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Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.12.1890
- Erscheinungsdatum
- 1890-12-24
- Sprache
- German
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1878454692-189012240
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1878454692-18901224
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1878454692-18901224
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungFreiberger Anzeiger und Tageblatt
- Jahr1890
- Monat1890-12
- Tag1890-12-24
- Monat1890-12
- Jahr1890
- Titel
- Freiberger Anzeiger und Tageblatt : 24.12.1890
- Autor
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2«». Nreiherger Anzeiger ««d Lageblatt. Sette L» Tagesschau. Freiberg, den 23. Dezember. Bezüglich der handelspolitischen Verhandlungen mit Oester reich fordern die „Hamburger Nachrichten" eine deutlichere Markirung der Absichten der veutschen Regierung; es würde zur Verminderung der Popularität des Bündnisses mit Oester reich führen, wenn Deutschland einen Tribut für das Bündniß zahlen solle. Die Summe, welche gesammelt wird, um dem Fürsten Bismarck in der Reichshauptstadt ein Nationaldenkmal zu widmen, hat nach der soeben versandten Liste die stattliche Höhe von 888 585 Mark 33 Pf. erreicht. — Die in Düssel- R>rf tagende Hauptversammlung des Vereins deutscher Eisen hüttenleute, an welcher etwa 500 Mitglieder theilnahmen, richtete nach Anhörcn ihrer aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika zurückgekehrten Genossen ein Telegramm an den Fürsten Bismarck, m welchem demselben als Förderer des An sehens der deutschen Industrie im Auslande der wärmste Dank »er Versammlung ausgesprochen wird. „Ein Sturm im Glase Wasser" möchte man angesichts der letzten Verhandlungen des Lippischen Landtages sagen, in denen von Nichtbewilligung des Etats, Beschlußunsähigmachen des Landtages, Einschreiten der Reichsbehörde, Auflösung des Landtags, von den Rechten des dritten Standes und anderen ähnlichen Dingen die Rede war. Nachdem am Freitag durch das Ausbleiben der fortschrittlichen Abgeordneten der Beweis geliefert war, daß diese es in der Hand haben, die Beschluß- «nfähigkeit des Landtages berbcizusühren, wenn sie wollen, erklärten dieselben in der letzten Sitzung einmüthig, sie seien entschlossen, die dauernde Beschlußunfähigkeit des Landtages zu bewirken, wenn derselbe sich nicht bereit erklärt, den Etat für 1891 nur auf 6 Monate zu bewilligen. Durch dieses Vorgehen soll ein Druck auf die Regierung ausgcübt und diese veranlaßt werden, einen Steuererlaß für die unteren Klassen, zum wenig sten einen Erlaß des Schulgeldes herbeizuführen. Ferner will man dadurch die Einführung einer neuen Landgemeindeordnung und eines Volksschulgesetzes erzwingen. Zu einem bestimmten Resultate führten die erregten Debatten vorläufig nicht, da der Landtag bis zum 5. Januar vertagt wurde, nachdem er sich damit einverstanden erklärt hatte, daß für den Monat Januar der alte Etat in Kraft bleibt. Ein einfaches Mittel, um die so viel besprochene Ver söhnung mit Frankreich zu ermöglichen, hat jetzt die Berliner „Volks-Ztg." entdeckt. Sie schreibt: „Geziemt es Deutsch land die letzten Revanche-Funken, die in dem Herzen des fran zösischen Volkes glimmen, durch eine hochherzige That auszu- löschen und aus dem halben Feind einen ganzen Freund zu machen? Deutschland als dem Sieger geziemt dies nicht bloß, sondern eS ist auch