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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.07.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980718016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-18
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Reklamen unter demRedactionSstrich (4ge« spalten) LO/iZ, vor den Familiennachrichtei« (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vtTzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Rnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag vou E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Bestellungen auf MMmMllts nimmt entgegen und führt für jede beliebige Zeitdauer aus Die tzMinim -es Mim Tageblattes, Johannisgasse 8. Die Lesehung des Neichstagsprafidiums. Die „Kölnische Volksztg." will einen Widerspruch darin erblicken, daß die konservativen und Nationalliberalen jetzt wieder am Reichstagspräsidium sich betheiligen wollen, obwohl doch der Reichstag ebenso zusammengesetzt sei, wie der vorige. Sie sagt: „Wenn man 1896 und 1897 diesem Reichstage nicht präsidiren wollte, hatte man nach den Neuwahlen keinen Grund, die Lage anders aufzufassen, da eine Cartellmehrheit am 16. Juni nicht erreicht wurde, die Cartellparteien sogar noch einige Mandate verloren haben . . . Wahre unentwegte Bismarck-Enthusiasten hätten sagen muffen, so lange der Reichs tag noch eine so zusammengesetzte Mehrheit habe, wie am 23. März 1895, hielten sie es für unvereinbar mit ihrer politischen Ueberzeugung, am Präsidium mit theilzunehmen. Aber vor drei Jahren hoffte man durch den dramatisch inscenirten Rücktritt eine Volksbewegung gegen die Reichstagsmehrheit in- sceniren zu können, dern Ergebniß eine Cartellmehrheit gewesen wäre. Diese Spekulation ist mißglückt und deshalb kommen die Herren, um wieder mitzuspielen." Da es als sicher angenommen werden kann, daß diese Ausführungen — die ja Wasser auf die Mühle des Herrn Richter sind, dem die Entfernung seiner Partei aus dem Reichstagspräsidium sehr unbequem ist — eine sehr weite Verbreitung finden werden, so ist es wichtig, ihre Un richtigkeit eingehend nachzuweisen, um jeder Legendenbildung von vornherein vorzu-- beugen. Zum Ersten also ist es nicht richtig, daß der neu gewählte Reichstag derselbe sei, wie der von 1895. Denn gerade in diesem Falle, wo es sich um die Abwehr einer persön lichen Kränkung handelte, kommt es nicht auf die Parteien an, sondern auf die P e r s o n e n, die dem Kanzler die Kränkung bereiteten. Der neue Reichstag ist ja aber in Bezug auf die Personen, und zwar auch gerade in der Centrumspartei, vielfach anders zusammengesetzt als der alte. Und daß auch bei den Männern des alten Reichstages ein Gefühl der Beschämung über die Scene vom 23. März 1895 obwaltet, geht wohl daraus hervor, daß gerade zwei Centrumsmitglieder am Sarge des Fürsten Bismarck einen Kranz niederlegten. Oder wünschen die Herren vom Centrum, daß man die Kranzspende nicht als eine dem großen Todten bereitete Ehrung ansieht, sondern als einen Ausdruck derFreude, daß der Tod denl großen Gegner beseitigt hatte? Es ist auch billig , zu bezweifeln, daß das Centrum sich gegenwärtig so benehmen würde, wie es sich vor drei Jahren benommen hat. Es ist ja jetzt zu einer Art Regierungspartei geworden und eine Re gierungspartei muß gewisse Rücksichten nehmen, die eine Oppo sitionspartei nicht zu nehmen braucht. Zum Zweiten ist die Ünterstellung falsch, daß die Cartellparteien am 23. März 1895 eine Volksbewegung insceniren wollten, um dadurch größere Er folge bei den Wahlen zu erzielen. Es ist nicht sehr höflich und nicht sehr bescheiden, einen politischen Gegner für allzu dumm zu halten. Es wäre aber von den Cartellparteien eine unbegreifliche politische Dummheit gewesen, von einer mehr als