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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1878
- Erscheinungsdatum
- 1878-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187811144
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18781114
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18781114
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1878
- Monat1878-11
- Tag1878-11-14
- Monat1878-11
- Jahr1878
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1878
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«096 wartet — «nd des noch älteren Lvezzau« ist das nachstehende Brandbriqchen ans-egebeu worden : „An die JtaUenerl .> Eaprera, L8. October 1878. Lieb« Mitbargerl Als Echo Lairoli's und Eaffi's, unserer »wei vor trefflichsten Kämpen für die italienische Freiheit, spornen wir Euch an — Euch im Scheiben schießen zu üben — um an dem Lage, an welchem wir unseren hundertjährigen Feind zv bekämpfen haben werden, würdig für das nationale Decorum eintreten ,u können. Jede Stadt, jede Gemeind«, groß und Nein, muß dazu beittagen — und wir »erden den allgemeinen Beifall haben. G. Uoezzana. G. Garibaldi." Der alte Herr ist «in Friedensstörer, der sein Vaterland in einen ganz aussichtslosen Krieg mit Oesterreich verwickeln, will. Oesterreich ist groß- miithlg genug, dem geplanten Schwind^ keine ernst liche Bedeutung deizulegeu. Die marokkanische Regierung hat der spa nischen Regierung die Mittheilung gemacht, daß sie den Familien der ermordeteu fpamscheu Unter- thanen eine Geldentschävigung zahlen und der spanischen Flagge Genugthuung verschaffen werde. * » » Der englisch-afghanische Conflirt befindet sich zwar einstweilen immer noch im «tatu» guo, dürfte aber möglicherweise, statt in offenen Kampf auSzuarten, zu verhiiltmßmiißig bescheidenen Di mensionen zusammen schrumpfen, wenn nämlich der frühere Licekvnia von Indien, Lord Rorthbroke, mit seiner Ansicht Recht behält, daß zur Sicherung der indischen Nordwestgrenze die permanente Be setzung (Annexion!) Qucttah'S genügen würde. Die Insel St. Croix — so wird aus Kopen hagen gemeldet — dürfte wohl die dänische StaatScaffe in ganz bedeutender Weise in Anspruch nehmen Der den Plantagen zugefügte Schaden ist vom Gouverneur zu 800,000 Reichsmark an geschlagen, eine Summe, die zwar groß genug ist, aber doch ersetzt werden könnte. Dieselbe würde auch vcrhältmßmäßig leicht zu beschaffen sein, wenn die Plantagen überhaupt einen bedeuten den Werth hätten. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, weil der Schlendrian einer ver alteten WirthschaftSmethodc und die Unwissenheit und Fahrlässigkeit der Pflanzer dieselben meistens in einen sehr precären Zustand versetzt haben. Soll die Insel sich überhaupt wieder heben, so die Neger wie Sklaven behandelt wurden i weshalb ihre Arbeit auch schlecht war) und welche zu dem Regeraufstande den Hauptanstoß gegeben haben. Lerliuer Lriefe. .".Berlin, 1L. November. (Disposition für die Landtagsarbeiten. Angebliche Minister- candidatur Barnbüler'S. Auseinander setzung zwischen Oft- und Weftpreußen. Ge richte rn Lippe.) DaS Programm für die bevor stehende Landtagssession erweitert sich allmälig in einer Weise, daß gar nicht abzusehen ist, bi« zu welchem Zeitpunci etwa eine Beendrguug der Arbeiten in Aussicht genommen werden kann. Biel wird von der rechtzeitigen Einbringung der gesetzgeberischen Vor lagen und derzweckmäßtgen Bertheilung der Arbeits zeit abhängen. Man bezeichnet