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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.03.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-09
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990309012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899030901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899030901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-03
- Tag1899-03-09
- Monat1899-03
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Denn de« alten guten Kaiser« in gelassener Dankbarkeit zu gedenken, ist uns noch nicht vergönnt. Wohl blieb dem deutschen Reiche die überkommene äußere Machtstellung unter den Völkern gewahrt. Ob aber nicht die innere, geistig-sitt liche Kraft der Nation von nahen Gefahren bedroht ist, maß sich der Vaterlandsfreund mit banger Sorge fragen. Jenen Gefahren im Geiste Wilbelin'S I. zu begegnen — diese Mahnung vor Allem enthält Heuer der Todestag des Unvergeßlichen. „Dem Volke muß die Religion er halten bleiben!" Kaum hatte sich im Sinne dieses kaiser lichen Ausspruche- «in nationalliberaler NeichStagSabgeordneter geäußert, da beeilte sich der Klerikalisinus, gerade jes-t voll von ausschweifenden Hoffnungen, die Worte des national liberalen Abgeordneten so ausrnlegen, wie cs den Herrschasts gelüsten der römischen Weltkirche frommt. Daß aber die Ueberzeugung, dem Velke müsse die Religion erhalten werden, mit Nichten zur Unterwerfung unter den Ultramontanisnms, den geborenen Feind der Staatsgewalt und der Gewissens freiheit, nöthigt, lehrt daS Beispiel Kaiser Wilhelm's I. Er bat, wie Erich Marck« in seiner trefflichen Biographie ur- tbeilt, den Kampf um die Herstellung einer festeren Selbst ständigkeit deS weltlichen Staate« gegenüber den wachsenden Ansprüchen deS Papsttbums freier und entschiedener als die meiste» der ihm nahe stebrnden Eouservativru ausgenommen. Wie stark bei Wilhelm I. das staatliche Bewußtsein und das Bestreben, den inneren Frieden gegen den Ultramontanismus zu schützen, entwickelt war, dafür legen vor Allem jener Brief an PiuS IX. vom 3. September 1873 und jenes Handschreiben an Lord Russell vom 24. Februar 1874 denk würdige« Zeugniß ab. Aus der Antwort auf ra« vou niaß- 'oser Herrschsucht eingegebrne päpstliche Schreiben geben wir nur die folgende kurze Stelle wieder: „ES ist nicht Meine Aufgabe, die Ursachen zu untersuchen, durch welche Priester und Gläubige einer der christlichen Consessionen be wogen werden können, den Feinden jeder staatlichen Ordnung in Bekämpfung der letzteren behilflich zu sein; Wohl ober ist e« Meine Aufgabe, in den Staaten, deren Regierung Mir von Gott allver traut ist, den inneren Frieden zu schützen und daS Ansehen der Gesetze zu wahren. Ich bin Mir bewußt, daß Ich über Erfüllung Lieser Meiner bürgerlichen Pflicht Gott Rechenschaft schuldig bin und Ich werde Ordnung und Gesetz in Meinen Staaten jeder An fechtung gegenüber aufrecht halten." Und in dem Handschreiben an Lord Russell, das gewisser maßen die Antwort auf das gemeinsame Sendschreiben der preußischen Bischöfe vom 21. Februar 1874 ist, heißt e«: . Mir liegt die Führung Meines Volkes in einem Kampfe ob, welchen schon frühere Deutsche Kaiser Jahrhunderte hindurch mit wechselndem Glücke gegen eine Macht zu führen gebabt haben, deren Herrschaft sich in keinem Lande der Welt mit dem Frieden und der Wohlfahrt der Völker verträglich erwiesen hat und deren Sieg in unser» Tagen die Segnungen der Reformation, die Gewissensfreiheit und die Autorität der Gesetze nicht blos in Deutschland in Frage stellen würde . Der