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Leipziger jüdische Wochenschau : 01.11.1931
- Erscheinungsdatum
- 1931-11-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id391878840-193111013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id391878840-19311101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-391878840-19311101
- Sammlungen
- Historische Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger jüdische Wochenschau
- Jahr1931
- Monat1931-11
- Tag1931-11-01
- Monat1931-11
- Jahr1931
- Titel
- Leipziger jüdische Wochenschau : 01.11.1931
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4. Jahrgang Nr. 33 Leipzig, den 1. Nov. 1931 »Leipziger Jüdische Wochenschau“ erscheint wöchentlich am Freitag Redaktionsschluß: Dienstag mittag 12 Uhr Anzeigenschluß: Mittwoch mittag 12 Uhr Schriftleitung und Geschäftsstelle: Leipzig C 1, Fregestr. 31, Tel. 10562 Anzeigenpreis: Berechnung erfolgt nach Millimeter-Zeilen. Es kostet die ögespaltene 41 Millimeter breite Zeile 15 Pfg. Bei Wiederholungen Rabatt Tz?czc2zizezi und jOeben 1. Wenn man das Wort in seiner ureigensten Bedeutung nimmt und unter Tradition alles das verstehen will, was uns frühere Geschlechter überliefert haben, so hat Tradition den wesentlichsten Anteil an alledem, was wir unter Kultur leben und Zivilisation im weitesten Umfange dieser Aus drücke verstehen. Wenn das zwanzigste Jahrhundert alle voran gegangenen Zeiten an Kulturgütern überragt, so ist es einzig und allein dem zu danken, daß die Gegenwart eine reiche Erbin ist. Alles, was fünf Jahrtausende hindurch von Ge schlecht zu Geschlecht weitergegeben, überliefert wurde, sum miert sich zu einem ungeheuren Posten, der in seiner Ganz heit das Eigentum der Gegenwart bildet. Der unübersehbare Kulturreichtum unserer Zeit ist also im wesentlichen nichts anderes als das Endergebnis einer langen Kette von Traditionen. Und doch hat Tradition in unserem Sprachgebrauch eine Bedeutung angenommen, die sich keineswegs als Hilfs- oder Teilbegriff in die fortschrittliche Kultur und Zivilisation ein- Iprdnen läßt. Es besteht vielmehr ein gewisser Gegensatz zwischen beiden. Der Zivilisation als einem vielgestaltigen und wandelbaren Gebilde gegenüber verkörpert die Tradition in ihrer landläufigen Bedeutung die Idee des Bestehenden, des Sichgleichbleibenden, des Unwandelbaren. Für den ersten Augenblick scheint allerdings Tradition das konstituierende Element aller Zivilisation und Kultur zu sein. Und sie ist es in der Tat. Sie ist es aber, wie man leicht sieht, in einem eigenen, entwicklungstheoretischen Sinne. Sie verhält sich zur lebendigen Gegenwartskultur wie etwa der Nährstoff zum lebenden Organismus: sie wird aufgenommen, verarbeitet, zum Teil einverleibt, zum Teil aber als ver braucht ausgeschieden. Aeltere Zivilisations- und Kulturbe stände bilden also einerseits das wertvolle Erbe aller späteren Entwicklung, können aber andererseits die Schwelle ihrer eigenen Zeit nicht überschreiten ohne ihr individuelles Ge präge, ihr eigenes Sein ganz oder teilweise zu verlieren. Im dahinsausenden Schnellzug ist beispielsweise all das vereinigt, was Menschengeist durch Jahrtausende auf dem Gebiete des Verkehrswesens erfunden und entdeckt hat. Doch sind hier die Einzel typen der Vorgänger, die alten Motive, nicht wie in einem Rechenexempel als isolierte Einzelposten aneinander gefügt, sondern organisch aufgesogen und zu etwas ganz Neuem, vorher nie Dagewesenen ausgestaltet worden. — Zwi schen der unschätzbaren Erfindung Gutenbergs und