deshalb alS wünschens- werth, daß alle Gesetzentwürfe, welche voraussichtlich eine commiffarischeBorberathung erfordern, möglichst im Be ginn der Session einem der beiden Häuser deS Landtag- vorgelegt werden. Daß dabei ein Unterschied zwischen dem Herren- und Abgeordnetenhaus« gemacht werden muß, ist selbstverständlich und auch von der Regierung immer so betrachtet worden. Jndeß hat sich da- Herrenhaus wirklich zuweilen über eine Zurücksetzung beklagen können, die darin lag, daß ihm wichtige Vorlagen, die daS Abgeordnetenhaus noch nicht pasfirt batten, erst gegen die Mitte oder gar daS Ende der Session zur Äorberathung zugingen. Die officiösen Mittherlungen. nach welchen der Eonflict zwischen dem Fürsten BiSmarck und dem Finanzmrnister Hobrecht keinen acuten Charakter angenommen hat, sind nach den unS gewordenen Informationen begründet. ES ist Aussicht vorhanden, daß die immerhin erheblichen Differenzen ausgeglichen werden. Unrichtig ist eS deshalb, wenn an den früheren württembergischen Staat-minister Freiherrn v. Barnbüler alS eventuellen Nachfolger deS preußischen FinanzminifterS gedacht wird. Jedenfalls datirt drese Lombination auS der Zeit her, m weicher Herr Hobrecht weniger geneigt schren, auf die wirth- schaftlichen Intentionen de- Reichskanzler- einzu geben. In den letzten Lagen hat in Elbing eine Eon- ferenz zwischen den beiden LandeSdirectoren der Provinzen Oft und Westpreußen, den Herren v. Saucken-Tarputschen und vr. Wehr statt gesunden, zu der von oftpreußischer Seite LandeSrath Wiedemann, von westpreußischer Oberbürger meister Thomale von Elbing zugezogen worden waren. ES handelte sich um die finanzielle Aus einandersetzung zwischen den beiden Provinzialver- bänden, eine Frag«, zu deren Regelung von Ost preußen Vorschläge gemacht find, die von Weftpreußen nicht überall gebilligt werden. Zu einem vollstän digen Ausgleich ist eS auf gedachter Eonferenz nicht gekommen, indeß ist Hoffnung vorhanden, daß den beiden Provinziallandtagen bei ihrem Wiederzusam- menttitt ein gemeinschaftlicher Einigungsvorschlag vorgelegt werden kann. Herr v. baucken har be kanntlich sein Mandat als Mitglied de» Abgeord netenhauses niederaelegt, während vr. Wehr, der freilich dem Reichstag« nicht angehört, dasselbe bc,behalten hat. Di« Unterhandlungen zwischen der preußischen und der fürftlich-ltppeschen Regierung weaen Errichtung eine- gemeinschaftlichen Landgerichts sind bekanntlich gescheitert, da die Letztere darauf bestand, daß da- Gericht in Detmold sernen Sitz haben und seine Eompeten» von hier au- über die beiden preußischen Kreise Hameln und Rinteln erstrecken müsse. Vom Detmolder Landtage wird jetzt der er forderliche Credit für ein eigene- Landgericht ver langt, da- den NL.000 Bewohnern de- FürstenthumS theurr genug zu stehen kommen wird. Luch sonst scheint man in Lippe die neue Gerichtsorganisation mit großer Opulenz in» Werk zu setzen. So soll beispielsweise das Amtsgericht Salzuflen mit zwei Richtern besetz» werdea, obgleich es nur 874» In sassen zählt, während in Preußen der Justiz- minister auf eine» Amtsrichter etwa 10,000 Seelen rechnet und ursprünglich noch mehr rechnen wollte. Die Handwerker- und Gewerdepartei. K.1,6. Nächst der Hamburger Gewerbe kammer (oder deren Gecretair Herrn Julius Schulze) ist diejenige zu Zittnu (Secretär vr k. Roscher, Sohn de- berühmten Rational ökonomen) besonders bethetliat an dem versuch der Begründung einer „deutschen Handwerker- und Gewervepartet". ES