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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.05.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-19
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030519018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903051901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903051901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-19
- Monat1903-05
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Anzeigen-Prei- die ögespaltene PetitzcUe LS Netlome, unter de» ReduktiooSstrtch tägespallen) 75 H, vor dea Familieuunch' richten l« gespalten) 50 Lu bellarischer und tziffernsatz entsprechend höhe«. — Brbühren für Nachweisungen ttd Offerteuanuahm» 8» L, (eLkl. Port»> Ertrn-Beilage« (grsolgt)» »nr mit »er Morgen-AuSgab«, aha» Postbefärderu», ^l «L-, mit Postdesörderunq 70^-> Aanahweschlub für Anzeizt«: Abend-SuSgabe: vormittag« lv llhr. Morgen-Lutgab«: Nachmittag« « llhr. Anzeigen find stet« an die Erprdttion zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet mm früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag vaa E. Pol» in Leipzig. Nr. 251. Dienstag dm 19. Mai lSÜS. 97. Jahrgang. Vie englisch-rutsche Nebenbuhlerschaft am persischen Golfe. 8. England hat in den letzten Jahren eine auf fällige Teilnahmslosigkeit in der vorderasiatischen Politik bekundet. Besonder- in Persien ist daS zu Tage getreten. Rußland hat es dort vortrefflich verstanden, feinen Einfluß immer weiter außzudehnen und Zugeständnisse über Zuge- ständnisse vom Schah zu erlangen. Der Widerspruch Eng land- blieb entweder vollständig aus, oder er erfolgte in so matter Form, daß man weder in Petersburg, noch iu Teheran sonderliche Rücksicht darauf nahm. So ist e- ge- kmnmen, daß die Russen Persien zur Erneuerung des Eisenbahnvertrages vom Jahre 188g zu bewegen ver mochten, daß der Schah bei der Aufnahme mehrerer An- leihen sich nicht nach London, sondern nach Petersburg wandte, -aß die Teheraner Militärverwaltung Rußland da- Recht der Reorganisation ihrer Armee «inräumte und daß erst kürzlich ein Handelsabkommen zwischen beiden Staaten geschloffen wurde, bas dem Zarenreiche nicht geringen Nutzen verspricht. England hat das alles zugelassen, weil eS nicht im stände war, mit Nachdruck sich Rußland entgegenzustemmen und Abmachungen zu hintertreiben, die seinen Interessen nicht dienlich sind. Gegenwärtig indes ist man an der Themse scheinbar zur Erkenntnis gelangt, daß eine der artige Passivität schließlich die Interessen des Reiches schädigen und die Gesamtstellung Englands gefährden könnte. Wenigstens schlägt die Rebe, welche Lord Lans - downe kürzlich im Oberhause gehalten hat, einen so überaus entschloßenen Ton an und betont so energisch die Notwendigkeit des Widerstandes gegen daS russische Bor- dringen zum persischen Golfe und deffen mancherlei Fest- setzungspläne, daß man unwillkürlich an eine Wandlung in der Nachgiebigkeit ücS Kabinetts von St. James glauben möchte. ES darf aber nicht übersehen werden, daß die Rede LanSbowneS vielleicht nur deshalb gehalten wurde, um die öffentliche Meinung Englands zu beruhigen und die Imperialisten zu überzeugen, daß die Regierung ein so wichtiges Gebiet, wie die Gegend um den Persischen Golf, keineswegs kampflos den Russen überlaffen will. Wie dem aber sei, die