Johann Nikolaus Bach als Musiktheoretiker Von Thomas Christensen (Iowa City) Johann Nikolaus Bach (1669-1753), Johann Sebastians Vetter zweiten Grades, war während der ersten vier Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts als geschätzter Or ganist in Jena tätig. In erster Linie war er als Orgellehrer und Komponist bekannt, doch erwarb er sich auch einiges Ansehen als geschickter Instrumentenbauer. 1 Eine seiner herausragendsten Leistungen war jedoch - auch wenn dies heute kaum bekannt ist - sein Beitrag zur Entwicklung einer Theorie der Harmonik in Deutschland während des frühen 18. Jahrhunderts. Wenngleich Primärquellen fehlen, die Johann Nikolaus Bachs musiktheoretisches Wirken eindeutig belegen, ist es möglich, aufgrund von Sekundärquellen dessen Originalität und weitrei chenden Einfluß nachzuweisen. Unsere Belege stammen von den zahlreichen Theoretikern und Komponisten, die während Bachs langer Jenaer Amtszeit als Studenten an der berühmten Universität der Saalestadt weilten und zu denen Frie drich Erhard Niedt, Johann Philipp Treiber, Johann Georg Neidhardt, Jakob Ad lung, Emst Gottlieb Baron, Christoph Gottlieb Schröter und Caspar Ruetz zähl ten, um nur einige der bekanntesten zu nennen. 2 Auch wenn nicht sicher feststeht, was der eine oder andere von Johann Nikolaus Bach gelernt haben mag, ergeben ihre Äußerungen zusammengenommen das Bild einer bestens mit musiktheoreti schen Fragen vertrauten Persönlichkeit. Bach inskribierte sich in Jena am 6. Mai 1690 und nahm hier auch Unterricht bei dem Stadtorganisten Johann Magnus Knüpfer. Dieser war ein Sohn von Sebastian Knüpfer, Thomaskantor in Leipzig von 1657 bis 1676. Der jüngere Knüpfer war seinerseits Schüler von Johann Nikolaus Bachs Vater gewesen, dem Eisenacher Johann Christoph Bach. (Karl Geiringer vermutet sogar, Knüpfer habe Johann Ni kolaus Bach aus Dankbarkeit gegenüber dessen Vater als Schüler angenommen. 3 ) Johann Nikolaus Bach muß ein sehr gelehriger Schüler gewesen sein, denn be reits 1694 wurde er Knüpfers Nachfolger als Stadtorganist und ein Jahr später unterrichtete er an der Universität. Der erste Student, von dem wir wissen, daß er bei Bach Unterricht nahm, war Friedrich Erhard Niedt (1674-1717), der nachmalige Autor der zwischen 1700 und 1721 in drei Teilen erschienenen „Musicalischen Handleitung“ (Teil 1 dieses 1 J. N. Bach erwarb sich einen gewissen Ruf als Erfinder einer Kombination aus Cembalo und Laute. (Das „Lautenwerk“ scheint ein Cembalo, versehen mit den Darmsaiten einer Laute gewesen zu sein.) Aber er war auch im Orgelbau versiert und beaufsichtigte den Neubau der Orgel für die Jenaer Universitätskirche. Bachs musikalisches Engagement in Jena als Orga nist und Instrumentenbauer ist umfassend dargestellt bei H. Koch, Johann Nikolaus, der Jenaer“ Bach, Mf 21, 1968, S. 290-304. 2 Die vollständigste Aufstellung der Studenten, die bei Bach in Jena Unterricht nahmen, findet sich bei E. Wennig, Chronik des musikalischen Lebens der Stadl Jena, Teil 1, Jena 1937, S. 80-96. 3 Vgl. K. Geiringer, The Bach Family, London 1954, S. 87.