unseres Erachtens in der günstigen Lage, ohne ein nennenswerthes Opfer Frankreich zu versöhnen und sich zu verbinden. Geben wir Frankreich für Elsaß-Loth ringen das deutsche Ostafrika! Wenn uns das Felseninselchen Helgoland ein Stück Ostasrika werth war, wie viel muß uns dir Freundschaft und das Bündniß Frankreichs werth sein! Was will die kleine Deckung, die uns der Erwerb Helgolands gewährt, gegen die absolute Deckung sagen, die uns die Freund schaft mit Frankreich gewährt? Wir waren nie Kolonialschwär mer, aber wenn wir auch jenen Besitz noch so hoch veran schlagen, er wird zu einem verschwindenden Objekt gegen das, was wir dafür eintauschen. Man denke sich als Preis: gemein same Abrüstung und Beitritt Frankreichs zum Dreibunde, vielleicht zu einem Zollbunde. Wie würde nicht bloß Deutsch land, sondern ganz Europa aufathmen." — Hiezu bemerkt die „Tägl. Rundsch.": „An diesem Vorschlag ist Zweierlei bemer- kenswerth. Zunächst die Angstmeierei,, die sich nicht cntblödet, Frankreich zu entschädigen, wo es gar nichts zu fordern hat. Wir haben die Reichslande, die uns Frankreich durch Verrath einst genommen, mit dem Schwerte wieder erobert und dafür den unersetzlichen Preis von 47 000 hoffnungsvollen Menschen ¬ leben bezahlt. Wir sind also mit Frankreich quitt; höchstens könnten die Franzosen uns einen Ersatz für Elsaß-Lothringen anbieten. Sie thun es allerdings nicht, denn sie besitzen in hohem Grade nationalen Stolz und nationale Selbstachtung. Sodann ist an dem Vorschläge der Umstand bemerkenswerth, daß das Von den Kolonialgegnern stets als durchaus werthlos verschrieene Ostafrika nun plötzlich als entsprechender Preis für die Reichslande erachtet wird, um deren Wiedergewinnung Frankreich bekanntlich nicht weniger als seine ganze Zukunft aus's Spiel zu setzen bereit ist. Auch das läßt tief blicken." Die Zentralvorstände deutscher Jnnungsverbände haben an den Reichstag eine erneute Petition gerichtet, in welcher sie um gesetzliche Einführung von Legitimationspapieren für die gewerb lichen Arbeiter aller Altersklassen bitten. Ueber den von Holland aus betriebenen, schwunghaften Handel mit amerikanischem Speck, welcher in Köln zur Ver haftung des holländischen Händlers Andrisse aus Amsterdam geführt hat, erfährt die „Köln. Ztg.", daß der Verhaftete ganze Schiffsladungen amerikanischen Speck bezog, der mit amerikani schem Stempel versehen war. In Holland wurde der Speck der dortigen Behörde vorgezeigt und dann mit dem Gemeinde stempel versehen. Der Stempel wurde auf einer Ecke der Speckseite aufgedrückt. Die nun mit zwei Stempeln versehenen Seiten wurden dann durchgeschnitten; der Theil, welcher den amerika nischen Stempel trug, kam in Holland, wo die Einfuhr ameri kanischen Specks erlaubt ist, zum Absatz, der andere, mit dem holländischen Stempel gezeichnete Theil, ging als „holländischer Speck" nach Deutschland. Bei einem Kölner Agenten beschlag nahmte die Kriminalpolizei zuerst etwa 90 Seiten und dann noch mehrere Waggonladungen Speck, welche von dem Amster damer Händler hierher geschickt worden waren. Unter dem be schlagnahmten Speck befanden sich auch die Speckseiten, welche bei der Untersuchung im Kölner Schlachthof mit Trichinen durchsetzt befunden wurden. Als der Holländer nach Köln kam, um sich mit dem schwer geschädigten Agenten auseinanderzu setzen, wurde er, wegen des Verdachtes, amerikanischen Speck als holländischen Speck in Deutschland