drei Jahre vor den Wahlen inscenirten Bewegung erwarten zu wollen, daß diese Bewegung drei Jahre später auf die Wahlen einwirken würde. Ja, der Politiker rechnet mit der Thatsache, daß die breite Masse außerordentlich vergeßlich ist. Hat doch die Bewegung gegen das Volksschulgesetz im Winter 1892 nicht verhindert, daß die preußischen Landtagswahlen im Herbst 1893 in konservativem Sinne ausfielen, weil eben der großen Masse Li? Bewegung von 1892 längst entfallen war. Wer also hatte sehen können, daß Volksstimmungen noch nicht einmal 1z Jahr vor hielten, der konnte doch wohl kaum so thöricht sein, auf drei Jahre hinaus auf eine Volksstimmung zu speculiren. Nein, so weit ausschauende „Termingeschäfte" machen die Cartellparteien nicht. Wenn diese Parteien am 23. März 1895 zurllcktraten, so war es eine Demonstration gegen eine unerhörte Beleidigung des ersten deutschen Reichskanzlers. Ob diese Demonstration politisch klug war oder nicht, kommt hier nicht in Betracht; aber an die Stelle des wahren Motivs, der nur zu erklärlichen Ent rüstung, eine unlautere Geschäftsspeculation setzen zu wollen, ist doch wohl ein wenig — jesuitisch. Es ist ja wohl begreiflich, daß das Centrum nur ungern damit einverstanden ist, die alten Cartellparteien wieder im Reichstagspräsidium vertreten zu sehen. Das vorige Präsidium war viel bequemer: 2 Centrums abgeordnete und 1 Mitglied einer Partei, die einflußlos ist und vielfach vom Centrum abhängt. Da war also das Centrum ge wissermaßen ganz unter sich. Aber das Mißvergnügen über eine Aenderung dieses Zustandes giebt doch noch nicht das Recht zu boshaften und falschen Unterstellungen. Deutsches Reich. * Leipzig, 18. August. Ueber Stiftungen und Schenkungen zum Besten der deutschen Arbeiter und der Unbemittelten verbreitet sich seit 1883 regelmäßig der „Arbeilerfreund". Innerhalb deS letzten Jahres sind 82 Stif tungen von Arbeitgebern, Stadtverwaltungen, Gesellschaften und Privaten registrirt, welche, so weit solches aus den Zah lungsangaben zu ermitteln ist, ein Capital von 27 599 735 zum Besten von Wohlfahrtseinrichtungen zur Bersügung stellten. Wenn man von obigem Betrage denjenigen der l 6 Stiftungen und Ueberweisungen durch Stadtverwaltungen, Sparkassen rc. mit 19 600 000 „L in Abzug bringt, so ver bleibt für 66 Stiftungen von Arbeitgebern (Actienzesell- schaste», Firmenangehörigen, ehemaligen Fabrikherren und deren Wittwen rc.) ein Schenkungscapital von ca. 8 100 000 .6 6. U. Berlin, 17. August. Die Marine - Attaches Corvettencapitain v. Krosigk, erster Officier auf der „Olven- burg", der in Spanien die Kriegsvorbereitungen verfolgte, und Capitainlieutenant v. Rebeur-Paschwitz, der sich auf dem amerikanischen Kriegsschauplatz befand, haben nach Beendigung des spanisch-amerikanischen Krieges ihre Thätigkeit im großen Ganzen abgeschlossen. Ihre Berichte und Wahrnehmungen bestätigen vollauf, daß unsere Marine-Verwaltung auf dem richtigsten Wege sich befand, als sie den größten Werth auf den Ausbau der Schlachtflotte legte, v. Krosigk kehrt in die Hcimath zurück; in Spanien ist eben für die Deutschen auf dem Gebiete des Schiffsbaues, der Marinetechnik, nichts zu lernen, v. Rebeur-Pasckwitz geht noch Tokio als Marine- Attachv; die Verhältnisse inOstasien, insbesondere die gewaltigen Anstrengungen, die Japan aufbietet, um sich eine mindestens zweitclassige Flotte zu schaffen, erfordern dringend die Auf merksamkeit eines Marine-Attachös; England unterhält schon längere Zeit einen solchen. Der spanisch-amerikanische Krieg hat gezeigt, wie vorzüglich das amerikanische Schisssmaterial ist. Die Ueberlegenheit der amerikanischen Marineofficiere ist schon beim Anfänge des Krieges gewürdigt worden. Es dürfte sich vielleicht empfehlen, dauernd der Botschaft in Washington einen