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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1878
- Erscheinungsdatum
- 1878-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187805243
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18780524
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18780524
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1878
- Monat1878-05
- Tag1878-05-24
- Monat1878-05
- Jahr1878
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1878
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Lrctaoc» „trr de» »rdacttoaoßrt- di« Spaltzeil« 40 Pf. Inserat« sind stet» an d. «opeRN»» za senden. — Rabatt »ird nicht gegeben. Zahlung pr»«an»«r»n<t» oder durch Postvorfchuß. 72. Jahrgang. M Zur Aufrechirrhaltung der öffentlichen Ordnung bei Gelegenheit der am »5. und 26. d. M. stattfindenden Renne« haben wir für nöthig erachtet, folgende Anordnungen zu treffen: 1) Ln diesem Tage find Nachmittags von 12—8 Uhr der Scheibenweg vom Echleußiger Wege bi- »um Johannaparke und der Schleußiger Weg von der Brandbrücke ab bis zum Kirschwehr für den öffentlichen Jahr- und Reitoerkehr, ingleichen der Scheibenweg vom Echleußiger Wege ab bi» zum Scheibengebölz auch für de» Fußverkehr gesperrt. 2) Wagen, die in die Rennbahn gelangen wollen, haben den Hinweg durch die Münzgaffe und am Alotzplntz rechts, den Rückweg durch daS Scheibengehölz und den Johannapark zu nehmen. 3) Diejenigen Wagen, welche nur bis an den Eingang zur Rennbahn bei der Einmündung de» EcheibenwegS ,n den Echleußiger Weg fahren, haben den Rückweg durch die Körnerftratze zu nehmen. 4) Auf de» Hinwege haben alle Wagen recht» zu fahren und sich streng in der Reihenfolge zu halten. 8) Auf dem Echleußiger Wege darf kein Wagen halten. Wir bringen diese Anordnungen hierdurch zur öffentlichen Kenntniß »it dem Bemerken, daß unsere Organe angewiesen sind, die Beobachtung derselben auf das Strengste zu überwachen. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bi- zu 30 oder Hast bestraft. Leipzig, den 23. Mai 1878. Der Rath und das Polizeiamt der Stadt Leipzig. vr. Georgi. vr. Rüder. Daegner, Secr. Bekanntmachung. Die von unS zur Submission ausgeschriebene Herstellung einer Schleußenanlage in der Bismarckstraße, sowie die Arbeiten bei Einführung von Bcischleußen auS Privatgrundftücken und von Fallrohrableitungen in die Straßenhauptschleußen sind vergeben und werden daher die unberücksichtigt gebliebenen Herren Sub mittenten hiermit rhrer Offerten entlasten. Leipzig, am 21. Mai 1878. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Wangemann. Bekanntmachung. Da sich in verschiedenen Gärten Raupen in großen Mengen gezeigt haben, so fordern wir hiermit unter Hinweis auf unsere Bekanntmachung vom IS. Januar dss. IS. die Grundstücksbesitzer bez. Garteninhaber auf, bei Vermeidung von Geldstrafe bis zu vft Mark oder entsprechender Haft, ungesäumt ihre Bäume, tzträucher, Hecken rc. gehörig raupen, sowie die sich noch vorfindenden Raupeunefter vertilgen zu lassen. Leipzig, am 18. Mai 1878. