Zur Chronologie der Leipziger Vokalwerke J. S. Bachs 21 tatenhandschriften erkennbaren Wasserzeichen in unsere Untersuchungen einbezogen. Das war möglich, weil, wie wir feststellen konnten, Ent stehungsfolge und Jahrgangseinteilung zueinander in Beziehung stehen: Jeder Jahrgang bildet in seinen Hauptbestandteilen hinsichtlich des Hand schriftenbefundes ein geschlossenes Ganzes, ist also in unmittelbarem zeit lichen Nacheinander entstanden und lag vor, ehe ein neuer in Angriff ge nommen wurde. Freilich wird in einigen Fällen nachzuweisen sein, daß die spätere Anordnung gegenüber der ursprünglichen geändert wurde. Wir nähern uns dem Problem daher jetzt von einer anderen Seite und be trachten den diplomatischen Befund der einzelnen Jahrgänge genauer, um daraus, wenn möglich, eine Bestätigung und Erweiterung unserer bis herigen Erkenntnisse zu erlangen. i. Die Hauptkopisten Wie schon oben dargelegt, wurden für Bachs Aufführungen zu jedem Vokalwerk üblicherweise eine autographe Partitur und Stimmen von Ko pistenhand hergestellt. Gelingt es nun, die Schriftzüge desselben Kopisten in den Originalhandschriften mehrmals wiederzufinden, so haben wir einen wertvollen Hinweis auf ihre Entstehungszeit; denn es ist anzunehmen, daß jeder Kopist — vermutlich handelt es sich meist um ältere Thomaner — nur eine Zeitlang bei Bach beschäftigt war. Das Ergebnis der diesbezüglichen Untersuchungen ist nun in Anhang B (s. S. 145fr.) zusammengestellt, auf den hier ein für allemal verwiesen sei. Die markanteste Schreiberpersönlichkeit unter den Leipziger Helfern Bachs ist ein Kopist, der in der Bach-Literatur schon mehrfach erwähnt 28 , in der BB als „ Anonymus TH“, in der Musikbibliothek Peters als „Anna Magdalena Bach“ und bei Dadelsen als „Anonymus 3“ bezeichnet worden ist. Wir bezeichnen ihn hier als HauptkopistenA. Dieser Schreiber, der innerhalb der Bach sehen Originalhandschriften am häufigsten auftritt, läßt in seinen Schriftzügen einige markante Unterschiede erkennen, die eine chronologische Ordnung der von ihm geschriebenen Werke ermöglichen. Besonders augenfällig und leicht unterscheidbar sind die beiden von ihm verwendeten Formen der Sechzehntelfähnchen. Die eine Form ist die im 17. Jahrhundert durchweg übliche: Sie wird in einem Zuge geschrieben, eine Einkerbung deutet den Unterschied gegenüber dem Achtelfähnchen an. Die andere Form entspricht unserer heutigen Druckform: Zunächst wird ein Achtelfähnchen niedergeschrieben; ein Querbalken, mit neuem Federstrich gezogen, stellt das zweite Fähnchen dar 29 . Daß die zuerst ge schilderte Form auch bei unserem Hauptkopisten A die zeitlich frühere ist, geht daraus hervor, daß sie u. a. in Kantate 76 ausschließlich auftritt, die einen Sonntag nach Bachs Amtsantritt in Leipzig im Jahre 1723 aufgeführt wurde, wie das autographe Datum der Partitur bekundet. Wir finden sie 28 Vgl. den Krit. Bericht NBAI/i, S. 50L und besonders Dadelsen I, 26 sowie Dadelsen II. 29 Siehe dazu die Faksimiletafeln I (frühe Form) und II (späte Form).