Ausführungen des Staatssekretär- ent. -alten so viel bemerkenswerte Hinweise, daß es an gebracht erscheint, etwa- näher auf sie einzugehen. England empfindet eS besonders schwer, daß die Ruffen in ihrem Bestreben, sich am Persischen Golfe festzusetzcn und dort einen Stützpunkt zu erwerben, nicht Nachlassen. Lord LanSdowne erklärte ausdrücklich, eine derartige An- läge würbe an der Themse als e r n st« Bc b r o h u n g der britischen Interessen angesehen nnd mit allen zur Der- fügung stehenden Mitteln bekämpft werden. Das klingt sehr herausfordernd nach Petersburg hinüber. Seit vielen Jahren wird in Teheran wegen der Abtretung eines FeuNleton. NeichslSndische Ansichten. Zum Kaifer-Besuche in Elsaß und Lothringen, von vr. Karl Würz. .tachdrur» verboten Die Besuche des Kaisers im Reichslande sind nach und nach zu einer Gewohnheit, zu einer Art fester Einrichtung geworden, die das Ihrige dazu beiträgt, die Bewohner Elsaß-LothringenS fester an das Deutsche Reich zu knüpfen. Nach einem Menschenalter unablässigen Wirkens, Sorgens und Hoffens steht man heute dem Probleme der geistigen Wtebereroberung der Elsaß-Lothringer wesentlich ruhiger und sicherer gegenüber, als vordem. Wenn man einmal auf die Artikel der Presse über diesen Gegenstand vor 15 und 20 Jahren zurückgreift, so empfindet man, daß da überall der Ton patriotischer Erregung und Ungeduld mit- schwingt. Heute liegt eS deutlich vor aller Augen, daß der Germanisattonsprozeß in den Reichslanden unaufhalt sam, wenn auch langsam vor sich geht. BiSmarck hatte recht: nur Ruhe und Geduld haben,' sich mehr der ruhigen Beob achtung des Wachstums der Pflanze hingeben, als dem Bc- dürsniS, daran zu modeln und zu schneiden. Ja, die Pflanze wächst, und an Sonne und befruchtendem Regen fehlt'- ihr sa auch wahrhaftig nicht: denn eS ist für das Reichsland seit 1871 ungemein viel getan worben j und so viel, als z. B. für Straßburg geschehen ist, bas au- der Asche der Belagerung als eine geräumige Stadt mit statt- lichcn, öffentlichen Okbäuden neu erstanden ist, — so viel ist kaum je von einer Regierung für eine andere Stadt geschehen. An Rückbildungen in dem Germanisations- Prozesse fehlt e- freilich nicht; und eine darunter ist be schämend: die Kinder von Eingewanberten nämlich, z. B. von Beamten, bi« sich mit Neichslänberinnen verheirateten, bevorzugen ost genug in geradezu ostentativer Weise die französische Sprache nud wollen „einheimischer" als die Einheimischen sein. Doch da» sind und bleiben Aus nahmen: der natürliche Einfluß der nun einmal gegebenen wirtschaftlichen, geistigen und politischen Verhältnisse, der Handelsbeziehungen, der Wehrpflicht, d«S Theater», der Universität nsiv., macht sich eben doch unwiderstehlich geltend: und wer die Menschen im Rcich-landc ein wenig kennt, der w«iß, daß sie im Grunde mit den bestehenden Berhältuiff« G«h zufrieden sind. Dem»«» sind tM -llge- Platzes in der Nähe der Straße von HormuS verhandelt, der Rußland die Herrschaft über den Golf und eine Ope- rationsbasis gegen Indien sichern würde. Auf die Er langung eines derartigen Hafen- sind die bekannten rus sischen Eiscnbahnpläne zurückzuführen, welche die Küste des Persischen Golfes mit der Hauptstadt Teheran ver binden und von dort einen Anschluß an da- russische Bahn netz Herstellen sollen. Als Endpunkt war und ist