sittliche Ernst seines echten Herrschergefübls und daS energische Bekenntniß zur Erfüllung staatlicher Pflichten kommt in den beiden vorstehenden Auslassungen in beredtester Weise zum AuSvruck. Möge die Lehre, die sie enthalten, vor allem im konservativen Lager beherzigt werden, in dem immer mehr Anzeichen für die Neigung hervortreten, in die Bahn eines CentrumScurseS einzulenken. Än die Jugend wendet sich ein Aufruf, den eine Anzahl angesehener Männer in Köln erlassen hat, — an die Jugend im deutschen Lande, die in absehbarer Zeit ein kostbares Erbe an vaterländischen und freiheitlichen Gütern übernehmen soll, ohne es miterlebt zu haben, wie die Väter jenen reichen Besitz nur unter schweren Mühen erwerben konnten. Alberner Spott, neidische Nörgelei und tönende Phrasen, — das war eigentlich Alles, was uns im Gefolge des Aufrufes be gegnete. Die klerikale Presse erhob sich bis zu der Bemerkung, daß der Aufruf inmitten der Earnevalszeit erscheine. Die radikale Presse druckte es nach und brachte aus Eigenem noch die Anmerkung fertig, daß die nationalliberale Partei hierdurch ver- rathe, wie sie vom Mangel an jungem Nachwuchs sich bedrückt fühle. Die Socialdemokratie, die heute bereits am Werke ist, den Schatz unserer Bilder- und Märchenbücher für die Kinder zu zerstören und durch eine „Jugendliteratur" im Sinne des kom munistischen Manifests zu ersetzen, — sie glaubte naserümpfend bemerken zu sollen, daß die Nationalliberalen sonst für den gesetzlichen Ausschluß der Minderjährigen sich begeisterten, während sie jetzt selber hinter der Jugend herliefen. Minder jährige und Jugend! Endlich gaben auch einige im Deutschthum als Uebermenschen sich fühlende Sonderlinge ihre Bemerkungen zur Sache ab. Mit neunmal weiser Miene meinten sie: für Parteipolitik werde sich die deutsche Jugend nimmermehr ein fangen lassen, mit dem Parteigezänt der „Alten" wolle sie auf geräumt wissen, um national zu sein im Denken und Handeln. „Wenn erst einmal das gesammte öffentliche Leben unseres Volkes von Männern geleitet sein wird, die von Jugend auf dem partei politischen Brimborium entrückt gewesen sind", dann „werden Enkel kraftvoll walten, schwer Errungenes zu erhalten." Wir verweisen quf diese Stimmen der Presse. Solcher ekle Spott und solche Nörgelei sind ganz darnach angethan, die Jugend von der Antheilnahme am öffentlichen Leben zurückzu schrecken. Die Phraseologie der Deutschthümler hingegen birgt eine ebensolche Gefahr; sie ist gerade hochtrabend und tönend genug, um der Jugend gefällig im Ohr zu klingen und um sie mit dem Dünkel zu erfüllen, als sei es verdienstvoll und groß, den Antheil am öffentlichen Leben geflissentlich abzulehnen. Als wenn die Parteipolitik Selbstzweck, als wenn Partei und öffent liches Leben ein und dasselbe wären! Flach und unersprießlich soll die Gegenwart sein, „Partei- Brimborium" ihr ganzer Inhalt, der den Erwachsenen, um wie viel mehr di« Jugend abstößt und anwidert? Jawohl, das wird behauptet, wird weitergetragen und dient Hunderten zum Vor wand für die Vernachlässigung von Bürgerpflichten, wie für die Verleugnung der Bürgertugenden. Daß nicht Alles nach Wunsch vorangeht und Manches nichts weniger als erquicklich ist, — wer wollte es in Abrede stellen? Aber wann wäre es anders gewesen? Wir hatten eben in diesen Tagen ein Buch in Händen, das — viel zu früh für das An sehen Forckenbeck's — eine Reihe von Briefen ans Tages licht zerrt, die er in der Zeit nach 1867 an seine Frau geschrieben. Heute wird gewiß Jeder geneigt sein, jene Zeit als die große zu bezeichnen. Namentlich