ist deshalb von einigem Interesse, au» dem gedruckt versandten Beruht über ihre Sitzungen vom 23. und 24. September den Standpunkt der Zittauer Ge werbekammer näher ersehen zu können. Zu gleich sind diesem Bericht allerhand Kundgebungen der Leiter in TageSblältern oder auf früheren Ver sammlungen einverleibt, so daß man da den Geist der Bewegung ziemlich erschöpfend vor sich hat. Was sie charakterisirt, ist der auch dem deutschen Socialismus anklebende Grundzug: Alle-, oder mindesten- viel zu viel, auf einmal zu wollen. Anstatt den Handwerkerstand selbst nur erst überall ordentlich auf die Beine zu bringen daß er sich der gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Mittel zur Förderung gemeinschaftlicher Angelegenheiten bediene, ehe er nach weiteren ruft, werden sofort Ansprüche an die Reichsgesetzgedung erhoben, denen selbst eine ausschließlich diesen Dingen gewidmete Session kaum zu genügen vermöchte. ES soll nicht »eiliger alS ein ganz neue- Gewerbegesetz neben einem ganz neuen Fa brikgefetz, alS den beiden in der Reichsge werbeordnung angeblich vcrkehrterweise vermischten Gegenständen, geschaffen werden. Die Kritik des geltenden Gewe, berechtS sucht ihre Stärke nicht sowohl in dem schlagenden, unwider leglichen Nachweis bestimmter sachlicher Mängel, als darin, daß solche, soweit sie wirklich nachge wiesen werden, die Unfähigkeit der gegenwärtigen Gesetzgeber darthun sollen, unter denen bei Weitem zu viele Theoretiker, namentlich Juristen, seien. Darum ist auS dieser Kritik ja auch ganz consequent der Versuch hervorgegangen, durch neue Partei bildung wesentlich andere Elemente in den Reichstag zu bringen. Nur Schade, daß dies eine jener Con- sequenzen ist, die den Vordersatz in dem vollen Lichte feiner Absurdität erscheinen lassen. Ein oder der andere Anhänger de- Hamburg-Zit« lauer Programm- ist ja jetzt wohl schon im Reich-tag; auf wie viöle mehr hofft man e- denn bei Lebzeiten noch zu bringen? Die schreck liche Enttäuschung in dieser Hinsicht, welche da allgemeine Stimmrecht den Gläubigen des socia- listlschen Propheten Lassalle bereitet hat, sollte doch vor jedem Nachfluge auf solcher JcaruSbahn wirksam warnen. Wenn die ,,Theoretiker", die jetzt dem Handwerkerstande »hre Ftihrerdienste zur Verwirklichung seiner Ideale anbieten, wirklich etwa- für ihn bei den gesetzgebenden Factorrn durchsetzen wollten, so müßten sie vor Allem mehr weise Selbstbeschränkung üben. Sie müßten sich und ihm nicht embilden, nur völlig frisches Blut im Reichstage könne ihm noch helfen. Ein der artiger UmwandlungSproceß ist gerade beim allge meinen Stimmrecht, dessen im wahren Sinne dcS Worts konservative Natur noch immer so vielfach verkannt wird, außerordentlich weit aussehend. Mit dem summarischen Stabbrechen Uber den bisher rm Reichstage herrschenden Geist entfremdet man sich daher ohne Noth nur unentbehrliche Helfer, darunter vielleicht auch in der Sache wohlgeneigte. Man entfernt sich muthwillig vom Ziele, statt sich demselben zu nähern. Nähern kann man sich chm nur, wenn man die vor Allem abzuändernden oder neu zu erlassenden gesetzlichen Vorschriften so scharf wie möglich saßt, Aenderung oder Erlaß so über zeugend wie möglich begründet, und dann unter thun- lichster Enthaltung von allem übermäßigen persön lichen Ehrgeiz, der die Motive der Actwn verdächtigen könnte, seinem Plane in allen zugänglichen Lagern durch loyale Agitation Freunde wirbt. Auf diesem Wege ließe sich denkbarer Weise die