48 Reinhold Jauernig Eingehende, langwierige Nachforschungen führten aber schließlich doch zum Ziele und bestätigten die Richtigkeit der eben dargelegten Annahme. Im Notariatsinsttument vom 25. November 1715, in dem die Verhöre und Verhandlungen wegen des Nachlasses des Prinzen und der Gültigkeit seiner beiden Testamente niedergelegt sind 1 , ist der Tag der Abreise Johann Ernsts aus Weimar angegeben: der 4. Juli 1714. Im Eingang des ersten Testaments heißt es zunächst, daß jeder Mensch um seiner Sünde willen sterben und jeder Christ daher beizeiten sein Haus bestellen müsse. ,,Alß haben Wir bey der ietzo Uns von dem Höchsten zugeschickten Schmertz- hafften Maladie, iedoch bey völligem guten Verstand und Vernunfft, auch vorher bey Uns gepflogener Deliberation . . .“ dieses Testament gemacht. Ein ständiger Begleiter des Prinzen gab im Verhör zur Frage der beiden Testamente zu Protokoll: ,,Es hatten Ihre Hochfürstl. Durchlauchtigkeit der Hochseelige Prinz, Herzog Johann Ernst, schon allhier in Weimar ein Testament vorfertigen lassen, seines Behalts 2 im Monath November Anno 1713. Hierauff hätten sich Ihre Hochfürstl. Durchlaucht den 4. Juli 1714 nacher 3 Schwalbach, um den Brunnen daselbsten zu gebrauchen, be geben . . .“ 4 In meinem Bachartikel habe ich (S. 96h) nachgewiesen, daß Bachs Ver pflichtung bei der Ernennung zum Konzertmeister, „monatlich neue Stücke aufzuführen“, entgegen Bojanowskis Ansicht dahin auszulegen ist, daß Bach monatlich ein neues „Stück“, also eine eigene Komposition, zum Vortrag zu bringen hatte, und habe den vierwöchentlichen Zyklus für die festlose Hälfte des Kirchenjahres 1714/15 belegen können. Ganz unabhängig davon hat Alfred Dürr in seinem Lüneburger Vortrag und dann in seinen Studien 5 , von derselben Voraussetzung ausgehend, einen Kalender der Weimarer Bachkantaten aufgestellt, der—besonders eindrucks voll für die Zeit von Palmarum bis 11. Sonntag nach Trinitatis 1714 — den eindeutigen Beweis dafür erbringt, daß Bach alle vier Wochen eine Kan tate eigener Komposition zur Aufführung brachte. Ordnen wir nun in diesen Kantatenkalender den Abreisetag Johann Ernsts ein, so ergibt sich, daß der 4. Juli 1714 in die Woche nach dem 5. Sonntag nach Trinitatis fällt, daß die letzte Kantate Bachs vor der Abreise des Prinzen am 3. Sonntag nach Trinitatis (17. Juni) zur Aufführung gelangte. An diesem Sonntag aber erklang die Kantate Nr. 21 „Ich hatte viel Be kümmernis“, deren besonders feierliche und reiche Aufmachung „bisher noch keine plausible Erklärung“ gefunden hat. 6 Ich bin der Meinung, daß wir in dieser Kantate den feierlichen Abschiedsgruß Bachs an den jungen, ihm kunstverbundenen, leidenden Herzog sehen dürfen, den Prinzen, der in die Fremde zog, um zu genesen. 1 Landeshauptarchiv Weimar, Abt. Staatsarchiv A 1990 (darin Teil 25 N. 15). 2 d. i.: soviel er behalten hat, nach seiner Erinnerung. 3 nach. 4 Der Herzog läßt sich dieses Testament dann nach Schwalbach nachsenden und am 26. September 1714 ein neues aufsetzen. — Wir erfahren weiter, daß er sich nach einiger Zeit nach Wiesbaden begab, wo seine Krankheit sich verschlimmerte. Am 18. Oktober 1714 ging die Reise nach Frankfurt, wo er dann starb. 0 Studien über die frühen Kantaten Joh. Seb. Bachs. Bach-Studien, 4. Band (Leipzig 1951), S. 54. 6 Dürr in seiner Besprechung (vgl. oben Seite 46), S. 266.