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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-24
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020924027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-24
- Monat1902-09
- Jahr1902
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Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahmr 25 H (rxcl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sk. Jahrgang. Der Ausruf der Leeren-Generale. ES wir- -er ganzen Welt noch frisch im Gedächtnitz liegen, wie die Boeren nach einem über zweiund ein halb Jahr andauernden Krieg für ihre Un abhängigkeit endlich gezwungen wurden durch Vermitt lung ihrer Abgeordneten, die ihnen von der englischen Regierung S. Maj. des Königs Eduard VII. vorgelegten Friedeusbödingungen zu Vereeniging anzunchmen. Gleichzeitig wurden wir von den Abgeordneten be auftragt, uns nach England zu begeben zu dem Zwecke, an erster Stelle unsere neue Regierung um Milderung des ungeheuren Elends zu ersuchen, das weit und breit in allen neuen Colonien herrscht. Gelänge dies nicht, so sollten wir an die Humanität der gebildeten Welt appel- liren und um mildthätige Unterstützung bitten. Bis jetzt aber sind unsere Versuche bei der englischen Regierung fehl geschlagen, und da die Noth unbeschreiblich groß ist, so bleibt unS nichts übrig, als uns an alle Nationen von Europa u»sd Amerika zu wenden. In den gefahrvollen Tagen, die wir durchzukämpfen hatten, war es für uns und die Unsrigen ein wonniges Gefühl, als wir fortwährend Beweise -er Sympathie aus allen Theilen der Welt einpfingen. Die von allen Welttheilen zugeströmten pecuniären und sonstigen Unterstützungen für unsere Frauen und Kinder in den Conccntrations-Lagern sowie für die Gefangenen in allen Erdtheilen haben unendlich viel dazu beigetragen, das harte Schicksal dieser armen Unglücklichen zu erleichtern, und wir ergreifen diese Ge legenheit, im Namen des Volkes beider früheren Repu bliken unfern innigen Dank abzustatten allen denjenigen, die uns früher mildthätig unterstützt haben. Das kleine Bocrcn-Volk kann niemals die Hilfe ver gessen, die man ihm in den trüben Stunden seiner Ver suchung geleistet hat. Das Volk beider Republiken hatte Alles aufgcbotcn für seine Unabhängigkeit und jetzt, nach vollendetem Kampfe, steht es vollständig ruinirt! Obgleich wir nicht in der Lage waren, genaue An gaben der in beiden Republiken angcrichtetcn Verheerung zusammenzustellcn, so sind wir doch infolge unserer per sönlichen Sachkenntnis; überzeugt, daß wenigstens Dreißig Tausend Häuser in den Wohnstätten der Boeren und außerdem eine beträchtliche An zahl Dörfer von den Engländern während des Krie ges verbrannt oder vollständig zerschmet tert sind. Unsere Wohnungen sammt dem Mobliar sind einge äschert oder zerschmettert, unsere Fruchtbäume ge fällt und zerstört, alle Landbau gerät he zerstückelt, Mühlen vernichtet, jedwedes Thier entführt oder getödtet und uns — blieb leider nichts übrig! Das Land ist eine Wüste! Der Krieg hat auch viele Schlachtopfer gefordert, und das Land widerhallt von den Wehklagen der Wittwcn und Waisen! Ucberdic's brauchen wir nicht daran zu erinnern, was in Zukunft für die Erziehung der Kinder erforderlich sein wird. In dieser bedrängten Noth wenden wir uns an die ganze