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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 04.07.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188407042
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840704
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840704
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungChemnitzer Anzeiger und Stadtbote
- Jahr1884
- Monat1884-07
- Tag1884-07-04
- Monat1884-07
- Jahr1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 04.07.1884
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Ehemultzer Anzeiger ««d Vtadtbote. Rr. 154. Freitag, den 4. Juli 1884. Seite 2. gm wissen, aber geben Sie die SS,000 Franken wieder heraus. Daß wir an der Cholera sterben, da- mag noch hingehen, daß aber Sie davon leben, Sie und Ihre kläglichen Kollegen — da» ist nicht zu ertragen. England. Von der Londoner Konferenz hat man feit ihrem Zusammenkitt noch nichts wieder gehört und ist überhaupt die nächste Sitzung noch unbestimmt. Im Uebrigen scheinen hierbei wieder aller hand Jntriguen hinter den diplomatische» Koulissen zu spielen und heißt eS namentlich, daß von russischer Seite „Ueberraschungen" ge plant werden. Vorläufig werden demnach die Verhandlungen des englischen Parlamentes noch die. meiste Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Indessen sind die Erwartungen, welche von verschiedenen Seiten an die angekündigte Diskussion des von der konservativen Opposition beantragten Tadelsvotum gegen das Kabinet Gladstone geknüpft wurden, getäuscht worden, indem es am Montag im Unter- Hause gar nicht zur Debatte über diesen Gegenstand gekommen ist. Die liberale Mehrheit beschloß, den TadelSantrag erst nach Erledigung der übrigen Gegenstände der Tagesordnung vorzunehmen; sie hat also die Angelegenheit nicht für wichtig genug gehalten, um sie den sonstigen Punkten der Tagesordnung voranzustellen und dies läßt «inen ziemlich sicheren Schluß darauf zu, daß das Tadelsvotum über haupt abgelehnt werden wird. Norwegen. In Norwegen macht die Aussöhnung zwischen Regierung und Storthing, welche durch die Jnstallirung de- Mi nisteriumS Sverdrup dokumentirt wurde, weitere Fortschritte. Als rin solcher ist der mit großer Majorität gefaßte Storthingsbeschluß zu betrachten, daß den neuen Staatsräthen die Theilnahme an den Verhandlungen des Storthings gestattet sein solle, was bei den vorigen Staatsräthen nicht der Fall war. Rumänien. Aus Bukarest lausen Nachrichten über die be vorstehende oder auch schon erfolgte Demission des Kabinets Bratiano ein. ES giebt in Rumänien eine gewisse und verhältnißmäßig mäch tige Partei, welcher die auswärtige, zu Deutschland und Oesterreich neigende Politik des jetzigen rumänischen Kabinets nicht in den Kram paßt. Mit allen Mitteln sucht daher diese Partei die Politik des Ministeriums Bratianos beim Volke zu verdächtigen und wirft außerdem dem Ministerium auch in den inneren Angelegenheiten grobe Vergehen vor. Der Rücktritt Bratiano's und seines Ministeriums würde sich aus diesen gehässigen Angriffen zur Genüge motiviren, indessen bleibt vorläufig eine die Demission bestätigende Meldung noch abzuwarten. Oft-Asien Aus Ost-Asien liegen seit dem Ueberfall von Langso» keine weiteren Nachrichten von Belang vor. Jedenfalls ist aber durch dieses Ereigniß die militärische Lage der Franzosen im Norden von Tonkin wieder eine ziemlich prekäre geworden und wird di« oberste Armeeleitung für längere Zeit nicht mehr daran denken können, die in Tonkin stehenden französischen Truppen noch weiter zu vermindern. Ob aber General Millot eine Wiederaufnahme der militärischen Operationen im großen Style plant, ist in Anbetracht der heißen Jahreszeit mehr als