wohl jetzt noch Buschir, beziehungsweise Bender-Abba-, ge- dacht, von denen namentlich die letztere Stabt einen hohen strategischen Wert besitzt und dem ehrgeizigen Zarenreiche außerordentlich willkommen wäre. Wenn Rußland den Ausbau der persischen Bahnen und die Erwerbung de- Krieg-Hafen- am Indischen Ozean in letzter Zeit weniger als sonst verfolgt hat, so ist der Grund einerseits in der schlimmen finanziellen Lage des Zarenreiches zu suchen, anderseits in der Zuspitzung der makedonischen Frage und endlich in dem Wunsche, im Osten Asiens eine Entscheidung herbeizuführen. Vielleicht ist eS gerade die Aufrollung der. man bschu - rischen Angelegenheit, welche den Engländern Mut gemacht hat, Rußland in Persien ein Halt zuzurufen. Man will sich übrigens in London nicht nur mit der Verhinderung etnesKriegShafenbaues am Persischen Golfe begnügen, sondern gleichzeitig die sonstigen wirtschaftlichen Errungenschaften des Zarenreiches zu durchkreuzen suchen. Der persische Zolltarif entspricht nach den Worten Lord Landsdownes nicht den Interessen Großbritanniens, und es sind deshalb besondere Verhandlungen zwischen den beiderseitigen Regierungen eingeleitet worben, die den englischen wirtschaftlichen Bedürfnissen Rechnung tragen sollen. Endlich beabsichtigt man, wie der Staatssekretär ausführte, unter allen Umständen, falls in Persien Bahnen entstehen, daS Recht zu beanspruchen, den Bau solcher im Süden de- Reiche- zu unternehmen. DaS sind Er wartungen, die sich schwerlich jemals werben erfüllen lassen. Was die Handelsbeziehungen zwischen England und Persien betrifft, so steht ihrer Regelung nach britischen Wünschen der kürzlich abgeschlossene russisch-persische Handelsvertrag entgegen. Die Petersburger Diplomatie wird jedenfalls dafür Gorge tragen, daß England nur solche Zugeständnisse erhält, die dem russischen Handel und der russischen Politik keinen Schaden verursachen. Da» aber dürfte doch recht schwer zu verwirklichen sein. Ebenso unwahrscheinlich ist die Erwerbung deS Recht» des BahnbaueS im südlichen Persien. Rußland besitzt nicht nur für den Norden, wo eS politisch und wirtschaftlich fast unumschränkte Herrschaft auöübt, sondern für da ganze Reich daS Recht des BahnbaueS. Es ist nicht anzu nehmen, daß es darauf freiwillig zu Gunsten Englands verzichten werde. Und einen Zwang werden die Briten nicht ausüben können. So wird die Sachlage Voraussicht- lich unverändert bleiben. Die Reden Lord Lan-downe- bedeuten daher nur ein starke- Brüsten mit seinen Macht- Mitteln ohne die Absicht, wirklich etwa-Ernste- zu tun. Höchstens, daß die englische Diplomatie in Teheran ein« lebhaftere Tätigkeit beginnt. Das kann bann freilich die Spannung vermehren und die endgültige Auseinander, setzung näher rücken. Aber zunächst ist jedenfalls an einen FricdenSbruch nicht zu denken. Deutsches Reich. O. L. Berlin. 