civikisirte Welt mit der Bitte, durch mildthätige Bei träge unfern Wittwen und Waisen, unfern Verstümmel ten und anderen Hilfsbedürftigen zu helfen und unfern Kindern gehörigen Unterricht angedeihen zu lassen. Wir weisen auf die schrecklichen Folgen des Krieges hin, um die ganze Welt von unfern großen Bedürfnissen in Kenntniß zu setzen und keineswegs um die Gemüther aufs Neue zu erschüttern. Das Schwert ruht jetzt in der Scheide und alle Differenzen schwei gen in -er Anwesenheit solch ungeheuren Elends. Der durch den Krieg verursachte Schaden ist unbe schreiblich groß, so daß die kleine Summe, welche England den Friedensbedingungen gemäß verabreichen wird, selbst wenn sie verzehnfacht wäre, durchaus un zulänglich sein wird, um auch nur die Kricgsverluste zu decken. Die Wittwen und Waisen, die Verstümmelten, öle Hilfsbedürftigen und unsere Kinder, zu deren Gunsten wir ausschließlich diesen Aufruf ergehen lassen, werden also davon sehr wenig und in den meisten Fällen nichts genießen. Alle Beiträge werden tn eine Cassc eingczahlt werden, „Het Generale Boeren-Hulp-Fonds" ge nannt, und dieser Fonds wird ausschließlich zur sofortigen und zukünftigen Bestreitung der Bedürfnisse derjenigen Personen angcwcndct werden, für welche die Beiträge ein gesammelt werden. Wir bitten freundlichst um ein inniges gemeinschaft liches Vorgehen der bestehenden Cvmites in den verschie denen Ländern von Europa und Amerika und stehen im Begriff, diese Länder der Reihe nach zu besuche», um eine entsprechende Organisation zu veranstalten und zu fördern. Louis Botha. C. N. De Wct. I. H. D e la re y. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. September. Trotz seines eigenen Beschlusses, „im Allgemeinen" an den Entschließungen erster Lesung der Zolltarif-Commission fest- zuballen, scheint das Cent rum an der Ansicht fest zuballen, daß der Zolltarif zu Stande kommen werde. Es muß ja am besten wissen, wozu cS unter Umständen bereit ist; bis jetzt aber baden die der Commission angeborigen Centrumsmitglieder noch nicht bewiesen, daß sie zum Zustande- bringen des Tarifs die Hand reichen wollen. Auch gestern nicht. Es wurden zwar wiederum die agrarischen Anträge auf erböbte Schutzzölle abgelebnt und die Beschlüsse der ersten Lesung im Großen und Ganzen aufrecht erhalten; eS konnte aber auch keine Einigung über die von der Negierung als überaus verhängnißvoll für die deutsche Gerberei, wie für die gesammle Schuhwaaren- und Leder-Industrie bezeichneten, in der ersten Lesung wesentlich erböhten Gerbstoffe erzielt werden. Vergebens beantragte der Abg. vr. Paasche die Wiederherstellung der Regierungsvorlage; vergebens sprachen der Staaissekreiär Graf Posadowöky und der Handelsminister Möller für diesen Antrag und richteten an die Commission die dringliche Mak- mwg, die genannten Industrien nickt durch derartig in die Höbe geschraubte Zölle lodt zu schlagen: die aus dem Centrum und den Conservativen bestehende Mehrheit beharrte auf ihrem Standpunkte und räumt; den der Negierung m den Weg gelegten Stein des Anstoßes nicht fort. Trotzdem hält man augenscheinlich auch in Neg ierungskreisen eine Einigung nock für möglich, und zwar im Plenum des Reichstags, denn an dieses richtet heute die bekannte Berliner Stelle, welche die „Südd. Reichs-Corr." häufig als