fraglich. Machrichten aus <khemnitz und Umgeg-n-. Chemnitz, den 3. Juli 1884. — Herr Oberstaatsanwalt Schwabe, erster Staats anwalt beim hiesigen Landgerichte, feiene am vergangenen Dienstag sein 25jähriges Staatsdiener-Jubiläum, bei welcher Gelegenheit dem hochverdienten und allseitig beliebten Beamten Zeichen der Achtung und Verehrung dargebracht wurden. — Wie uns mitgetheilt wird, ist Herr Bahnhossinspektor Uh lig Hierselbst zum Kassenrevisor der Sächsischen Staatsbahnen ernannt worden und hat sein neues Amt bereits angetreten. — to. Gestern Abend ist in der Nähe der Löbel'schen Bleiche nunmehr endlich der Leichnam des ertrunkene» Realschülers St. auf gefunden worden. — Infolge des WachSthums der hiesigen israelitischen Ge meinde ist bereits deren BethauS, Neugasse 3, zu klein geworden und wird dessen Raum gegenwärtig durch Erweiterungsbauten ver größert. — Der uns soeben zugehende dritte Jahresbericht des Allgemeinen Erziehungsvereins zu Chemnitz (Pro 1883) koustatirt, daß die Wirksamkeit des Vereins auch im vorigen Jahre erfreulicher Weise mit gesegnetem Erfolge gekrönt gewesen ist, und Im Jrrenhause. Roman von Ewald August König. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Beendigen wir diese kindischen Redensarten I" sagte Tom in einem so rnschiedenrn Tone, als ob er allein in diesem Hause zu be- daß die Bereinsbestrebungen, welche sich, wie bekannt, auf die Für sorge für das vorschulpflichtige Alter, auf die Pflege armer kränklicher und schwächlicher und auf die Rettung sittlich gefährdeter und ver wahrloster Kinder erstrecken, in unserer Stadt bereits Wurzel gefaßt haben. Infolgedessen wurde eS den Mitgliedern des Gesammtvor- standes nicht schwer, nicht nur den alten Stamm der Freunde zu er halten, sondern auch wieder neue zu gewinnen und zur Unterstützung der Vereinszwecke heranzuziehen. — Hinsichtlich derFerienkolonien stellte sich der Gesawmtvorfiand auch im vergangenen Jahre die Auf gabe, geeignete ErholungS- und Heilstätten in unserem Erzgebirge für die schwächliche Schuljugend zu beschaffen, und zwar in Neuheide bei Schönheide, auf dem Jägerhaus bei Schwarzenberg, in Rautenkranz und auf dem Ziegelvorwerk bei Elterlein. 80 Kinder, und zwar 40 Knaben und 40 Mädchen konnten nach diesen Orten gesandt werden, und zwar befanden sich unter denselben auch eine Anzahl, die vom hiesigen Verein zu Rath und That, der 400 Mark zu Ferienkolonienzwecken zur Verfügung gestellt hatte, aus einigen von ihm unterstützten Familien zugewiesen worden war. Da noch 70 Kinder, von denen die Aerzte 50 der Erholung und Kräf tigung am meisten bedürftig bezeichueten, vorhanden waren, so beschloß der Gesammtvorstand, nach dem Vorgänge anderer Städte, sogenannte Stadtkolonien zu errichten, und es wurde ihm durch einen nam- haften Beitrag eines seiner Mitglieder möglich, während der Ferien täglich 43 Kinder nach zwei cirka 1 Stunde von der Stadt gelegenen Orten, Hilbersdorfer Gasthof und Gasthaus zu den neuen Schenken, unter Führung eines Lehrers und einer Lehrerin, zu senden. Die zweite Vereinsaufgabe besteht darin, durch Gründung von Volkskindergärten die Erziehung im vorschulpflichtigen Lebens alter der Kinder mit fördern zu helfen. Sie hat ihren Grund da- rin, daß vielen Eltern, namentlich den zur Erziehung des Kindes in jenem Alter hauptsächlich berufenen Müttern, die Zeit, zum Theil auch Wohl die Fähigkeit mangelt, außer der körperlichen Pflege das Nothwendigste zur geistigen Entwickelung ihrer Kleinen zu thun, sie. namentlich wenn die Familie mehrere Kinder zählt, in der ange messensten Weise zu beschäftigen, die geeigneten Mittel anzuwenden, um den schwachen Keimkästen die rehte Richtung zu geben und sie in das Geleise echter