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Weißeritz-Zeitung : 29.01.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-01-29
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1761426109-193201295
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1761426109-19320129
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1761426109-19320129
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungWeißeritz-Zeitung
- Jahr1932
- Monat1932-01
- Tag1932-01-29
- Monat1932-01
- Jahr1932
- Titel
- Weißeritz-Zeitung : 29.01.1932
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Englischer Tertilarbeiterktrett? London. 29. Januar. Die Abstimmung der Textilar beiter in Blackburn über Arbeitseinstellung als Protest gegen die Einführung des „Mehr-Webstühle-per-Weber-System" durch einige Fabriken hat 18 61S Stimmen für einen Streik ergeben, während nur 1908 dagegen stimmten. Sollten die Arbeitgeber sich nicht bereit finden, das alte Abkommen wei terhin bestehen zu lassen, so wird der Streik, de»- 25 900 Ar beiter betrifft, am Sonnavend in Kraft treten. Lin Miuderhettslabinett Buresch? Au» der näheren Umgebung des Bundeskanzlers ver lautet. daß Dr. Buresch damit rechnet, die neue Regierung als Mlnderheitskabinett bilden zu können. Er glaubt an eine weitere Zusammenarbeit der bisherigen Mehrhejlspar- lelen lm Parlament, vor allem in Wirtschaftssragen, die seht besonder» lm Vordergründe stehen, was die Sozial demokratische Partei betrifft, so glaubt man, daß diese bei ihrer wohlwollenden Haltung gegenüber Dr. Buresch bleiben wird, solange mit der neuen Regierung keine Verschiebung nach recht» verbunden ist. offener MU Mers m «riiaieg Die Frage der ReichsprSsidentenwahl. München. 29. Januar. Der „Völkische Beobachter" veröffentlicht einen offenen, «ries Adolf Hitlers an den Reichskanzler Dr. Brüning, der sich mit der Erwiderung des Reichskanzlers auf seine (Hit lers) Denkschrift über die Frage der Verlängerung der Amts zeit des Reichspräsidenten von Hindenburg beschäftigt. Hit ler widerspricht darin in einigen Punkten der Darstellung des Reichskanzlers über die Verhandlungen in dieser Frage i-nd behauptet, daß der Reichstag die Amtsdauer des Reichs präsidenten auf lieben Jahre, also auf die volle gesetzlich vorgeschriebene Ämtsperiode hätte verlängern sollen. Darin sehe er inhaltlich wie tatsächlich eine Außerkraftsetzung und damit eine Aufhebung der die Reichspräsidentenwahl be treffenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung. Das Volksrecht der persönlichen und unmittelbaren Wahl des Reichsoberhauptes könne seiner Auffassung nach nicht durch irgendeine qualifizierte Reichstagsmehrheit ersetzt werden. L» sei klar, so meint Hiller, wenn eine Reichslagsmehr heit das Recht besitzen solle, die Amtsdauer de» Herrn Reichspräsidenten zu verlängern, dann müßte genau so gut eine andere Mehrheit da» Recht haben, sie abzukürzen. Vie unausbleibliche Folge einer derartigen parlamentarischen Amtszeitverlängerung würde eine „in ihren Auswirkungen unabsehbare" Herabminderung des Ansehens und des Ein flusses des Reichspräsidenten sein. Zum Schluß bezeichnet Hitler nochmals „die Beseitigung des heutigen Systems" als die gegenwärtig national politisch wichtigste Handlung. Die Parteien des Zentrums, der Sozialdemokratie und der Demokratie seien nach Hitlers Meinung verantwortlich zu machen für den Versailler Ver trag und seine Folgen. »odenftöndlg In diesen Tagen wurde bekannt, daß sich von der Ber liner Arbeitslosen nur ein ganz geringer Hundertsatz um ein« sogen. Vorstadt-(Kleinst-)S!edlung beworben habe. Das hat verschiedentlich überrascht, weil bekannt ist. daß gerade in Berlin das Schrebergärten-System außerordentliche Ver- breitung hat. Es mag dahingestellt bleiben, welche beson deren Gründe vorliegen, daß hier ein so geringes Inter esse sich für eine eigene Scholle, fei sie auch noch so klein, zu Tage tritt. Eines scheint