eine oder an dere Verbesserung des geltenden Gewerberechts im Sinne der Unzufriedenen bald durchsetzen, zumal wenn die Letzteren gleichzeitig auch positiv schaffend sich bemühten; aus dem eingeschlagenen Wege ist die Aussicht trübselig gering. Vie socialiftische Gefahr in England. DaS November-Heft der „Fortnightly Review" enthält'eine Vorlesung deS Professor« Henry Fawcett, deS bekannten radikalen Mitgliedes de» englischen Parlament-, über die „neueste Entwicke lung deS SocialiSmuS in Deutschland und den Vereinigten Staaten". Der interessanteste Thcil der Arbeit ist derjenige, welcher sich auf England selbst bezieht, bezüglich besten der Ver fasser sicher mit voller Sachkemntniß urtheilt. wesen, da- Uebel noch größer zu machen, denn die Arbeiter schloffen sich nun geheimen Gesellschaften an. Den Hauptgrund für die Verbreitung de- So- cialiSmuS in Deutschland sieht Fawcett in dem Umstande, daß da» deutsch« Volk, um seine politische Einheit zu erreichen, die Centralregierung so stark wie möglich zu machen sucht«; dasselbe glaube, daß der Staat allmächtig sei und allmächtig sein müsse; daher der Gedanke nahe liegt, daß wenn Etwa» gethan werden müsse, der Staat e» thun solle, der Staat könne der Armuth entgegentreten, Beschäftigungslosen Arbeit geben, die ungleiche Bertheilung de» ReichthumS auS- aleichen. In den vereinigten Staaten wiederum hat da» Schutzzollsystem da- Volk an den Gedanken der Staatsintervention gewöhnt und zur Aufnahme socialiftischer Ideen vorbereitet. Leuten, welchen stets gesagt wird, daß der Grad der Prosperität «nes JndustrrezwcigeS von dem Maß de- Schutze-, welchen der Staat demselben gewährt, abhänge, werden that- sächlich in dem Glauben bestärkt, daß der Staat jede» Uebel, unter welchem fi« leiden, -eben könne. „Jede neue Ausdehnung der Principien der Centtalisatio» oder des JndußrieschutzaS kann als directe Beförde rung des Wachsthums socialiftischer Ideen angesehen werden." Obgleich England bis jetzt von der socialistischen Bewegung kaum berührt ist, glaubt Fawcett doch, daß dieselbe Eingang finden könnte, wenn da- Eingreifen d«S Staate- überhaupt nicht »urückgehalten werde. ES sei deshalb sehr wichtig, jeden neuen versuch, die Macht des Staate- auf Kotzen der individuellen Frei heit zu erhöhen, eifersüchtig »u beobachten. So lange der Glaube an die freiwillige Organisation in Eng land mächtig sei — und die Trade-Union» sind die -iss tigen Periode der HandelSftockung auch nicht der ge ringste Ruf nach Staat-Unterstützung laut geworden sei; die Arbeiter haben gestreikt, um ihre Löhne zu ändern, aber sie haben nie an den Staat appellirt, dieselben festzusetzen. ES sei daher wahrscheinlich, daß, wenn der EocialiSmuS sich in England verbreitet, er eher von oben alS von unten er- muthigt würde. So oft jetzt in England der ver such zur Erweiterung der Macht de» Staate- ge macht werde, erfolge derselbe nicht von den Ar beitern. sondern von Denjenigen, welche im Interest« der Arbeiter zu handeln glauben. Auch der geringste Angriff gegen da- Princip der persönlichen Verantwortlichkeit könne verhängnißvolle Folgen haben. Fawcett spricht sich deshalb energisch gegen die Unentgeltlichkeit oeS Volksunterrichtes auS. DaS Selbstvertrauen, da» Hauptmittel gegen den SonallSmuS, würde geschwächt, und wenn da- englische Volk ermuntert werde, weniger sich selbst und mehr dem Staat zu vertrauen, dann könne Een- ttalisation und Bureaukratie da- Land in ein Netz werk von EtaatSeinnchtungen