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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809172
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880917
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880917
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-17
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.09.1888
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Zweite Beilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. 281. Montag den 17. September 1888. 82. JühMNg. Der gute voctor. Erzählung vo» I. Isenbeck. Nachdruck verbalen. (Fortsetzung.) I» der Vorhalle sa»L Gronau den alten Diener, der sinnend und träumend aus einer Bank saß. Der Greis däuckte jetzt dein Maler nicht mehr ein Gebilde von Fleisch und Blnt, sondern ein Geist, eine Märchensigur, welche, unter einem Zauberbann stehend. die Schwelle eines verwünschten Schlosses zu hüte» bestimmt ist. Die prunkende, glänzende Livröc deS Allen schlotterte um die knochigen, abgemagerten Glieder, als ob sie zum Auslüsten aus einen Kleiderstock ge hängt sei. WaS »och von Farbe in dem pergamenlartigen Gesicht vorhanden war, schien nur der Nest vo» Blut zu sein, der durch die eng geschnürte weiße Halsbinde in dem Kopf zurückgchalten wurde. Wie um sich zu überzeuge», ob er ei» lebendes Wesen vor sich habe, überwand Gronau ein ihn beschleichendes Grauen, berührte den Alten an der Schulter und sagte: .Die Frau Gräfin ist krank, glaube ich! Sorgen Sie dafür, baß Jemand zu ihr geht!" Geschreckt fuhr Friedrich aus. Zn seinen grauen Angen zeigten sich Thränen. „Ich hab's ja schon seit einer Woche gemerkt", schluchzte er, „daß die Gräfin wieder leidet! Einen Stein könnte eS erbarme», wenn er daS Elend mit ansieht!" Treuherzig faßte der Alte deS jungen ManneS Hand. „Nehmen Sie'S nicht sür ungut, Herr", fuhr er bittend fort, „wenn ein alter Esel, wie ich eS bi», einmal den Respecl vergißt und mit Ihnen redet, als ob er Seinesgleichen vor sich hätte. Die gnädige Gräfin hält viel aus Sie, das habe ich schon gemerkt, alS Sie zum ersten Mal hier bei u»S waren. Sv viel und so lange, wie mit Ihne», hat sie schon seit Jahren mit keinem Menschen mehr gesprochen, sie will ja kein srcmdcS Gesicht sehen, und von der gräflichen Familie erst recht keinö. DaS geht nun schon so, seit der junge gnädige Herr, den Sie jetzt sür die Frau Gräfin malcn, so plötzlich starb. Es ist rein zum Herrbreche», wenn man solchen Jammer mit erleben muß. Laß so ein Engel von Frau sich abhärmt und abgrämt. Und sie ist doch nicht schuld daran! Du mein blutiger Heiland! Ein neugeborenes Kind kann nicht unschnlLiger sein als meine Gnädige!" Der schrille Ton einer Glocke unterbrach den Alten. „Meine Gnädige klingelt »ach mir", ries dieser, „nun erst darf ich hinausgehcn. Ich werde den Jean schicken, damit er den Herrn hinäuSführt." Gronau nickte bcistimnicnd; Friedrich wandte sich noch einmal um und raunte dem Maler zu: „Sprechen Sie aber, bitte, mit ihn, nicbt über Das, WaS ich Ihnen gesagt habe. DaS ist ein junger Menscb, der von der gnädigen Gräfin und der Familie nichts weiß, auch »ichtS zu wissen braucht. Er ist kaum zwanzig Jahre in gräslichen Diensten!" „Und Sie, Alter?" fragte Gronau erstaunt. „Ich? — Zum Herbst werden cs fünfzig, lieber Herr, fünfzig!" * * Gronau war von dem Hause der Gräfin auS nach dem „Rothen Stern" gegangen; er wünschte sich auSzusprcchen über das jüngst Erlebte mit Wille», den er kort um diese Zeit sicher zu treffen hoffte! In seiner Erwartung sah er sich nicht getäuscht. Schon aus der Schwelle trat ihm der stets schmunzelnde und lächelnde Wirtb mit der Meldung entgegen, baß