Marine-Attachv beizugeben. Abgesehen von der angeordneten Besetzung in Tokio unterhält das deutsche Reich vier Marine-Attaches, zwei Capitaine zur See (Siegel und Jülich) bei den Botschaften in Paris und London und zwei Corvettencapitaine mit dem Wohnsitze in Peters burg und Rom. Der langjährige Marine-Attachs für die nordischen Reiche, Kalau v. Hose, ist durch den Corvetten- capitai» Frhrn. v. Schimmelmann ersetzt. * Berlin, 17. August. Ueber einen polnisch-ultra montanen Streich lesen wir in der „Tägl. Rundsch.": „In der evangelischen Kirche kennt man Kirchentaufen, Haus taufen, Nothlaufen. Auf ultramoutaner Seite scheint eS außerdem noch Listtaufen zu geben. Davon können wir ein nichtsnutziges Beispiel aus Polnisch-Preußen erzählen, wobei wir vorläufig noch die Namen abkiirzen: „In S. wohnt ein junges Ehepaar. Er ist seines Zeichens Stubenmaler, seiner Confession nach evangelisch. Sie ist ihrem Votksthum nach deutsch, ihrer Consession nach katholisch. Vor zwei Jahren — »ach der Trauung in der evangelischen Kirche — er- klärten beide Eheleute „an Eidesstatt": „daß wir die Kinder, die uns in unserem Ehestande geschenkt werden sollten, in der evangelischen Kirche taufen und in der evange- lischen Lehre erziehen lassen werben." Demgemäß wurde das erste Kind wirklich evangelisch gelaust. Seit einiger Zeit aber wurden, obwohl der zuständige polnisch-katholische Propst über die Sachlage wohl unterrichtet war und ist, immer dringendere Ein wirkungen auf die Ehefrau unternommen, um sie zu bewegen, ihr an Eidesstati gegebenes Versprechen ferner nicht zu halten und Las erwartete zweite Kind der katholischen Kirche zuzusühren. Darüber ging der häusliche Friede in Trümmer. Nach der Geburt des zweiten Kindes — übrigens einer Tochter wie das erste — wurden die polnisch-katholischen Einwohner des Orts noch zudringlicher. Tie Frau, vom Propste mit Ausschluß von Beichte und Communion bedroht, brach ihr eidliches Versprechen und ließ sich, ihres Deutschthums ver gessend, von den Polen umgarnen. Sie widersetzte sich der Taufe in der evangelischen Kirche. Am 6. August meldete der Vater dem evan gelischen Pfarrer das Kind zur Taufe an. Diese sollte am Tage darauf vollzogen werden. Nach Hause zurückgekehrt, wurde er von seiner Frau mit der Erklärung empfangen, sie wüsche und zöge Las Kind nicht an, litte auch nicht, daß eine deutsch-evangelische Fran es besorge. Nach heftigen Auftritten kamen die Eheleute überein, daß die Frau am 7. August, einem Sonntage, nach L. zu ihrem Propste sich begeben solle, um sich nochmals „in der Sache zu be fragen". Die Taufe solle auf Len nächsten Sonntag verschoben werden. Von ihrem Manne forderte sie das Versprechen, daß er in ihrer Abwesenheit das Kind nicht zur Taufe nach St. schicken werde. Der Mann gab fein Wort. Weil die Fran etwa fünf Stunden auszubleiben pflegt, wenn sie nach L. zur Kirche gebt oder fährt, so erlaubte um der Ernährung und Abwartung des Kindes willen der Mann unvorsichtigerweise, daß seine Frau das Kind nach L. mitnehmen durfte. Er verbot ihr aber in Gegenwart zweier polnisch-katholischer Zeugen, das Kind dort taufen zu lassen. Tann verließ er, wirr im Kopfe und mit Weh im Herzen, sein Haus, um im Freien sich zu beruhigen. Kaum war er aus dem Hause, so wurden Frau und Kind in das Haus des eben erwähnten polnisch-katholischen Zeugen gebracht, auf einen Wagen geladen, und fort gings hinten herum unter Vermeidung der eigent lichen Dorfstraße nach L- zur katholischen Kirche. Augenzeugen hatten den Eindruck, als wäre die gesammte polnische Einwohner- schast an dem Unternehmen betheiligt. Als die Frau nach zwei Uhr wieder heimkehrte, berichtete sie ihrem Manne, daß das Kind katholisch getauft sei. Ter Mann Holle nun sofort Leulsch-evan- gelische Pathen und