Sprach rohr benutzt, folgende Mahnung: „Soweit die Presse von der schutzzöllnerischen Mehrheit der Tarifcommission beeinflußt wird, macht sie gerade jetzt olle An strengungen, um den Beichlüssen der ersten Lesung eine möglichst gewichtige Bedeutung zu vindiciren. Das ist begreiflich, und man braucht rS nicht sonderlich schwer zu nehmen, wenn diese Bedeutung gelegentlich auch über das nach der Verfassung wie der Geschäftsordnung des Reichstages richtige Maß binausge schraubt wird. Die Ueberschätzung der bisher für die Zollresorm geleisteten parlamentarischen Arbeit sollte jedoch nicht benutzt werden, um die Stellung der Verbündeten Regierungen zu ihrer Vorlage von Neuem zu verdächtigen. Der Eindruck, „daß den Regierungen an der Annahme des ganzen Tarifs gar nicht mehr allzu viel liegt", ist durch nichts zu begründen. Der Reichs kanzler und der BundeSrath müssen aber darauf dringen, daß der Entwurf in einer mit ihren Pflichten gegen die wirthschast- l chen Gesainmtinteresscn der Nation vereinbarten Gestalt ange nommen werde. Eine Commissionsberalhung erster Lesung mag sich solchen Pflichten gegenüber »och eines größeren Spielraums er freuen; im Plenum aber fällt schließlich die Verantwortung den Mehrheitsparteien zu, sofern sie nicht bereit sein sollten, an einer vernünftigen und maßvollen Schutzpolitik für das Ganze mitzuwirkeu und, wie ein schutzzöllnerischeS Blatt selbst erklärt hat: „das Erreichbare dem Idealen vorzuzirhen; denn ein Sperling in der Hand ist besser, als eine Taube aus dem Dache". Gerade bei den Agrarzöllen erforderte cs der Ernst der Sache, wie die volle Ehrlichkeit in der Würdigung der landwirthschaftlichen Nöthe, daß die Verbündete» Regierungen von vornherein in ihre Vorlage die äußersten Zugeständnisse einsetzten und nicht für taktische Manöver, die bei einen» solchen Gegenstand übel angebracht wären, ein Fünfzigpfennigstück zum Drauslegen bei Seite steckten. Den Verfechtern der Commijiionsbeschlüsfe scheint dieser bescheidene Geldstück nachgerade zu einem Talisman mit geheimnißvollrn Kräften zu werden. Aber wie will man im Falle eines durch schutzzöllnerijche Ueberforderungcn verschuldeten Scheiterns der Vorlage die ruhig Denkenden unter den Wählern, auch unter den landwirtbschaftlicheu, überzeugeu, daß der mit 50 mehr zum Palladium der agrarischen Majorität gewordene Tarif wegen 50 weniger zum Orkus habe befördert werden müssen? Wo läge denn bei einein negativen Ergebniß der ganzen zollpoli tischen Arbeit dcr „Starrsinn"? Dort, wo die Erhöhung der Agrarzölle Halt macht an dec durch die Rücksicht auf das Gemein wohl gezogenen Grenze, oder dort, wo man das Gute schroff zurück weist, um einem vermeintlich Besseren nachzujagen? Daß die Aussichten eines Wahlkampfes im Zeichen des „BroLwuchers" recht zweifelhaft sind, hat kürzlich kein Geringerer als der Abgeordnete Oertel erklärt, — ein Zugeständniß, das Agrarier und Freihändler ebensowenig vergessen sollten, wie den Artikel Les Sächsischen „Vaterland" über die „krachenden Throne', den der Leiter der „Deutschen Tageszeitung" weder verfaßt, noch veranlaßt, noch inspirirt, noch vor seiner Veröffent lichung gelesen, — aber mit pathenhafter Fürsorge erst in die breitere Oeffenllichkeit eingcsührt hat." Ob diese Mahnung fruchtet, muß abzewartet werden, jedenfalls