Bildung und Tugend zu lenken. — Der Verein zählt gegenwärtig zwei Kindergärten, von denen der erste sich Sonnen straße Nr 58, der zweite Leipzigcrstraße Nr. 1 befindet. Ein dritter in der westlichen Vorstadt (im Elysium) Anfangs 1883 errichteter wurde nicht lebensfähig, da, wie sich später ergab, der betreffende Stadttheil zu wenig solcher Kinder zählte, deren Eltern der Anfor derung des Erziehungsvereins entsprechen. — Jeder der beiden be stehenden Kindergärten zählte im Durchschnitt 45 Kinder. — In Anbetracht der segensreichen Wirkungen dieser Gärten ist der Wunsch gerechtfertigt, daß auch dieser Zweig der Vereinsthätigkeit in der Chemnitzer Einwohnerschaft recht viel Freunde finden möge. — Die dritte Deputation des Allgemeinen Erziehungsvereins, welcher die Unterbringung sittlich gefährdeter Kinder in Fami lienpflege obliegt, hat im verflossenen Jahre im Ganzen 4Kin- der, 2 Knaben und 2 Mädchen, auswärts untergebracht. — An Einnahmen hatte der Verein 3,866 Mk. 32 Pf., an Ausgaben 3,722 Mk. 1 Pf. zu verzeichnen — Dem so segensreich wirkenden Verein ist zu wünschen, daß er immer mehr Beachtung finde und daß seine auf das Volkswohl gerichteten Bestrebungen in thatkräftigster Weise auch fernerhin gefördert werden. Alle, welche für die drei Liebeswerke des Vereins Opfer bringen und brachten, werden ihren Lohn in dem Bewußtsein finden, daß sie im Sinne und nach dem Worte des größten Kinderfreundes gehandelt haben, der da sprach: „Was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brü dern, das habt ihr mir gethan." —i. Der Prächtige Sommerabend hatte gestern eine große Anzahl Spaziergänger in's Freie gelockt und hauptsächlich war das Ziel der selben unser Schloßgarten und das reizend gelegene „Schloß Mira« mar", woselbst die gesammte Militär-Kapelle des 5. Infanterie- Regiments Nr. 104 „Prinz Friedrich August" unter Leitung des Herrn Musikdirektor Pohle konzertirte. Hier hatte sich eine so große Anzahl Zuhörer eingefunden, daß schon um 8 Uhr kein Stuhl mehr zu haben war, die Gläser vergriffen und Viele aus der durstigen Menge lediglich auf den Ohrenschmaus, sür welchen die Musik sorgte, und auf das Sauerstoffkneipen, zu dem die reine Lust Gelegen^ bot, angewiesen waren. ES freut uns im Interesse des so rührig«, Besitzers Herrn Beyreuther konstatiren zu können, daß wir nie auf dem doch immer zahlreich besuchten Schloß Miramar eine größere Menschenmenge gesehen haben; sogar auf auSrangirten Kisten, auf Treppen- und Umfassungsgelündern, sowie auf dem Dache hatten die Zuhörer Platz genommen. Die Militärkapelle trug in anzuerkennender exakter Weise die aus dem Programm verzeichnet«!, Musik-PiLcen vor und das taktvolle Eingreifen der gesammten Tamboure des Regiments unter Leitung des Herrn Bataillonstambour Freitag fand allseitig gebührende Anerkennung Besonders war es der II. Theil des Kon zerts, „Deutschlands Erinnerungen an die glorreiche« Kriegsjahre 1870—71", große- militärisches Potpouni mit Schlachtenmusik von H. Saro, welcher den Beifall der Zuhörer herausforderte. Wie süß, wie wohlthuend klang die Introduktion, die den Frieden der Völker bezeichnete, wie erschreckte der grelle Alarmruf die Zuhörer, und wie war in der Musik ver Schmerz des Scheidens, die Fahrt auf der Bahn, die Leiden und Freuden des Marsches treffend gezeichnet! Man glaubte sich mit als Soldat im Felde zu befinden, als aus der Ferne Hörnersignale und der französische Zapfen- streich erklangen. Wehmulh, Sehnsucht und bange Todesahnung klang aus dem Liede „Morgenroth, Morgenroth", welches zum Theil von den Anwesenden mitgesungen wurde. Dann aber erschallt Alarm, Sturmmarsch wird geblasen, Gewehrsalven krachen, bengalische Flammen erleuchten bunt den