eingeführt zu haben, verhaftet. Das Panzerschiff „Friedrich Karl" lief beim Verlassen der Bau von Kalloni auf die Insel Mytilene auf. Es ist jedoch Hoffnung vorhanden, das Schiff binnen Kurzem wieder flott zu bringen. Der Sultan gab Befehl, den möglichsten Beistand zu leisten. Einzelheiten fehlen. Bei dkr Ueberrcichung der von der italienischen Dcpu- tirtenkammer und dem Senat an den König gerichteten Adressen hob Letzterer in seiner Ansprache hervor, er habe den drin genden Wunsch, daß die Finanzen ohne Erhöhung der Steuern geregelt würden. Daß der europäische Friede gesichert sei, werde zum Wohle Italiens beitragen und die Mitwirkung des Parlaments werde der Negierung die Autorität zur weiteren Erhaltung des Friedens verleihen. Er habe das Vertrauen, daß das Parlament im Einverständnis; mit der Regierung seine beständig auf das Glück des Vaterlandes gerichteten Be strebungen unterstützen werde. — Die Regierung wird sich der von der äußersten Linken beantragten Kündigung des Handelsvertrags mit Oesterreich widersetzen. „Risorma" schiebt den Radikalen die Absicht unter, für die nachtheiligen Folgen der Kündigung seiner Zeit die Regierung verantwortlich zu machen, wie für die französischen Haudelsnöthe^ — Die erst theilweise bekannten Ergebnisse derGcmeindewachlen inNom lassen einen Sieg der Klerikalen vermuthen, welche weit zahl reicher und disziplinirter als die gespaltenen Liberalen auf traten. Der Papst wurde seitens des klerikalen Wahlaus schusses während des ganzen Tages übe,r die Wahlvorgänge unterrichtet. Der französische Kriegsminister hat die Einführung eines neuen Kavalleriekarabiners genehmigt. Der Karabiner ist 96 Zentimeter lang und kürzer und leichter als das Modell von 1874. Die Tragweite beträgt 2000 Meter, das Kaliber acht Millimeter. Die Kavallerie des sechsten und siebenten Armee ¬ korps soll zunächst mit der neuen Waffe ausgerüstet werden. Die Waffenfabrik von Saint-Etienne ist im Stande bis zum 1. Oktober 1891 30 000 Stück neue Karabiner zu liefern. — Döroulöde unternimmt die Wiederherstellung der Boulangistenpartei. Elf boulangistische Abgeordnete bilden mit ihm als Vorsitzenden den leitend.» Ausschuß. Be sondere Theilnahme wird die Sache kaum erregen. DaS neue, von Däroulode aus Jersey mitgebrachte Programm ist sozialistisch republikanisch, unterscheidet sich jedoch von dem Programm der eigentlichen Sozialisten durch die Förderung der Gewissensfreiheit. Sobald das Programm veröffentlicht sein wird, soll es vor einer zahlreichen Versammlung näher aus einandergesetzt werden. General Boulanger wird sodann ein Manifest veröffentlichen, in dem er erstens erklären wird, daß die in der Vergangenheit von der Partei begangenen Fehler auf Diejenigen zurückfielcn, die ihn berathen'hätten, und zweitens die Marschroute für die Zukunft angeben wird. — Mehrere thierärztliche Vereine beschlossen, auf Anregung der landwirth- schaftlichen Vereine von Melun und Meaux, betreffs Behand lung tuberkulöser Thiere mit Koch'scher Lymphe Versuche sn- zustellen. Zur Ausarbeitung eines Programms wurde eine Kommission gewählt. Aus England: Am Montag fand in Kilkennv die Wahl statt, bei welcher sich die Stellungnahme des irischen Volks zu Parnell einerseits und seinen Gegnern ans der anderen Seite zum ersten Mal in praktisch bedeutsamer Weise zu erkennen geben soll. Ob die Stadt heute noch stehen wird, ist bei der Art des Wahlkampfes fast in Zweifel zu