der Doctor in dem Gastzimmer zu finden sei. In einer Ecke sah Gronau den Freund sitzen, die brennende kurze Pfeife im Munde, vor sich eine Flasche Wein. AlS der Doctor den Maier bemerkte, wieS er, ohne ein Wort zu sprechen, aus einen Stuhl, stieß eine mächtige Rauch Wolke aus und leerte dann sein Glas in einem Zuge. „Die Gräfin WolsSeck" — begann Gronau. „Bitte, Fritz, laß die neck eine Weile beiseite!" unter brach ihn der Doctor, sein Glas von Neuem füllend und Weiter rauchend. Der Maler ließ ihn ungestört gewähren, forderte von dem Auswärter einen Schoppen Wein und be trachtete die Schilbereien an den Wanden des Gastzimmers, als ob cs die ausgesuchtesten und seltsamsten Kunstwerke wären. Endlich klopfte der Doctor seine Pfeife ans. „Der Nasenwärmer calmirt immer noch, mein Junge!" sagte er „Jetzt kannst Du getrost von der Gräfin sprechen. Mich soll nun nichts mehr ärgern." „Die Gräfin ist schwer krank", erwiderte Gronau. „Krank? — Ja, das glaube ich! — An einer bocbgradigen Verhärtung des Herzens leitet die gute Dame, wenn wir der volksthümlicke» Auffassung treu bleiben und annebmen wollen, daß dieser MuSkel der Sitz der Liebe und des Gefühls ist!" hohnlachtc Wilken. „Du scheinst doch »och ärgerlich gestimmt!" „Ich sage Dir, mich soll nichts mehr ärgern. Aber den Glauben an die Menschheit, das heißt an den besser situirten Theil derselben, den habe ich verloren. Ist cö nicht ein wahrer Hohn gegen alle Weltvrdnnng, nack der dock ein Jeder sein Stück Brod und eine Stätte, wo er sein Haupt hinlegt, finden soll, wird nicht Las Gesetz der Nächstenliebe mit Füßen getreten, wenn man bedenkt, daß diese Frau zwei Wochen lang täglich ein anderes Zimmer benutze» kann, und die armen Würmer, die Waisen der verstorbene» Wiltwe Müller, sollen morgen früh hungernd ans die Straße ge worsen werden? Himmelschreiend ist daS, himmelschreiend, sage ich Dir!" „Verlangst Tu denn, daß die Gräfin WolsSeck allen Hungernden und Nothleidcndcn Helsen soll? Dann müßte sie die Schätze GolkondaS besitzen!" „Menge doch nicht die Gräfin in Alles hinein, die ist ja hier nur ein Beweis sür die Denkungsart säst aller Besitzenden. Wäre ich als der Träger vo» Titeln und Orden zu ihr gekommen, hätte ich Beiträge erbeten, deren Spender hernach rn allen Zeitungen als milde, barmherzige Engel gepriesen wäre», dann hätte ich gewiß cm- Summe erhalle», mit der sic sich den ihr zu streuende» Weihrauch zu kaufen Lenkt. Aber so — die linke Hand nicht wissen zu lasten, waS die rechte thut — daS paßt Keinem!" „Ich glaube. Du nrtheilst über die Dam« doch zu hart! „DaS mag sein! Ich habe aber Erfahrungen gemacht seit Jahren schon und heute wieder. Von PontiuS zu PilatuS bin ich gelaufen, an alle Thüren habe ich geklopft und nicht einen Pfennig erhalten. In ganz Malfeld findet sich keine Seele, die für die Müller'schcn Kinder etwa- tbun Will! Daß die Verstorbene die beide» Kleinen immer sauber und ordentlich gehalten, daß sie lieber gehungert hat, als mit Knixen und Händeküsten zu betteln, das macht man ihr jetzt noch im Grabe zum Vorwurf. Und die Marie? Wegen der will schon keiner den Finger ins Master stecken. Stolz und hochsahrend nennen sie Alle das Mädchen. Warum >st die nicht schon lange in einen Dienst gegangen? Gelund und kräftig ist sie ja — sagt der Eine. Die Marie Müller muß sich erst beugen lernen, die muß die Nolh erst erkennen lasten, wer und waS sie ist, ehe man ihr Helsen darf — sagt der Andere. Die Narren! AIS ob eine solche Natur sich je beugen könnte, sich je von Noth und Elend unterdrücken ließe! Die verhungert lieber, ehe ein Wort der Klag- Uber ihre kippen kommt!" Die Erwähnung