18. Mai. Die Untersuchungen über die Bevölkerungs -Entwickelung der verschiedenen Kultur st aaten tGeburten-Ueber- schuß, Wanderungen) sind nach mannigfachen Richtungen hoch interessant, denn sie ergeben wichtige kulturhistorische Bilder. Die letzte Volkszählung hat sich damit eingehend beschäftigen müssen. Gemeinsam ist für alle Kulturländer das Eine, daß die Bevölkerungszunahme, die, von Irland abgesehen, in allen Staaten und in allen beobachteten Zeit räumen bemerkbar wird, überall ausschließlich oder doch wenigstens hauptsächlich auf einem Ueberschuß der GeburtenüberdieSterbefälle beruht. Dieses natürliche Volkswachstum beziffert sich in der ganzen Periode 1841/1900 in Deutschland auf 28^ Millionen Menschen, in England und Wales auf 17,2, in Oesterreich auf 10,3, in Frankreich aus 4,0, in Schweden auf 2,8, in Belgien auf 2,7, in den Niederlanden auf 2F Millionen. Zieht man, um alle Staaten miteinander vergleichen zu können, nur daS Decennium 1801—1000 in Betracht, so hatte — entsprechend seiner Botkszahl — daS Deutsche Reich nächst Rußland die stärkste natürliche Bevülke- rungsoermehrung. Seine Bevölkerung vermehrte sich in diesem Zeiträume alljährlich durch rund 700 000 Geburten tabzüglich der Lterbeiälle) oder um mehr als doppelt so viel als Großbritannien oder Oesterreich. Hinter Rußland aber stand Deutschland zurück: dort stellte sich der Gcburten- Ueberschuß im Durchschnitt 1891/97 auf 1,4, 1897 aus 1,7 Millionen. Was die Wander ungen anbetrifft, so hat in absoluter Zahl Deutschland mehr Menschen au diesem Wege abgegeben, als die anderen Staaten, so weit für sie vergleichbare Daten vorliegen. Betrachtet man die relativen Zahlen, so nimmt, was den Zeitraum 1841/1900 angeht, zunächst bezüglich de- Geburten-Uebcrschuffe» Deutschland eine mehr mittlere Stellung ein. Der deutsche Geburten-Ucberschuß l1,13 Proz.) wurde von Eng land, Wales, Schottland, den skandinavischen Staaten, Kinlaird und Rußland übertroffen, ließ aber den Frank reichs, Spanien- und Irlands erheblich hinter sich zurück. Im letzten Decennium aber war die Stellung Deutschlands eine wesentlich günstigere, denn in diesem stand es mit dem Geburten-Ueberichub nur wenig hinter Rußland und überragte — abgesehen von den Niederlanden und Norwegen — hierin alle übrigen Staaten. In Frankreich betrug der Geburten-Ueberschuß in dieser Zeit nur 0,09 Proz., in den Jahren 1890—62, 1898, 1900 war von einem Geburten - Ueberschuß überhaupt n ich t die Rede. Sehr ungleich ist die Bedeutung, welche neben dem Geburten-Ueberschuß dem Wanberungs- E r g e b n i - in den einzelnen Ländern zukommt. In Ir land ist der Wanderungs-Verlust weit stärker als die natürliche Vermehrung, er bewirkt hier daher die Ab- nähme der Bevölkerung, In Schweden, Norwegen, Schottland und Italien erreicht der Wanderungsverlust neben dem Geburtenüberschuß immerhin noch eine be trächtliche Höhe, für einzelne Jahrzehnte ist dies auch für Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Spanien und Dänemark der Fall. Demgegenüber verzeichnet Frankreich einen fort gesetzten WanderungS-Gewinn, England und Wale», Bel gien und die Niederlande nur unbedeutende Verluste. Die Wanderungen erweisen sich keineswegs als Folge der natürlichen BolkSvermehrung, al- „Ventil bet Dampf überspannung geaen relative Uebervölkerung"; mehr noch haben sie ihren Grund in den jeweiligen allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Ab- und ZuwanderungSgebtete. Am stärksten waren — und die- ist eine für fast alle west- und mitteleuropäischen Staaten ge meinsame Erscheinung — die WanderungS-Verluste in den achtziger Jahren. Sie waren im wesentlichen durch die günstigen Aussichten veranlaßt, welche die Länder jenseits des OzeanS, besonders die Bereinigten Staaten von Nord- amerika, den Zuwandernden boten. Wie groß namentlich in dem erwähnten Jahrzehnt 1881/90 die Abwanderung über den Ozean war, dafür bietet einigen Anhalt die da- malige Gesamteinwanderung nach den Bereinigten Staaten: sic ist ausweislich folgender Zahlen bedeutender als im letzten Jahrzehnt und in den Decennten vor 1880. J-hr,ehnt Etuwandkrer nach den verewigte» Staate» »on Ämerita. 