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gesetzt. Er wollte vielmehr mit diesen ungewöhnlichen Mitteln einzig Inhalt und Aussage seiner Musik unterstreichen, seine Bekenntnisse verdeutlichen — und gerade die 2. Sinfonie ist in noch stärkerem Maße als die „Erste" Bekenntnis- und Weltanschauungsmusik, „eine tiefe Auseinandersetzung mit den Fragen des menschlichen Daseins" (Knepler). Der Komponist hat das Programm, das er dem in seinen Grundgedanken um Leben, Tod und Auferstehung des Men schen kreisenden Weik für die E, stu uff ü h ru ng in München nachträglich beigege- ben hatte, wieder zurückgezogen, da er (wie bereits bei der 1. Sinfonie) Miß verständnisse und Mißdeutungen fürchtete, und gewiß ist diese Musik auch nicht als „Programmusik" im üblichen bmne deutbar und erfaßbar. Dennoch geben uns Mahlers Erläuterungen bei dieser komplizierten, durch Fülle und Kraft der Inspiration, Mut und Kühnheit der — freilich oft ungemein heftigen, zerklüfteten, übersteigerten - musikalischen Sprache wie durch ihre ethische Problemstellung gleich imponierenden Komposition im einzelnen wesentliche und wertvolle Aufschlüsse. Im spannungsgeladenen, großangelegten 1. Satz (Allegro maestoso) wird die Totenfeier am Grabe eines geliebten Menschen geschildert. Nach den Worten des Komponisten zieht „in diesem ernsten, die Seele im tiefsten erschütternden Augenblick . . . sein Leben, Kämpfen, Leiden und Wollen noch einmal, zum letztenmal, an unsern geistigen Augen vorüber"; bang wird die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Dieser Satz mit seinem wildschmerzlichen Anfangs motiv, seinen herben, schroffen Klängen, schneidenden Bläserwirkungen ist in seiner überaus leidenschaftlichen musikalischen Gestaltung häufig als geistes verwandt mit der Musik des französischen Komponisten Hector Bierlioz bezeich net worden. Besonders hingewiesen werden muß auf ein in der Durchführung von den Hörnern intoniertes schlichtes, choralartiges Thema, das durch seine Beziehung zum letzten Satz (im Sinne von Frage und Antwort) bedeutsam wird. Zwischen 1. und 2. Satz forderte Mahler eine Pause von fünf Minuten, um die große seelische Umstellung zu gewährleisten, die sich für die Aufnahme des nächsten, völlig andersgearteten Satzes (Andante) als notwendig erweist. (Das Andante sowie die beiden darauf folgenden Sätze sind vom Komponisten als „Intermezzi" gedacht.) Anmutig beschwingt, in gemächlichem, unverkennbar österreichischem Ländlerrhythmus, brinqt das vorwiegend heiteren Empfindungen Ausdruck gebende Andante, das in dreiteiliger Liedform aufgebaut wurde, eine Rückschau auf die Vergangenheit des Helden des Werkes — „wehmütige Erinne rung an seine Jugend und an seine verlorene Unschuld". Als 3. Satz schließt sich ein bizarr-unheimliches, bewegtes Scherzo in Moll an. Das thematische Material dieses phantastisch-skurrilen Stückes entnahm der Komponist seinem Lied „Des heiligen Antonius von Padua Fischpredigt". Durch die bissig-ironische Parabel von dem Heiligen, der vergeblich den Fischen Tugend predigt, soll hier gleichnishaft das sinn- und zwecklos bleibende ideale Streben des Helden dargestellt werden. „Die Welt und das Leben werden ihm zum wirklichen Spuk; der Ekel vor allem Sein und Werden packt ihn mit eiserner Faust und jagt ihn bis zum Aufschrei der Verzweiflung." Unmittelbar folgt nun ohne Unterbrechung ein Altsolo mit dem warmen, ergrei fend schönen Gesang vom „Urlicht" aus der Arnim-Brentanoschen Liedersamm- lung „Des Knaben Wunderhorn", die Mahler sehr anzog