deS jungen Mädchen» schien den Maler elektrisirt zu haben, die Gräfin WolsSeck. die Scene zwischen ihr und dem Doctor halte er vergessen. „Was kann denn nun gethan werden?" fragte er hastig und erregt. „Augenblicklich habe ich nur ein paar Thaler übrig, aber in Len nächsten Tagen, nein, gleich morgen, werde ich die Gräfin ersuchen, mir den zurückgewiesenen Check von Neuem ausznsüllen!" Incommodire Dich nicht, Fritz!" fiel der Doctor ein. Er hatte den Freund mit einem forschenden Blick gestreift, jetzt nippte er behaglich vo» seinem Wein und wischte sich niil dem Handrücken die Lippen. „Von Dir sollen und dürfen weder die Kleinen, noch Marie etwas annehmen!" fuhr er dann ernsten Tones fort. „Ich habe Dir schon srüher gesagt, die Marie Müller Vars durch Dick nicht inS Gerede kommen. Du bist ein junger, hübscher Kerl, den Leichtsinn und die Lebenslust hat Dir die Mutter Natur i»S Gesicht geschrieben — glaubst Du, daß auch nur ei» Männ lein oder ein Weiblein ,n ganz Maiseld annimmt, Dich habe nur Menschenliebe, die Lust zum Wohltbu» veranlaßt, den Armen zu Helsen? — lleberhaupt ist de» Kiudern »>it einer einmaligen Gabe nur wenig gedient. Es muß ihnen ein Unterkommen verschafft werden, bis sie selbst erwerbsfähig sind, bis der HanS — ich hoffe ihn in einem Jahre cperireu zu können — etwas Ordentliches gelernt hat, bis die Marie einen guten, braven Mann gesunden hat Dahin zielten meine heutige» Betteleien. Nun kein Anderer Hilst, thue icb's allein. Die Mutter ist mit der Zuversicht gestorben, daß ilne Kinder an mir einen Freund und Beralher finden werden. Eie soll sich nickt getäuscht haben! Ich nehme alle Drei zu mir. Enge wird'S werden in meiner kleinen Wohnung, und für meine andern Freunde werde ich oft genug nicht zu Hause sein können!" Wie willst Du denn die Lästerzungen zum Schweigen bringen?" unterbrach der Maler den Doctor. „Wird man denn darüber nicht rede», wenn Du der Beschützer der schönen Marie bist? Beinahe wchmüthig war daS Lächeln, welches nun um Erick Witken's Mund spielte. Mich kann man doch höchstens sür einen Gnom halten, der daS arme Mädchen vor seinen Feinden behütet!" sagte er. „Glaubst Du denn, baß die Dummheit der Menschen so weit gehen könnte, um meiner Handlungsweise Motive unlerzulcgen, die der Marie schaden? Die Hauptsache ist aber die: von mir wird sic annebmen, waS sie jedem Andern gegenüber zurückweisen würde. In mir sicht sie keinen Mann, vielleicht nicht einmal einen Menschen — das ist der Ein druck des Häßlichen, mein Freund!" Was schadet's aber", fuhr der kleine Doctor nach einer Pause fort, während der er sinnend in das Leere gestarrt hatte. Ich kann ihr koch Helsen, und das wird inick erfreuen und befriedigen. Von dem Ertrage meiner Praxis in Maiseld werden wir allerdings kaum daS Leben fristen können. Tie Menschen haben hier alle kernfeste Nature», und wer den Arzt braucht, der kan» ihn gcwöhnlicb nur schleckt honoriren. Ich werde daS kleine Capital wohl oder übel angreisen müssen, das mich sür meine allen Tage sickern sollte. DaS Gastzimmer batte sich während dieser Unterhaltung zwischen den Beiden gestillt, der Etammtisck war bis ans den Platz, den sonst der Bürgermeister Brand einzuneh.nc» pflegte, besetzt. Heppter, der zuletzt Eingelretene, hatte sich wieder holt erkundigt, ob den» Niemand wisse, wo der Bürger meister stecke. Sehnen Sie sich nach ihm?" fragte einer der Herren lachend. „Sie Beide stehen doch wie Hund und Katze mit einander." „Ja, — Freunde sind wir eben nickt", erwiderte Heppler gedehnt, „aber — nun, da« müssen Sie doch selbst sagen, wen» der Bürgermeister nickt hier ist, dann kommt kaum