1821/80 . . . . . 143 439 1831/40 . . . . . 599125 1841/50 . . . . . 1713 251 1851/60 . . . . . 2 598 214 1861/70 . . . . . 2 314 824 1871/80 . . . . i 2 812191 1881/90 . . . . 5 246 618 1891/1900. . . . . 3 844 420 Zusammen 19 272 077 -i- Berlin, 18. Mai. (Das „Deutsche Adels blatt" als Schrittmacher des Bunde- der Landwirte.) Das Organ der Deutschen Adel»- gcnosseu schäft erweist sich in seiner neuesten Num mer in besonders auffälliger Weise als Schrittmacher des Bundes der Landwirte. Davon ausgehend, daß der „agrarische Keil" auch den Bestand der Konservativen be drohe, daß der „Riß" zwischen Bund und Konservativen „bereits wieder zur Kluft geworden", tritt da- „Adels- blatt" vollständig auf die Seite des Bundes der Landwirte, indem es u. a. ausführt: „Wir stehen an einem Wende punkte der Geschicke unseres Volkes. . . . Auch der deutsche grundbesitzende Adel, auch die Leser unseres Blattes, wer den vielfach in die peinliche Lage kommen, zwischen alten und neuen Postulaten zu wählen, zu entscheiden, ob sie auch Agrarier oder ob sie nurl!) Konservative sind.. .. Uns ist nicht bange davor, daß ein jeder deutsche Edelmann, der das Herz auf dem rechten Flecke hat, auch wissen wird, was ihm zu tun obliegt angesichts der Gefährdung der Grundlagen unserer wirtschaftspolitischen Machtstellung durch eine freisinnige Manchester- und Schachcrpolitik. Liegt doch die Kraft und die Bedeutung des Adels von jeher in der Unabhängigkeit der Gesinnung, die im Grund besitze eine gewichtige Stütze findet. Das schließt selbstver ständlich Treue im persönlichen Dienstverhältnisse zur Krone nicht auS. Aber der Stand als solcher, der aus freien, unabhängigen Männern besteht, braucht deswegen nicht das zu sein, was man heute mit dem schlechten Worte „g ouv er n e m e n t a l" bezeichnet."—Bon diesem Stand, punkte auS gelangt das „Deutsche Adelsblatt" zu einer schroffen Bekämpfung des konservativen Gegenkandidaten gegen den Bundeskandtdaten v. Oldenburg in Elbing und zu einer scharfen Polemik gegen die Regie meinen Leute von nüchterner Lebensklugheit: und sie merken ganz wohl, daß die deutsche Ordnung und die Prosperität deS deutschen Wirtschaftslebens, die doch die allgemeine Signatur des letzten Menschenalters bildet und an -er auch Elsaß-Lothringen seinen Anteil hat, gar nicht so üblen Ersatz für so manches geboten haben, was sie einbüßen mußten. Und es haben unS auch Begebenheiten, wie der Panamakrach und der Dreysus-Skandal, gan- gute unfreiwillige Hülfe geleistet: wir Wilden, wir „Bar baren" von Anno 70 waren denn doch die besseren Menschen. Die Geschichte erklärt es, daß dem Deutschen kaum ein Gau seines Vaterlandes so anS Herz gewachsen ist, wie eben Elsaß-Lothringen. Keine Stadt ist in der Weise durch ein altes, ergreifend-schönes Volkslied verherrlicht worden, wie Straßburg. Darum ist es überraschen-, -aß dennoch das Reichsland als Touristenziel von den Deutschen noch immer verhältnismäßig vernachlässigt wird. Ein