und aus der er auch noch für seine beiden nächsten Sinfonien Liedtexte verwendete (man hat deshalb die Sinfonien Nr. 2 bis 4 unter dem Namen „Wunderhorn-Sinfonien" zusammen gefaßt). Die erschütternde Klage der Altstimme „Der Mensch liegt in größter Not" mündet, „die rührende Stimme des naiven Glaubens“ wiedergebend, in kindlich-gläubiger Zuversicht: „Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben". Das gewaltige Finale endlich, der Kernsatz der Sinfonie, ist musikalisch wie ideell Weiterführung und Sinnerfüliung des 1. Satzes, mit dem es bereits durch das Choralthema augenfällig verbunden ist; hier soll die Antwort, die Lösung der Zweifel und der Verzweiflung zum Ausdruck kommen. In grandiosen, alle Kräfte anspannenden und einsetzenden bildhaften Visionen gibt der Finalsatz zunächst eine Darstellung des Jüngsten Gerichtes, das sich immer furchtbarer und mächtiger ankündigt, bis schließlich vom Chor die Botschaft von der „Aufer stehung" verkündet wird. Lange Zeit hatte der Komponist vergeblich in der gesamten Weltliteratur nach Worten gesucht, die dem entsprachen, was er am Schluß seiner Sinfonie aussagen wollte; er fand sie plötzlich bei der Totenfeier für den Dirigenten Hans v. Bülow in dem Klopstock-Choral „Auferstehn, ja auferstehn", dessen Worte er noch um einige Zeilen erweiterte und in „edelste musikalische Form" faßte (Bruno Walter). „Leise erklingt im Chor der Heiligen und Himmlischen: .Auferstehn, ja auferstehn wirst du!' — Da erscheint die Herrlichkeit Gottes! — Ein wunderbares Licht durchdringt uns bis ans Herz. Alles ist stille und selig. — Und siehe da: Es ist kein Gericht, es ist kein Sünder, kein Gerechter — kein Großer und kein Kleiner —, es ist nicht Strafe und nicht Lohn! Ein allmächtiges Liebesgefühl durchdringt uns mit seligem Wissen und Sein", schrieb Mahler über den Schluß seines Werkes. In der Liebe — und der Gottes begriff steht in seinen religiösen Vorstellungen in erster Linie als Symbol für den Begriff einer verinnerlichten Liebe, die für ihn gleichzeitig die brüderliche Ver bindung mit den Menschen bedeutete und einschloß — findet der Komponist in seiner „Auferstehungs-Sinfonie" den Sinn des Lebens, die Überwindung der Verzweiflung am Leben, ohne jedoch bei den Grenzen seines idealistischen Welt bildes eine klare Kenntnis von einer Gesellschaftsordnung zu besitzen, in der seine Ideale von Liebe und Brüderlichkeit verwirklicht werden könnten. Dr. habil. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN : Mittwoch, den 3., und Donnerstag, den 4. April 1974, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Bernard Ringeissen, Frankreich, Klavier Werke von Wagner-Regeny, Mozart und Beethoven Freier Kartenverkauf Sonnabend, den 13., und Sonntag, den 14. April 1974, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast 10. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Andrej Korssakow, Sowjetunion, Violine Chor: Kinderchor der Dresdner Philharmonie Leitung: Wolfgang Berger Werke von Bartok, Vivaldi und Beethoven Freier Kartenverkauf Freitag, den 26., und Sonnabend, den 27. April, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 9. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: György Lehel, VR Ungarn Solist: Konstanty Kulka, VR Polen, Violine Werke von Sarai, Bartok und Franck Anrecht A Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1973/74 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: Polydruck Radeberg, PA Pirna - 111-25-12 2,85 ItG 009-17-74 8. PHILHARMONISCHES KONZERT 1973/74