verwickeln; die persön liche Freiheit könne sinken, und währenddessen würden socialiftische Forderungen nach StaatSeinmischung und Staat-Hülse sicher und fest vorschreiten. Der englische Gelehrte hebt hervor, daß in Eng land gerade alS Reaction gegenüber den extremen Lehren des Isisoer s,üe der früheren Nationalökonomen ein bedenklicher, von den oberen Elasten begünstigter Zug nach StaatSeinmischung sich zeige. Al» Ab schreckung gegen diesen Zug wird der Erfolg der StaatSfürsorge in Deutschland und den vereinigten Staaten m Großziehuna des EocialiSmuS hervor gehoben. Herr Fawcett hat seine Kenntniß von dem deutschen Socialistengesetz sicher nicht auS dem Lesen de- Gesetze» selber geschöpft; sonst könnte er nicht die Behauptung aufstellen, da- Gesetz bedrohe Die jenigen mit Strafen, welche die Grundsätze deS Eo cialiSmuS vertreten — ein sehr bedenklicher Jrrthum. Sitten-Polizei. In Berlin entwickelt die Sitten-Polizei seit einiger Zeit großen Eifer bezüglich der Con- fiScation von unzüchtigen Bildern und Schriften, und dieser Eifer wird auch vom Er folge gekrönt. Nachdem vor einiger Zeit bereits beim Buchhändler Levinsohn in der Passage eine ganze Wagenladung unzüchtiger Schriften und Bilder im Werlhe von etwa 50,000 Mark mit Beschlag belegt worden war, ist am tz. tz. M. wie derum bei Levinsohn eine größere Post im Werthe von einigen Tausend Mark mit Beschlag belegt wor den. Auch bei einigen anderen Buchhändlern haben in der letzten Zeit mehr oder weniger erhebliche ConfiScationen sogenannter pikanter Lectüre und Bilder stattgefunden. Hoffentlich wird es durch diese im hohen Grade anerkennenSwerthen Maß nahmen gelingen, diesem Unfug ein Ende zu machen. Auch in Leipzig ist Klage zu führen über ge wisse „Buchhändlerläden". Man findet da oft in Eintracht neben einander Windscheid'S Pan dekten und die „Liebschaft einer Ballettänzerin", eine Dogmatik und „daS Mävchen in der Caserne". Wer auf einer längeren Reise sich genöthigt sieht, auf den Bahnhöfen m Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe, Straßburg, Basel u. s. w. einige Zeit zu verweilen, wird mit sittlicher Entrüstung die Menge der mit den obscönsten Titeln versehenen Brochüren und „Reisebibliothekbüchern" bemerken, welche dermaßen auffällig dem Publicum zum Ver kauf dargeboten werden, daß man Bedenken tragen muß, mit einer Dame oder mit Kindern über den Perron eine« größeren Bahnhof- zu gehen. Die ungemein demoralisirende Wirkung solcher Schund schriften ist bisher stet- unterschätzt worden. Schon von verschiedenen Organen der Tagespresse wurde bisher mit allerdings zweifelhaftem Erfolg gegen diese Schmach geeifert; man schlug vor, den Ver kauf der Zeitungen und Bücher auf den Bahnhöfen der Controle der Bahnverwaltung zu unterstellen; ob DieS geschehen, ist zweifelhaft, wenigsten« hat der Schreiber dieser Zeilen noch kürzlich ln Stettin und auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin eine Menge solcher Bücher gesehen. Ein von Erfolg gekrönte- Vorgehen müßte dem Uebel tiefer auf den Grund gehen, um e- gänzlich auszurotten. Die Hauptschuld liegt sicher nicht an den Ver käufern von Reifet,teratur auf den Bahnhöfen, welche ihren Bedarf meisten« von einigen zweifel haften Firmen beziehen, sondern an diesen Firmen selbst. Einige „Buchhändler" in Hamburg, Berlin, München, ja auch — mt venia verbo — rn Leipzig, sind gewissenlos genug, durch Verlegen solcher Werke und durch Anpreisen derselben in Riesenannoncen das Volk