PHILOSOPHIE DER BADEANSTALT W enn der Bergbach zwischen den bemoosten Stämmen heruntergestürzt kam, im Vorbei« laufen rasch noch ein Mühlrad drehte und dann geschwätzig durch die Wiesen plätscherte, wurde er unser Badeplatz und Paradies der Kindheit. Unser Sonnenbad war gleich auf den glattge« scheuerten Steinen. Forellen kobolzten übermütig daher und ein Fest war, sie mit der braunen Jungenshand zu überlisten. Schierling wuchs am Ufer und die starkriechende Pfefferminze. Unter Erlen und Pappeln lagen wir und beobachteten die scheue Bachstelze, den komischen Storch und dahinschießende Schwalben. In der Sommerselig« keit rings war das Konzert von Zykaden und Brummern. Zwangsläufige Reminiszenzen in der Bade« anstalt. Es ist ein geräumiges ausbetoniertes Becken, dieses ,,Sportbad'': vorn der kleinere Teil für Nichtschwimmer, — in der Stadt Goe« thes sagt man dazu „des Säuställche", — und drüben der Tummelplatz für Matadore. Ganz hoch oben ist wie ein Tuch gespannt der blaue Sommerhimmel, drumherum ist die Badeanstalt eingekeilt von den Rückwänden hoher Mietshäuser. Das Schallgesetz feiert Orgien, und das ist richtig so. Der Krach kann gar nicht ohrenbetäubend genug sein. Der Kaffeeausschank fehlt nicht, wo es die heißen Würstel mit viel Mostrich gibt. Auf die dicken Porzellantassen muß man trainiert sein wie jene guten Familienväter, die sich Sonntagsnachmittags ohne größere Widerrede von Muttern für „in’t Jrüne" anmustern lassen und mit Kind und Kegel, Stullenpaketen und einem Dütchen gemahlenen Kaffee dorthin ziehen, wo laut Aushang „Familien Kaffee kochen können''. Die jeunesse doree, die in der Badeanstalt im schnieken karierten Trikot jaust, ist allerdings längst empor« entwickelt zum Tanztee im „Vaterland“ oder bei Kroll. Die rotlackierten Finger halten sehr mondän die unvermeidliche Zigarette und der Lippenstift ist ja sowieso eine öffentliche Angelegenheit. (Mindestens die Hälfte davon schwimmt in den Fettkringeln im Bassin.) Man kann hinkommen, wann man will, — irgendwo bibbern immer angst« grün die kleinen Kerlchen, die darauf warten, an die Leine genommen zu werden. Immer kommandiert ein bronzefarbener Athlet in der weißen Leinenhose schläfrig sein „Eins«Zwei«Drei‘ und eine Badefrau, die braun aus ihrer weißen Schürze quillt, verbittet sich, den Lärm notwendigerweise überkreischend, einen Schaber« Liselotte Altenburg 376