aber sicher, daß die Frage der Bodenständigkeit ein« gewiss« Rolle spielt. Es ist seit Jahrzehnten die alte Klage, daß ein unaufhörlicher Men schenstrom sich vom Lande in die Großstädte ergießt, weil man hofft, in einer Millionenstadt sei leichter lohnende Be schäftigung zu finden, als auf dem Lande. Unsere von den gesundesten Kräften entvölkerten Dörfer sind hierfür ein trau riger Beweis. Inzwischen hat sich aber eine rückläufige Bewegung bemerkbar gemacht, eine typisch« Stadtflucht ist in Erscheinung getreten. Dieser Zug wird besonders ver stärkt durch die Leut«, die noch eine Erinnerung an ihre ländliche Vergangenheit haben und nach bäuerlicher Si«d«- lung, nach eigener Scholle streben. Das eingangs erwähnte ErgÄnis des Versuches der Vorstadtsiedlung bestätigt im übrigen die an sich bekannte Tatsache, daß der geborene Grotzstadtarbeiter in der Regel ein schlechter Siedler und Bauer ist. Ihm fehlt das Gefühl des Berwachsenseins mit der Scholl« in dem Sinne, als dies« H«imatscholle erst in harter Arbeit erworben und mit dem Schweiß dieser Arbeit gedüngt sein must, bis sie für seinen Besitzer jenen unersetz baren Wert erhält, von welchem die Geschichte und un er« Heimatdichter erzählen. Es ist oft ein saures Brot, das auf dieser Scholle gegessen werden muß. Es ist aber bie Heimat, um die man tämpft und arbeitet. Deshalb die heldenmütige Verteidigung der Heimatscholle deutscher Bauern im Osten und Süden unseres Vaterlandes, deshalb der harte Kampf unserer nordischen Bauern gegen die Ele ment« des Meeres und der Witterung. Aus solchen Er wägungen und Tatsach«» erklärt sich, daß ein wesentlicher Teil des modernen Menschen nicht mehr das starke, unbeug same Heimatgefühl besitzt Der moderne Mensch, fast ohn« Seßhaftigkeit und Bodenständigkeit, aus den versch.Ieden- Lie „wiener Neuesten Nachrichten" dagegen sagen, es fei höchst bedauerlich, daß st» ein österreichischer Regierungs chef. indem er für da» Verschwinden Schober» elnkrak. den wünschen der französischen Diplomatie gefügt habe, nor um dadurch vielleicht einen Kredit zu erhalten, mit dem wieder einige Wochen fortgewurstelt werden könne. Die Drahtzieher dieser Regierungskrise hätten ein Höchstmaß von Verantwor tung»- und Taktlosigkeit bewiesen. Die Ab age der Groß- deutschen an da» Kabinett Buresch ll sei in dem Augenblick eine Selbstverständlichkeit gewesen, wo sie keine Sicherheit mehr hatten, daß der bisherige außenpoliti che Kurs fort gesetzt werde. Vas sei ja auch in Wirklichkeit der Kern der Angelegenheit. Die sozialdemokratische „Arbeiterzeitung" sieht in der Regierungskrise vor allem einen Erfolg des von Seipel geführten Flügels der Christlich-Sozialen, der ja Schober längst aus dem Außenministerium entfernen wollte. Bu resch habe geglaubt, diese christlich-soziale Opposition, deren Ziel die Diktatur sei, zu versöhnen, indem er ihr Schober opferte. Es sei aber sehr fraglich, ob er jetzt überhaupt eine Minderheitsregierung zustande bringen könn« und ob sie, wenn sie ihm doch gelinge, sich halten werd«, da die Heim wehren und die hinter ihnen stehenden Kreise, vor allem Seipel, kein anderes Ziel haben als die Diktatur d«s Faschis mus. „Rein-Front" der Ration Eine Erklärung Dnesterberg». Halle. 29. Januar Der zweite Bundesführer des Stahlhelm, Oberstleut- > nant a. D. Du«sterberg, übergibt der Oeffentlichkeit I folgende Erklärung: „Unter der Ueberschrift „Der Mann ohne Rechte" kriti siert der „Völkische Beobachter" vom 24. und 25. Januar meine zustimmenden Ausführungen zu dem „Nein" des Reichskanzler» Brüning hinsichtlich weiterer Tributzahlun gen. Dabei versucht der „Völkische Beobachter" zu behaup ten, ich hätte erklärt, „daß, wenn Dr. Brüning fest bei seinem „Nein" in der Frage der Tribute bleibe, das ganze nationale Deutschland sich hinter ihn stellen würde." „In Wirtlichkeit habe ich erklärt: „Wenn der Reichs kanzler das „Nein" ausspricht, dann würde endlich der