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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1862
- Erscheinungsdatum
- 1862-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186207233
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18620723
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18620723
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1862
- Monat1862-07
- Tag1862-07-23
- Monat1862-07
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- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1862
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ssvk Gchmuze, der Pracht gewesen war, der riesige blinde Maulwnrs, die Vergangenheit, umging. Und so reinigte zu Anfang diese- Jahrhundert- die alte Gesell schaft ihre Unterlage und ließ ihre Kloake Toilette machen. Gegenwärtig ist die Kloake rein, kalt, gerades correct. Sie verwirklicht fast bas Ideal von dem, waS man in England unter »respectabel" versieht. Sie ist nach der Schnur gezogen und man könnte fast sagen anständig. Sie gleicht einem Lieferanten, der Staatsrath geworden ist. Es ist fast hell darin. Der Koch be nimmt sich anständig. Auf den ersten Blick könnte man sie für einen der unterirdischen Gänge halten, die sonst so gemein und so nützlich für das Entfliehen von Monarchen und Prinzen in der guten alten Zeit waren, in welcher das Volk seine Könige liebte. Die jetzige Kloake ist eine »schöne Kloake", jeder Ausfluß darin eine A»cade. Die Kloake hat ein gewisses officielleS Aussehen. Selbst die Polizeiberichte, in denen bisweilen von ihr die Rede ist, ver schmähen nicht, sie zu erwähnen. Allerdings hat dieses Geflecht von Höhlen noch immer seine uralte Bevölkerung von Nagethieren, ja sie scheinen darin bester zu gedeihen als jemals. Von Zeit zu Zeit steckt eine Ratte, ein alter Schnurrbart, den Kopf an dem Fenster der Kloake heraus und besieht sich die Pariser; aber auch dieses Ungeziefer bildet sich, denn es ist jetzt zufrieden mit seinem unterirdischen Palast. Die Kloake hat nichts mehr von ihrem ur- prün glichen Schauerlichen. Der Regen, der sonst die Kloaken be- chmuzte, wäscht sie jetzt rein. Doch traue man ihr nicht zu viel. Pestluft wohnt noch immer darin; sie heuchelt mehr als sie tadellos ist. Die Polizeipräfectur und die GesundheitS-Commisston thun vergeblich, was sie thun können. Trotz allen DeSinficirungsver- suchen dringt ein verdächtiger Geruch hervor; eS bleibt immer der Tartüffe, auch nach der Beichte. Indessen, wir müssen gestehen, im Ganzen ist das AuSfegen eine Huldigung, welche die Kloake der CiviUsation darbringt und von diesem Gefichtspunct aus darf man sagen: die Kloake von Paris hat sich um Vieles gebessert. Man sieht da nicht bloS einen Fortschritt, sondern eine Umwandlung. Zwischen der alten und der jetzigen Kloake liegt eine Revolution. Wer hat diese Revolu tion bewirkt? Der Mann, den alle Welt vergißt und den wir genannt haben, Bruneseau. Die Anlegung der Kloake von Paris war keine kleine Aufgabe. Die zehn letzten Jahrhunderte haben daran gearbeitet, ohne sie zu Stande zu bringen, so wenig sie das obere Paris fertig brachten. Die Kloake muß natürlich sich ausbreiten mit der Stadt oben. In der Erde giebt eS gleichsam einen Polypen mit tausend Fäden, der unten in derselben Zeit wächst wie die Stadt oben. JedeSmal, wenn die Stadt eine neue Straße treibt, streckt auch die Kloake einen Arm aus. Die alte Monarchie hatte nur 23.300 Klaftern Kloake gebaut. So weit war Paris damit am 1. Januar 1806. Von der Zeit an, von welcher wir sogleich sprechen werden, ist die Arbeit mit Kraft und Nutzen wieder ausgenommen und fortgesetzt worden. Napoleon baute, die Zahlen sind merkwürdig, 4804 Klaf tern, Ludwig XV1I1. 