aber beweist sie, daß zur Zeit an maßgebender Stelle an eine Auflösung des Reichstags vor einer Entscheidung desselben nicht gerächt wird. Nach einer Privatmeldnng aus San Sebastian sind die Grundlagen eines spanisch-französischen BündnifsrS von beiden Seiten gut geheißen, werden aber einstweilen nicht veröffentlicht, weil hinsichtlich Port MahonS und Ceutas die französischen Forderungen zu weit gingen. „Grundlagen" eines Bündnisses pflegt man überhaupt nicht zu veröffentlichen, wenn aber Frankreich in Bezug auf die spanischen Besitzungen Ceuta an der nordafrikanischen Küste und Port Mahon auf Mi- norca zu weit gebende Forderungen stellt, ist es sehr zweifelhaft, daß beide Mächte über die „Grundlagen" eines Bündnisses sich einig sind. Denn Ceuta und Port Mahon müssen nach der Natur der Dinge in erster Linie die „Grundlagen" eines spanisch-französischen Bündnisses bilden. DaS ergiebt sich mit Notwendigkeit aus der strategischen Bedeutung beider Punkte. In Erkenntniß der offenkundigen Schwäche Gibraltars bat England, bis heute vergeblich, versucht, diese Blöße durch Erwerbung spanischer Besitzungen, unter anderen CeutaS, zu decken. Ain sehnsüchtigsten aber lugt Britannien nach Minorca mit dein ausgezeichneten Hafen von Port Mabon, der im l8. Jahrhundert schon zweimal in seiner Hand war. Diese r^ertlichkeit, eine Rivalin deS ita lienischen Maddalena, erfüllt alle strategischen Bedingungen, um die für England ungünstige Situation im Weslbecken in eine günstige zu verwandeln, ja, Spenser Wilkinson schätzt den Werth von Minorca sogar höher als den von Malta, und ein englisches Journal schreibt: „Durch Port Mahon in britischer Hand wird der von franzö- fischen Stationen gebildete Ring gesprengt." — In der 1900erschienenen Schrift „Oa 6uorre aveo l'^»8leterre", die der rühmlichst bekannte Militärschriftsteller Major Wachs in einem Aufsatze der „Marine- Rundschau" cilirt, wird folgendermaßen geurtheilt: „Der Besitz von Port Mahon verdoppelt unsere Kraft oder paralysirt dieselbe, je nach dem der Hafen in unserer Hand oder in Lrr des Feindes sich befindet. Dieser Ankerplatz darf nie und nimmermehr den Engländern zu eigen werden, da es sich bei ihm für uns um eine Frage der Existenz handelt. Britannien auf Port Mahon fußend, würde mit Gibraltar in der linken und Malta in der rechten Flanke politisch und strategisch das Gesetz in dem französischen Mitlelmeer geben, oder besser gesagt, eS existirte dann überhaupt ein mediterranes Frankreich nicht länger. Port Mahon ist der Schlüssel deS Krieges im Mittelmerr .... England im Besitze von Gibraltar, Malta, Cypcrii, lern Suez-Caual und Egypten, würde, wenn die Balearen ihm gehörten, nicht die Vormacht im Mittelmeer, es würde die einzige in dem Becken sein, und alle anderen Nationen wären ihm lehenspflichtig." Ein deutscher, nicht genannter Fachmann, der ebenfalls in der „Marine-Rundschau" auf die strategische Bedeutung Port MahonS eingeht, schreibt u. A.: „Nahezu in der Mitte zwischen Frankreich, Sardinien, Spanien und der Nordküste Afrikas gelegen, ist er zu Operationen nach allen vier Seiten hin geeignet; er flankirt die Verbindungslinie» von Toulon nach Oran oder der Straße von Gibraltar; von Toulon« Bizerta, von Bizerta-Oran und Malta-Gibraltar. Die italienische Festlandsküste