erste Schritt zu einer erfolgreichen Außenpolitik getan sain. Hin ter dieses Nein würde sich die gesamte Nation stellen müs sen." Ich habe damit also eine „Nein-Front" der gesamten Nation gefordert, nicht aber etwa verlangt, daß sich — wie der „Völkische Beobachter" es auffälligerweise darzustellen versucht — das ganze Volk hinter die Person des jetzt am tierenden Reichskanzlers stellen solle. Zu der Zeit, als ich die Unterstützung des vom Kabinettschef auszusprechenden „Nein" öffentlich auch von den nationalen Kreisen Deutsch lands forderte, war für den Monat Januar und zwar zu nächst für den 18., dann für den 25. in Lausanne die Tri butkonferenz angesetzt. Deutschland stand also vor einer entscheidenden Tagung, deren Verlauf die ganze deutsche Zukunft zu beeinflussen in der Lage war. Mit einem Ka binettswechsel war nicht mehr zu rechnen. Zur Vertretung Deutschlands kam also der augenblickliche Reichskanzler in Betracht, und dieser halt« sich nach den vorliegenden Mel dungen zu einem „Nein" entschlossen, also zu der Haltung, die die nationalen Kreise seit 1918 fordern. Warum Herr Brüning diese Haltung einnahm, steht nicht zur Aussprache, desgleichen nicht, welcher Partei er angehört. Das ist eben der Unterschied zwischen Staats- und Par ieipolitik. Wir im Stahlhelm, die im Geist der alten Front, die manchem Kritiker unseres Tuns unbekannt ist, nicht einer Person, nicht einer Partei, sondern nur Deutschland dienen, erlauben uns als alte deutsche Soldaten zu diesen lebenswichtigen Entscheidungen in aller Bescheidenheit auch unsere Ansicht zu äußern. „Ich habe sechs Monate an den Waffenstillstands-Ver handlungen in Spaa teilgenommen und kann also über diese Dinge etwas au» eigener Anschauung sagen. Ich weiß, wie die Haltung und der Erfolg einer deutschen Abordnung, die mit übermächtigen Gegnern zu verhandeln Kat. wesentlich abhängig ist von dem sichtbaren nationalen Lebenswillen des dahinter stehenden Volke». Ich habe erlebt, wie die damalige Revolutionsregierung und die öffentliche Meinung der Hei mat uns in den Rücken fielen. Sollen die nationalen kreise die gleiche kurzsichtige, selbstmörderische Haltung aus Perso nen- oder Varleihaß einnehmen? Jede neue Regierung übernimmt die Erbschaft der Vorgängerin. Soll die vorlie gende an und für sich schon furchtbare Erbschaft noch mehr durch eigene Schuld belastet werden? wie un« im Novem ber 1918 die Stimmung der Masten nicht einen Augenblick abhielt, im alten Preutzengeist unsere vaterländische Pflicht zu erfüllen, so auch heule. Belehrungen über nationale» Pflichtgefühl, das wir al» Frontsoldaten seit 1914 ost genug durch die Tat unter schwersten Opfern an Gul und Blut be- wttfen haben, lehnen wir mit aller Entschiedenheit ab." Skibers Stmr Hintergründe der wiener Krise. Vien, 29. Januar. Einstimmig kommt in allen Blättern zum Ausdruck, daß e» sich bei dem Rücktritt der Regierung Buresch i« erster Linie darum gehandelt hat. einen wechsel im Außenministe rium vorzunehmen. Der Grundlon aller Sommenlare lautet, daß es um Dr. Schober und mehr ober weniger um den von ihm vertretenen außenpolitischen Kur, gegangen sei. Die christlichsozial« „R«ichspost" erklärt, der Wechsel sei notwendig gewesen. Das Blatt erinnert an den deutsch-öster reichischen Zollunions-Plan und schreibt, dieses „Aben- teuer" habe Oesterreich unermeßlich viel gekostet. Jeder Oefterreicher wisse, wie viel Unglück der außenpolitische Kurs Schobers für Oesterreich bedeutet habe Eine reMreitige Feststellung wie Frankreich abgerüfiet hat. pari». 29. Januar In der „Röpublique" beschäftigt fick der Abgeordnete Daladier mit der französischen Abrüstungsthese und mit der Behauptung, daß Frankreich bereits seine Rüstungen beträchtlich vermindert habe. Welche wesentlichen Rüstungs herabsetzungen habe Frankreich denn eigentlich vorgenom men, fragt er. Im Jahr« 1922 habe Poincarö in einem Memorandum an den Äölkerbund den damaligen Effektio- b«darf Frankreichs mit insgesamt 690 000 Mann angege ben. Mehr als 200 000 standen damals In den . Kolonien, außerdem seien schätzungsweise 160 000 Mann für zeitlich begrenzte Missionen des französischen Heeres, als Beschützer der Verträge in Konstantinopel, im Rheinland, in Ober- schlesien usw. notwendig gewesen. 