53 Caris-Petra Heidel Die Naturheilbewegung in Dresden seit der Jahrhundertwende Während es bis einschließlich 1828 vor allem größere medizin-historische Arbeiten waren, die den im gleichen Jahr als Professor für praktische Heilkunde und Direktor der Inneren Klinik der Chirurgisch-medicinischen Akademie berufenen Johann Ludwig Choulant (1791 bis 1861) bekannt gemacht haben, veröffentlicht er ab 1829 auch größere klinische bzw. klinisch-propädeutische Schriften. Neben seiner »Anleitung zu dem Studium der Medizin«, das sich damals großer Beliebtheit erfreut hat, leitet Choulant diese neue Schaffensperiode seiner publizistischen Tätigkeit mit dem in den Allgemeinen medizinischen Annalen erschie nenen Beitrag »Die Heilkraft der Natur, als Wurzel der Medizin« 0 ein. Die traditionelle Idee einer »Heilkraft der Natur«, wie sie bereits dem auf der Grundlage der Säftepathologie basierenden antiken Heilkonzept zugrunde liegt, dürfte wohl ein wesentli ches Motiv aller Naturheilverfahren sein. Entscheidend ist die Vorstellung, daß eine Krank heit vom menschlichen Organismus nicht nur passiv erlitten wird, sondern dieser auch aktiv I Heilbestrebungen entwickelt. In den Anschauungen der antiken wissenschaftlichen Medi zin wird hierfür der Begriff »physis« gebraucht, unter dem das Gesamtverhalten des Orga- | nismus, seine Anlagen und Reaktionen sowohl im gesunden als auch kranken Zustand verstanden wird. Diese Vorstellung impliziert zwei Folgerungen, die vor allem für die Ge schichte der Naturheilkunde von besonderer Bedeutung sind und die ärztliche Praxis be stimmen. Der Arzt hat seine wichtigste Aufgabe darin zu sehen, die normale Physis zu kräf tigen und sie bei Krankheit wiederherzustellen, also dort einzugreifen, wo die natürliche Selbsthilfe des Organismus unzulänglich ist oder versagt. Zugleich erscheint damit die ärzt liche Tätigkeit selber als eine die Naturtätigkeit nachahmende Handlung 21 , da sie keine andere Aufgabe hat, als die - durch die geschwächte Naturheilkraft verhinderten - Natur prozesse künstlich durchzusetzen. Insofern wird - im Selbstverständnis ihrer Anwender — mit den Naturheilverfahren nur die Heilkraft der Natur befördert. Dieser Gesichtspunkt wird immer wieder, vor allem seit dem durch Rückbesinnung auf die antike Tradition gekennzeichneten 16./17. Jahrhundert, zur Begründung ihrer jeweiligen Lehren insbeson dere von Paracelsus (1493-1541), Franz Anton Mesmer (1734-1815) und auch Samuel Hahnemann (1755-1843) herangezogen. Auf den Lehren der hippokratischen Medizin - die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durch eine besondere Hinwendung zur Geschichte nochmals eine Aufwertung erfahren - basierend, werden die Naturheilverfahren zumindest bis Mitte des 19. Jahrhunderts von