Platz, von allen Seiten wird gestürmt, Feuerwerk steigt in die Höhe und in das Getümmel tönt die aufreizende Schlacht musik nach Köler ^ Böla; endlich wird das Knattern der Gewehre matter, die Hornsignale sowie die Trompetenfanfaren tönen nur noch in der Ferne und siegesgewaltig und wie ein Dankgebet schallt be ruhigend das „Lieb Vaterland, magst ruhig sein l" — Die Kapelle wußte den Vormarsch nach Paris, die Belagemng, das Locken zum Zapfenstreich, das Gebet noch entsprechend in der Musik zu kennzeichnen, bis schließlich durch das „Heil Dir im Siegerkranz" der geschlossene Frieden mar- kirt wurde. Lauter, anhaltender Beifall lohnte der Musik sür die anstrengende Aufführung dieses Potpourris. Die im III. Theile auf- gesührten Parade-Märsche sämmtlicher Infanterie-Regimenter, Jäger- und Pionier-Bataillone vom Königl. Sächs. 12. Armeekorps fanden ebenfalls den Beifall der Zuhörer, so daß der letzte Theil derselben wiederholt werden mußte. Erst spät und allmählich wurde es in den Gärten von Miramar leerer und leerer, und gewiß wird man sich seitens der Zuhörer dieses Gartenkonzertes noch lange angenehm er innern. —X. DasKonzert des Stadtmusikkorps, welches gestem Abend unter Leitung des Herrn Musikdirektor Scheel und unter Mitwirkung des Männerchors „Konkordia", sowie des Militär- Vereins „1866er" im Garten des Erler'schen Etablissements statt fand, war so zahlreich besucht, daß es Verspäteten äußerst schwer fiel, Platz zu finden. Das Programm des Abends war ein gut gewähltes. Die Gesangsaufführungen des Männerchors „Konkordia", welcher unter der Leitung seines Dirigenten, Herrn Albin Blättermann, stand, wurden ebenso wie die zum Vortrag gelangten MusikpiLcen von der Zuhörerschaft sehr beifällig ausgenommen. Den „Könige Albert-Marsch" von Fritz Scheel hörten wir gestern zum ersten Male. Es ist derselbe ein ganz gefälliges Tonwerk, nur kam es uns vor, als wenn der Rythmus des Marsches stellenweise nicht ge nügend zur Geltung gelangte. Den Kernpunkt des Abends bildeten Saro's „Deutschlands Erinnerungen an die Kriegs jahre 1870/71". Die Wirkung dieses militärischen Potpourri's war grandios. Anfänglich gehörte ein gewisser Grad von Ueberredungs- kunst dazu, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß unser a» sich so friedlich aussehendes Stadtmusikchor in die kriegerische Lärm- trompete stoße, allein nach und nach wurden die Zuhörer von der Gewalt der Musik mit sortgeriffen und in eine geradezu enthusiastische Stimmung versetzt, als die Schlachtmusik unter Feuerwerk, Kanonen schüssen, Mitrailleusen- und Gewehrfeuer stattfand. Wenn wir auch derartigen Aufführungen einen großen musikalischen Werth nicht bei- messen können, so bleibt es doch bemerkenswerth, daß unser Stadt musikkorps in der Bravour der Militärmusik nicht nachsteht. —u. Die gestrige Eröffnungs-Borstellung im „Mellini- Theater" war eine in jeder Hinsicht gelungene und rechtfertigte in fehlen hätte. „Ich habe Ihnen bisher noch keinen Anlaß zu solchen worden sind." Befürchtungen und Vorwürfen gegeben, und es kommt ja nur auf Sie '' ' an, ob Alles so zwischen uns bleiben soll, wie es bis jetzt war," „Gewiß, gewiß!" nickte der Doktor lebhaft. „Ich hege wahr haftig nicht den Wunsch, daß eS anders werden möge! Was meine Befürchtungen bekifft, so sind dieselben sehr natürliche ich wußte nicht, daß Frohberg einen Sohn besaß, nun kommt dieser Mensch ganz plötzlich und will mir auf den Zahn fühlen!" „Doktor, das ist Ihnen oft begegnet und Sie haben nie Zahn- Weh davon bekommen." „Sag' mir die Wahrheit, Tom, hat der Mensch keinen lichten Augenblick mehr? Du mußt das wissen, Du beobachtest ihn täglich, Du Weißt, daß ich nicht gerne zu ihm gehe, weil bei meinem Anblick