54 Detlev Kranemann Einige Male ist aus medizinischer Sicht dazu Stellung genommen worden: Über das Augenleiden Johann Sebastian Bachs haben 1945 Max Vollhardt 5 und 1951 Ernst Engelking in Heinrich Besselers „Fünf echte Bildnisse Johann Se bastian Bachs“ 6 geschrieben. Vollhardt glaubte an eine starke Kurzsichtigkeit mit chronischer Entzündung der Regenbogenhaut, die durch die Staroperation und Nachstaroperation durch den Glaskörper hindurch zu einer unaufhaltsamen Schrumpfung des übel be handelten Auges, mit vielleicht sogar Eiterung und Blutung aus Aderhaut und Netzhaut, Netzhautablösung und schließlich Erblindung des gesunden Auges (sympathische Ophthalmie) führte. Unter den unaufhörlich heftigen Schmerzen, den Fieberzuständen und der Aussichtslosigkeit seines Zustandes wird Bach - so meint Vollhardt - körperlich und seelisch so gelitten haben, daß der Tod ihm eine Erlösung schien. Die zeitweilige Wiederkehr des Augenlichtes hält Vollhardt für eine Halluzination. 1951 widerspricht ihm der damalige Nestor der Ophthalmologie, Ernst Engel king, heftig: ,,. . . etwas Unkritischeres hätte man wirklich über Bachs Augenkrankheit nicht schreiben können“. Er bezeichnet die Vermutung, das Auge sei mit Infektionsträgern geladen ge wesen, sowie die Annahme einer unaufhaltsamen Schrumpfung als reine Phan tasie. Es sei unzumutbar, die vorübergehend zurückkehrende Sehkraft als Hal luzination zu bezeichnen. Der Nekrolog betone ausdrücklich, daß Bach erst nach dem Schlaganfall, zehn Tage vor seinem Tod, ein hitziges Fieber bekam. Das sähe nicht so aus, als ob die Augenkrankheit dieses Fieber erzeugt habe. Engelking glaubt, daß Bach nach der ersten Staroperation noch eine Zeitlang leidlich habe sehen können, denn er habe, „wenn seine Augen es gestatteten“, seine Orgelkompositionen revidiert; dann habe er einen Rückfall erlitten (Terry 7 ). Vielleicht habe Taylor in seinem biographischen Bericht diese Periode der zurückgewonnenen Lesefähigkeit:,,... wo ich aber einem gefeierten Musi ker das Augenlicht wiedergab“ gemeint. 8 Auch Engelking fällt auf, daß Forkel von einer schmerzhaften Augenkrankheit vor der Operation spricht. Er glaubt jedoch, daß Taylor eine Staroperation durchgeführt habe, die nicht gleich zur Erblindung geführt habe (Bachs Brief an Einicke Mai 1750) 9 , und daß Bach tatsächlich zehn Tage vor seinem Tode habe sehen können, weil das Pupillar- gebiet von der im operierten Auge beweglichen Linse oder resorbierten Linsen masse wieder freigegeben worden sei. Schmerzempfindlichkeit und Lichtscheu (Leipzig 1750, S. 681) heißt es „Eine übel ausgeschlagene Augen-Cur raubte diesen Mann der Welt . .(Dok II, Nr. 607; vgl. auch die Leipziger Zeitungsmeldung vom 31. Juli 1750, Dok II, Nr. 612). 5 In: Die Medizinische Welt, 1935, Nr. 50, S. 1825ff. 6 Kassel etc. 1956, S. 7 3 ff. 7 C. S. Terry, Johann Sebastian Bach. Eine Biographie (deutsch von Alice Klengel), Leipzig 1929, S. 319. 8 J. Taylor, The History of bis travels and adventures . . . »’ritten by bimset/ London 1761/62 (vgl. Dok III, Nr. 7 12). 9 Dok I, S. 124-126.