die heutige Jugend wird den Wunsch empfinden: wäre uns doch beschieden gewesen, damals mit auf- zubauen, unter BiSmarck'S großer Führung damals mit zu kämpfen, mit zu erringen. Und es ist in der Thai d i e große Zeit gewesen, — wenigstens nach dem übereinstimmenden Urtheil Aller, die groß zu denken und weit zu schauen im Stande waren; sie soll es auch in der Ueberkieferung bleiben. Aber man lese diese Briefe von Forckenbeck. Wie war er voll des Mißbehagens über die Personen und Verhältnisse jener Zeit, in der er „dabei" sein durfte; wie unbefriedigt über das Errungene, wie nieder gedrückt um dessen willen, was nicht zu erreichen war!? So wird jede Zeit für den Einzelnen verschiedenen Werth be sitzen, je nachdem er den Maßstab des historischen Zusammen hanges und der Gesammtergebnisse anlegt oder den der Werth schätzung deS lieben Ich inmitten einer großen Entwickelung. Auch die Gegenwart hat ihre großen Züge, auch sie bietet Gelegenheit, großen Zielen mit zu dienen, und wenn man über das Kleinliche und Einzelne hinauSblickt, wird auch die Mitarbeit in dieser Gegenwart manche Befriedigung gewähren. Uebrigens — möchte die Zeit gut oder böse sein, — jedes Ge schlecht muß eben an der Zeit und von der Zeit lernen, in die es hineingewachsen ist, und muß durch rastlosen Eifer den Werth derselben zu erhöhen bestrebt sein. Wenn aber je eine Nothwendigkeit vorlag, der Jugend zum Bewußtsein zu bringen, daß sie ihre Pflicht zu erfüllen, am Ringen und Streben im Dienste des Gemeinwohls sich zu be theiligen hat, und daß sie irgendwo in Reih' und Glied treten muß, um diese Pflicht erfüllen zu können, so liegt die Noth wendigkeit jetzt vor. Der große Kanzler hat die Augen geschlossen. Sein Ver- mächtniß will in Ehren gehalten sein von Vätern und Söhnen. Jeder Tag bringt neue Arbeit mit sich, — es gilt weiterzubauen und zu vertheidigen. Das Reich übernimmt neue Aufgaben als Folge seiner er weiterten Machtstellung in der Welt; es verschieben sich die Be ziehungen im Völkerverkehr; es ergeben sich neue kulturelle, neue politische Interessen; es treten an den Wagemuth des Einzelnen wie an den Gemeinsinn Aller ganz andere Erfordernisse heran. Jede Stunde bringt es mit sich, daß die Einsichtigen und Weit blickenden ihren belehrenden und führenden Einfluß auf die Volksmassen geltend machen müssen, um durch deren zielbewusstes Verhalten die Negierung zu stützen, die Vertretung deutscher In teressen draußen in der Welt zu fördern, das Gewicht und An sehen der Nation selbst in den Augen der Welt zu verstärken. Soll die Jugend hierbei nicht betheiligt werden, soll sie in dem Dünkel, als wenn sie zu gegebener Zeit schon ebenfalls das Rechte treffen werde, — unthätig bei Seite stehen, bis die Väter heimgegangen sind? Im Innern nagt allerhand Verdrossenheit, zehrt allerhand Mißgunst und Haß und Aberwitz an unseren Errungenschaften! Da kann ein Kammerpräsident dem gestorbenen Bismarck keinen Nachruf widmen, weil die klerikale Mehrheit „so etwas" nicht erleben mag. Da darf ein deutscher Abgeordneter in einem Brief nach Dänemark die einfachsten Rücksichten patriotischen Selbst bewußtseins mit Füßen treten, und weil es gerügt wird, dürfen deutsche, sogar in der Reichshauptstadt erscheinende Blätter von Uebertreibungen des Nationalgefühles ein lamentables Gerede führen. Da darf eine kalte weltbürgerliche Idee, von Ideologen und Schmarotzern in seltsamer Gemeinschaft ausgebeutet, ins Gemirth des Lohnarbeiters und des minder Wohlhabenden ge pflanzt werden; die Liebe zum Vaterlande, das Wrständniß für die sociale Gliederung, die