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Wangemann. Bekanntmachung. Die diesjährige Dsternreffe endet mit dem SS. Mat. An diesem Tage sind die Buden und Stände auf den Plätzen der inner« Stadt bi» 4 Uhr Nach mittag» vollständig zu räumen und biS spätestens 8 Uhr Morgen- deS 2«. Mai zu entfernen. Die auf dem Rugnftusplatze und auf den öffentlichen Wegen und Plätzen der Vorstadt befindlichen Buden und Stände sind bi» Abend- 8 Uhr des 28. Mai zu räumen und von und mit Sonntag dem 26. Li mit 29. Mai, jedoch lediglich während der Tagesstunden von ü «hr Morgens dis 7 Uhr «bend» ab- zubrechen und wegzuschaffen. Mit dem Abbruche der Buden auf der Rordseite de- Augustu-Platze- darf nicht »or dem 26. Mai begonnen werden. ES bleibt auch diesmal nachgelassen, die Schaubuden noch am 26. Mai geöffnet zu halten. Dieselben, wofern sie auf Schwellen errichtet, ingleichen die Carroussels und Zelte sind bis Abends 10 Uhr des 28. Mai, diejenigen Buden aber, rücksichtlich deren das Eingraben von Säulen und Streben gestattet und eine längere Fnst zum Abbruch nicht besonders erlheilt worden ist, bis längsten» den 1. Juni Abends 8 Uhr abzubrechen und von den Plätzen zu entfernen. Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften, für welche beziehentlich auch die betreffenden Bauhand werker oder Bauunternehmer verantwortlich sind, werden mit Geldstrafe bis zu 1SV Mark oder entsprechen der Haft geahndet werden. NeberdieS haben Säumige auch die von Obrigkeits wegen zu verfügende Be festigung der Buden rc. zu gewärtigen. Leipzig, am 11. Mar 1878. Der Rath »er Stadt Leipzig. vr. Georgi. Wangemann. Die bei dem hiesigen Leihhause in den Monaten April, Mai, Juni, Jnli u. August 1877 versetzten oder erneuerten Pfänder, die weder zur Verfallzeit noch bis jetzt e,»gelöst wurden, sollen de« 1. Juli d. I. und folgende Tage im Parterre-Locale des Leihhauses öffentlich versteigert werden. Es können daher die in den aenannten Monaten versetzten Pfänder spätestens den 28. Mai d. I. und nur unter Mitentrichtung der Auctionskosten von 4 von jeder Mark des Darlehns eingelöst oder nach Befinden erneuert werden. Vom 29. Mai d. I. an, an welchem Tage der AuctionSkatalog geschloffen wird, kann die Einlösung derselben nur unter Mitentrichtung der Auctionskosten von 4 von jeder Mark der ganzen For derung des Leihhauses stattfinden, und zwar nur bis zum 22. Juni d. I., von welchem Tage ab AuctionS- pfänder unwiderruflich weder eingelöst noch prolongirt werden können. ES hat also vom 24. Juni d. I. an Niemand mehr das Recht, die Einlösung solcher Pfänder zu ver langen, und können sie daher von den Eigenthümern nur auf dem gewöhnlichen Wege des Erstehen- wieder erlangt werden. Dagegen nimmt daS Geschäft des EinlösenS und Versehens anderer Pfänder während der Auction in den gewöhnlichen Localen seinen ungestörten Fortgang. Leipzig, den 11. Mai 1878. Des Raths Deputation für Leihhaus und Sparcaffe. Leipzig, 23. Mai. Die nationalliberale Fraction (so meldet die „N.-L. C") hat am Mittwoch den Gesetzent wurf zur Abwehr socialdemokratischer Ausschreitungen einer eingehenden Berathuna «aterzogen und ist einstimmig zu dem Ergebniß gekommen, daß die Annahme desselben unmöglich sei. Eine unbefangene Prüfung wird zunächst an erkennen müssen, baß ein zwingendes Bedürfniß eines so weitgehenden Ausnahmegesetzes nicht nach gewiesen ist. Die verderblichen Wirkungen der social demokratischen Agitation sind — darin hat die „Pro- vinzialcorrespondenz" Recht — von der liberalen Presse allgemein anerkannt; aber das halbamtliche Organ verschweigt, daß die liberale Presse ebenso allgemein derUeberzeuguna ist, die Hauptwaffe gegen die also erwachsende Gefahr müsse