systematisch sittlich mit ruiniren zu helfen. Nehmen wir eine Nummer de- „Kladderadatsch" oder der „Wespen" in die Hand und durchfliegen den Annoncentheil, so begegnen «n» auf einer Seite wenigsten- 5—6 solcher Inserate, mit den lieber« schrisen: „kicAoti«8imL. Nur für Herren! Rur für Junggesellen", , Für Freunde köstlichen Humor«" und wie alle diese buchhänolerischen Anpreisungen lauten wögen. Jedenfalls wäre es schöner von den betreffenden Expeditionen gehandelt, wenn sie die Annahme solcher obscöneuAnpreisungen ohne Weiteres ablehnten. Wir haben viele Journale und belle tristische Zeitschriften, welche ihre Spalten solchen Offerten nicht öffnen. Bon dieser Seite aus müßte der erste Anlaß geschehen, denn dadurch würde den größtentdeilS obscuren Firmen die Gelegenheit ent zogen, vor das Publicum mit ihren Anpreisungen z» treten In zweiter Linie sollten diese Verleger etwas ßeffer überwacht und ihae» das «echt ge- kommen, so fragt man sich »nmiurnruly, wachem Stande diese „Literaten" angehvrea. Meistentheils sind es cassirte Officiere, Winkeladvokaten. Co- Pisten, verkommene Schauspieler, verbummelte Studenten, ja auch unreife Gymnasiasten, welche, oft gegen ganz anständiges Honorar, solche Schund- Werke produciren. Der Schreiber dieser Zeile» hatte einst die zweifelhafte Ehre, in de« malerisch von den Wellen der Ostsee umwogten Adlerhorst bei Seebad Zoppot in der Nähe von Danzig einen jungen, anscheinlich gebildeten Mann kennen zu lernen, der sich als „Schriftsteller" au-gab und m den Kreisen der Badegäste und Marineosficiere von Neufahrwasser wegen seiner gesellschaftlichen Rou tine und feiner einnehmenden Umgangsformen eine gern gesehene Person war. Durch Zufall ent puppte sich dieser Schriftsteller als ein vom Gymna sium zu Ostrowo in Posen fortgeschickter Primaner, der sich durch solche Sudeleien sein Brod verdiente. Durch diese Enthüllung hatte sich derselbe in Zoppot unmöglich gemacht und suchte später in MiSdrop im Aufträge einer Hamburger Firma derartige Produkte unter den Badegästen zu col- portiren. Möge ihm auch dort eine solche Zurecht. Weisung zu Theil geworden sein wie in Zoppot! Wir wiederholen nochmal-, eS ist eine Schande, daß sich der Deutsche eine derartige Unterwühlvng der Moralität von gewissenlosen Firmen gefallen läßt; es erscheint für unS als ein Armuthszeugniß, daß wir solche Schundbücher noch an Schaufenstern dulden, welche dann von unreifen Jünglingen und noch unreiferen Backfischen hinter dem Rücken der El tern förmlich verschlungen werden, während Schü ler'- und Goethe'» Werke mit fußdickem Staub be deckt bloß zur Zierde de- Zimmer« dastehen. ES ist dieS ein trauriges und betrübende- Merkmal unserer Zeit, welche diese im Dunkeln schleichende Sittenlosigkeit protegirt, mit der eine ganze Reihe von anderen Lastern und Untugenden eng verbun den ist. Allgemeines Keichs-Commerslmch. Jede- literarische Werk von Bedeutung har seine Geschichte und DaS läßt sich insbesondere auch von dem soeben in dritter Auflage erschienenen „Allgemeinen Reichs - CommerSbuch für deutsche Studenten, herausgegeben von Müller von der Werra, Leipzig, Druck und Verlag von Breitkops L Härtel. 