ziehen. Inzwischen haben die beiden Parteien gegenseitig kein gutes Haar an einander gelassen. Von den Antiparnelliten wird jetzt sogar Parnell's Verletzung für Schwindel erklärt. Die „Pall Mall Gazette" empfing ein Telegramm von Michael Davitt, welches besagt: „Es ist durchaus falsch, daß Kalk in Parnell's Gesicht geworfen wurde. Thatsache ist, daß einige Frauen und junge Mädchen ihn mit Mehl und Koth bewarfen. Keine Spur von Kalk befand sich in dem Orte. Diese Geschichte ist das neueste ekelerregende Manöver, Theilnahme zu erwecken und die Ge- müther des Volkes von der eigentlichen Frage abzulenken." Andererseits behaupten die Freunde Parnell's auf Grund ärzt licher Aussagen, daß ihm Kalk in die Augen geflogen sei. Ob die Einstellung des Kampfes der Bewohner von Tipperary gegen ihren Grundherrn mit dem im irischen Lager entstan denen Zwiespalte zusammenhängt, ist zunächst nicht zu ent scheiden. Die Pächter der Smith Barry'schen Güler bei Tipperary sind nämlich, wie die englischen Zeitungen melden, endlich des langen Kampfes gegen ihren Gutsherrn müde geworden. Der größere Theil der Smith Barry'schen Pächter hat diese Woche seine Pachtzinsen bezahlt. Ihre Namen werden sogar ver öffentlicht, was bei der früheren Einschüchterung und Tyrannei der Nationalliga niemals hätte geschehen können. Auch von den Mielhern des Städtchens Alt-Tipperary haben nicht wenige ihre Miethe erlegt und sind von Neu-Tipperary, der impro- visirten Stadt, deren Grund und Boden Smith Barry nicht gehört, in ihre alten Wohnstätten zurückgekehrt. Der Kampf gegen den Grundbesitzer hat 18 Monate gedauert. — Der Streik der Beamten der schottischen Bahnen gewinnt an Aus dehnung. Die Erzförderung ist unterbrochen, die Beförderung von Reisenden erleidet Verzögerung. Man meldet aus Warschau: Der heutige Tagesbefehl des russischen Oberpolizeimeisters vom 22. d. M. verfügt die so fortige Ausweisung von 79 Ausländern, darunter 23 Preußen und 35 Oesterreicher. Alle diplomatischen Anstrengungen, den Streit um den Robbenfang im Behringsmeer beizulegen, dürfen als fernerhin nutzlos angesehen werden, wenn sich die nachfolgende Meldung bestätigt: Dem „New-Horker Herald" zufolge übersendet der Präsident der Bereinigten Staaten, Harrison, dem Kon greß demnächst eine Botschaft mit weiteren Aktenstücken über den zwischen England und Amerika schwebenden Streit um den Robbenfang im Behringsmeer. Darm wird der Präsident mit- Lin gefährliches Vermächtniß. Roman von H. Marvel. f24. Fortsetzung.s sNachdrück verboten.! Ich sah ihn erst nach drei Monaten wieder a« einem regne rischen April-Nachmittag. Ich wohnte immer noch in London bei Jane, als er uns besuchte, nachdem er soeben von einer längeren Reise im Auslande mit Ralph zurückgekehrt war. Sir George — berichtete er — sei wieder völlig genesen, aber die Kälte zwischen ihm und seinem Vater habe inzwischen nahezu den Gefrierpunkt erreicht, seit es an den Tag gekommen, daß er dennoch unschuldig gewesen. Der Vater konnte es ihm nicht verzeihen, ins Unrecht gesetzt worden zu sein. „Ich habe in solchen Sachen seine Erwartungen selten getäuscht," sagte Charles, „ich kann sogar sagen, daß ich sie gewöhnlich übertroffen habe und ich muß mich in Acht nehmen, chn nicht wieder aus solche Weise zu enttäuschen. Aber ach! Fräulein Middleton, ich bin überzeugt, Sie werden mir darin beistimmen, daß es ungemein schwer ist, einen gleichmäßigen Kurs immer bcizubehalten, ohne