immer wieder der alte Haß in ihm auslodert. Ich bin kein Freund solcher heftigen Auftritte, es liegt ja auch im Interesse der Patienten selbst, sie zu vermeiden, wenn man es kann." „Jetzt fehlte nur noch, daß Sie wieder auf Ihr beliebtes Thema über Menschenliebe, Menschenrechte und menschliche Gefühle zurück- Limen, um die Komödie vollständig zu machen," spottete der Wärter. „Verlieren wir doch nicht mit solchen unnützen Redensarten die Zeit. Wenn ich Ihnen sage, der Mann ist irrsinnig, so ist es die Wahrheit und wenn er auch einmal einen lichten Augenblick haben sollte —" „So muß die Douche ihn belehren, daß solche Lichtblicke in meiner Anstalt nicht geduldet werden!" fuhr der Doktor, erbittert über den Hohn des Wärters, heraus. „Ha, wir haben ja Mittel genug, einen Widcrfpänstigen zahm zu machen! Zwangsjacke, Douche, Peitsche, Hunger und Kerker, wir haben damit schon Manchem die Schrauben gelöst und das Vernunftslicht ausgeblasen, nicht wahr, Tom?" „Na, eben darum sind alle Befürchtungen unnütz! „Doch nicht so ganz," erwiederte der Doktor ruhiger, während er die unterbrochene Wanderung fortsetzte; „der junge Mensch scheint mir «in energischer Bursche zu sein. Der Gutsherr muß gewarnt werden, aber heimlich, daß Niemand etwas davon erfährt. Wir wollen dann sehen, was er beschließt. Du kannst das übernehmen, Tom. Sage ihm nur, auf uns könne er sich verlassen, natürlich muß er aus die gegenwärtigen Verhältnisse Rücksicht nehmen und Opfer bringen. Einst- weilen darf der Alte nicht spazieren gehen, er muß in seiner Zelle bleiben." „Er ist an den Spaziergang gewöhnt —" „Einerlei! Wenn die Entziehung dieser Gewohnheit seine Gesund heit ruiniren sollte, so kann uns das nur angenehm sein, eS wäre sogar wünschcnswerth. Wie ist es mit den übrigen Patienten?" „Ich bin zufrieden." mn „O, doch; dann und wann fällt es dem Einen oder Andern ein, vernünftig zu scheinen, aber in der Regel brauche ich ihm nur die Peitsche zu zeigen. Der Doctor lachte höhnisch. „Wir haben hier eine gute Kur, nicht wahr Tom?" sagte er. „Jawohl." spottete Tom, „wer noch nicht verrückt ist, wird es sehr bald; mich wundert nur, daß wir beide es noch nicht ge- ,Kein Stöniger mehr unter ihnen?" In diesem Augenblick scheinst Du es wirklich zu sein!" „Und doch war mein Verstand niemals Heller und schärfer, als gerade in diesem Augenblicke." Der Keine Herr sah ihn betroffen und forschend an, dann wandte er ihm achselzuckend den Rücken. „Du wirst den Gutsbesitzer heute Abend noch besuchen," sagte er, und seine Stimme klang jetzt hart und befehlend, „er muß sofort benachrichtigt und gewarnt werden, damit er seine Maßregeln treffen kann." „Es soll geschehen," erwiederte Tom. „Laß Dir den Gang von ihm bezahlen," rief der Doktor dem Wärter noch nach; aber Tom war schon vor der Thür, und wenn der kleine Herr hätte sehen können, wie merkwürdig und Plötzlich die Züge seines Vertrauten sich veränderten, so würden seine Befürchtungen jedenfalls eine neue Stütze gefunden haben. Ein unbeschreiblicher, glühender Haß leuchtete aus dem Blick, den Tom auf die Thür, die er hinter sich geschlossen hatte, zurück warf, jener Haß, der nur in der völligen Vernichtung seines Opfers Befriedigung findet. Haß, Hohn und 'triumphirende Bosheit sprachen aus jeder Falte seines breiten Gesichts, das eher dem Gesicht eines tückischen Pavians, als dem eines Menschen glich; Haß und Bosheit spiegelten sich wieder in der jähzornigen Aufwallung, mit der Tom die sehnige Faust erhob, um sie drohend gegen die Thür zu schütteln. „Dir das Gold und mir die Arbeit und die Verantwortung!" knirschte er. „Das nennst Du redliche Theilung. Dir das Wohl leben in Pracht und Ueppigkeit und wir das Leben eines Hundes! Bald