brachte sein Kind dem evangelischen Pfarrer. Solch eine heimtückische Taufe — so meinte er — könne doch nicht als Taufe gelten. Es mußte „umgetaust" werden. Als ihm be deutet war, daß die evangelische Kirche die katholische Taufe als Taufe anerkenne, und also die evangelische Taufe ausgeschlossen sei, flehte er: dann möchte sein Kind doch wenigstens „in die evangelische Kirche eingesührt" werden. Ueber die Be deutungslosigkeit solchen Thuns belehrt, gab er die feierliche Er klärung in Gegenwart zweier Zeugen zu Protokoll, daß er sich verpflichte, „mit allen Kräften dafür zu sorgen, daß das Kind evangelischen Religionsunterricht empfange und ein Glied der evangelischen Kirche werde". — „Ach, wenn ich gewußt hätte, was Alles mir geboten wird, ich hätte nie eine Katholische geheirathet!" — seufzte er. Das Bohren und Zusetzen wird nicht aufhören. Häusliches Glück wird schwerlich wieder einziehen. „So viel wir wissen", — bemerkt dazu die „Tägliche Rundschau" — „darf ohne Zustimmung deS Vaters ein Kind nicht getauft werden. Der vielgewandte polnische Propst weiß das erst recht. Es wird demnächst der zuständigen Regierung die Angelegenheit vorgelegt und bei ihr Beschwerde geführt werden." Man darf mit Spannung der Mittheilung entgegensehen, wie die Regierung sich zu dieser Listtaufe I stellen wird. Feuilleton» Ein Gang über das Schlachtfeld von Gravelotte-St. privat. Zum 18. August. Von Julius Riffert. Wieder ist der Tag gekommen, an dem in heißem Ringen tn einer großen Doppelschlacht vor Metz der letzte Riegel geschoben ward, um diese bisher unbesiegte Feste zuerst zu blockiren und dann zur Ergebung zu zwingen, ein Tag, an dem unsere Tapferen vor Erregung schwitzten und im Kampfe bluteten. Immer lebendiger gestaltet sich das durch Einzelzüge aus Erinnerungen und Mittheilungen ergänzte Bild der Schlachteniage, und immer mehr nimmt es unser Interesse, unsere Ein bildungskraft gefangen, und zwar, je mehr wir uns von dem Ereigniß entfernen, in um so höherem Maße. Naht man sich von Westen von der nunmehrigen französischen Grenz- her Metz, auf einer jener charakteristischen pappel umsäumten, in Schwingungen arrf und ab dahinlaufenden Straßen, die südlich überDoncourt oderMarslaTour.Vionville, Rezonville, Gravelotte, nördlich über Ste. Marie nach der Feste führen, so stößt man auf jenen natürlichen Höhenwall, der etwa von dem i-tzigen Aussichtsthurm im Süden, oberhalb der berühmten Schlucht, über verschiedene Pachthöfe oder Fermes, wie Point du Jour, Moscou, Leipzig, nach Amanweiler, St. Privat und Roncourt führt und die von den Forts um gebene Moselstadt gleichsam mit seinen Armen schützt. Vorwärts dieser von der Natur günstig gebildeten Kette von Bergen, etwa im Abstand von einer guten halben Stunde, liegen verschiedene Dörfer, wie Verneville, Habonville, das schon genannte Ste. Marie aux Chönes — unsere Sachsen nannten es nach der bekannten Volksetymologie „die schöne Marie" —, die wie Vor posten vor der Front liegen und von den Franzosen auch gut befestigt waren. Hier erfolgte der Angriff am 18. August Mittags, und zwar so, daß die Vororte binnen Kurzem in den Händen der Deutschen waren. Aber damit war nur der ungleich leichtere Theil der Aufgabe erfüllt; das Schwerste kam noch nach. Sowohl auf dem rechten deutschen Flügel, wie auch auf dem linken, wo man übrigens 18 Kilometer vom Feinde entfernt war, während man sich dort auf Gewehrschußweite gegenllberstand. Auf dem rechten kam man überhaupt nicht zum Ziel, insofern, als dir beherrschenden Höhen auch am Abend von den Deutschen nicht genommen worden waren. Erst in der Nacht räumten die Franzosen die Berge, da ihre Linie durch die inzwischen auf der entgegengesetzten Seite, dem linken deutschen Flügel, bewirkt- Wegnahme von St. Privat in Gefahr