eine richtige Unterhaltung zu Stande. Dem Heppler fehlt etwas, wenn sich nickt Jemand an ihm reibt!" meinte ein Anderer. „Durch seinen Hausdrachen ist ihm daS Zanken zur Nothwcndigkeit geworden, er kan» es auch hier nickt entbehren. „Die Sache verhält sich anders", warf ein Dritter ein. „Heppler sieht in dem gestrengen Herr» Bürgermeister immer nock den zukünftigen Schwiegervater!" Heppler wollte opponiren, aber in dem laute» Gelächter, das Alle anstimmlcn, verhallten seine Worte ungehvrt. Als die Ruhe einigermaßen wieder hcrgcstellt war, sagte der Syndici» Blomeyer: „Den Traum seiner Jugend muß Heppler fahren laste». Denn Brand's werden ihr einziges Töckterlcin keinem Bürger lichen zur Ehe geben, wenn er nicht den Avelsbries und sechzehn Ahnen mit Sacken voll Gold auswiegen kann. Als Emil Blomeyer die gespannt und fragend ihn an- schaucnden Gefickter sah, lächelte er mit der Befriedigung eines ManneS, der weiß, daß er Herr der Situation ist. „Ja. ja, meine Herren, nur ei» Schwiegersohn von altem Adel wird noch unscrm Herrn Bürgermeister genehm sein, oder sagen wir, der Frau Bürgermeister, die in HauS- und Familienangelegenheiten allein zu entscheiden hat!" fuhr er in belehrendem Tone fort, nachdem er eine große Prise in seine Nase geschoben hatte. „Ich will Ihnen auch erklären, weshalb die Herrschaften jetzt so strenge denken, kann wiffen Sie zugleich, warum Brand uns heute die Ehre seiner Gegen wart versagt!" Blomeyer machte noch eine Kunstpause und klopste be dächtig aus den Deckel seiner Dose. „Für den Herrn Bürgermeister wird unsere Gesellschaft nicht mehr Pasten, ein gemütblicher DiscurS in diesem KreiS einfacher Männer wird rhm, oder sagen wir seiner Gemahlin, nicht mehr standesgemäß scheinen!" Weber durch die AnSruse des Erstaunens, die laut wurden, »ock durch daS Kopsschütteln seiner Zuhörer ließ sich der Syndicus unterbrechen; man merkte ihm die Freude an, mit der er in seiner Erklärung sortsuhr: „Sie erinnern sich, daß unser städtisches Oberhaupt mit der in einfachster Art erfolgte» Anmeldung unserer neuen Mit bürgen», der Frau Gräfin WolsSeck, nicht zufrieden war. Der Bürgermeister mag ja reckt haben, wenn er die be stehenden Vorschriften befolgt wissen wollte, wenn er beweisen wollte, daß vor dem Gesetz Alle gleich sind. Aber es war doch wohl nicht gerccklscrligt, daß'er Schritte that, die ib» noch obenhin mißliebig machen könne». Nun — ick und auch die anderen Rathsherre», wir können unsere Hände waschen, wir sind frei vo» jeder Mitschuld, wenn eine gewaltige Nase kommt. Herr Brand hat nämlich die Gräfin durch den G-- nicindediener aussordern laste», sich innerhalb vierundzwanzig Stunden darüber a»szuweisen, daß sie mit Fug und Recht Titel und Namen einer Gräfin sübrt. Ich sage ausdrücklich, Herr Brand hat an die Dame diese Forderung gestellt, denn als Bürgermeister konnte er einen so folgenschweren Schritt doch nickt thnn, ohne vorher dem Collegium davon Mit- lheilung zu machen! „Sie glaube», daß der Bürgermeister deshalb heute nicht hier ist?" fragte Heppler dazwischen. „Ach waS! — Lasten Sie mich doch auSreden!" meinte der SyndicuS ärgerlich, „Sie bringen Einen ja nur aus dem Text. Brand bat Gewaltmittel angewandt, wo ein Anderer diplomatisch vorgeqangen wäre, und das hat unangenehme Folgen gehabt. Er hätte eS so machen sollen wie ick. Ich habe mich so ganz unter der Hand bei Bekannten in der Resiven erkundigt und weiß nun genau, daß die Gräfin Wols-ec 'sin. wirklich eine Gräfin ist. nicht eine Theaterprinzessin, wie deS Bürgermeisters Damen behaupteten. — Ja, ja, — sehen Sie mich nur nicht so erstaunt an. meine Herren! Wir haben