der mo dernen Rotationsmaschine liegen kaum vierhundert Jahre. Wer aber vermag hier die primitive Satzvorrichtung und Druckart des fünfzehnten Jahrhunderts wieder zu erkennen? — Ein gleiches Gesetz beherrscht alle Gebiete unseres Kulturlebens. Im raschen Fortschritt geisteswissenschaftlicher und technischer Entwicklung verschlingt jede spätere Gestaltung die vorher gehende, nutzt ihre Werte für sich aus, macht sie überflüssig und verdrängt sie aus dem Leben. Der Traditionsbegriff hat also auf zivilisatorischem und kulturgeschichtlichem Gebiet nur insofern seine Berechtigung, als man ihn atomisiert und auf die kleinsten Grundelemente menschlichen Schaffens bezieht. Diese Grundelemente sind ■ es hauptsächlich, die durch die Zeiten fortleben. Will man aber über das unteilbare Kleinste hinausgehen und das Ueberkom-, mene als Ganzes ins Auge fassen, soll also unter Tradition ein gewisses Festhalten, ein grundsätzliches sich Klammem' an das Alte verstanden werden, dann freilich kann das stetig fort schreitende Zivilisations- und Kulturleben keineswegs als tra ditionsfreundlich angesprochen werden. Wohl zieht alle Zivi- obtr jgloFotfpe, llepvttfm f?« .TlabctT- «iee wWtOTOTft 3i. w $emüsrc<f>cr "11 58 lisation ihre beste und wertvollste Nahrung aus überliefertem Stoff — aus der Tradition, — gebraucht sie aber nur als Nah rung und raubt ihr das eigene Leben, das selbständige Dasein. H. Das Verhältnis ändert sich aber von Grand auf, wenn wir auf das religiös-ethische Gebiet übergehen. Im scharfen Gegensatz zu dem unaufhörlichem Zersetzungsprozeß, dem alle Tradition in der fortschreitenden Zivilisation verfallen muß, erfreut sich die Tradition auf religiös-ethischem Boden eines selbständigen Daseins, eines eigenen Wertes, eines Dauerlebens. — Das liegt hauptsächlich daran, daß die religiös-ethische Welt von Ewigkeitsideen getragen ist. Ewigkeit gehört überhaupt zum Grundwesen der religiös - sittlichen Welt. Gott, Heiligkeit, Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Liebe und alle anderen Tugenden wollen und sollen das feste, unverrückbare Koordinatensystem unseres seelischen Lebens, unseres ethischen Denkens" und Handelns für alle Zeit bleiben. Die Grundwerte der religiös-sittlichen Welt haben von Haus aus etwas Bleibendes, Endgültiges, etwas Absolutes an sich; sie gleichen in diesem Punkte den Urkräften der Natur. Auch die ältesten Traditionen von wahrer Glaubensinnigkeit, von Sittem- reinheit und aufrichtiger Menschenliebe haben sich nicht über lebt, haben ihre Vorbildlichkeit nicht eingebüßt. Im Gegen teil. Unser ethisches Empfinden findet gerade im hohen Alter solcher Traditionen eine Symbolisierung ihres Ewigkeitswertes, einen festen Anhaltspunkt dafür, daß in ihnen Energien ver borgen sind, die zeitlos fortleben und sich stets gleichbleiben. Unser monotheistisches Bekenntnis— uro vorn Bekanntesten auszugehen — kann uns auch heute nicht genommen werden, ohne die Religion im ganzen zu zerstören. Die Jahrtausende, die auf das „Höre Israel“ gefolgt sind, haben vieles überwunden, haben vieles bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet; doch diesem ältesten Glaubenssatze von der Gotteseinheit konnten sie kein Besseres, kein Vollkommeneres entgegenhalten. Ebensowenig war die reiche Entwicklung der verflossenen Jahrtausende imstande, das biblische Humanitätsprinzip: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lev. 19, 18) durch ein besseres, der mensch lichen Natur entsprechendes zu ersetzen. Die alten Bundes tafeln mit ihren