in einer regeren Selbstthätigkeit des Bürgerthums für das öffent liche Wohl gesucht werden. Dafür, daß die Staats gewalt gegen Ausschreitungen, welche die staatliche und sittliche Ordnung bedrohen, Vorgehen könne, ist in der bestehenden Gesetzgebung ausgiebig gesorgt. Die Frage ist nur, ob von den also gebotenen Mitteln bisher der volle Gebrauch gemacht worden ist. Wir glauben nicht und erwarten den Beweis deS Gegentheils. Sollte dieser Beweis erbracht werden, und sollten als dann positive Vorschläge gemacht werden, welche vom Boden deS gemeinen Rechtes aus dem Staate schärfere Waffen zur Bekämpfung vorhandener Gefahren in die Hand geben wollen, so wird die natwnal- liberale Partei jederzeit zu gewissenhaftester Prüfung und zur Verständigung über daS nothwendig Er kannte bereit sein. Ein Ausnahmegesetz aber so pro- noncirter Art, wie das vorliegende, gerichtet gegen Ziele, für welche sich nicht einmal eine bestimmte Definition finden läßt, muß ihr unter allen Umständen als ein rechtlich unzulässiges und praktisch höchst aefährlicheS Beginnen erscheinen. Von ultramontaner Seite werden die Nationalliberalen der Inkonsequenz aeziehen, da sie doch den Ausnahmegesetzen gegen die katholischen Orden zugestimmt hätten. Dabei wird übersehen, daß diese Gesetze sich gegen ganz be stimmte greifbare Gesellschaften richteten. Der Vor wurf wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die natio- ualliberale Partei ein gleiche- Ausnahmegesetz, wie e- heute gegen die Socialdemokratie vorgeschlagen »ird, gegen die ultramontane Partei angenommen hätte. Von der ultramontanen Partei al» solcher »der von „nltramontanen Ausschreitunaen" ist aber »och niemals in einem Gesetzentwürfe die Rede gewesen. Und wir glauben, auf ultramontaner Seite wird man Überzeugt sein, daß, wäre eine solche Vorlage etwa nach dem Kullmann'schen Attentate gemacht worden, die nationalliberale Partei ebenso einmüthig, wie sie es heute thut, dagegen gestimmt haben würde. — Die Erinnerung an vre Stimmung nach dem Kullmann'schen Ver brechen ist übrigens recht lehrreich für heute. Auch damals tauchten, unter dem ersten Eindrücke der ab scheulichen That, allerlei Vorschläge zu Ausnahme- naßregeln auf, und es war ja rn der That nur klar, daß Kullmann ein durch ultramontane Hetzerei verwildeter und verdrehter Mensch war. Heute werden aber »nter jenen übereifrigen Rath gebern wohl nur noch Wenige sein, die nicht an erkennen, daß die Annahme ihrer damaligen Vorschläge ein schwerer Fehler gewesen sein würde. — Trotz alledem sind wir vollkommen überzeugt, daß die Regierung, wie die „Prov- Corr." versichert, „lediglich dem Gebote einer als unabweiSlich erkannten Pflicht" gefolgt ist, indem sie noch unmittelbar vor dem Schinne der Reich-tagSsession eine so bedeutungsvolle Vorlage einbrachte. So Überaus ernste Fragen benutzt man nicht zu politischen Schachzügen. Die Regierung tritt vor den Reichstag mit ihrer ehrlichen Ueber- zeugung, und der Reichstag wiederum wird ihr seiner ehrlichen Ueberzeugung gemäß antworten. Wie tief auch der Gegensatz der Auffassungen sein möge, unerläßlich ist ,n solchen entscheidungsvollen Momenten mehr al- je, daß sich die großen Fac- tore» des StaatslebenS in voller gegenseitiger Ach tung gegenüberstehen. Wie die „Nat.