auch unsere Verbindungen in der Hauptstadt, wenn ich auch nur ein einfacher Gewerbetreibender bin und eine Frau ge- heirathet habe, die nicht Hochgeboren ist. — So erfuhr »ch also, daß die Gräfin Wiltwe de« Generals Wolsseck ist, ihren einzige» Sohn vor Jahre» verloren hat und seitdem in der größte» Zurückgezogenheit lebte. Es sollen in der Familie wunderbare Dmgc vorgekonimcn sei», durch welche die Witlwe ganz meiischenschcu und schwcrmüthig geworden ist. Deshalb bat sic auch unser stilles Städtchen zum Wohnsitz gewählt. Nun Paste» Sie ans, meine Herren, jetzt koinmt die Haupt sache! Mein Freund schrieb mir, daß die Wolsseck S mit dem Sohn der Gräfin anSgesioiben sind. Nur eine Cousine des Generals soll nock leben, die sich von Stricken und Nähen kümmerlich ernährt. Eine Schwester dieser armen alten Jnngscr ist an eine» heruntergekommenen Adligen verheiralhet gewesen, der als Falschspieler und Betrüger verrufen war und bei Nacht und Nebel nack Amerika auS- wanderte, wo er auch gestorben ist. Dieser Mau» war ein Baron v. Harder. Der Name machte mick stutzig; ich dachte gleich an unsere Frau Bürgermeisterin, die ja auch eine geborene v Harder ist. Eine zweite Anfrage a» meinen Be kannten— der, nebenbei gesagt, Kammerdiener eines Ministers ist — wurde mir ausführlich beantwortet. Jener in Amerika verstorbene Baron v. Harder ist in der That der Vater der Frau Beatrix Brand gewesen, deren Mutter schon vor langen Jahren starb. Meine Frau und ich konnten nun der Frau Bürgermeisterin beweisen, daß die geheimnißvolle Dame, über die sich alle die Köpfe zerbrochen hatte», ihre Verwandte sei. — Na — daS Gesicht liätten Sic sehen sollen! Wir ließen sie zuerst rubig bei dem Glaube», die alte Dame sei wirklich eine ehemalige Opernlängcrin. Fräulein Iustiane fand Zeit genug, um uns zu zeigen, wie die Person, anders wurde die Gräfin von den Beiden nicht genannt, sich bewege, wenn sie in ihrem Garte» spazieren gehe, wie sie gesungen habe und wie sie sich kleide. Dann fragte meine Frau die Bürgermeisterin nach ihrer Mutter und nack ihrer Tante. Von der Letzteren wollte Frau Brand nichts wissen. Sie spitzte aber die Ohren, als sie hörte, diese Tante sei die einzige E»bin einer reichen alten Dame. Gelb und grün vor Aergcr wurde sie dann, als ich ihr den Brief zeigte und sie nun mit eignen Augen lesen mußte, daß die soeben noch Verspottete ihre Verwandte sei. Und durch uns mußte sie daS erfahre», sie. die immer mit ihren adelige» Bekannt sckaste» und ihrer vornchnieu Familie geprahlt hat! Wissen Sie, was nun kommen wird? Die Brand wird sagen, sie sei stets sür die Gräfin eingetrete», nur ihre Bescheidenheit habe sie veranlaßt, vo» der Verwandtschaft nickt zu spreche»; der Umgang mit ehrbaren, einsacbcn BürgeiSsraucn wird ihr nickt mehr Pagen, ihr Mann wird seine» Schoppen hier nickt mehr trinken dürfen, das hieße ja die adlige Familie, in die er gehcirathet. cvmpromittiren. Pasten Sie aus, so konimt's — nur so kann der Bürgermeister sich den Frieden im Hause wieder Herstellen, denn da breiint'S heute!" Flüsternd, tuschelnd und lackend steckten die erstaunten Zuhörer die Köpfe zusammen. Keiner wußte so recht. waS >l>» vo» der Erzählung deS SyndicuS Blomeyer mehr inter cssirt halte, ob eS die Enthüllung der bisher so geheiinniß vollc» Person der Gräfin war, oder ob die Vermandtschast deS Bürgermeisters mit der reichen und vornehmen Dame wichtiger sei. Jedenfalls gvnnle Jeder den Brand'« die ihnen geworrene Deinüthigung von ganzem Herzen, daS bewiesen die laut werdenden Bemerkungen zur Genüge Nur den langen Heppler schien ein anderer Gedanke zu beschäftigen Er hatte eine