entzieht sich seinem Wirkungsbereich. Ter Hasen ist geräumig, gut geschützt und leicht zu befestigen. Bei der geringen Ausdehnung der Insel Minorca ist er auf eine ungehinderte Zu fuhr angewiesen und leicht zu blockiren. Minorca ist lei einem Küstenumfang von 115 üm 28 üm lang, 10 km breit. Tie Be deutung Port Mahons beruht also fast ausschließlich auf der Stärke der von dort aus operirenden Flotte. In englischem Besitz, würde es unter den jetzigen Verhältnissen ebenso wie früher für die Be- Feuilleton. y Das Testament. Eine obcrösterreichische Erzählung v. Fanny Kaltenhauser. (Nachdruck ohne Honorirung auch in Amerika verboten.) Die Hochgstettnerin steht längst schon in der Küche dranßen, aber ihre Hände sind noch immer müßig, und ihre Augen, das einzige, was in ihrem altgowordenen Gesicht noch schön ist und in dem lebendigen Ausdruck noch jung erscheint, die sehen sinnend zum Fenster hinaus, auf das schmale Fleckchen grünenden Gartens, welches sichtbar ist. Sie sinnt über die vielen Jahre nach, die ihr an der Seite ihres Vinzenz vergangen sind; sie ruft sich das Gute, das sie erlebt, in die Erinnerung, aber viel, viel mehr Schweres, Trübes kommt ihr ins Gedächtnitz; und sie kommt zu dem Schluß, daß das Leben eigentlich schwer, recht schwer ist. Und wenn sie ihren Vinzenz nicht gehabt hätte, wär' es oft schier nimmer zum Aushalten gewesen! Da legt sich ihr eine Hand auf die Schulter und ciue tiefe Mannesstimme fragt schier schalkhaft: „Na, Franzi, was willst uns denn Du heut' noch Gut's kochen, daßlD' Dick gar so viel b'sinnen mußt?!" Der Vinzenz! Sie sieht auf in sein Gesicht, das falten reich und welk erscheint und um den Mund eine tiefe Furche wie von stillem, verhehlten» Gram zeigt, aber so arg gute Augen hat. Und in diese Augen sieht sie mit freundlichem Blick, und in herzinnigen» Ton sagt sie: „Na, Vinzenz, über n Franzel hab' i so viel nachdenkt! Weißt, ob ihm auch einmal so viel Lieb' in seinen» Eh'leben beschieden ist, wie mir und Dir!" Jäh werden die Augen des HochgstettnerS uunarörlich groß. „Der Kranz? Der Franz?" kommt es stammelnd v»u seine»» Ltvpen. Dann flammt cs in dunkler Röthc über sein Gesicht hin, die Lippen presse»» sich aufeinander, i.»:d in den Augen steht ein so finsterer Viick, daß die Bäuerin davor erschrickt und nach seinem Arme fassen will, init banger Frage — aber er wendet sich kurz ab und thut ein paar Schritte der Thüre zu. In der nächsten Minute jedoch steht er wieder bet seinem Weibe und sagt mit beiden Händen nach den Schultern desselben. Er wendet die Franzt mit jähem Ruck zu sich herum und beugt sich zu ihr. Der Athen» entflieht heiß seinem Munde. /.Bist zufrieden gewesen, Franzt, tn unserer Eh'zett? Sag's grad' heraus — hast Dir nie ein' ander»! Mann g'wunschcn und-ein besser's Sein — Du?" Es liegt so seltsam in seiner Stimme: ein so heiserer Klang und doch »vie ein tiefbewegter — den» ein Schluchzen nachfolgen möchte, ein schweres, mühsam verhaltenes Schluchzen. Völlig erschrocken starrt die Hochgstettnerin ihren Man»» an. Sie wird ganz bleich im Gesicht. „Jesias, was hast, Vinzenz ?" fragt sic hastig, in schwerer Sorge. „Bist 'leicht krank? Fühlst Dich 'leicht völlig schwach? Oder meinst, cs könnt' ein gach's End' nehmen mit Dir, weil so fragst?" lieber des ManncS Gesicht zieht leise