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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809191
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880919
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880919
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-19
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1888
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Erste Geilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger Z° 26L. Mittwoch den 19 September 1888. 82. Jahrgang. Der gute voctor. !v. Erzähluog von I. Isenbeck. Na-druS »krtoteu. (Fortsetzung.) Gronau war wieder allein und schritt in dem Salon überlegend aus und ab. „Eine angenehme Commission ist e« gerade nicht, die mir La zugcschobrrr ist", sagte er sich. „Ich hin hierher gekommen, um ein Bild zu malen, aber nicht, um alS Agent in delikaten Familienangelegenheiten gebraucht zu werden, Frau Gräfin! WaS würde Erich wohl für ein Gesicht machen, wenn er wüßte, welche Situation mir bevorsteht? Heiliger Raffael! — wie hat mich der gute Kerl vor der ganzen Maiselver Sippe gewarnt, und nun kommt das Verhärrgiriß und stößt mich erbarmungslos in den tiefste» Abgrund der kleinstädtischen Klatscherei! Auch ich kann meinem Schicksal nicht ent gehen. — Jetzt heißt eS, der Gräfin, die hinter den Coulissen bleiben will. Ehre machen! Wie entledigeich mich am besten uieineS Auftrages? Faste ich die ganze Geschichte scherzhaft aus, oder trete ich den beiden Damen niit dem größten Ernst entgegen? — Jedenfalls fei diplomatisch, Fritz!" Gronau wurde in feinem Selbstgespräch unterbrochen. Der alte Friedrich kam und meldete ihm mit aller Förm lichkeit. daß die Frau Bürgermeister Brand mit ihrer Tochter. Fräulein Justiane Brand, in wem ersten Salon warteten. Der Maler folgte dem Diener dorthin, der vor ihm mit allem nur möglichen Aplomb die Tbürcn auswarf und dann die Drei allein ließ. Frau Brand und ihre Tochter bemerkten nicht gleich Gronau'S Eintreten, sie waren ganz durch die Besichtigung des kostbaren Mobiliars, der Gemälde an den Wänden und der modernen Nippcl in Anspruch genommen; dabei sandcn sie aber doch noch Zeit, bald an der eignen, bald an der Toilette der andern herumzuzupfen. hier eine Falle zurecht zulegen, dort eine Schleife zu ordnen, auch der hohe Spiegel über dem Kamin wurde dabei häufig benutzt. Gronau konnte so die Damen auf daS Genaueste mustern. Die knochigen, trockenen Figuren waren rbrrr schon oft aus der Straße ausgefallen, besonders durch die sorc>rte Art. mit der sie in ihren Bewegungen und in ihren Anzügen eine Jugendlichkeit heuchelten, die auch für die Tochter schon längst entschwunden war. Wie immer war Frau Brand ebenso gekleidet wie Justiane, Stoff, Schnitt. AuSpiitz der Kleider waren bei Mutter und Tochter dieselben, ohne Zweifel wollte die Elftere gern von Unbekannten für eine t.liere Schwester der letzteren gehalten werden. Alle» An forderungen der neuesten Mode wurden die Beiden gerecht. Gronau hatte eS schon häufig beklagt, daß die launische Mode so wenig malerisch wirkte; er söhnte sich aber mit mancher Extravaganz wieder aus. wenn er sah, daß sie einem frischen Mäbchengesicht oder einer reisen Schönheit doch auch noch neuen Reiz geben konnte. Hier aber, bei den beiden Frauen, die jetzt vor ihm standen, kamen ihm die Kleider mit der Menge von Falbeln und Rüschen, die Hüte mit der Ueberlast von Blumen und Federn wie eine tolle Caricalur der weiblichen Tracht vor. Er empfand, baß in der Toilette einer Frau eine beständige Offenbarung des intimsten Ge dankens, eine beredte