Freude an der Arbeit, alle staats bürgerliche und bürgerliche Tugend darf erstickt, durch zersetzende Leidenschaften verdrängt werden. Alt und Jung müssen sich fest zusammenschließen, wehrend und belehrend den Kampf auf nehmen, wenn der Klerikalismus, die Vaterlandslosigkeit und der Classenhaß das Erbe der großen Zeit nicht in Frage stellen sollen. Und die Jugend sollte nicht aufgerufcn werden, auch ihrerseits an die Pflicht aller deutschen Patrioten zu denken? Da treten wirthschaftliche Interessen in den Vordergrund und breiten sich aus, als ob der Kampf Aller gegen Alle nicht mehr zurückzuhalten wäre, als ob di« evwerblichen Classen sich nicht mehr dulden, nicht mehr gegenseitig durch Zugeständnisse sich die Existenz neben einander erkaufen möchten. Der Streit zerklüftet das Bllrgerthum in Stadt und Land, und die Aussichten de» Dunkelmänner auf reiche Beute wachsen in bedenklichem Maße. Die Ideale der bürgerlichen und der geistigen Freiheit wollen gegen Verkümmerung geschützt, sie wollen dem Bewußtsein des Volkes wach erhalten sein, und hierbei könnte die Mitarbeit der Jugend entbehrt werden? Im wissenschaftlichen Meinungsstreit entwickeln sich unter dessen die Umrisse einer neuen deutschen volkswirthschaftlichen Schule, sie sollen fortgebildet, auf das Wirthschaftsleben der Nation praktisch angewandt, den breiteren Schichten erläutert werden. Das neue System, in welchem sich die Wirkungen der Selbstverantwortlichkeit und der staatlichen Fürsorge glücklich er gänzen sollen, muß aber auch gegen Erschütterung behütet werden. Die Gefahr eines Rückfalles in das Manchestersystem mag nicht gerade groß sein, — um so mehr die Gefahr eines Hinausschießens über das Ziel, einer Uebertreibung im Sinne des allgemeinen ReglementirenS von Staatswegen, wodurch die eigene individuelle Thatkraft und Strebsamkeit nur zu bald er stickt wäre. Soll die Jugend nicht zur praktischen Erkenntniß der Grenzen, die hierbei einzuhalten sind, angeleitet und erzogen werden? Wohl! Es war ein wirkliches Verdienst, daß deutsche Män ner diesen Appell an die Jugend gerichtet haben. In den Reihen unserer Gesinnungsgenossen im Lande möge der Gedanke aus genommen werden und überall lebendigen Widerhall finden. Auch die Jugend darf ihre Zeit nicht versäumen, auch sie muß ein mal Rechenschaft ablegen, was sie mitgewirkt hat, um dem Vater lande zu Kraft und Glanz zu verhelfen. Das bewirkt sich nicht anders, als im Anschluß an vorhandene politische Gemeinschaften. Es ist das unbestrittene Recht der Jugend, diesen Organisationen vom eigenen Geiste rinzuflößen, so viel zur Verjüngung er forderlich sein mag. Von diesem Rechte mache sie Gebrauch, aber Thorheit und Versündigung am Vaterlande wäre es, träu merisch abseits zu stehen, bis eine Zukunft da ist, die allein der heutigen Jugend gehören könnte. Eine solche Zeit kommt nie. Bis die heutige Jugend „ihre" Zeit erlebt, wird wiederum hinter ihr ein junges Geschlecht stehen und auf ein Recht pochen, das mit ihm geboren ist. Dann müssen Diejenigen bereits Erzieher sein, die sich heute erziehen lassen sollen. Wir begrüßen es leb haft, daß von Köln aus die Anregung ergangen ist, im Wege der Vereinsbildung dafür zu sorgen, daß die heutige Jugend der einst ein Geschlecht politisch wohl geschulter Männer sei, um dem Vaterlande mit Erfahrung und Thatkraft zu dienen. Das Bei spiel möge von unseren Parteifreunden überall im Reiche beachtet und 'befolgt werden. - Deutsches Reich. /?. Berit», 8. März. (Auswanderung und Leuten noth.) Nach der Auswanderungsstatistik für 1898 hat die Auswanderung