paar Glanzpunkte der Bogesen mag man allenfalls auSnehmen, und natürlich auch Straßburg selbst, dessen Münster in seinem Wundergewandc steinernen Spitzenwerks, in der Weihe seiner Erinnerungen an Erwin von Steinbach und Goethe jeder Deutsche so gut einmal sehen muß, wie die Wartburg nnd da- Schloß zu Heidelberg. Allein, davon ab gesehen, wird das Reichsland doch recht wenig besucht. Wer von den Lesern sah wohl den feierlichen romanischen Dom in Mauersmünster? Das wahrhaft romantische, rutnenretche Tal der Zorn? Die köstlichen alten Häuser im freundlichen Zabern? Die entzückenden landschaft lichen Schönheiten deS DagSburgcr Lande»? DaS un einnehmbare Felsennest Bitsch? ES ist merkwürdig, wie langsam in dieser Zeit der Retscletdenschast der Touristen strom sich an neue Wege gewöhnt. Wie lange hat eS ge dauert, ehe das Moseltal auch nur einigermaßen zu seinem Rechte gelangte! Ein jeder, der es einmal bereiste, weiß, daß die berühmte Strecke bis Trier hin mit den schönsten Partien drs RheintaleS dreist wetteifern darf. Allein, eS lohnt sich schon einmal, die Mosel noch weiter stromauf wärts, ins Lothringische hinein zu verfolgen. Wie reizend liegt Eierck, von schroffen Höhen dicht an » Mer gedrängt, von Ruinen malerisch überragt, ein kleiner Ort, aber ein belebter Hafen und ein behagliches, nette» Mofelnrst. Wetter südlich wirb daS tzlußtal flacher und breiter, und da zieht baß alte wehrhaft« Ticbenhofen das Interesse auf sich, wo man von je vor allem lernen mußte, » s« ckskaackre «t d attaguar, »o der Schatten -e» kühnen »euer«ls Hoche R»r unS «staucht »nd «ch hexte noch die Uniform em» große Rolle spielt, eine alt-neue, saubere, rührige Stadt. Metz aber mit seiner Fülle von alten, dunkeln, malerischen Winkeln, seinen bis in die Römerzeit htneinreichenden Erinnerungen, seiner steilen Kathedrale wirb selbst für den verwöhnten Reisenden immer etwa- ungewöhnlich Anziehendes haben. Wer so weit gekommen ist, der sollte auch seinen Stab weiter nach Westen setzen, in jenen Teil Lothringens, wo man seine Bewohner am besten verstehen lernt, wo -er Boden hart wird, die Rebe verschwindet, der Wald die Herrschaft antritt, wo sich die Herbigkeit und Härte der Natur auch in den Zügen der Bewohner auS- spricht. Wer je in diesen Bezirken die Mühen einer mili tärischen Uebung durchzumachen hatte, der hat eS erfahren, wie rauh und ernst in weiten Teilen dies Land ist, wie weltverloren und kümmerlich hier ein lothringisch Dorf sein kann. ES fällt auf, wie wenig Komfort und Schön- hettssinn die Häuser aufwetsen, wie wenig trauliche Winkel und individuell ausgestaltete Bauten man hier findet, wie sehr der Sinn der Bewohner auf die praktischen Interessen gerichtet ist. Wenn man an solcher Stätte an die Gegend denkt, in der de- Kaisers Besitzung Urville liegt, wenn man sich etwa im Geiste in daS nicht weit von Urville gelegene Remilly mit seiner freundlichen Behäbigkeit versetzt, dann erkennt man, welche Gegensätze Deutsch.Lothringen in sich vereinigt. Und nun gar der Gegensatz zum Elsaß! Noch heute kann der, der vom Bttscher Ländchen in» Elsaß kommt, die Em pfindung haben, daß er auS der französischen Kulturzone tnS Deutsche gelangt ist. Bor mehr als 350 Jahren schrieb ein deutscher Mann, der doch im herrlichen Rheingau zu Hause war, schrieb der wackere Sebastian Münster