5709, Carl X. 10,836, Ludwig Philivp 89.020, die Republik von 1848 23,381, die gegenwärtige Regie rung 70,500. Im Ganzen zählt es also in dem jetzigen Augen blicke 247.550 Klaftern, 60 Stunden, Kloake! Das ist das un geheuere Eingeweide von Paris, eine Verzweigung im Finstern, die immer noch treibt und wächst, ein unbekannter und unermeß licher Bau. Wie man sieht, ist dieses unterirdische Gewirr gegenwärtig mehr als das Zehnfache von dem, was es im Anfänge des jetzigen Jahrhunderts war. Man kann sich schwerlich vorstellen, welche Ausdauer und welche Anstrengung dazu gehörte, um die Kloake zu der verhältnißmäßigen Vervollkommnung zu bringen, welche sie jetzt besitzt. Mil Mühe hatte die alte Verwaltung und in den letzten zehn Jahren des 18. Jahrhunderts die revolutionäre Ver waltung die fünf Stunden Kloake angelegt, welche eS 1806 gab. Allerlei Hindernisse traten der Arbeit entgegen, Hindernisse, die zum Thett in der Beschaffenheit deS Bodens, zum Theil sogar selbst in den Voruriheilen der arbeitenden Bevölkerung von Paris lagen. Paris ist auf einem Boden erbaut, der sich merkwürdig der Hacke, der Haue und der menschlichen Hand widersetzt. Es ist Nichts schwerer zu durchbohren und zu durchbrechen als die geologische Formation, auf welcher die wunderbare historische For mation ruht, die man Paris nennt. Wenn man sich in irgend einer Form hineinzuarbeiten versucht, giebt es Wideiffiand. Da findet sich flüssiger Thon, Quellen, hartes Gestein, weicher und tiefer Sumpf. Die Haue dringt mühsam in die Kalkschichten ein, die mit dünnem Lehm und Schieferschichten abwechseln, in welchen Austernschalen eingebettet liegen, die aus der Zeit der Meere vor Adam herrühren. Bisweilen zerbricht plötzlich ein kleiner Bach ein Gewölbe, das man angefangen hat, und überschwemmt die Arbeiter, oder es fließt Merl aus, der sich zu Tage arbeitet, wie ein Wasserfall herausstürzl und die stärksten Balten de- Stütz baues wie Glas zerbricht. In der Nähe der Seine, ja ziemlich weit vom Flusse hinweg trifft mau auf Triebsand, in den man einsinkt und in welchem ein Mensch in einem Augenblicke ver schwinden kann. Dazu rechne man das Ersticken in dieser Pest lust, da- Begraben durch Erdeinbrüche und da- plötzliche Einsiuken de- Boden-; man rechne dazu den Typhus, der sich langsam in dre Arbeiter eindrängt. Mancher der erfahrensten und ausdauernd sten Leiter dieser Arbeiter hat noch vor nicht langer Zeit sein Leben da verloren. Wir könnten hier Namen nennen; freilich giebt es keine öffentlichen Erwähnungen für solche Handlungen des Mulhes, obgleich sie nützlicher sind als Schlächtereien auf einem Schlachtfeld. Im Jahre 1832 waren die Kloaken bei Weitem das noch nicht waS sie jetzt sind. Bruneseau hatte den Anstoß gegeben, aber die Cholera mußte noch kommen, um den ungeheuren Neubau zu ver anlaßen, der seitdem unternommen worden ist. Man begreift es kaum, aber 1821 z. B. faulte noch unter freiem Himmel ein Theil der Kloake des Gürtels, der große Canal genannt, wie in Venedig, in der GourdeSstraße. Erst 1823 fand die Stadt Paris die Summe von 266,000 Francs, um diese Schmach zuzudecken. Vor dreißig Jahren, zur Zeit des Aufstandes am 5. und 6. Juni, war noch an vielen Stellen die Kloake so wie in alter Zeit. Ein großer Theil der Straßen hatte nicht gewölbte Canäle, sondern einfache Gänge. Häufig sah man an einer abschüssigen Stelle einer Straße oder eines Platzes große viereckige Gitter mit ihren Stäben, deren Eisen durch die darüber hingehenden Menschen geglättet und für die Wagen gefährlich waren, da nicht selten Pferde darauf aus- glitten. In sehr vielen Straßen zeigte damals noch die alte Kloake