tm letzten Jahre wieder nicht unerheblich ab genommen und ist im letzten Jahre mehr als zehnmal so gering gewesen, als 17 Jahr« vorher. In den östlichen Provinzen ober ist die Abnahme eine noch stärkere als in den anderen Theilen des Reiches. Während nämlich die Auswanderung sei: 1891 sich im Durchschnitte des ganzen Reiches nur um das SeckHfache verringert hat, hat sie sich in der Provinz Westpreußen um das Achtzehnfache, in der Provinz Posen um das Fünfzehnfache, in der Provinz Pommern um das Dreizehnsache vermindert. Trotzdem wird gerade in diesen Provinzen jetzt viel mehr über die Leutenoth geklagt, als vor einem halben oder einem ganzen Jahrzehnt. Man macht nun, da die Aus wanderung nach fremden Ländern ziffernmäßig nicht dir Schuld an der Leutenoth tragen kann, Die BevölkerungSoerschiebung innerhalb des Reiches selbst Dafür verantwortlich. Die Auswan derungSstatistik aber liefert den Beiveis, rin wie verfehltes Mittel cs wäre, wenn man die Auswanderung innerhalb des Reiche-, selbst durch eine Beschränkung der Freizügigkeit bekämpfen wollte Man würde dann sofort die Wahrnehmung zu machen haben, daß die so stark verminderte Auswanderung nach überseeischen Ländern wieder in die Höhe schnellte. Denn ein großer Theil derjenigen Personen, Die durch irgend welche Gesetze in ihrer freien Bewegung innerhalb des Reiches gebindert werden würden, würde in Der Auswanderung sein Hckil sehen. Damii aber wäre einerseits der Landwirthsckzaft nicht gedient, anderer seit» würden der Industrie einheimische Kräfte entzogen werden. Die Auswanderungsstatestik thut also dar, daß die Regierung nicht gut Daran thäte, den ihr angerathenen Weg der Be schränkung der Freizügigkeit zu beschreiten und damit Tausende von arbeitsfähigen Personen aus der Heimath „fortzu grau len". r-r Berkin, 8. März. (Criminal statt st ik und Socialdemokrati«.) Wer in statistischen Nachweisungen nicht bloße Ziffern sieht, sondern auch in den trockenen Zahlen die socialpolitischen Zusammenhänge zu «rken nen weiß, wird bei der eben veröffentlichten Eriminalstatistik der Jahre 1882 bis 1896 seine Rechnung finden. Zwei Ersckri nungen stehen in einem gewissen Zusammenhang« mir der So cialdemokratie: die Abnahme der Vergehungen gegen das Eigen thum und die Zunahme der Vergehungen gegen die Person. Das häufigste Vergehen gegen da- Eigenthum ist der Diebstahl. Dieses Vergehen ist in allen seinen Abarten in den 14 Jahren von 1882 bis 1896 außerordenilicb zurückgegangen: der einfache FruiHrtsir. Meine Slaumeiseu. Ein Vogelbild von Flora Rinck. Nachdruck verboten. Obgleich der Winter noch im Kalender steht, webt doch der Frühling schon q»n dem duftigen Gespinnst, das er der Mutter Erde mählig überzuwerfen gedenkt, auf daß sie hold geschmückt des Jahres schönste Monde festlich empfange. Auch der Vögel bunte Menge haucht er an mit seinem belebenden Odem, daß Sorge und Noth auS der von de« Winters Murren verängstig ten Brust schwinde, und statt ihrer Frohmuth und Liebeslust hineinzieht. Mit kosendem Gezwitscher sucht das Männchen nach einer trauten Genossin, und bräutliche Lust spricht aus ihrem neckischen Treiben. Ja herrlich ist es, die lustigen Gefiederten in der Freiheit sich tummeln zu sehen, aber so gern auch mein Auge sich an ihnen ergötzt, wenn sie sich in schönem Fluge durch die Lüfte schwingen oder beutesuchend durch Baum und Strauch streichen — der reizvollste Anblick, der lieblichste Eindruck, der mir je von Vögeln gewährt worDen ist, ja der lieblichst« überhaupt, den ich mir in «nein Alter hinübergerettet habe, den verdanke ich