einen wahrhaften Lobgesang auf das Elsaß, der in seiner Treu- Herzigkeit noch heute von Reiz ist und der in seinem Inhalt den Grundzügen nach immer noch zutrifft. Also schrieb er: „Wie fruchtbar daS Elsaß sei, magst Du darauß mercken, daß in dem engen begriff alle jar ein solch groß Gut von Dein und Korn gesellt, daß nicht allein darvon seine Eyn- mohner, der trefflich viel sind, zu leben haben, sondern man führt darauß mit Schiff und mit Wägen den köstlichen Dein in Schweyyerlandt, Schwabenlandt, Bayerlandt, Nteberkandt und in Engellandt. Im Sungöw, ja im gantzen Elsaß auff der ebene wcchßt «in groß Gut von Korn, bar- von Lothringen, Burgund und Schweytzerlandt auch zu essen haben. An dem Berg kocht sich der gut W^n, und auff der ebne wechßt daS Korn und viel fruchtbarer väm«. Man sinkt «ch Gantz Will» mit Kesten'«Sumeu in den Bergen .... Weiter was köstlicher Weyd in diesem Gebirg gefunden wird, zeigen an die guten Münsterkäß, so man darauß bringt, und daß ich es mit kurtzen Worten sag, ist cs in dem gantzen Teutschen Landt keine Gegenheit, die diesem Elsaß möchte verglichen werden. Man findt wol Länder in Teutfchlandt, da besser Wein wechßt, der sich dem Elsässer vergleicht, sic haben aber nicht darbet solchen vollen Brotkasten und lustige Obsgärten wie das Elsaß." So schrieb der biedere Sebastian, und man begreift es mit ihm, daß ein Land, wie dies, eine große Anziehungskraft ausüöen mutzte. Man findet, so bemerkt er des ferneren in seiner Kosmvqraphie, „nit einerley, sondern mancherlei) Volk in diesem Land. Auß Schwaben, Bayern, Burgund und Lothringen lauffen sie dareyn, und kommen selten wieder darauß." Diese Tatsache hat auch den Charakter der Bevölkerung bestimmt, die keineswegs etwa rein ale- mannisch ist. Man kann im Elsaß, sagt vr. Witte, die ganze Entwickelung vom fränkischen Dialekt bis zum Schweizer Alemannisch von Norden nach Süden gehend verfolgen. Dabei hat aber das Elsaß immer «ine starke assimilierende Kraft besessen. Diese Alemannen und Franken und Bayern und ebenso heut die eingewanberten „Altdeutschen" — sie werden allesamt früher oder später echte Elsässer: das Elsaß ist wirklich ein einheitliches Ganzes. Lebenslust, Gemütlichkeit, Rührigkeit, dabei zugleich immer viel ge- sunder Menschenverstand und nüchterne- Urteil — diese Eigentümlichkeiten wurzeln tief im Volke. Man fühlt sich bald wohl unter ihm: und wer in Straßburg ein Semester oder zwei zugcbracht hat, der hat eS wohl selten bereut. Und dann der WaSgau mit seinen unermeßlichen Wäldern, seinen ranfchenden Flüssen, seinen Burgen und Ruinen, seinen friedlichen und gemütlichen Dörfern, mit seinen weiten Blicken über dunkle Kuppen und auf blaue Fernen, mit seinen Schluchten und stillen Forsthäusern — man möchte e» für die vielen, die deS Jungbrunnens der Gottesnatur bedürfen, beklagen, wenn man sein« Wald pfade oft stundenlang so einsam findet, aber als Wanderer mntz man sich ihrer Einsamkeit freuen. Steht man dann ans der Höhe und sieht das schöne Land wie eine Karte aufgerollt vor sich liegen, bann denkt man wohl der schweren Nöte und Kämpfe, die es uns gekostet, und man empfindet: sie waren nicht umsonst: eS war der Mühe wert, die» köstliche Land, seine Schönheit und seine Kraft dem Deutschen Reiche zu vermählen.
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