Grundgeboten haben auch heute noch ihre innigsten Beziehungen zum Leben und werden diese Be ziehungen auch in Zukunft nicht einbüßen. Andere Traditionen liegen weniger im Mittelpunkt der Idee, unterstützen jedoch die Pflege derselben und haben eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Hebung religiöser Stim mungen. Durch Unterdrückung dieser Traditionen würde die äußere Lebensführung, noch mehr aber der innere Kreis von Kult und Ritus um das feste Gefüge kommen, das uns hier .mehr als sonstwo das Erbgut vergangener Zeiten sichert. Wenn gerade das religiöse Gemüt so gern auf Altes und Uraltes zurückgreift, so ist der Grund viel tiefer zu suchen als in einem gedankenlosen Hang nach Ueberkommenem. Es liegt etwas Weltanschauliches darin. Im religiösen Leben hat auch die rein äußerliche Tradition ihren Platz. Sie ist zumindest das Gefäß, dessen das Heilige bedarf, um richtig aufbewahrt zu bleiben. Die Frage: „Wie war es früher?“ hat in weltlichen Dingen keine nennenswerte Bedeutung. Nicht so gleichgültig aber ist die Frage, wenn es sich um Probleme religiös-sitt» lieber Natur handelt, weil hier eine Zusammenstimmung der “Zeiten zum Wesen der Sache gehört. n : i . 1 ! . « 1 ■ ; in. Innerhalb des Judentumes hatte die Aufrechterhaltung religiös sittlicher Tradition die härtesten Proben zu bestehen. Auf einige besonders merkwürdige Punkte soll hier wenigstens andeutungs weise hingewiesen werden. Der erste größere Kampf, den die jüdische Tradition zu bestehen hatte, vollzog sich um die Periode der Tempel zerstörung in der Abwehr des alexandrinischen Hellenismus, der sie und durch sie das Judentum selbst in der Wurzel zu {vernichten drohte. Geschichtlich gesehen drehte sich der Kampf um die Geltungsfrage .der zwei Weltanschauungen, der jü dischen und der griechischen, die schon um die Wende des makkabäischen Zeitalters aufeinanderstießen. Doch für die Zeit genossen selbst lag der Schwerpunkt des Kampfes nicht so sehr in der Tatsache, daß zwei verschiedene Weltanschau ungen sich einander verdrängen wollten, als vielmehr darin, daß die jüdischen Vertreter des Hellenismus, das Gegensätzliche dieser Weltanschauungen verheimlichend oder nicht richtig empfindend, den Versuch machten, die fremde Weltanschauung in die jüdischen Urkunden methodisch hinüberzupflanzen. Der Hellenist tritt also nicht als Leugner oder Bekämpfer des Judentums auf. Er benutzt vielmehr die Bibel, die auch ihm unantastbares Heiligtum ist, als Boden, in den er die neue Weltanschauung hineinzupfianzen sucht. Er gibt sich also als Juden, und als solcher möchte er die Urquelle des prak tischen Judentums bewußt oder unbewußt mit Griechentum verschütten. Das Primäre in jenem Kampfe war .also nicht so sehr, einen offen eingestandenen Gegensatz zwischen jüdischer und griechischer Weltanschauung auBzutragen, als vielmehr der nn Katharinenstraße 8 Tel. 1836z Kurze Straße 3-5 Tel. 19146 aller Art für Wohnungen und Geschäftshäuser Reklameplakate für jeden Zweck in Gummi und Metall Versuch, den Juden als Juden zum Griechen zu machen; den ursprünglichen Inhalt seiner Bibel durch allgorische Aus legungen zu verflüchtigen und ihn in verschleierter Form mit einem neuen Inhalt zu vertauschen. Der Kampf galt also auch von seiten des radikalen hellenischen Juden nicht d'em : Glauben in seiner begrifflichen Allgemeinheit, sondern dem; Traditionsprinzip. Und was im Kampfe siegte, war nicht der Glaube schlechtweg, sondern die treue Verbundenheit der jü dischen Seele mit ihrer angestammten Tradition, das