Über Geist und Wesen von Bachs K-moU-Meffe. Von Pros. Or. Rudolf Gerber (Gießen). PH. Spitta hat in seiner eingehenden Kennzeichnung der ü-moll- Messe*) mit dem ihm eigenen Blick für das Wesentliche und Hintergründige der Bachschen Kunst so tiefsinnige und zugleich überzeugende Deutungen ihres geistigen Gehalts gegeben, daß es überflüßig erscheinen möchte, die Problematik des Werkes von dieser Seite noch einmal auszugreifen. Wenn dies hier dennoch geschieht, so soll dabei nicht verschwiegen werden, daß gerade die Unerfüllt heiten in SpittaS Darstellung zu den nachfolgenden Gedanken Ver anlassung gegeben haben. Denn so eindrucksvoll Spittas Jnterpre- tationsversuche auch sind, so handelt es sich doch im allgemeinen bei ihm um eine rein gefühlsmäßige Erfassung des Kunstwerks, die, zumal vom Standpunkt der modernen Musikforschung aus, einer nach träglichen, wissenschaftlich-analytischen Begründung erst noch bedarf. Außerdem bewegen sich seine Formulierungen häufig nur in (zum Teil unscharfen) Andeutungen, die zu einer ausführlicheren und prägnanteren Bestimmung geradezu herausfordern. Und schließlich dürfte es wohl möglich sein, an einzelnen Punkten über Spittas vortreffliche Darlegungen hinaus den Blick auf weitere Zusammen hänge und Wesenshintergründe zu lenken, die geeignet sind, gewisse, bereits bekannte Eigentümlichkeiten von Bachs Persönlichkeit und Kunst noch schärfer zu beleuchten. In diesem Sinne wollen die nachfolgenden Betrachtungen versuchen, nicht das Gesamtwerk der ü-moll-Mcsse, sondern nur einzelne hervorragende Teile, deren text liche Grundlage bereits eine tiefe Symbolik einschlicßt, zu analy sieren und ihrem Sinngehalt nachzuforschen. ') Z. S. Bach, Bd.II, S. S18ff.