ungescheut in solcher Weise ihren Rachen. Paris war 1806 mit seinen Kloaken noch beinahe bei der Zahl vom Mai 1663, 5328 Mastern nämlich. Nach Bruneseau am 1. Januar 1832 besaß eS 40,300; von 1806 — 1831 baute man jährlich im Durchschnitt 750 Klaftern; seitdem hat man alle Jahre 8 und selbst 10,000 Klaftern unterirdische Gänge oder Galerien gemauert und zwar in hydraulischem Kalk auf Betongrund. Zu 200 Francs die Klafter gerechnet, repräsentiren die 60 Stunden Kloake in Paris die Summe von 48 Mill. Francs. Abgesehen von dem ökonomischen Fortschritt, den wir im An fang andeuteten, knüpfen sich an die ungeheuere Frage »Kloake von Paris" ernste Fragen der öffentlichen Gesundheit. Paris liegt zwischen zwei Meeren, einem Wasser- und einem Luftmeer. Das Waffermeer, in sehr bedeutender Tiefe unter der Erde, aber bereits zweimal erbohrt, geht hervor aus der Grünstein schicht, zwischen dem Kreide- und Jurakalklager. Diese Schicht kann man sich vorstellen unter einer Scheibe von 25 Stunden im Umfange. Eine Menge von Flüssen und Bächen sickern hinein; man trinkt die Seine, die Marne, die Bonne, die Oise, die Vienne, die Loire, den Cher in einem Glas Wasser aus dem Brunnen von Grenelle. Diese- Waffermeer ist gesund; es kommt zunächst vom Himmel, dann aus der Erde. Das Luftmeer ist ungesund, denn eS kommt ans der Kloake. Alle MiaSmen der selben mischen sich in die Luft, die man in der Stadt athmet. Die Lust über einem Düngerhaufen ist, wie die Wissenschaft nachge wiesen hat, reiner als die Luft über Paris. Nach einiger Zeit, wenn der Fortschritt hilft und die Werkzeuge sich vervollkommnen, wird man die Wasserfläche unten benutzen, um die Luftfläche oben zu reinigen, d. h. die Kloake auSzuwaschen. Man weiß, was wir unter Auswaschen der Kloake verstehen, da- Wiedergeben des Kothes an die Erde, die Rücksendung des Düngers an den Boden, das Düngen der Felder. Aus diesem einfachen Factum wird für die ganze Gesellschaft Verminderung der Noth und Vermehrung der Gesundhett hervorgehen. In der letztem Zeit breiteten sich die Krank heiten von Paris bis 50 Stunden um den Louvre, wenn man ihn als Nabe des Pestrades annimmt. Man könnte sagen, daß seit 10 Jahrhunderten Paris an der Kloake krank ist; dre Kloake ist das Böse, das die Stadt im Blute M. Der Bolksinstinct hat sich darin auch nie getäuscht; das Ge schäft der Kloakenräumer war sonst fast so gefährlich und dem Volk o widerstrebend, wie das Gewerbe des Schinders lange gewesen st, so daß man es dem Henker überlasten mußte. Nur gegen hohe Bezahlung konnte man den Maurer veranlaßen, in jener übelriechenden Tiefe zu arbeiten. Man sagte sprichwörtlich: »Wer in die Kloake steigt, steigt in das Grad" und allerlei häßliche Sagen bedeckten diesen kolossalen Abfluß mit Entsetzen, jene gefürch tete Senkgrube, welche die Spur der Erdrevolutronen an sich trägt, wie die der menschlichen Revolutionen, und wo man Spuren von allen Sündfluthen findet, von der Muschel der babylonischen Sündfluth bis zum Betttuchfetzen MaratS. Stadttheater. Als zweite Gastpartie gab Herr Rüb sauren am 21. d. MtS. dm Figaro in der Over „DerBarbier von Sevilla". Außer ihm gastirten Frau Rübsamen-Veith als Rosina und Herr Bernard als Graf Almaviva. Wir hatten Herrn Rübsamen schon bei seinem ersten hiesigen Auftreten („Temvler und Jüdin") als einen trefflichen Sänger kennen gelernt und sahen daher seiner zweiten Gastvorstellung mit guten Erwartungen entgegen. ES freut uns, sagen zu dürfen, daß der Gast diese keineswegs geringen Erwartungen in jeder Beziehung weit übertroffen und somit eme Leistung gegeben hat, welche die volle Anerkennung eines kunstver-
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