1878" sagen, denn diese Liedersammlung entbält in ihrer eigenartigen Zu sammenstellung nebenbei sehr zuverlässige, auf eigenen Forschungen beruhende literarhistorische Angaben, EntftehungSjahr der Lieder, Namen der Dichter und der Componisten betreffend, die von Autoritäten rühmlichft anerkannt worden. LommerSbuch hat in kurzer Zeit — seit so große Verbreitung erlangt, daß dasselbe bereit« in vielen tausend Exemplaren in Deutschland, Oester reich, der Schweiz und selbst in Amerika unter den Deutschen gute Aufnahme gefunden hat. GS war DieS auS verschiedenen Gründen vorauSzusehm, hatte diese- Buch doch nicht allein alle älteren Sommer»- lieber (Vaterlands-, Burschen-, Volk--, Kneip- und andere frische Gesänge), sondern auch über LOO neue Lieder ausgenommen, und zu letzteren schufen unser« bekanntesten EomponiKen Original-Melodien, so u. A. Franz Abt, V. E. Bccker, Chwatal, Ludwig Erk, Eri.ft Herzog zu Sachsen (Coburg-Sotba), Frdr. Gernsheim, Joh. Herbeck, Ferd. Hiller, Franz von Holstein, Edm. Kretzschmer, Hermann Langer, Ferd. Möbring, Richard Müller, B. E. Neßler, Joachim Raff, Carl Reinecke, JuliuS Rietz, Wild. Speidel. Die vorliegende neue resp. dritte Auflage ist insofern auch einer zweckmäßigen Wandlung unter worfen worden, alS die frühere letzt« Lbtheilung, die „Zeit- und Streitlieder", beseitigt und dafür, um den sogenannten „Culturkampf" auS der Sammlung zu verbannen, neuere und einige ältere studentische Lieder gesetzt wurden. Auch da» „Suezcanal-Eröffnung-lied", in Folge dessen da- Buch in Oesterreich verboten wurde, ist auSgcschieden worden. Unter den neuen Liedern befinden sich u. A. ein äußerst humoristisches „Trichinenlied" von O. Cohn in Breslau, ,.6suäe»mn> Or»ovicevce"von G. Schwetschke,„Hurrah,Lzernowitz!" (zur Eröffnungsfeier der deutschen Universität Ezerno- witzl, „Antisevtischer Loboesang" (Banket zu Ehren dcS Herrn Professor Lister, Leipzig, d. 8. Juni 1875). von M. Gänger (jetzt Assistenzarzt am Trier'jchen Institut), iegenw."), (dieses Valet muß ich dir sagen rc.", nach der Melodie: „O alte Burschenherrlichkeit rc.", erscheint hier überhaupt »um ersten Male, gedichtet von William Ruer, jetzt Refe rendar in Breiefeld), „Die Ritter von der Rudelsburg" von Hermann AllmerS (1878). Da- klon plu» ulu» en ersten a» Reichs- 1875 — eine de» ergötzlichsten Humor- bilden 63 Kater-Thesen von 0^ Gustav Waltz in Heidelberg, die mit Bewilligung de» Autors ausgenommen wurden. Wa» nun ohnehin der schönen, geschmackvollen Aus stattung d«S „Allgemeinen Reichs-CommerSbuches" »um besonderen Schmuck gereicht, ist da- jugendfrisch« Titelbild zu dieser neuen Auflage, welche» der Direktor der Akademie, Anton von Werner, Scheffel'» kongenialer Illustrator, entworfen und Maler O. Brausewetter au-gefübrt hat. Durch dieses hochinteressant« Titelbild hat da» Buch einen besondere» künstlerischen Werth erhalten. Dem berühmten Verlag aber müssen wir es Dank wissen, daß derselbe kein Opfer scheut, um da- „ReichS-Lommersbuch" zu eine« mustergültigen für alle Zeiten zu gestalten, wie es im Sinne des Herausgeber» liegt. Auch der Einband hält mit der gediegenen und geschmackvollen inneren Lusstattung gleichen Schritt, und so empfiehlt sich das Buch allen Studenten und Schülern höherer Unterrichtsanstalten von selbst. Aber auch „alten Häusern" und Freunden patriotischer Kern- und Volkslieder wird es eine willkommene Gab« sein. Literatur „Die dentsche Socialdemokratie". Ihre Ge schickte «nd ihre Lehre. Sine historisch > kritisch« Darstellung von Franz Mehring Bremen. E Schünemann's Verlag. Die bis jetzt vorliegenden zwei Auflagen sind im Buchhandel vergriffen: wie verlautet, ist eine dritte Auflage, in der dw Geschichte der deutschen Social« A Z .01
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