ist Deine Zeit gekommen; Geduld, die Hände sollen Dir noch brennen vor Verlangen, mich zu erwürgen!" Er wandert« langsam durch den Korridor, dann und wann stehen bleibend, um die Stimmen zu horchen, die in den Zellen laut wurden. „Ich hätte es längst thun können," nahm er endlich sein Selbst gespräch wieder auf, während er an einem Fenster stand und aus den Garten hinunter blickte; „die Beweise zu liefern würde mir gar keine Mühe machen, schon der Alte müßte als Beweis genügen. Aber wer giebt mir denn den Lohn für meine Enthüllungen? Die Behörde wahr haftig nicht, sie steckt mich mit dcm schuftigen Doktor ins Loch, und die Angehörigen seiner Opfer sind entweder arm oder sie haben kein Interesse an der Befreiung der Patienten. Und was hätte ich für den Alten thun können? Um sein Erde hatten sie ihn doch betrogen, und wer selbst nichts hat, kann auch nichts geben. Ich bin zu alt geworden, um noch einmal von vorne anzufangen, wüßte auch nicht, was ich mit meinen Ersparnissen beginnen sollte. Die Sachlage ist jetzt allerdings eine andere geworden, aber wir dürfen nichts übereilen!" Er fuhr langsam mit der Hand über sein Gesicht und schritt weiter, dann öffnete er die Thür einer Zelle, hinter der er im nächstem Augenblick verschwand. 2. Kapitel. Die Stadt, in der Albert Frohbcrg seinen Aufenthalt genommen Hütte, lag nicht weit von der Anstalt des Doktors Janin entfernt;, man konnte sie von der dem Jrrenhause zunächst gelegenen Eisenbahn station auS in einer halben Stunde erreichen. Vom Bahnhose aus ging der junge Mann in die Stadt hinein; die Sicherheit, mit der er seine Wanderung von Straße zu Straße fortgesetzt, ließ erkennen, daß er mit dem Stadtplane genau ver traut war. In einer sehr stillen, entlegenen Straße blieb er vor einer Restauration stehen, den Blick auf das Schild über der Hausthüre richtend. „Restauration von Lampert Bochner," las er; „Wein, Bier und Kaffee." Er ging hinein außer einem kleinen, ziemlich beleibten Manne mit einem recht treuherzigen, gemüthlich lächelnden Gesicht war Nie mand in der Gaststube. Ueber das Antlitz Alfred's glitt beim Anblick dieses Mannes ein freudiges Lächeln. „Geben Sie mir eine Flasche Wein," sagte er, während er Hut und Ueberzicher an einen Haken hing. Der Wirth holte aus einer Schublade seines Schänktisches eine Weinkarte und legte sie vor den jungen Mann auf den Tisch. „Bitte, wählen Sie." erwiederte er. „Ich möchte die Wahl Ihnen überlassen." „Es kommt auf den Preis an." „O, darauf kommt es durchaus nicht an," scherzte Alfred. „Dann würde ich Ihnen zu Marcobrunner rathen, ein wunder bares Weinchen, die Flasche kostet freilich einen Thaler, aber —' „Bitte, geben Sie mir eine Flasche Marcobrunver," fiel Alfred ihm in's Wort, indem er einen Thaler auf den Tisch warf. .Und bringen Sie gleich ein zweites Glas mit." Der Wirth nickte und eilte hinaus; aber draußen mußten doch Wohl Bedenken in seiner Seele aufgestiegen sein, denn als er zurüch' kehrte, sah er seinen Gast forschend an. „Ich weiß nicht," sagte er, während er das Glas füllte, „ich- meine fast, ich müsse Sie schon früher einmal gesehen haben." „Ganz recht," erwiederte Alfred in heiterem Tone, „ich habe Sie früher auch schon gesehen." „Also doch! Mit wem habe ich die Ehre?" „Geduld, Herr Bochner. Sie waren früher Kammerdiener beb dem alten Herrn Frohberg." „O, das ist schon lange her." „Vielleicht fünfundzwanzig Jahre." „Ja, so lange kann's sein. Als der alte Herr todt war, konnte ich mich nicht entschließen, in die Dienste seines Erben zu treten — „Weshalb nicht?" „Na, es waren da dunkle Geschichten vorgefallen, über die ich nicht gerne spreche." Fortsetzung folgt.
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