, daß von einem Uebertragen ge wisser Gewöhnungen die Rede sein könnte, habe ich schon vor Jahiml «ein Augenmerk auf Einen ge<
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