-Ztg." mittheilk, würde die natio nalliberale Fraction bereit sein, mitzuwirken, wenn der Reichstag bereits in einer Herbstsession zusammenberufen werden sollte, um die Lage der Gesetzgebung in Betracht zu nehmen, falls die Lage als so dringlich gefunden würde. Der voraelegte Entwurf werde jedoch als nach Form und Inhalt unannehmbar und für nicht geeignet erachtet, den Bestrebungen, welche damit bekämpft werden sollen, wirksam entgegenzutreten; eine Amendirung deS Entwurfs erscheine seiner ganzen Natur nach un- thunlich. Als Redner der Partei werde der Ab geordnete v. Bennigsen die Gesichtspunkte ent wickeln, von welchen diese Haltung der National- liberalen bestimmt wirb; dagegen hat man von der Fassung einer Resolution abgesehen. Mit diesem Beschluß der nationalliberalen Fraction, welche den Ausschlag giebt, darf die Vorlage der Regierung als gefallen betrachtet werden. Die „Weser-Ztg", eine- der am weitesten nach rechts neigenden Organe der nationalliberalen Partei, wendet sich in einem gediegenen Artikel entschieden gegen den Gesetzentwurf „zur Abwehr socialdemokratlfcher Ausschreitungen". Derselbe sei unannehmbar für alle diejenigen, die nicht an der Fähigkeit de- deutschen Volkes verzweifeln, auß eigener freier Kraft ohne Hülfe der Polizei de» socialistischen Wahnsinn- Herr zu werden und diese» „Lulturkampf" — denn da- sei der Kampf gegen den SocialismuS im eminentesten Sinne — mrt den Waffen der Cultur auSznfechten; unan nehmbar vollend- für diejenigen, die der Ueber zeugung sind, daß durch polizeiliche Repressivmaß regeln das Uebel selbst nicht geheilt, sondern nur die auf der Oberfläche erscheinenden Symptome dem Blicke entzogen werden und eben dadurch die Gefährlichkeit de- UebelS zunehme. Mit äußerem Zwange (sagt daS Blatt) kann man einer Bewegung der Geister, — und eine solche, wenn auch rohester Gattung, ist die socialistische — nur dann beikommen, wenn man zu den äußersten Mit teln, kurz gesagt zur Ausrottung der Anhänger der verfolgten Lehre, entschlossen ist. Solche Mittel, wie die Inquisition in Spanien und in den österreichi schen Erblanden sie gegen den Protestantismus angewendet hat, vertragen sich nicht mit den Sit ten unserer Zeit und unseres Landes; die stand rechtliche Behandlung einer ftaatsgcfährlichen Lehre ist heut zu Tage in Deutschland nur dann denkbar, wenn die Lehre selbst sich in staatsgefährliche Action umsetzt. So lange es sich nur um Vorbeugung handelt, besitzt die Gesetzgebung nur die unwirksamen Mittel, die in einer Beschränkung der Rede-, Preß- und Leremsfreihett bestehen, Mittel, welche, wenn sie überhaupt einen Effect baden, gewiss« Formen der Agitation erschweren, wohl gar verhindern, aber nur um dieselbe Agitation in andere, noch bedenklichere, weil schwerer zu beobachtende Formen hinemzu- drängen; Mittel, welche zugleich die Bekämpfung der aus der öffentlichen Arena verdrängten Irrlehre lähmen, weil ernestheilS die Aufmerksamkeit abgelenkt, anderntheils die Vorbedingung jedes geistigen Kam pfes, die gleiche Freiheit beider Parteien, ausgeschlossen wird. Vielleicht ist es eine falsche Großmuth, die viele Leute abhält, auf einen gefesselten Gegner los- zuschlagen; aber man wird diese Art zu suhlen den Leuten nicht leicht anstreiben. Die Sociallstenführer werden gläubige Ohren genug finden, wenn sie be haupten, daß sie außerordentliche Wahrheiten verkün den könnten, wenn nur das Gesetz sie nicht knebelte. Daß unterdrückte religiöse Seelen ein zäheres