Sprache, ein deutliches Symbol liegt. Justiane hatte sich wieder dem Spiegel zugewandt, üm sich zu überzeugen, daß an ihrem Anzug, ihrer Frisur und dem künstlichen zarten Roth aus den stark hervortretenden Backenknochen Alles in guter Ordnung sei. Mit Erstaunen sah sie in dem glänzenden Glase neben dem eigenen Bilde das eines bärtigen ManneS austauchen. Einen leisen AuSrus der Ueberraschung konnte sie nicht unterdrücke», sie senkte auch verschämt den Kopf; beides war aber mehr der Ausfluß einer rassinirten. wohl einstudirtcn Koketterie als einer unbefangenen Natürlichkeit. War eS ihr dock zugleich möglich, der Mutter mit rem Sonnenschirm einen fühlbaren Wink zu geben, daß sie ihre Aufmerksamkeit einem anderen Gegenstände zuwenden müsse. Diese war ganz in die Prüfung de« Svpyabezuges von gepreßtem Sammet versunken; wie eine Trödlerin, die ci» gutes Geschäft zu machen hofft, schätzte sie in Gedanken den Stofs aus seinen Werth ab. AlS Frau Brand sich jetzt nmwandte und Gronau sab, fand sie sich schnell in die Situation. Sich breit und mit Ostentation aus das Sopha hiiipslanzend, klappte sie ihren großen schwarzen Fächer ein paar Mal auf und zu, griff dann »ach der Lorgnette, die an einer dünnen, unecht erscheinenden Kette über ibreu flachen Buse» Herabbing, um Gronau mit einer hochmütbig gezierten Miene anzustarren. „Ah — Sie sind ja wobl der Herr, der für meine Tante, die Gräfin Wolsseck, malt?" sagte sie. die Worte ans der Zungenspitze durch ihre gelben Zähne balancirend. „Mein Geniahl, der Bürgermeister, hat mir viel Lobendes von Ihnen erzählt, und Justinchen, meine Tochter, entsinnt sich auch, ein Bild von Ihnen gesehen zu haben, als sie im vorigen Winter zum Besuch bei Verwandten in der Residenz war." Gronau machte eine leichte Verbeugung, welche Frau Brand alS einen Beweis ansah, daß sie dem jungen Mann imponirte. „Meine Tante soll ja auch reckt zufrieden mit Ihnen sein wie ich höre", fuhr sie fort. „Wenn Sie eS verstehen, den Geist, den Charakter in einem Portrait so recht wieder zugeben, wie eS die Bilder der alten Meister thun, so werde ich Ihnen vielleicht den Auftrag geben, meine Tochter zu malen!" Gronau konnte nicht umhin, JustianenS Züge genauer zu betrachten; er hatte nicht eine Spur von Geist oder Charakter in denselben gesunden. Frau Brand schrieb sein Schweigen der Verlegenheit zu. in die sie ihn durch ihre Zweifel an seinem Talent gestürzt hatte. „Verlieren Sie nur den Muth nicht, Herr Gronau — so heißen Sie ja wohl, nicht wahr? — mein Gemahl er wähnte gestern Ihren Namen — verlieren Sie den Muth nicht! Ich werde wohl daS Bild meiner Tochter von Ihnen malen lasten, wen» Sie auch meinen Anforderungen nicht ganz genügen können. DaS Portrait Justinchen» — ein Brustbild halten Sie doch auch für angemessener al» ein Kniestück oder ein Bild in Lebensgröße? — habe ich für die Tante, die Gräfin WolfSeck, bestimmt. Ich glaube, daß eS meiner Tante Freude macht, wenn ich Ihnen, ihrem Schütz ling. auch eine Arbeit zukommcn laste!" Mit einer affcctirten Bewegung ihres Fächer- begleitete Frau Brand ihre Worte, berührte dann mit demselben deS Malers Arm und sprach, ohne sich zu unterbrechen, weiter: „Lasten Sie sich aber durch un» Ihren Pflichten nicht ab« lallen! Die Gräfin-Tante könnte ungnädig werben, wenn Sie hier den Liebenswürdigen spielen, unS unterhalten, statt zu malen. Sie müssen auch an sich felbst denken. Wie sagt koch ein Dichter so schön? Die Kunst ist lang, doch kurz ist unser Lebe» I Beherzigen Sie daS, junger Künstler, nur dann können Sie etwas Große» erreichen. Besuchen