darin von Zeit zu Zeit etwas nachzulassen." „Mein Werther Mr. Charles," entgegnete Jane freundlich, ohne jedoch den ironischen Sinn seiner Worte richtig aufzu fassen, „Sie sind noch jung, aber verlieren Sie nicht den MutHI Ein Blick in Ihr Gesicht überzeugt mich, daß mit zunehmendem Alter diese Verirrungen, die Sie mit Recht be dauern, immer seltener werden, bis sie im Lause der Jahre gänzlich schwinden werden." „Das halte ich selbst nicht für so ganz unwahrscheinlich," stimmte Charles mit einem feinen Lächeln bei und gab dem Gespräch eine andere Wendung. Ich kann wirklich hier nicht Alles wiederholen, was er auf die kaltblütigste Weise uns über Carr und Aurelia — oder, wie er sie nannte, über „Herrn und Frau Brown, alias Sinclair, alias Tibbits" — berichtete. Was mich anbetrifft, so glaubte ich natürlich kein Wort davon, und vermag auch nicht einzusehcn, wie er das Alles durch die Polizei — wie er sagte — erfahren haben tonnte. Nach Charles Mittheilung war Carr, von dem übrigens seit dem Tage nach jenem Eisenbahnunfall nichts mehr zu sehen noch zu hören gewesen, ein gefährlicher Einbrecher, der wahrscheinlich nur in der Absicht nach Indien gegangen sei, Sir Johns Juwelen an sich zu bringen, welche bis kurz vor dessen Tode sicher in einer Bank zu Kalkutta ausbewahrt ge wesen waren. Er und seine Frau arbeiteten gewöhnlich zu sammen. In diesen, Falle war es ihr jedoch durch ihr ein nehmendes Wesen gelungen, im Auslande eine Bekanntschaft mit Lady Mary Cunningham anzuknüpfen, welche bekanntlich Juwelen von beträchtlichem Werthe besaß, und auf diese hatte die Abenteuerin es jedenfalls abgesehen. Ralph hatte sie als Werkzeug benutzt und sich mit diesem nur verlobt in der Erwartung, nach ihrer Rückkehr nach Eng land infolge ihrer Intimität mit der Familie leicht eine Ge legenheit zum Raub der Juwelen zu finden, welche Lady Mary mährend ihrer Reise im Auslande bei ihrem Banquier in London zurückgelassen hatte. Diese Gelegenheit fand sich während ihres Aufenthalts in Stoke Moreton. Inzwischen war aber das unschätzbare Vermächtniß von Sir John ein getroffen, welches den Anschlägen ihres Mannes entgangen war. Ihr Mann, der die Juwelen verfolgte, sah, daß man Ver dacht gegen ihn hegte, und überließ das Spiel der geschickten Hand seiner Frau. Er bemühte sich nur, seine eigene Unschuld außer Zweifel zu stellen, was ihm auch mit Ralphs Beistand gelungen ist. „Ich sehe es jetzt ein," fuhr Charles fort, „warum sie so plötzlich ihren Thee verschüttete, als Carr unvermuthet bei uns eintrat. Sie war höchst erstaunt, sich mit ihm in demselben Zimmer zu sehen, da sie jedenfalls keine Ahnung davon ge habt hatte, daß er derselbe Freund von Ihnen war, nach dem Sie telegraphirt hatten. Ich glaube auch, daß an demselben Abend nach dem Balle, als sie und Carr zusammen nach dem bewußten Beutel suchten, dies ihnen einen Vorwand lieferte, um sich schnell darüber zu verständigen, wie sie einander in die Hände arbeiten könnten, denn, wenn ich mich nicht irre, wußten sie, daß der Vater mit dem Schlüssel zu seinem Gcld- schrank schon zu Bett gegangen war und vermutheten daher, daß die Juwelen an einem leichter als gewöhnlich zugänglichen Ort aufbewahrt werden. Ohne Zweifel hatte sie die Sache überlegt und beschlossen, jeden Gedanken an Lady Marys Juwelen aufzugeben und sich dafür diese zu sichern, welche einen zehnfach höheren Werth hatten. Da sie nicht Beides zu gleich erbeuten