Leben haben als unbehelligte, ist eine alte Erfahrung. Nun sind freilich die Socialdemokraten keine religiöse Secte, aber gerade in denjenigen Puncten, auf denen die Lebenszähigkeit dieser letzieren beruht, stehen sie ihnen gleich: die blinde Hingabe an ein Dogma, die leiden schaftliche Erregung der Phantasie, der fanatische Hochmuth der Unwissenheit finden sich bei den athei stischen Gemeinden des neuen Glaubens wie nur je bei den Schwarmgeistern der alten Religionen. Man kann deshalb mit ziemlicher Sicherheit aus der Ge schichte der kirchlichen Secten Schlußfolgerungen ziehen auf die Zukunft der Socialdemokratie, wie sie unter der Herrschaft eines moderirten humanen Zwanges muthmaßlich sich gestalten wird. Es ist nur allzu wahrscheinlich, daß sie sich ebenso zäh erweisen wird, wie die Sectirer auf anderen Gebieten. Der Gedanke liegt sehr nahe, daß die Socialdemo kratie sich in Formen zu hüllen suchen wird, die von dem Gesetze nicht getroffen werden.*) Um ihren Zu sammenhang, ihre Fühlung mit den Mafien, ihre Or ganisation zu retten, wird sie allen Scharfsinn aufbie ten, wird sie vor keiner Maske zurückschrecken. Vorüber gehend wird sie vielleicht die demokratische Fahne opfern, um die socialistische, die ja die Hauptsache ist, zu retten. Das Gesetz ist nur gegen die socialdemokratische Partei gerichtet; man kann aber den verderblichen Theil des Programms dieser Partei sehr wohl in Verbindung mit nichtdemokratischen Tendenzen verfolgen, wie die Erscheinung der socialistischen Eaplane und der „Christlich-Socialen" beweist. Die Socialdemo kraten haben es um so leichter, für eine Zeit lang diese Art der Entsagung zu üben, als sie sicher sein können, daß die socialistische Agitation, unter welcher Verkleidung sie auch immer auftreten mag, ganz von selbst an dem Puncte anlangen wird, wo ihnen die Leitung wieder zufallen muß. Die Hauptsache, die Aufhetzung der Arbeiter gegen die Besitzenden und die Verdrehung der Köpfe durch utoplstische Ver heißungen, läßt sich auch unter kirchlicher und roya- listischer Flagge besorgen. Ist bas Piratenschiff ein mal erst fertig und ausgerüstet, so ist es ungemein leicht, die Flagge mit dem Kreuze und mit der Krone herunter zu reißen und die rothe weben zu lassen. Dies scheint uns so unzweifelhaft, daß wir uns mit einigem Erstaunen fragen, ob denn die preußische Regierung durch die christlich-monarchische Lermum- *) Bereits bestätigt die socialdemokratische Presse diese Vermuthung. Die „Berliner Freie Presse" schreibt: „Wenn man unsere Versammlungen ver bietet, so treten wir in die bürgerlichen Bezirksver- eine und tragen dort unsere Lehren vor. Jede Werk statt, jede Kneipe bietet unS ein Mittel zur Agitation. Wir werden diese Mittel energischer im Geheimen benutzen. Mit solchen kleinlichen Polizeimaßregeln ist einer großen weltgeschichtlichen Idee nicht beizu kommen." Ta es falsche Ideen und richtige Ideen auch unter den weltgeschichtlichen giebt, so ist gegen diese Sätze nicht viel einzuwenden. mung sich über die Gefährlichkeit der socialistischen Predigeragitation täuschen läßt? Wenn die Social demokratie daS Einschreiten der Staatsgewalt heraus- fordert, dann, sollte man denken, müßte die christlich sociale Bewegung erst recht die Aufmerksamkeit der Behörden aus sich ziehen. Die letztere ist von den beiden Agitationen vielleicht die oerderblichere und