Eine Kuhnau-Bearbeitung Joh. Seb. Bachs? 95 aus der erweiterten Fassung der Graun-Partitur herausgezogen, oder aber lag die Motette zunächst als Einzelwerk vor? Haben wir es möglicherweise mit einer Bach-Bearbeitung zu tun, die der Thomaskantor vielleicht zum Gebrauch als Begräbnismotette angefertigt haben könnte? (Auf eine gewisse Berührung mit seiner für einen gleichen Zweck komponierten Motette BWV 118 „O Jesu Christ, meins Lebens Licht“ wird dann noch zu verweisen sein.) Bietet ein solches (verlorengegangenes) Manuskript eventuell die Quelle für die Marburger Abschrift? Der Orchestersatz ist völlige Neukomposition, in seinem Verhältnis zum Chorsatz vielgeübter Technik mancher Bachscher Kantatenchöre verwandt. Auffällig sind die selbständig gestalteten beiden Oboen, die das harmonische Bild wesentlich erweitern und bereichern; ihre rhythmisch gleichlautende Figur von geradezu affektartiger Nachdrücklichkeit wird fast durchweg beibehalten: Einen Gegenrhythmus hierzu bildet der originelle, zwar nicht neukompo nierte — er läuft meist mit dem Singbaß —, aber doch neu gestaltete Continuo- baß: Eine ähnliche Baßbehandlung, hier in das %-Schema umgeschmolzen, findet sich im Eingangschor der Kantate BWV 48. Auf gewisse Ver wandtschaften mit dem Orchestersatz des „Qui tollis“ der h-Moll-Messe hat bereits Grubbs hingewiesen (S. 36). Ähnlichkeiten im Bild der Or chesterpartitur zeigt auch ein Vergleich mit der Bach-Motette BWV 118, 2. Fassung „O Jesu Christ, meins Lebens Licht“: die Figuren der beiden Litui —etwa in den Takten 1—3, 53—61 u. ä. — entsprechen geradezu wört lich denen der Oboen in unserer Kuhnau-Bearbeitung. Die nicht obli gaten, lediglich mit der Stimme des Sopran I mitgeführten Flöten sind mög licherweise erst bei Aufnahme der Motette in die Graun-Partitur zugefügt worden, um die dort vorhandene Orchesterbesetzung voll auszunutzen. Das Marburger Stimmenmaterial sieht keine Flöten vor! So wie der Orchestersatz hinsichtlich seiner Gesamtstruktur als auch ver schiedener wesentlicher Einzelzüge sehr nachdrücklich auf Bach als Autor verweist, legt die mit der Umtextierung verbundene teilweise Umgestaltung der Singstimmen eine gleiche Vermutung nahe. Einige der zahlreichen Bei spiele können dafür Beleg sein: Der kurze Sopranruf „Tristis“ wird zur ausdrucksstarken Linie — aus Grün-