gerieth, aufgerolli zu werden. Den Weg, den die tapferen Truppen nahmen, schreitet man nach, wenn man von Süden der großen Straße, von Gorze unld Flavigny auS, zugeht, die Wer MarS la Tour, Vionville, Rezonville und Gravelotte führt. Hier stürmten die Wackeren die Pappelstraße hindurch zum Angriff. ES ist ein ernste» Gefühl, Has Einen da beschilsicht. Hier rangen schon zwei Tage vorher deutsche Zähigkeit und französischer Wagemuth mitein ander, und die Deutschen vermochten sich, Einer gegen Drei, doch nur mühselig zu halten, bis das Signal: Langsam zurück; ertönte, um mit Aufbietung aller Kraft ausgefühlt zu werden, damit keine Auflösung erfolgte. Die größte Tapferkeit erlahmt schließlich gegenüber einer überwältigenden Uebermacht. An dererseits haben die Deutschen gezeigt, daß sie auch in der Minder heit zu siegen wußten, noch an demselben Tage. Ueberhaupt ist es falsch, die Uebermacht einem Heere zum Vorwurf zu machen. Wen lobt es anders, als den Heerführer, der es so einrichtet, daß gerade am geeigneten Orte, zu geeigneter Stunde sich die größt mögliche Macht versammelte und schlug, wie bei Weißenburg und Wörth? Der größte Meister der Kriegskunst des 19. Jahr hunderts nach Moltke, Napoleon, legte es stets darauf an, auf den schwächsten Punct seines Gegners seine ganze Kraft zu ver wenden. Es galt, am 16. August die genannte Straße zu halten und den Franzosen den Weg zu verlegen, eine Absicht, die erst nach einem zweiten Kampfestage völlig erreicht ward. Als der Infanterie dec Athem ausging, mußte die Kavallerie dran, die an diesem Tage ihren Ehrentag hatte. Nördlich der genannten Straße liegt das Feld ihrer Thaten, da, wo jetzt die französische Grenze sich am Walldesrand, an der Römerstraße, hinzicht und sich nörd- lich von Rezonville das Denkmal Bredow erhebt, das besser das Denkmal Schmettau hieße, nach dem bekannten Oberst der Kürassiere. Schweigsam und still thront es, als ich es besuchte, im Aehrenfeld verborgen, und der Adler auf der Spitze hält gleichsam die Wacht gegen Frankreich. Doch zurück zum 18. August! In Gravelotte, wo ich im Gasthof zum „Chevalier d'vr" eingekehrt war, muß man, wie in Metz überhaupt, etwas vorsichtig sein. Ich war in das Gastzimmer getreten, um eine kleine Erfrischung in dem Sonnenbrand einzunehmen. Kaum ober hatte ich mich niedergelassen, so löste sich aus der Gruppe der dort Sitzenden ein Herr los, in Uniform, ein Polizeiofficier, so schien's, und stellte sich mir ebenso höflich wie entschieden vor. Ich habe Sie schon gestern in Amanweiler gesehen, meinte er, indem er seinen Namen nannte. Ich gab den meinen an und fügte bei, um einen Anknüpfungspunkt in der Unterhaltung zu gewinnen, daß ich auS Leipzig sei; ob er da bekannt wäre. O ja, entgegnete er. Was meine Anwesenheit in Amanweiler am Tage vorher an belangt, so erwiderte ich, daß ich von 'da aus St. Privat la Mon tagne besucht habe. Da haben Sie sich aber viel Zeit zum Besuch des Schlachtfeldes genommen, spann er den Faden der Unter haltung weiter fort. Wir schieden übrigens im besten Einver nehmen von einander, nachdem er genügend Auskunft erhalten hatte. Es ist möglich, daß es landsmannschaftliche Theilnahme war, die ihn mir sich nahen hieß, denn die Deutschen halten in diesen, der Sprache und der Gesinnung nach französisch geblie benen Gefilden eng zusammen; es ist ober sehr wohl auch wahr scheinlich, daß er in mir, dem mit Karte und Fernglas Bewaff neten, Jemand Andere» vermuthet hatte und mir einmal auf den Zahn fühlen wollte. Von Gravelotte mit seinem weltberühmten und herzerschütternden Friedhof, auf dem 3000 deutsche und fran- zösische Krieger ruhen, gelangt man auf abschüssiger, hohlweg artiger Straße nach der Schlucht von St. Hubert. ES ist ein einfache» Gasthaus, daS da die Stätte bezeichnet, wo