Die Verwendung der Blechblasinstrumente bei J. S. Bach unter besonderer Berücksichtigung der Tromba da tirarsi : kritische Anmerkungen zum gleichnamigen Aufsatz von Thomas G. MacCracken
Blechblasinstrumente bei J. S. Bach - Kritische Anmerkungen 45 über Nacht entwickelt worden, sondern entstand viel früher und dürfte auch bei Bach vorzufinden sein. Demnach konnte ein Trompeter mit einem Instru ment in C bei einem Chor oder einer Arie mitwirken und dieses anschließend durch Krummbogen und Setzstücke nach G umstimmen, um beim Schluß choral mitzuwirken. MacCrackens Annahme einer hohen „Englischen“ Trom pete in G für den Instrumentalsatz BWV 75/8 läuft nicht nu r dem musikalischen Sinn von Bachs einziger Choralfantasie für Instrumentalensemble zuwider, son dern ignoriert die Tatsache, daß viele Kantaten Schlußchoräle in G aufweisen, bei denen die Trompete colla parte mit dem Sopran geführt ist, nicht etwa eine Oktave höher. Unnötig war ein derartiges Umstimmen in Fällen, in denen 1. ein Bläser zur Verfügung stand, der auf die geschilderte Weise Töne außerhalb der Naturton skala hervorzubringen wußte, 2. zwei oder mehr Instrumente benutzt wurden und gegebenenfalls ein Stadtpfeifergeselle oder „Beiständer“ seinem Meister assistierte. Der Unkenntnis dieser Verfahrensweise entspringt die gegenwärtig noch immer verbreitete (beispielsweise in einigen neueren Schallplattenaufnahmen unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt dokumentierte) Praxis, Bach Irrtümer oder Schreibfehler bei den Besetzungs angaben zu unterstellen, für „Corno“ oder „Clarino“ bestimmte Obligat- beziehungsweise Colla-parte-Stimmen als im 18. Jahrhundert auf diesen Instrumenten unspielbar zu dekla rieren und sie - ohne Rücksicht auf Klangspezifik, Tonsymbolik, Idiomatik etc. - etwa dem Zinken („Cornettino“) zu übertragen. Hinsichtlich der Frage eines Zugmechanismus’ für gewundene Trompeten oder Hörner wiederholt MacCracken lediglich die Argumente von Detlef Altenburg. In seinen „Untersuchungen zur Geschichte der Trompete im Zeitalter der Clarinblaskunst (1500-1800)“, Regenburg 1973, sagt Altenburg, daß ein Zug mechanismus bei einer zirkulär gewundenen Trompete nicht möglich sei. Mac- Cracken beschreibt den Sachverhalt so: „Andererseits kann nicht geleugnet werden, daß die genaue Beschaffenheit des Corno da tirarsi immer noch unklar ist. Ein ganz wörtlich verstandenes ,Zughorn‘ wäre in sich wider sprüchlich, insofern Naturhörner damals aus einem kontinuierlich gewundenen, konischen Rohr bestanden; diese beiden Eigenschaften schließen die Einführung eines Zuges an jeder Stelle des Instruments aus.“ In Wirklichkeit war nur ein Horninstrument des 18. Jahrhunderts in voller Länge konisch, das Parforce- beziehungsweise Jagdhorn („Cor de chasse“). Es wurde in verschiedenen Größen hergestellt, die Windung war weit genug, um es bei der Jagd zu Pferde bequem umhängen zu können. In das Rohrende konnte lediglich ein engdimensionierter, spitz zulaufender „Stengel“ eines Mundstücks eingeführt werden. Daneben existierte als zweiter Corno-Typ das sogenannte Waldhorn, in einigen Quellen aus Böhmen, Polen und Sachsen sowie in BWV 118 auch „Lituus“ ge nannt. Dies ist ein enger gewundenes Horn mit einem kleineren Schallstück (Stürze) als das Jagdhorn, jedoch einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal: Das Rohr ist weitgehend zylindrisch und vom selben Durchmesser wie bei vielen Trompeten. Gewöhnlich wurden diese Instrumente paarweise hergestellt. Er-