Bachs „Kunst der Fuge' 107 staltet, wie schon in T. 5-7 an dem raschen Durchmessen der None im An schluß an den ersten Themeneinsatz zu sehen ist. Diese lineare Freizügigkeit führte auf der einen Seite zu ungewöhnlich vielen Stimmkreuzungen (in 23 von den 56 Takten des Stückes finden sich Durch brechungen der normalen Stimmenanordnung), auf der anderen Seite zu un gewöhnlich großen Stimmabständen - beides Satzeigentümlichkeiten, die die Grenzen eines manualiter zu bewältigenden Klaviersatzes überschreiten. Das Spiegelungsprinzip führt noch zu einem weiteren Problem, dessen Lösung Schwierigkeiten für die klavieristische Spielbarkeit mit sich brachte. Es läßt sich an T. 24 f. demonstrieren. Im Original ist die Stelle für einen Klavieristen nicht ausführbar. Das Griffproblem hätte Bach in der Rectus-Form lösen kön nen durch Höherlegung des Altes von der 2. Note von T. 24 bis zum Ende von T.25: Terzenparallelen in hoher Lage mit großer Distanz zum Tenor sind bei gele gentlichem Vorkommen klanglich tolerierbar; Bach vermeidet sie auch in der „Kunst der Fuge“ nicht (vgl. etwa Contrapunctus 10, T. 16 L, 87 f. sowie zahl reiche andere Stellen). Bildet man jedoch von dieser „korrigierten“ Fassung die Spiegelung, so werden die Terzenparallelen in der zweigestrichenen Oktave zu solchen in der großen Oktave, deren klangliche Wirkung bekanntlich äußerst ungünstig ist: Um solche und ähnliche Wirkungen zu vermeiden, hatte Bach darauf zu achten, in der Rectus-Version Sopran und Alt in höheren Lagen auf Distanz vonein ander zu halten. (Und in der Tat haben die Töne des Soprans von e“ an auf wärts keine Intervalle unter sich, die kleiner sind als eine Sexte - mit der ein zigen Ausnahme der Quinte a‘-e“ auf dem ersten Achtel von T. 41.) Diese Rücksicht führte insgesamt zu einer Ausnutzung des von C bis b“ rei chenden Tonraumes, mit der Contrapunctus 12 innerhalb des Werkes eine Son derstellung einnimmt. Normalerweise ist in den vierstimmigen Sätzen der „Kunst der Fuge“ der Ton, der in einem Stück am häufigsten angeschlagen