doch einer kleinen Vogelgesellschaft, die mir «inst gänzlich verwaist und hilf los ins Haus gebracht wurde, und dieses dann mit dem Zauber anmuthigster Natur erfüllte. Ich wohnte damals in einem nahe dem Rosenthake gelegenen Hause, zu dem ein großer Garten gehörte. Dom nahen Walde her kamen viele Vögel mannigfaltigster Art in den Garten, und vom Besitzer des Hauses wurde auch alles Mögliche gethan, um die leichtbeschwingten Gäste an seine Scholle zu fesseln. Das gelang zumeist bei Staaren, bei Kohl- und Blaumeisen, die die für sie angebrachten Nistkästen fast nie unbesetzt ließen. In dem einen Jahre nun war mein Augenmerk besonders auf einen Meisenkasten gerichtet, dessen Flugloch gerade den Hinterfrnstern meiner Wohnung zugewandt war, und den ein Blaumeisen- Pärchen bezogen hatte. Sowie eS meine Zeit nur irgend er laubte, stand ich am Fenster und sah den entzückenden Geschöpf- chen zu, wie sie eifrig Niststoffe herbeitrugen, um die Wochenstub« mollig und warm einzurichten; wie dann das Weibchen nur selten noch zum Vorschein kam, desto eifriger aber der sorgsame Gatte hin und her hastete, dann zurückkam mit irgend einem unglückseligen Kerbthiere oder einer sich krampfhaft krümmenden Raup« im Schnabel, die er als „gefundenen Leckerbissen" der ge duldigen Wöchnerin neidlos in den lüstern geöffneten Schnabel steckt«. Meine Freude an dem lieblichen Schauspiel erreichte aber ihren Höhepunkt, als ich eines Tages sah, wie nun beide Lili putaner-Gatten draußen umberschossen, eifrig auf Kinderfutter jagend, und wie statt des blauen Köpfchens der ehrsamen Frau Meise mit dem zierlichen Schnäbelchen, sich die breiten, nichts weniger alt schönen gelben Speisewerkzeuge der futtergierigen Brut zum Flugloche deS Kasten» hinausreckten. Dann wieder kam ein Tag, wo ich wohl die Jungen noch sah und ihr angstvolles Gekreische vernahm, aber auch bemerkte, daß letzteres unerhört blieb: dar Elternpärchen war und blieb ver schwunden, vielleicht von einer neben dem Nistkasten auf der Lauer liegenden Katze oder auch von einem Raubvogel ergriffen und verzebrt. Möglichenfalls hatte aber auch der allzureichkiche Kindersegen, eS lagen, wie wir später entdeckten, elf hungrige Geschöpfchen im Neste, sie muthloS gemacht und zu dem Ent schlüsse gedrängt, dasselbe aufzugeben. Ich habe Aehnliches schon einmal bei einem Amselpaar beobachtet, das ebenfalls die Jungen im Stiche ließ, und zweifellos auS demselben Grunde. Doch zurück zu den armen, verwaisten Meisenkinderchen. Ich hatte meine Beobachtung dem Hauswirthe mitgetheilt, der eben- fall» bald von dem Verschwinden der Alten überzeugt war und nun daran ging, mir den Nistkasten herunterzuholen, damit ich die Kleinen aufziehen könnte. Während der liebenswürdige alte Herr sein Vorhaben auöführte, schickte ich schnell nach Ameisen puppen, und ich selbst suchte von den im ersten Grün leuchtenden Sträuchern des Gartens nach Kräften Raupen ab. Dann hatte ich den Kasten endlich in meiner Wohnung, er wurde oben ge öffnet, und, wie schon erwähnt, elf EKlbschnäbelchen lagen drin nen und gierten kreischend nach der lange entbehrten Atzung. Ich ließ die kleinen Raupen in die Schnäbel fallen; sie wurden hastig verschluckt, bald waren auch die Ameiseneier da, die eben falls ohne Zögern und Zieren von einem zugespitzten Hölzchen wie aus dem Schnabel der Alten aufgeschnappt und hinunterge würgt wurden. Ein reizendes, ein rührendes Schauspiel, bei dem nicht nur mir warm umS Herz wurde! Als die kleine Schaar endlich gesättigt war und jetzt sich still zufrieden sich auf einen Knäuel zusammen