so viel kost bares deutsche» Blut geflossen ist. Auch hier bezeichnet ein Massen friedhof den Ort, wo Freund und Feind sich im heftigen Zu sammenstöße trafen; umfriedigt lieat er da und weist mit seinen schmucklosen stillen Hügeln auf den lauten Kampf jener Tage hin. Line auf Felddienstübung befindliche Truppe hatte hier Hält ge macht, und während Feldwebel und Unterofficiere vor der Wirth- schaft saßen und Bier tranken, hatten sich die ermüdeten Mann schaften gelagert und ruhten im Straßengraben, gerade am Massengrabe liegend, so baß Kopf und Füße nach oben wiesen, aus, hart über den Todten. Unten die schlummernden Helden von 1870, über ihnen in unbequemer und doch ersehnter Rast in der Lage tiefen Schlummers ihre Nachfolger, bereit, das zu schützen, was jene errungen, ein eigenthümlich bewegender Anblick! Hier dieser Engpaß hat viele Opfer gekostet; er sah aber auch viele Beispiele erhebenden Mannesmuths und erhabener Menschlichkeit. Es ist überhaupt vollständig falsch, den Krieg nach Zollschein Muster immer nur als eine Kette von Rohheiten zu betrachten. Das Gegentheil ist oft der Fall. Dafür ein Beleg. Als unsere Tapferen durch die Schlucht hindurchdrangen, jeden Augenblick gewärtig, wie die Hasen von den in sicheren Schützengräben jen seits liegenden Franzosen wcggeschossen zu werden, erhob sich bei einem Truppentheil plötzlich ein Rufen, das sich von vorn nach hinten fortpflanzte. Die Vordersten deuteten, die Hände er hebend, etwas an, was nach rückwärts weiter gegeben werden sollte. Gegenüber auf der Höhe befand sich nämlich ein franzö sischer Verbandsplatz, kenntlich an der Fahne der Genfer Con rention. Da Pulverdampf das Ganze einhüllte — um 5 Uhr Nachmitags herum konnte man keine einzelnen Schüsse mehr unterscheiden, weder Gewehr- noch Geschützschuß, es war ein ein ziges Rollen und Krachen —, so war es der von hinten her über die Köpfe der Vordringenden weg feuernden deutschen Artillerie unmöglich, das Zeichen der Neutralität zu bemerken, und erbar mungslos schlugen die Geschosse auch dort bei den Verwundeten ein. Dem sollte gewehrt werden, und ihm galt der Ruf der Sol daten. Ob er schließlich Erfolg gehabt hat, ist eine andere Frage. Aber es ist doch immerhin ein erstaunlich humanes Zeichen, wenn Krieger, die dem Tode ins Auge sehen, eben denjenigen, die ihnen den Tod entgegensenden, mit christlicher Nächstenliebe helfen wollen und sich selbst vergessen. Welche feine Menschlichkeit den Krieger ergreift und segensreich, ich möchte sagen, veredelnd auf Mensch, Freund und Feind, einwirkt, beweist auch die jetzt ver öffentlichte Sammlung der Briefe, die der verstorbene General von Göben an seine Frau vom Felde aus richtete und die be zeugen, daß er mit seinem Gegenüber, dem General Chanzy — es war in den späteren Kämpfen bei Le Mans —, allmählich durch geschicktes Handeln ein so achtungsvolles, ja freundliches Ver- hältniß einrichtete, daß ihm dieser sogar schließlich ein Exemplar einer von ihm verfaßten Schrift widmete. Dem Menschenfreund möge das zur Beherzigung und Befriedigung gereichen! Wäh rend so, um wieder auf unser Thema zurückzukommen, auf dieser Stelle des Schlachtfeldes, dem rechten deutschen und linken fran zösischen Flügel, die Action zum Stehen kam, kein Fuß breit Boden gewonnen wurde, ja am Abend noch der Glaube vor herrschte, der Tanz werde am nächsten Morgen noch einmal los- oehcn, geschah auf dem anderen, dem linken deutschen und rechten französischen Flügel das Gegentheil. Hier kam man vorwärts, während auch im Mittelpunkte der Schlachtlinie, Amanweiler gegenüber, die Schlacht still stand und am Gehölz von La Cusse, da, wo jetzt das Heffendenkmal steht, über die CorpSartillerie des 9. Corps eine Art von Katastrophe hereinbrach, bei der sogar — cineL der wenigen