Sich besinnen auf die überlieferte Gestalt des jüdischen Glaubens; auf die naturgegebene Forderung lebendiger Religiosität: daß das Heute eine gradlinige Fortsetzung des Gestern zu sein hat, und ihm auf keinen Fall .widersprechen darf. , Um Mißverständnisse zu verhüten, möchten wir mit ganz besonderem Nachdruck hervorheben, daß es uns bei Beur teilung- der Tradition nicht so sehr auf die Betonung des In-, halts derselben als vielmehr auf ihre charakteristische Eigen tümlichkeit, „am Alten festzuhalten“, ankommt. Der Durch schnittsmensch, der das Gros einer jeden Religionsgemeinschaft ausmacht, ist beispielsweise selten in der Lage, durch eigen© Denkarbeit und durch selbstgefundene Ergebnisse von For schung und Erfahrung den entsprechenden Widerstand zu, leisten, wenn sich von außenher Versuchungen an ihn heran drängen, die ihn mittelbar oder unmittelbar seiner eigenen Religion entfremden wollen. Den wirksamsten Widerstand leistet in solchen Fällen die Tradition. Die Bedeutung des Erkennt- (nisprinzips darf wohl auch in den mittleren und unteren Schichten einer Religionsgemeinschaft nicht zu gering angesetzt werden, zumal innerhalb der Judenheit, wo Synagoge und. Schule von den ältesten Zeiten ab jedem Mitglied zugänglich^ war und dienstbereit zur Seite stand. Aber die entscheidende und höchste Widerstandsfähigkeit zog die jüdische Seele zweifel los aus der Tradition. Nicht einzelne Lehren oder Glaubens sätze, nicht einzelne feine Gedankengänge waren es, die in Zeiten der Not die breiten Menschenmassen in Atem hielten und- ihnen die Kraft zum Märtyrertum gaben, sondern die Religion als -ungeteiltes Ganzes. Der Gläubige wurde stets und wird auch jetzt vom Gesamtbild der Religion beherrscht, so wie es sich durch Tradition und Herkommen in die Seele eingeprägt hat. Viel kräftiger noch äußerte sich die Macht der Tradition später, in den Nöten schwerer Religionsverfolgungen. In all diesen Kämpfen hatte die Tradition den schwersten Teil der Abwehrarbeit zu leisten. Ihre Bedeutung in schweren Ge schichtsepochen wurde schon in frühtalmudischer Zeit richtig erkannt und balachisch geregelt. Zur Zeit der hadrianischen Verfolgungen wurde in Lydda angesichts der anschwellenden Zahl der Märtyrer eine ein schränkende Regelung des freiwilligen Märtyrertums, d. h. des religiösen Selbstaufopferungseifers getroffen. Drei Religiong- gesetze waren es bloß, für die die Forderung aufgestellt wurde, daß sie selbst unter Androhung des Todes eingehalten werden müssen. Es waren dies: Götzendienst, Menschenmord und Unzucht. (Sanhedrin 74a). Diese drei Gesetze bilden in der Tat die Säulen des jüdischen Religionslebens. Wer 1 auch nur eines von ihnen aufgibt, hat das Judentum aufgegeben. Die Kämpfe jener Zeit gingen wohl um das Sein oder Nichtsein des Judentums. Sie waren aber im wesentlichen nicht so sehr konfessionell, als vielmehr politisch orientiert. Der Ausgangs punkt des Kampfes war Hadrians Ablehnung der Tempel restauration, in der die Judengegner eine Gefahr für den rö mischen Staat erblickten (Gen. r. 64 Ende). Es wurde zwar den Juden von römischer Seite verschiedenes verboten, was zum wesentlichen Inhalt ihres Religionslebens gehört. Aber die Verbote atmen keinen Bekehrungsgeist, sie wurden bloß von der Furcht diktiert: Die Juden könnten sich wieder in. politischem Sinne zusammenfinden und einen neuen Aufstand organisieren. Der nichtkonfessionelle Charakter der hadriani- 3101130 t TO ta-Rn 9*.^sueAottt© öa ■KJO Tr»,.
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