ein Lächelt» — ein eigenartiges Lächeln, von dem man nicht erkenne»» kann, bedeutet cs Freude oder stammt cs aus der Uebcrwindung eines stillen, tiefen Schmerzes. — Hat ihm die Franzt da nicht eben unbewußt geantwortet auf seine Frage, mit ihrem Ton tiefer Sorge, mit ihrer bange»» Frage nach seiner Gesundheit?! Würde sie so fragen, wenn sic nicht Angst hätte, ih»t zu verlieren ? Und würde sie eine Angst haben, wenn ihr an ihm nichts läge ? „Gelt", sagt er leise, „'s wär' Dir net alles eins, wenn i nimmer da wär' bei Dir? 's könnt' ja sein, daß mir ein gach's End' käm, das schor» — nnd gelt, das wär' eine schwere Sach' für Dich? Aber hab' keine Angst derwcilcn, Franzi —" er drückt das zitternde Weib eng in seine Arme — „schau, rntr ist gar net übel und net schwach, da sei nur außer Sorg'! Aber grad' das eine möcht' i wissen, ob Dich nie vom Hof da fort g'wunschcn hast, nnd in ein besser's Sein! Ha?" „Geh, wie Du so reden magst!" erwidert die Franzi ängstlich. „Ist Dir halt doch net gut. Willst'S nur net wahr haben gegen meiner, daß t keine zu große Angst hab'!" Dcr Hochgstettner läßt sein Wkib los; er lehnt sich an die Mauer. Seine A»me gleiten hinter den Rücken, aber hier schlingen sich die Hände nicht lässig ineinander; sie sind vielmehr krampfhaft zu Fäusten geballt. „Na, na, nix da, mir ist ganz gnt", versetzt er. „Gieb mir nur auf meine Frag' Antwort, es ist nichts anders g'metnt damit. Schau, i weiß ja, wir haben eine harte Arbeitszeit hinter unö, wir haben uns gar oft vor Sorge»» net auSkcnnt und waren gar oft in der G'fahr, daß nns der Hof pfänd't wird, und wir habe»» von all' unserer jahrlangen harten Arbeit in unsere alten Tag' sonst nichts, als daß wir die paar tausend Gulden Hypothek ab'zahlt haben; ja, ja, hast wenig gute Tag' erlebt bet mix da auf'm Hof! Und da mein' 1, eS wär' kein Wunder, wenn Dich wo anders hing'wünscht hätt'st, wo's Dir besser 'gange»» wär' wie da! Und schau, drum möcht' ich's so gern »vissen, ob dennoch zufrieden g'wcsen bist, mit mir allein — ah na, net so! Mit all' der Sorg' und dem Kummer und dcr Arbeitslast, mit all' dem! Wegen meiner — ja Du, wegen meiner!" Leidenschaftlich erregt klingt zuletzt seine Stimme, und als hinge sein Leben au dcr Antwort, so schaut er auf die Franzi. Die aber schüttelt nur iunncrzu den Kopf und sicht ängstlich auf ihren Mann. Ganz anders ist er heut', der Vinzenz, ganz anders! So redet er sonst nicht. Und so seltsam schaut er sie sonst nicht an. Mei», Gott, wenn ihm halt doch unbewußt der Tod nahe stünd' ? Und Hütt' ihn der so verändert und ließ' ihn so wunderlich fragen? In plötzlich heiß aufsteigender Angst faßt sic »rack seinem Arn». „Es ist Dir 'was zug'stoßen, Vinzenz, red'! Was Schlccht's! 's geht den Hof an und uns! Ha ?" „Na, na, nix! Es ist ja wahr, wir stehen uns net so gut, daß uns net leicht 'was zustoßei» könnt' — ah ja! Aber i weiß nichts, jetzt ist nichts zum Fürchten da!" Sie athmct auf. Die dummen Geldsorgcn! Daß einen» die auch niemals loslasscn können! Aber weil dcr Vinzenz auch gar so »vundcrlich thut heut'! In einem fort so zu fragen! Aber na ja, wenn cs schon nichts auf sich hat mit seiner Frage, nachher kann sic ihm ja antworten! Ans einem leichten Herzen antworten; den»» wenn sie Alles abmägt gegen einander, die Sorgen und die