Sie unS ein mal deü AbenkS, wenn Sie Ihr Tagewerk vollbracht haben. Ich liebe ein Gespräch über die höchsten Ziele der Mensch, beit, zu denen ja auch die Erfolge der Malerei gehören. Sie werden sehen, daß wir in Maiseld, in der traulichen Ab geschiedenheit eine« kleinen Landsiädtchen« auch Antheil nehmen an Allem. wa» schön ist und den Geist bildet. Justinchen ein Lied erfreuen! — Aber ich halte Sir aus. Herr Gronau Gehen Sie zurück an Ihre Staffelei. Wir werde» hier auf die Frau Gräfin warten." N>»> erst wacht« Frau Brand «ne Pause, in der Gronau zu Worte kommen konnte. Die Frau Gräfin muß daraus verzichten. Sie und Fräulein Tochter zu empfangen!" sagte er. „Ich habe den unangenehmen Auftrag übernommen, Ihnen die» milzutheilen, da die Frau Gräfin leidend ist!" „Die Tante ist krank? Oh, dann wollen wir sie pflegen I" ries Frau Brand. „Davon sagte uns doch der Diener nicht», — nebenbei bemerkt, scheint der ein recht ungezogener Mensch zu sein, über den sich die Gräfin gewiß reckt sehr ärgern wuß. — Bitte, sagen Sie unS, wo wir die Gräfin findenI Justinchen, Du bleibst bei der Tante! ES ist ja unsere Pflicht, daß wir unserer licben Verwandten beistehcn!" „Die Gräfin WolsScck dankl für Ihren heutigen Besuch, wie für alle ferneren", fiel Gronau ein, „und ersucht Sie, auch ferner jede weitere Correspontenz cinzustellen. Bitte, unterbreche» Sie mich nicht, Frau Bürgermeister, damit wir möglichst schnell diese fatale Sache erledigen. Ick spreche im Aufträge der Gräfin. Die Gründe, weshalb ein Verkehr mit „Die Schlüffe, die ich daraus ziehe, bestätigen meine Ber- mulhurrgen", unterbrach die Gräfin den Maler, „Sie er» ganzen da- Bild, da» ich mir »ach den Briefen und nach Friedrich'- Beußerungen von den Frauen machte. Kann man eS mir verdenken, wenn ick durch solche Leute meine selbst- gewählte Einsamkeit nicht gestört sehen will? Bon verwandt schaftlicher Zuneigung kann keine Rede sein, wir kennen unS nicht. Familiknbandr giebt eS zwischen unS nicht, die sind schon von meinem verstorbenen Mann gelöst. Mein Gemahl mußte so handeln, rin Verkehr mit Betrügern würde ihn be- ichmutzt haben. Erst durch die schriftliche» Mrttherlungrn der Frau Brand habe ich erfahren, daß sie eine geborene v. Harder, die Tochter einer Cousine meine? Mannes ist. Hätte ich nun hoffe», können, daß Theilnahme mit einer alten, kranken Frau die Brand bewogen, zu mir zu kommen, einen Verkehr mit mir anziibabnen, so würde ich mit Freuden noch einmal den Versuch gemacht haben, ob Ihnen nicht gewünscht wird, sind mir unbekannt. Ich glaube j ich mich wieder an Menschen gewöhnen kann. Ick bätte aber, daß der leidende Zustand Ihrer Frau Tante, ihr Wunsch,. der Brand nicht nachgelrage», waS ihre Eltern gesündigt ganz in Ruhe leben zu können, Alles erklären und entschul- j haben. Aber unter solchen Umständen, wo mir Alles beweist, diczen Wird. Die Frau Gräfin wollte Ihnen persönlich sagen, j daß ich selbst ihr ganz glcichgillig, daß nur die Hoffnung, wie sehr sie eS bedauert, von ihrer gewohnten Lebensweise, mich zu beerben, d-r Hochmuth, sich alS eine Nichte der Gräfin nicht mrhr lassen zu können, aber sie ist, wie ich schon er-- Wolsseck auSgeben zu können, sie hertrcrbt, da soll ihr meine wäbnte, heute sehr angegriffen, ich glaube gar bettlägerig und VeSbalb " Frau Brand hatte die Farbe gewechselt; unter der Puder schicht sah man sie vor Aerger rolh werden; dann erblaßte sie wieder, und nur ihre spitze Nase behielt einen bläulichen Schimmer. „Und das läßt die Gräfin mir durch Sie bestellen?" unterbrach sie den Maler mit vor Wuth