gefährlichere. Durch die ehrwürdigen Symbole, mit denen sie ihre Fahne schmückt, wird die Verwir rung, welche sie in den Gemütbern anrichtet, um so unheilvoller. Ihr wirthschastlicheS Dogma ist genau so wahrsinnnig wie das der Socialdemo kraten, ihre Predigt ist ebenso wie die socialdemo kratische danach angethan, den Haß, die Habsucht der Massen anzustacheln, aber durch ihre loyal-fromme Phraseologie täuscht sie einfältige Gemüther über die Ünfittlichkeit und Unvernunft ihres Treibens und er weckt wohl gar den Glauben, als sei es ein gott gefälliges Werk, mit Gott für König und Plünderung auszuziehen. Es wäre nicht das erste Mal, daß eine wilde und gottselige Bevölkerung mit biblischen Losungsworten über diejenigen herfällt, die man von der Kanzel herab ihnen als Amalekiter und Moabiter denuncirt hat. Wenn der Bundesrath in den Mo tiven zu dem Abwehrgesetze besonders darauf Nach druck legt, daß die Agitation neuerdings Kreise er reicht habe, die ihr früher unzugänglich waren, so trifft dieser Vorwurf Niemanden so sehr wie die Ehristlich- Socialen. Diese tragen die Fackel der verderblichen Lehre gerade in diejenigen Kreise, zu denen noch kirch- icher Sinn, Pietät oder naive Genügsamkeit den ocialdemokratischen Aposteln den Zutritt versperrt >atten. Sie predigen denen, die mühselig und beladen ind, unter Anrufung Gottes und gewissermaßen im Namen des Königs die Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal, die Ungerechtigkeit der bestehenden Ordnung, die Möglichkeit, durch Staatseinrichtungen die Arniuty zu beseitigen, und sie streueil dadurch in bisher unbe rührte Felder einen giftigen Samen, besten Früchte der eigentlichen Socialdemokratie in den Schooß reifen. Kann man sich wundern, daß arme Tagelöhner auf dem flachen Lande, die bisher nie etwas von der socialen Frage gehört haben, hoch aufhorchen und tief aufgeregt werden, wenn der Herr Pastor selbst ihnen auseinander setzt, daß sie, wenn Gerechtigkeit auf Erden wäre, mit dem Bauern und dem Gutsbesitzer theilen müßten? Glaubt man, daß das dünne Mäntelchen kirchlicher und monarchischer Redensarten, mit dem man die Nacktheit deS Communismu- auSstaffirt, Stand halten würde am Tage einer wirklichen Versuchung? Denkt man, daß der Wolf seinen Blutdurst verliere, wenn man ihm ein Schafskleid umhänge? Diese Erwägungen können allerdings bei Beur- theilung des vorliegenden Abwehrgesetzes nicht von Gewicht sein, aber die Vorlage desselben bietet eine kaum abzuweisende Veranlassung, die Vertreter der preußischen Regierung über ihre Stellung zu dem socialistischen Treiben der Hoftheologen zu interpelli- ren. Den Mißbrauch des göttlichen Wortes können die Minister freilich den frommen Aufwieglern nicht direct verwehren; wohl aber wären sie im Stande, durch eine öffentliche Erklärung die Täuschung zu zerstören, als ob zwischen der Krone der Hohenzollern und jenen verwerflichen Bestrebungen irgend ein sympathischer Zusammenhang bestehe. Uns scheint es hohe Zeit zu sein, dem bewußten oder unbewußten Blendwerke, welches in dieser Richtung getrieben wird, das Spiel zu verderben. Tagesgeschichtliche Ilebersicht. Leipzig. 23. Mai. Die „N.-L. C." schreibt: ES bestätigt sich, daß Sachsen im Bunde-rathe Vas Ausnahmegesetz aegen die Socialvemokratie am Eifrigsten be fürwortet hat. Demnach muß in den maßgebenden
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