Kümmerniss' — und 's gute Sein neben ihm, 's liebe, treue Zusammen halten mit ihm, dann — ja dann —! Leise streichelnd fährt die Hand der Franzi über die Wange des Bauers. „Fragst halt dumm, Du! Wo hätt' ich denn einen Bessern g'fundcn, wie Dich, oder einen Liebern? Und wenn wir schon g'nug Kümmerniss' g'habt haben, hast mir'S ja tragen g'holfcn! Wär' net schlecht, wen»» i jetzt meinen thät', k Hütt' gar nichts tragen sollen. Und Du —: auf einem andern Hof oder bei einem andern Mann hätt' i vielleicht keine Sorgen g'habt, ha? Und siechst, bei einem andern hätt's Herz net so fleißig mittragen g'holfcn, wie neben Deinem!" Sic schaut ihn an mit guten, treuen Augen. Und seine geschloffenen Hände lösen sich im Rücken nnd kommen lang sam nach vorne. Sie legen sich auf die Schulter»» des WetbeS und bleiben da einen Augenblick still liegen. Dank bar sicht der Mann das Weib an und nickt dazu. Ah, heut', wenn sie wieder daständ', die Franzi, wie ehemals, so jung, so btldsauber, und so lieb und herzensgut, — und er jung wie damals, mit dem Begehren nach ihr, mit der Lieb' zu ihr in seinem Herzen, er thät' wieder wie damals — un lieb' sie nicht — und ließ' sie nicht — und lüde lieber die Sünde auf sich! Sechstes Eapitel. Zwei, drei Tage schwanden. Ter Franz ging mit einem stillen, schier sonderbaren Lächeln umher. Er verrichtete seine Arbeit so gut wie sonst, aber nicht so gleichmäßig wie früher; war er einmal völlig langsam in dcr Hantirung, so daß die Arbeit nur unmerklich von Statten ging, ein andermal wieder geschah sie in einer förmlichen Hast, als hätte dcr Franz etwas zn versäumen. Der vierte Tag war ein Regentag. Es rann den ganze»» Borinittag »vie in Strömen herunter, am Nachmittag »vnrde es etwas weniger. Dennoch war's des Guten noch immer zu viel. Die Leute im Hochgstettncrhofe schimpften und murrten. Weil heute ein „Bauernfeiertag" war, konnte man einmal eil» bischen Rast halten mitten in der letzten, noch an strengenden Feldarbeit, nnd nun war der Tag zu nichts nütze. Um im Wirthshauie sitze»» zu können, nmßtc man in dcr Nässe waten, im Regen eine gnte Weile »»'andern. Aber trotz des Schimpfens nnd Scheltens gingen die Knechte doch ins Wirthshaus. Die Mägde aber gingen mit dcr Leiche der alten, reichen Stieglbäuerin. Der Hochgstettner und sein Weib auch. Jetzt saß nur der Franz in der Wohnstube, nnd in der Mägdekammcr draußen rnmorte die alte Sandl,*) die frühere Grobdirn, die aber seit mehreren Jahren schon wegen ihres Alters und ihrer Gebrechlichkeit nur mehr zu geringen Handleistungcn zu gebrauchen war. Bis in die Stube herein ertönt ihr Rumore»» — sie muß eben einen Stuhl zur Seite geschleudert Haven. Ein Lächeln fliegt über das hübsche Gesicht des jungen Burschen, während er so unthätig dasiyt und aus dem Fenster starrt. Was muß denn heut' wieder dcr Sandl so Zuwideres begegnet sein, daß sie gar so erbost ist? Die haut ja heute um, als gehörte die ganze Welt »hr und sie möchte sie klein schlagen! So gescheit und brauchbar die Dirn' einmal war, jetzt ist sic so thöricht, »vie sie unbrauch bar gemordcn ist. Eilt einziges Wort braucht es blvs, und sic ist ganz aus dem Häusl. Und solche Worte, die sie ärgern, fallen des Tages oft mehr wie einmal. Abkürzung für Susanns,
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