Weile schweigend vor sich hingestarrt und mit seinen knochige», dürre» Fingern auf der Tischplatte herum getrommelt. „Die Frau Bürgermeisterin ist also die einzige Verwandte der Gräfin?" fragte er den Syndicus. „Sie sagten dock, die Tanke der Frau Brand sei unvcrhcirathet. Dann muß ja daS ganze Wolsscck'sche Vermögen einmal unser», Bürger meister Zufällen? Dann ist ja Fräulein Iustiane eine Erbin?" „Wahrscheinlich — aber das hängt wohl davon ab, wie die Gräfin über die Verwandle» denkt, ob cs diesen gelingt, ich bas Wohlwollen der reichen Dame zu erwerben. Die Gräfin könnt- ja auch ein Testament machen —" ,DaS wäre anzufechte», wenn die Familie Brand ganz enterbt würde!" siel Heppler ei». „Haben Sie Absichten?" fragte Blomeyer. „Absichten? — Absichten? Ich verstehe nicht, waS Sie damit sagen wolle». Ich bitte Sie aber dringend, meine cho» lange gehegten Gefühle in Bezug aus Fräulein Iustiane Brand nicht zum Gegenstand Ihrer Scherze zu machen. In der Beziehung bin ich sehr empfindlich und könnte unangenehm werde»!" Blomeyer hatte die Hand erhoben, ui» seiner Nase eine neue Prise zuzusühren; Erstaunen und Verwunderung schienen aber seinen Arm zu lähmen, er ließ ihn wieder sinken. „Also doch!" murmelte er und fuhr dann lauter, wie ausmnnternv, fort: „Versuchen Sie Ihr Heil, Freundchen! Vielleicht haben Sic Glück. Wer das hat, führt ja die Braut beim. Sie sind ein ansehnlicher, hübscher Kerl, und die Brand's brücken wohl ein Auge z», so daß sie Ihre bürger liche Geburt nicht sehen. Fräulein Iustiane zeigt Ihnen gewiß die Wahrheit des Sprichwortes: Alte L>ebe rostet nicht!" Heppler hörte nicht mehr auf die beißenden sarkastischen Bemerkungen, die nun von allen Seilen wie ein Sprühfeuer ick aus ihn richteten. Er stülpte seinen Hnt aus und ver ließ, ohne vorher nock von dem kaum berührten Wein zu trinken, den „Rothen Stern". „DaS habe» Sie gut gemackt, Herr CyndicuS!" ries Blomeyer'« Nachbar aus. „Pasten Sie aus. der Heppler geht jetzt geraden WegeS zu Brand'S und versucht es, ob er das srüher verschmähte Glück noch wieder erjagen kann!" Blomeyer nickte beistimmcud. „Und in den „Stern" wird er nicht wieder kommen, ehe der Bürgermeister ihm nicht mit gutem Beispiel vorangeht", sagte er. Die meisten übrigen Gäste beeilten sich nun auch, ihre Gläser ouszutrinken. ES war heute weniger die Mittags glocke, die sie zum Ausbruch mahnte, als vielmehr daS Bebürsniß, sür die Verbreitung der ^Neuigkeiten, die inan erfahren hatte, zu sorge». Wie ein Alp lag die schwere Last aus Jedem. Wilken und Gronau hatten kein Wort von der Unter haltung verloren; Blomeyer's Organ war laut genug ge wesen, um in dem ganzen Gastzimmer gehört zu werden. „Das ist heute ein Fressen sür die Maifelder", lackte der Doctor. als auch der Syndicus gegangen war. „Nun können sie wieder nach Herzenslust über ihre lieben Nächsten her ziehen. Der dicke Brand mit Frau und Tochter, die Gräfin mit ihrer ganzen Familie, der Heppler — sie Alle werden von den spitze», scharfen Zungen so sei» säuberlich zerlegt werden, wie cs nur daS Secirmcsser deS geschicktesten Anatomen vermag. Na — die Menschen vertreiben sich eben ihre Lange Weile, so gut sie können!" Der Maler sah schweigend in sein leeres GlaS. „An was denkst Du denn, Fritz?" fragte Wilken. „Du machst ja ein Gesicht, als ob Du sür jedes Wort. daS die Lästerer heute noch spreche», zur Verantwortung g-zoge» werden sollst!" „Ich dachte an die Gräfin Wolsscck", erwiderte Gionau „Die Frau ist zu bedauern! Deutet nicht Alles, waS wir heute gehört haben, daraus hin, daß sich in ihrer Familie eine Tragödie abgespielt hat, deren Nachwirkungen sie