drückte, entdeckte ich, daß meine rechte Hand, mit der ich zu ihnen hinunter gelangt hatte, ganz mit Flöhen besetzt war. Zum Glück waren sie von der seßhaften Art, springen konnten sie nicht, so vermochte ich mich ihrer auch leicht zu entledigen. Doch um meine kleinen Pfleglinge ebenfalls dem Ungeziefer-Gehege zu entziehen, nahm ich dieselben aus dem Nist kasten heraus und bettete sie in eine warm und weich für daS kleine Kropzeug ausgepolsterte Hutschachtel. Aus einer Seiten wand der letzteren schnitt ist ein kleines Viereck heraus, da« mit Gaze beklebt als Fenster diente, zur Fütterung nahm ich den Schachteldeckel fort. Und das mußte ich oft, so oft thun, daß mir zu anderem Thun so gut wie gar keine Zeit blieb. Bon de- Mor gens 4, anch wohl j4 Uhr, eben sowie der Tag graute, bis des Abends 7 Uhr, die Schlafenszeit für Meisenkinder, hielten mich diese unausgesetzt in Athem, trotzdem sie nur noch sechs an der Zahl waren. Die anderen fünf gingen mir gleich am zweiten Tage ein, und zwar in Folge unpassenden FutterS. Ich glaubte mich genügend mit Ameisenriern, von der lletnen zarten Sorte, versehen zu haben, hatte mich aber schließlich doch geirrt. Am Mittag deS nächsten TageS ging schon der Vorrath auf die Neige und da eS gerade Sonntag war, hatte mein Lieferant geschlossen. An anderer Stelle bekam ich zwar Puppen, aber nur schwärzlich auSsehende, harte und große, an denen die fünf erwähnten Dözel wohl erstickt sein mögen. Um so besser gediehen aber die sech anderen, und der Eifer, mit dem sie sich mir entgsgenrrckten, so wie ick, ihrem Rufe folgend, den Deckel der Schachtel öffneic, bewies, daß sie gar keinen Unterschied zwischen mir und ihren, verloren gegangenen Elternpärchen machten. So lange sie nicht flügge waren, habe ich die Thierchen ausschließlich mi, Ameisen puppen und Räupchen gefüttert, außerdem ihr tadellose« Ge deihen durch absolute Sauberkeit noch bewirkt, wobei sie mir in drolliger Weise entgegenkamen. Dabei habe ich eine Beobachtung gemacht, von der ich noch nirgends etwas gehör, oder gelesen habe, und die doch einzig erklärt, wie die Vögel ihre von Juagen be setzten Nester sauber zu halten vermögen. Jedes Thierchen näm lich, dem ich die Atzung in den Schnabel steckte, gab unmüklbar danach eine Entleerung von sich, die galertartig zusammenhielt, so daß ich sie leicht mit einem Stöckchen aufheben und aus dem Neste entfernen konnte. Dieser Vorgang wiederholte sich bei jeder Fütterung mit absoluter Regelmäßigkeit, zögert« dies«» oder jenes Thierchen einmal, so brauchte ich nur mit leiser Mahnung den kleinen Schwanz zu berühren, und es lam in gewohnter Weise seiner Pflicht nach. Als ich die Vögel ins Haus bekam, waren sie an manchen Stellen noch ganz nackt, im klebrigen nur mit dem wolligen Flaum bedeckt gewesen. In den 12 Tagen aber, da ich sie im Neste fütterte, wuchs ihnen ganz allmählich eine graue Federdecke, die, vorläufig noch ohne Zeichnung und Farbenreiz, si, wir kleine Wollknäuel erscheinen ließ. Ihre Bewegungen bestanden nur in einem sich nach dem Futter Emporrecken und einem Hin- und Hergetaumel. Am 12. Tage aber, als sie mich wieder ganz früh auS dem Schlafe anfgeschrieen hatten, und ich schnell daran ging, ihren so lustig sich lund gebenden Hunger zu stillen, flattert« mir beim Orffnen der Schachtel die ganze lleine Gesellschaft ent» gegen, ein Theil auch über die Kiste fort in» Zimmer hinein, so daß ich Mühe und Noth hatte, meine übermüthigen Trabanten wieder auf einen Haufen zu bekommen. Und nun begann erst
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