„Vortrag und Besetzung Bach’scher Cantaten- und Oratorienmusik' 85 lieh lag ihm die Klangfarbe der Klarinette mehr als diejenige der Oboe seiner Zeit, aber anscheinend getraute er sich doch nicht, seinem persön lichen Geschmack so ohne weiteres zu folgen. Seine Frage ist musikalisch durchaus nicht so ungerechtfertigt, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Oboe hatte seit der Zeit J. S. Bachs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Entwicklung durchgemacht, durch die sie sich klanglich ziemlich weit von dem Instrument des Barocks entfernt hatte - vor allem durch eine enger gewordene Bohrung und einen dadurch bedingten durchdringenderen Ton, der sie in die Lage versetzt hatte, sich auch innerhalb des großen Orchesters der Romantik zu behaupten. Es zeugt für das bereits hochent wickelte Stilgefühl und Verständnis von Brahms für die Musik des Barock zeitalters, wenn ihm Bedenken bei der Verwendung einer „modernen“ Oboe in dieser Arie von J. S. Bach kamen. Mit der „pastoralenSymphonie“ im gleichen Werk (S. 81, Zeile36/37) ist die Sinfonia zu Beginn des II. Teils gemeint (= Nr. 10). Die originale Besetzung für die betreffenden Partien in diesem Satz besteht aus Oboe d’amore I/II und Oboe da caccia I/II, zwei Oboen in Mezzosopran- und Altlage, häufig mit einem sogenannten Liebesfuß, d. h. einem birnenförmigen Schallstück mit nur kleiner Öffnung. Im Vergleich zur Oboe ist ihr Klang gedämpfter und gleichzeitig von veränderter, weicherer Farbe. (Heutigentags verwen det man in diesem Satz mehrheitlich Oboe d’amore I/II und Englisch horn I/II - beide in gleicher Weise aus den genannten Originalinstrumenten der Bach-Zeit entwickelt -, also eine ähnliche Zusammenstellung wie bei der von Hauptmann erwähnten Leipziger Aufführung. Diese beiden In strumente gehören zum modernen Instrumentarium, freilich ohne in Bauart und Klang identisch zu sein mit den entsprechenden Instrumenten des Barockzeitalters.) Das Bassetthorn ist eine Altklarinette in F und eignet sich wegen seines dunklen, nicht durchdringenden Tons gut zur Kombination mit tiefen Tönen der Holzblasinstrumente. Überraschend wirkt Hauptmanns Behauptung auf S. 82, Zeile 13/14, im Zu sammenhang mit seiner Antwort auf die Frage nach der Ausführung des bezifferten Basses bei Arien, nämlich daß „ein Cembalo überall zu haben ist“. Es scheint sich hierbei um Instrumente aus der zweiten Hälfte des 18. Jh. gehandelt zu haben, da von einem Neubau in der ersten Hälfte des 19. Jh. nichts bekannt ist. Es ist vorstellbar, daß solche Instrumente damals zum Teil noch in spielbarem Zustand waren bzw. unschwer für den Gebrauch hergerichtet werden konnten (Besaitung, Bekielung), zumal die Resonanz böden noch nicht durch ausgetrocknete Zimmerluft infolge moderner Zentralheizung in einem solchen Ausmaß gelitten haben dürften, wie wir es heutigentags bei Originalinstrumenten aus dem 18. Jh. in unseren Museen leider gewohnt sind. 3 3 Vergleiche Hauptmanns Brief an Hauser vom 16. Aug. 1859 (im 2. Bd. dieser Briefe, S. 173), worin er schreibt: „. .. habe 12 zweistimmige Lieder gemacht, die ohne Cembalo im Freien gesungen werden können . . .“