bemit- leidenswerth machen?" „Du legst Dir wohl schon ein Motiv sür ein neues Bild zurecht, auf dem die Gräfin als thränenreiche Niobe den Untergang der Ihren beklagt? Freundchen ergib Dick nicht der Sentimentalität! Die würde zu Deinen rotben Backen ebenso schlecht Pasten, wie zu meinem ganzen Gestell die Eitelkeit! Und die Gräfin bedauern? — Weshalb? Sie tiägt wahrscheinlich die Schuld, wenn in ihrer Familie Alles drunter und drüber ging. Adelsstolz. Geldstolz, die Menschheit erst mit dem Baron ansange» lastend, so ist mir diese Gräfin vorgekommen. Ich frage nur ganz höflich an — Tu mußt doch eingestehe», daß ich sehr höflich war —, ob sie nickt für ein paar Waisen einen Griff in ihre» großen Geldbeutel thun will, und sie kommt gleich mit einem Nein, das cin.r verbaliter ansgctheiltcn Ohrfeige glich! DaS war nicht hübsch vo» der Gräfin, wahrhaftig, nicht hübsch!" „Ich hätte mich ja auch gefreut, wenn die Gräfin Dir in Deiner Sorge um die Kinder geholfen", meinte Gronau nun, indem er seiner Stimme einen gleichgiltigen Ton zu gebe» versuchte. „Vielleicht findet sich »och eine Gelegenheit, bei der wir daS Interest- der alten Dame sür die Armen erregen könne». Ich glaube bestimmt, wenn sie die älteste Tochter nur einmal sieht, so wird sie sich sür dieselbe er wärme». Tie Schönheit ist ja ein Paß, mit dem sich ein Mädckcn leicht in daS Herz einer allen Frau einschlcickt!" „So? — Meinst Du?" fragte Wilken gedehnt. „Ich möchte aber auch nicht, daß daS Mädchen durch die Vorzüge seines Acußeren sich in eine bessere Lage bringt. Wenn ein Weib seiner Schönheit wegen Hilfe in bedrängten Verhält nisse» findet, so wird cs dadurch wider Wille» prostituirt! Soll ich die Hand dazu bieten, daß meine Pflegebefohlene a»S ihrem Gesicht Capital schlägt? Laßt mir nun sckon die Sorge allein! Frage überbaupt nicht mehr nack den Müller'- schen Kindern, wenn ich Rath gebrauche, werde ich mich zu rrst an Tick wenden!" „Ich werde Dir sür diese» Beweis Deines Vertrauen» verbunden sein und »ach beste» Kräfte» meine Weisheit leuchte» lasten", erwiderte der Maler, unter einem gezwungenen Lächeln seine Verstimmung über die ihm von dem Freunde gewordene Zurückweisung verbergend. „Wo willst Du aber jetzt hi», Fritz?" fragte er bann, als er sah. daß sich der Doctor zum Ausbruch rüstete. „Esten wir denn nicht zu sammen ?' „Nein! Du weißt dock, daß heute Nachmittag die Wittwe Müller begraben wird, da habe ich noch Einiges zu besorge». Der Appetit ist mir überhaupt vergangen! Iß Du nur allein! Apropos, einen Gefallen könntest Du mir thnn, komme uni fünf Uhr in das Sterbehaus und folge der Leiche. Außer uns Beiden und de» Kindern wird wohl Niemand da sein, der der Todten die letzte Ehre erweist!" (Fortfetzung folgt.) Circus Corly-Althoff. * Leipzig, 16. September. Gestern Abend öffnete» sich di- Pforte» des CircuS in der Alberthalle zu neuem equeslrischc» Schauspiel: Corty-A lthoss hatte seinen Einzug gehalten und gab eine Vorstellung, die sowohl a» Reichhaltigkeit der Nummern, im Wechsel künstlerischer Erscheinungen, als auch und vor Allem an Leistungen in der höheren Pserdedrestnr vielfach ans diesem Gebiete Geschautes überwog. Ein reick anSgestatteteS Programm, besten Inhalt jedem Geschmack Rechnung trug, lag der Eröffnungs-Vorstellung zu Grunde, natürlicherweise und berechtigterweise stand, wie eS bei Corty-Althoff nicht anders zu erwarten ist, im Mittelpunkte de« AbendS die Vorführung einer Anzahl wohlvressirler und zu seiner Arbeit in der Manöge auSgebildcter Pferde. Herr Pierre Althofs, ei» straffer Reiter, führte in der hohen Schule den auS dem königl. württcmbcrgischen Ge stüt