Beispiele im deutsch-französischen Kriege — zwei Geschütze verloren gingen, die später in Metz wieder vor- gefunden wurden. E» war eben ein heißer Tag, in jeder Be ziehung. Heiß ging es auch bei St. Privat zu, wo unsere Sachsen mit dem Kronprinzen Albert an der Spitze sich unsterblichen Ruhm erwarben und sich selbst zu Rittern schlugen, Seite an Seite mit der preußischen Garde kämpfend, deren Tapferkeit und zähes Ausharren beim stundenlangen auf der Erde Liegen, wo bei man fortwährend den feindlichen Geschossen ausgesetzt war, die Bewunderung jedes ehrlichen Menschen erregen muß. Erst neuerdings ist so recht klar gestellt worden, welch' Verdienst sich König Albert als Kronprinz durch seine Selbstthätigkeit um die Entscheidung des Tages vom 18. August erworben hat, der viel leicht ganz anders geendet haben würde, hätte der linke deutsche Flügel nicht schließlich doch noch die hochgelegene Position des Feindes genommen. Man war am Morgen des Schlachttag-S noch ganz im Unklaren, wo sich eigentlich der rechte französische Flügel befand, und erst im Lause des Tages, ja im Laufe der Schlacht bekam man Gewißheit. Erst nahm man ihn bei Aman weiler an, dann erfuhr man, daß er viel mehr nördlich zu suchen sei, bei St. Privat, und mußte sich zum Schluffe sagen, daß das auch noch zu weit südlich gegriffen sei und die äußerste Spitze des französischen Heeres sich in Roncourt, eine halbe Stunde nördlich von St. Privat, ja in Montois la Montagne befand, wo auch noch Rothhosen standen. Dadurch gestaltete sich die Aufgabe, welche die Sachsen zu erfüllen hatten, ungleich schwie riger. Ein Frontangriff war angesichts der starken Stellung des Feindes ein kostspieliges Unternehmen, und die preußische Garde hatte sich fast schon den Kopf an den Mauern von St. Privat eingerannt. Ein Umgehen mußte versucht werden, war aber doch nicht so leicht auszuführen. Erst spät an dem wenigstens dem Erwarten nach schwülen Sommerabcnd, als die Sonne schon sank, kam die Schlacht zur Entscheidung, indem die preußischen Garderegimenter sich von Neuem aufrafften, nunmehr unterstützt von den am Ziel der Umgehung angelangten und anstürmenden Sachsen, die von Norden und Nordwesten her in das hartnäckig vertheidigte Dorf eindrangen, während die Preußen von Slldwesten kamen. „Den ganzen Tag über", sagt Bazaine in seinem Schlachtbericht, „war der Kampf unentschieden; aber am Abend warf sich der Feind mit der äußersten Kraft anstrengung auf St. Privat la Montagne und machte die Stellung für unseren rechten Flügel unhaltbar." War man deutscherseits in Verlegenheit und Unsicherheit, da man die Stellung des Feindes nach Norden zu gar nicht genau kannte und vielfach auf Vermuthen und Tasten angewiesen war, was der deutschen Heeresleitung von gewisser Seite auch zum Vorwurf gemacht worden ist, ein Nachtheil, der auch zweifellos die vielen Opfer veranlaßt hat, so beging Bazaine den Fehler, daß er seinen Blick immer starr auf Gravelotte und den rechten deutschen Flügel richtete und St. Privat zu sehr vernachlässigte, wo doch die Entscheidung des Tages lag, und als er die Wichtigkeit deS Ortes «insah, war es zu spät und die zu einer Feste umgewandelte Stellung schon genommen. Die Bourbaki'sche Kaisergarde, die er zur Unterstützung nach Norden sandte, konnte nicht mehr helfen. Bazaine beging denselben Fehler wie Benedek bei Königgrätz, als er sein Augenmerk stets nur unverwandt auf die Armee de» Prinzen Friedrich Karl richtete, die hart mitgenommen war, und den nahenden preußischen Kronprinz zu wenig beachtete, wodurch die Schlacht verloren ging. Es war, wie richtig bemerkt worden ist, der eherne Wille ohne die ordnende Vernunft, der da thätig war. Bei Bazaine war r» wohl auch etwa» fran»
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