Bachiana in russischen Bibliotheken und Sammlungen: Autographe, Abschriften, Frühdrucke, Bearbeitungen Von Ludmilla A. Fedorowskaja (Leningrad) Den Grundstein für die Verbreitung der Werke Johann Sebastian Bachs in Rußland legten dessen Schüler und andere Träger der Bach-Tradition. Der erste, der nach unserer Auffassung Bachs Musik in Petersburg gespielt und Handschriften seiner Werke besessen haben könnte, war Bachs Schüler Fried rich Gottlieb Wild (Wilde; i700?-i762), der von 1735 bis 1762 als Organist an der Peterskirche wirkte. 1 Auch Jakob von Stählin (1709-1785), Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften und erster Chronist der russischen Kunstgeschichte im 18. Jahr hundert, könnte über Manuskripte Bachscher Werke verfügt haben. In den Jahren seines Studiums an der Leipziger Universität (1732 bis 1735) hatte Stäh lin engen Kontakt zu Johann Sebastian Bach und dessen Söhnen. In einem in seinem letzten Lebensjahr verfaßten Brief an seinen Sohn Peter erwähnt das betagte Akademiemitglied die fünf Jahrzehnte zurückliegende Studienzeit; „Ich bin entzückt von der Erinnerung des berühmten Emanuel Bach an unseren beinahe täg lichen freundschaftlichen Umgang in Leipzig, wo ich bisweilen ein Solo oder ein Concert im Collegium Musicum seines seligen Vaters spielte.“ 2 Stählin erinnert sich bei dieser Gelegenheit an seine Bekanntschaft mit den drei erwachsenen Söhnen des Thomaskantors: den „etwas affektierten Elegant“ Wilhelm Friedemann, den nachmals von ihm „berühmt“ genannten Carl (Philipp Emanuel), den er als „natürlich, tief, nachdenklich und in Gesellschaft nichts destoweniger lustig“ bezeichnet, und den „windigen“ Johann Gottfried Bern hard (von Stählin 1784 mit dem jüngsten Sohn zweiter Ehe, Johann Christian, verwechselt), mit dem er häufig Querflötenduette gespielt habe. Als großer Musikliebhaber dürfte Stählin eine nennenswerte Musikaliensammlung beses sen haben, in der Werke Bachs und seiner Söhne sicherlich nicht fehlten. Werke Johann Sebastian Bachs spielte im Petersburg der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der namhafte Organist Johann Gottfried Wilhelm Palschau, ein Schüler des Rigaer Organisten Johann Gottfried Müthel, der seinerseits Bachs Schüler gewesen war. Über Palschaus Spiel schreibt Jakob von Stählin 1769 in sein Tagebuch: „Seine Geschwindigkeit u. Pünctlichkeit im spielen der schwehresten Klavierstücke die der alte Bach iemahls in Noten gesetzt hat, ist allerdings zu bewundern.“ 3 1 Vgl. L. Roizman, K istorii organnogo iskusstva v rossii vo ftoroj polovine XVIII stoletija, in: Voprosy muzykal’no-ispol’nitel’skogo iskusstva. Moskva 1962, hier S. 299. Vgl. auch Dok III, S. 476, 481, 642. 2 H.-J. Schulze (Hrsg.), ]obann Sebastian Bacb. Leben und Werk in Dokumenten, Leipzig, Kassel etc. und München 1975, S. 21; russ. Übersetzung in: Dokument)’ &j\ni i dejatel’nosti loganna Sebast'jana Bacba (perev.: V. Jerochin), Moskva 1980, S. 27. 3 Ebd., S. 74 bzw. S. 92.