stammende» (auch in der Ausstellung zu Düsseldorf mit Lein ersten Preis ausgezeichneten) arabischen Rapphengst „Nheingold" vor. Die hohe Dressur zeigte sich in dieser Nummer im glänzendsten Lichte, sie ließ erkennen, wclcke Wunder im Hirne eine» Pserdekopfes verborgen liegen. E»>e starre Schnlmeisterhand zügelte das edle icnipcramentvollc Thier, auS Gelehrigkeit und Vernunft entsprang eine Arbeit, die sowohl beim kurzen Galopp in seinen, Rhythmus, als auch in den Momenten frappirte, als daS schöne Thier auf einer Stelle zu tänzeln begann, als eS, die Manegebrüstung be steigend, den rechten Bordersuß gleichsam winkend nach vorn streckte, als eS kniete und endlich als cs in eine die Beine kerzengerade vorwärts bewegende Stellung, in eine Art Parademarsch überging. Aus dem Springpferd „Champion", einem englischen Wallack, ritt Frl. Adele Althofs. Mil leichter, eleganter und gewandter Hand leitete die junge Dame daS Thier, forderte das ganze Feuer und die volle Schnelligkeit deS Renners in die Schranke» und führte ihn bei tadelloser graziöser Haltung über alle Hindernisse. Emen wundervollen Anblick bot eS, als Herr Pierre Althofs acht in Freiheit bressirte Trakehner Rapphcngste in den Cirkel führte; welch eine Gesckineidigkeit lag in diesen edel gewackscne», sormsckön gebauten Thiere». welch eine Vereinigung von Kraft mit der Biegsamkeit der Glieder und Sehnen! Sie folgten sämmllich aus den leisesten Wink ihres Gebieters — die lange Bahn- Peitsche hatte nicht nölhig, das Tempo zu regeln —, sie spa zierte» rund aus der ManLgcbrüstung, bäumten sich niit einem Schlage empor oder drehten sick, wie im Walzer, rasch um die Bahn. Es schien, al« ob ihr Herr und Meister in magnetischem Rapport mit ihnen stünde, so willig und so exact entsprachen sie seinen Befehlen. Zum Schluß ihrer Vorführungen machte» vier der Thiere eine Waqenprvmenade. Eins setzte sich bequem in de» riesigen, rothe» Plüschstuhl der Equivage, da« cmdere zog. und die beiden letzten begleiteten als Lakaien daS sonder bare Gesäbrt. Vor dieser Nnmmer führte Herr Pierre Althofs seine „Lucia". e»re schlank gebaute ungarische Vollblul-Schimmelstute, Senner Raste, vor, bei welcher vor Allem die vortreffliche Gangart und die hohe Gelehrigkeit z» bewundern war, mit welcher daS schöne Thier unter den Bogen ging und durch die Reisen sprang. — Eingeslocklen in die Vorstellung war eine Reihe schöner gyinnastischcr Reiterstücke, denen die animirte Zuschauerschast mit hohem Wohlgefallen folgte: Fräulein Louise Gicrack schlug verwegene Salti aus dem Pferde, während FräM^u Louise Renz, eine anziehende freundliche Erscheinung von kräftigem Wuchs, Bänder nahm und in Pirouetten ihre Kunst zur Darstellung brachte. Als einen ganz pcrsecten Reiter lernte da« Publicum den Jockey-Rciter Mr. Arsäne Loyal kennen. Wie er aus dem blanken Rücken tcS galoppircnde» Ps-rdeS stehend sich bewegt, wie er wiederholt in raschem Umlauf vorwärts und rückwärts das Thier in glcicker Stellnng aufspringend erreichte und diese schwierige Position aus dem schwankenden Rücken desselben bebauptele, da« waren Achtung vor solcher Kunst einflößenre Leistungen, wie sie kaum bester erreicht zu werben vermögen. Neben ihm brillirtc am ersten Abend der muskulöse Salto- »lortale-Neitcr Mr. Franconi, eine wahre Herkulcsgestalt zu Pferde, der eS indessen nickt an der nölhigen Geschmeidig keit mangelte, wenn r« galt, den Körper bei vollem Laus de« Pferdes in der Lust noch durch Reisen zu wirbeln. Eingefngt war in die Vorstellung daS Auftreten des Schlangenmenschen Herrn Geni, ein „modernes medicinischeS
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