konnte, ohne Verdacht auf sich zu lenken, so ließ sie als kluge Frau die kleinere Beute fahren, um nach der größeren zu jagen. Eine weniger schlaue Person würde beiden nachgejagt und Beides verfehlt haben. Sie hat allerdings ihren Zweck nicht erreicht in Folge eines kleinen Versehens. Sie hatte nicht beachtet, daß das Stückchen Papier, welches zur Umhüllung des Halb mondes gedient hatte, von ganz besonderem Material war, sonst hätte sie es nicht offen auf dem Tische liegen lassen. Als aber Evelyn das Papier entdeckt hatte, wußte sie die Sache noch geschickt zu drehen und auf diese Weise eine Spanne Zeit zu gewinnen, die sie vortrefflich ausnutzte. Nur noch um eines Haares Breite war sie von dem Erfolge 'entfernt, aber das Schicksal war gegen sie. Auch Carr seinerseits hatte keine Zeit versäumt. Denn ich habe seitdem erfahren, daß das Te legramm, welches sie nach ihrer Flucht auf dem Bahnhof auf gegeben nach Birmingham adressirt war, wo er sich ohne Zweifel verborgen hatte. Jedenfalls hat sie ihn darin aufge fordert, ihr früher, als ursprünglich vereinbart war, nach London entgegen zu kommen. Natürlich begab er sich dann, sobald er von dem Eisenbahn-Unfall erfahren, nach dem Schauplatz desselben, da er keine weitere Nachricht inzwischen von ihr erhielt, und kaum zehn Minuten vor ihm waren wir dort cingetroffen. „Was mich anbetrifft," schloß Charles, „so bewunderte ich sie mehr als je zuvor, als die Wahrheit an den Tag kam. Ich hatte sie für ein ganz unbedeutendes Frauen zimmer gehalten, das höchstens Sinn für Putz und Schminke haben konnte, und habe dann gefunden, daß sie doch gewandt und klug genug war, zwei Leute von nicht gewöhnlicher Geistes begabung zu übertölpeln, nämlich Sie, Middleton und mich! Evelyn war die einzige Person, welche gegen sie einen leisen Verdacht hegte, aber auch dieser war kaum mehr als eine Ahnung, denn sie selbst gab zu, daß sic keinen thatsächlichen Grund zum Verdacht hatte." „Ich wundere mich vor Allem darüber," sagte ich, „wie Lady Mary sich so vollständig von ihr einnehmen lassen konnte." „Ich wundere mich gar nicht darüber," erwiderte Charles. „Ebenso habe ich auch sogar von älteren Männern schon ge hört, welche sich von jüngeren ganz einnehmen ließen. Uebri- gens sind argwöhnische Leute immer geneigt, in erster Linie ihren eigenen Verwandten zu mißtrauen, besonders ihren liebenswürdigen Neffen und lassen sich dann um so leichter von ganz fremden Personen überlisten. Sie wollte durchaus Ralph verheirathen und hatte gerade eine Vorliebe für diese Person gefaßt, die sich auf gewandte Weise bei ihr cinzuschmeicheln verstanden hatte, kurz, sie verließ sich auf ihr eigenes Urtheil, das sie, wie gewöhnlich, irre geleitet hat. Ich habe ihr einen sehr höflichen Brief vom AnSlande her geschrieben, in welchem ich ihr mein tiefstes Mitgefühl für den Kummer aus drückte, den sie dabei empfunden haben müsse, als sie sah, wie sehr ihr eigenes Urtheil sie irre geführt habe, wie schmählich sie vom Anfang bis zum Ende getäuscht worden sei und wie viel Mißgeschick sie so unschuldiger Weise über die Familie ge bracht habe. Darauf habe ich aber noch keine Antwort erhalten. Die theure Tante Mary! — Das erinnert mich übrigens daran, daß sie jetzt in London ist, und ich denke, ein Besuch von mir und ein mündlicher Ausdruck meines Mitge fühls könnte ihr Frende bereiten I" (Schluß folgt.)
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