1931 durfte also ein Heer, da» dem von 1922 entspre chen würde, nach dem Memorandum de» vergangenen Jah re» die Stärke von 539 900 nicht übersteigen. Am 1. Septem ber 1931 habe Frankreich dem Völkerbund zur Kenntnis ge bracht. daß die Gesamtstärke der französischen bewaffneten Macht unter dem normalen Regime der jetzt giltigen mili tärischen Gesetze 669 909 Offiziere und Soldaten einschließ lich der Mobllgarde umfaste. Das sei die „bedeutende Her absetzung". die Frankreich der ganzen Welt angekündlgt habe. sten Prinzipien irgendwo ang,siedelt, kennt dieses Gefühl kaum, und es erscheint durchaus begreiflich, daß dieser fach- lich«, kühl« Typus — wi« chn «twa di« Großstadt hervor- bringt und erzicht — kein« Verschwendung mehr an ihn un- nütz anmutend« Gefühl« erlmckt. Darum gilt «s, das H«I- mutliche. Volkstümliche, Provinziell« gegen di« internatio- nalen und nivellier«nd«n Mächt« zu bewahren, ja, «s noch weiter stark zu betonen. Der Mee» «m Almas-M Unermüdlich bestrebt, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, veranstalteten zw«i New Aorker Warenhäuser eine Umfrag«, die sich an die breiten Schichten der Hausfrauen wandte. Die Frage betraf «ine sehr interne häusliche An- gelegenheit. In der Antwort sollt« nämlich angegeben wer- den, ob der „Herr Gemahl" die Hausfrau von den häuslichen Pflichten in dem einen Punkte befreit, daß er ihr — das Geschirr abwäschtl lieber Erwarten zahlreich war das Echo und nicht weniger als 40,3 Prozent der Hausfrauen von New Dort beantworteten die Umfrage der beiden Waren häuser in bejahendem Sinne. Es ist sehr unterhaltend, die Antworten selbst kennen zulernen. Eine der Hausfrauen, eine offenbar sehr energische Dam«, schreibt: „Er wäscht Geschirr nur ab wenn er sich nicht mehr drücken kann." Anders geartet als dieser be- dingungslose und nur mit mehr oder minder „sanftem Nach druck" zu zähmende Drückeberger ist ein Bestechlicher, der sich durch Tafelfreuden verführen läßt „Er wäscht näm lich, wie seine Frau angibt, Geschirr nur ab, wenn ihm das Essen geschmeckt hat, sonst nicht." Eine — offenbar noch in den Flitterwochen lebend« — junge Hausfrau erklärt, daß sie sich nicht damit zu befassen brauche, das Geschirr abzu- waschen: diese Arbeit besorge ganz und gar ihr Mann. Bedauerlich ist, daß die beiden Warenhäuser nicht auch nach dem Empfindungen gefragt haben, die die in Betracht kommenden Ehemänner am Äbwaschtisch bewegen. Aller- dinas kann man sie sich bei den Obengenannten unschwer vorstellen. Der Drückeberger, dem jedes Mittel recht ist, sich der verhaßten Tätigkeit zu entziehen, hätte wahrschein lich geantwortet, daß er am Abwaschtisch nur den einen Wunsch habe, alles kurz und klein zu schlagen. Der Bestech. liche hätte vermutlich über die Unvollkommenheit einer Weit geklagt, in der di« Götter hinter ein gutes Mittagsmahl ein« so erbärmliche Mühsal setzen. Der Mann in den Flitter- wachen aber hätte sicher eine Antwort gegeben, die noch aus dem Himmel stammt, in dem sein« Ehe geschlossen wurde. Natürlich in poetischer Form Also etwa: Sie schaut mich an aus jeder blanken Tasse, Aus Aluminiumtöpfen strahlt ihr Blick, Und selbst der Teller, den ich fallen lasse, Mich stört er nicht in meinem Eheglück! Bei den Gauklern. Dresdner Brief. Cauklerfcst? Da muß man dabei gewesen sein! Es ist je das Fest der jungen Künstlerschaft Dresdens und jeden erwarten dort reiche Genüsse. Magisch gedämpftes Licht — bunte Atrap- pen an den Wänden und von der Decke herab — tanzende Pär- chen in den seltsamsten An- und Auszügen — eine ein schmeichelnde Musik — das waren so die ersten Eindrücke, die jeden Besucher empfingen, der zum Gauklersest die Räume des Ausstellungspalastes betrat. Hier wird niemand, auch nicht zu dem Fremdesten, „Sie" lagen — hier wird nur geduzt, bei unserer lustigen Künstlerzunft, die umso mehr Humor und gute Laune bei ihren Festen ent wickelt, je mehr sie sich ihre Künstlerfreiheit unter Verzicht auf sicheres Leben und regelmäßige Einkünfte erkaufen muß. 3m großen Saal eine lustige Gesellschaft sonderbarer Riesen menschen, die in drastischer Kostümierung und in den sonder barsten Verrenkungen von der Decke herab baumeln. Dazu ver hüllte Lampen, die absonderlichsten Wandgemälde und die Ka pelle musiziert vor einem überlebensgroßen Kater. 3m kleinen Konzertsaal, der in buntestem Licht erleuchtet ist, fallen zwei rie senhafte Köpfe mit rotschillernden Nasen und grünen Augen am meisten aus. Dazwischen waren unzählige Stricke gezogen, an denen die Mensa ihre Wäsche aufgehängk hatte — fürchterlich zerlumpte Hemden, riesenlange, durchlöcherte Hosen, Kleider bügel, dick mit Stroh umwickelt, an denen das Rlesenfräulein getrost seinen Pelzmantel hätte aufhängen können. Und rings herum saßen wie in einem Rittersaal auf Postamenten aus alten Kisten die lustigsten allegorischen Figuren, sinnreich aus Stroh f hergestellt und mit Lappen behängt. Da sah man den Herrn ! Laval und andere prominente Zeitgenossen, da sah man den § Piccard-Ballon mit seinem Meister dabei und was dergleichen : Darstellungen mehr waren. Und zu all und jedem gab es saftige ' Sprüche und Gedankenblitze. 3n den Nebenräumen hingen bunt« j Ballons in ganzen Bündeln, und eine Tombola erregte manchen ( heißen Munsch. s Besondere Mühe hatten sich die jungen Maler unserer Aka- s demie natürlich bei der vielfachen- Darstellung des zerrupften » Schutzgeistes dieses Gauklerfestes, des „Pleitegeiers" gegeben. . Auf der Bühne fünf „Minister" mit riesengroßen Aktenmappen, auf deren Rückseiten große Buchstaben prangten, die zusammen das schöne Wort Pleite ergaben. Sie ließen alles Erdenkliche von ihrem Gerichtsvollzieher ansieoeln — den furchterweckenden ! Ritter, den „alten Fritzen", den schönen Herrn Tauber und wen , sie eben sonst zu packen bekamen. Zum Schluß kam dann der ! Pleitegeier in höchsteigener Perfon und deckte alles mit seinen ! riesigen Flügeln zu, vis sich schließlich die Darbietung in der ! Krönung des Gauklerkönigs „Klebewohl", der in einem echten i Reformoett im Saal herumgetragen wurde, in Wohlgefallen i auflöste. Ein Kapitel für sich waren natürlich die Kostüme. Man sah viele schöne Mädchen und Frauen, einige in reichen Kostümen, andere wieder, die sich für wenig Geld, aber mit desto mehr Phantast« und Geist ihre Kostüme selbst hergestellt hatten, und damit die originellsten Wirkungen erzielten. Ein weißes Ge spenst mit langer roter Nase rief, unerkannt, jedem ein treffen des Witzwort zu und ehe der andere sich noch auf eine Antwort ! besinnen konnte, war es, seiner Rolle getreu, irgendwohin ver- s schwunden. Dort kam flink und elastisch der Teufel In höchst- - eigener Person mit Spitzen und langer Feder und schlanker, bieg- > famer Figur — hier schwänzelte «in Kammerkätzchen mit drastisch hochgestecktem Kleidchen. Altdeutsche Trachten wetteiferten mit > exotischen Gewändern, kurz, es gab eine bunte Fülle aller nur erdenklichen Erscheinungen dieser großen Welt. Die Herren waren anspruchsloser, dafür aber oft aktueller und ansplelongs- reicher. Unmöglich, alle Eindrücke eines solchen Abends, einer solchen Nacht wiederzugeben. 3m tollen Wirbel tanzten immer neue Erscheinungen vorüber und die Fülle der Beobachtungen war so verwirrend, daß sie sich erst nachträglich zu bestimmten Erinnerungen verdichteten. Wie man sich unterhalten hat? 3e nun, darüber braucht man wohl nichts zu sagen. Es gibt genug Leute, die trotz sorglosen Daseins nie wahrhaft fröhlich sein
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