bebenden Lippen. Wer sind Sie denn? Sie stecken wohl mit dem Jesuiten, dem grauköpfigen Livröcmerrschcn. unter einer Decke? Oder" Thür verschlossen bieibc». Ta« wollte ich ihr beute selbst sagen, wenn ihr persönlicher Eindruck meinen Entschluß nicht geändert habe» würde. Nun habe ich nur hören können, sie sprach ja laut genug, um bis hierher verstanden zu werden!" Sich ousrichtend, subr die Gräfin weicher fort: „Ich möchte von Ihnen nicht für härter gestalten werben, als ich bin. Sie haben hier schon so viel Wunderliches gesehen und gehört, daß Sie wirklich de» Kops schütteln können. Aber glauben S>e mir. ick folge keiner Laune, wenn ich lebe, wie ich lebe! Wir ein leise» Flüstern kam eS über die Lippen der alten — die in allen ihren Erwartungen getäusckke und aus da» f Dame: „Ich leide, wie die ewig Verdammten leiden —" Tiefste gekränkte Frau strack in ein schrilles Lacken auS, daS Gronau wagte eS nicht, die Gräfin in ihrem Nachsinnen fast weinerlich klang — „oder sind Sie etwa auch ein Be dienter bei dieser verrückten Gräfin?" Gronau bewahrte seine weltmännische Rübe. „Ein Bedienter bin ick nickt, meine Gnädige", sagte er, „aber ich diene jeder Dame gern, vorausgesetzt, baß ich so bebandelt werde, wie eS unter gebildete» Leuten Sitte ist. DaS batte ich auch von Jbnen erwartet, Frau Bürgermeister! Sonst würde ick den Auftrag der Gräfin WoffSeck obgelehnt haben. Ich habe Ihnen eben ersparen wollen, daß Ihnen Von einem Diener hier die Tkür gewiesen wurde!" Jinpertinenlcr Mensch!" zischle Frau Beatrix Brand und fuhr von dem Sopha ans. „Komm. Justinchen, mein Kind, wir wollen aehcn, sonst vergreist sich der Mann noch thätlich an unS. Aber meine Meinung will ich ihm vorher doch noch sagen. — Wissen Sic. waS ich von Jlme» denke?" wandte sie sich an Gronau, „Sic sind ein Erbschleicher — ja, daS sind Sie! Sie wollen sich hier cinniste». Sie halten unsere Tante gefangen, verwehren unS den Zutritt zu ihr, um sie ganz unter Ihrem Einfluß zu behalten! Oh! mein sauberer Herr, ich durchschaue Ihre Machinationen! Aber denken Sie an meine Worte: Wir fechte» jedes Testament an. durch das unsere Rechte geschmälert werden!" Die Bürgermeisterin rauschte hinaus, ihren Fächer wie eine Mänade den Tl'YrsuS schwingend. Justiane. die gegen ihre Gewohnheit bis jetzt kein Wort gesprochen hatte, folgte der Mutter. Gronau hörte noch, wie die Beiden aus der Treppe in einen heftigen Wortwechsel geriethcn. „Dumme GanS!" gellt- cö im höchsten DiScant durch die stillen Räume, dann schloß sich die Thür hinter den Beiden. Der Maler sah den Frauen vom Fenster auS nach, als sie durch de» Garten gingen. Er mußte lachen, als er der Drohung der Bürgermeisterin gedachte. Und doch fühlte er etwas wie Mitleid für die schwer Gekränkte, in ihren Er wartungen Getäuschte. Der alle Friedrich war wieder eingetretcn. „Gott sei Dank", sagte er. vor "Vergnügen die Hände reibend, „die wäre» wir loS für immer, die werde» sich nickt wieder seben lasten! Herr tu meinkS LrbenS! — was bat die Frau für rin Mundwerk! — Aber, bitte, kommen Sie mit mir, Herr Gronau! Die Frau Gräfin er wartet Sie." * * » „Ick danke Ihnen!" Schon einmal halte Gronau diese Worte von der Gräfin Wolsseck gehört, auch jetzt wieder übte der Wohlklang der Stimme, die ganze Art, wie sie sprach, einen wahren Zauber auf ihn auS. Die alle Dame empfing den Maler in dem kleinen unwobnlichen Zimmer, aus einem Ruhebett liegend, besten harte Polsterung und starrer schwarzglänzenver Bezug keinen Gedanken an Bequemlichkeit auskommen ließ. Bei Gronau'S Eintrelen hatte sie sich bald erhoben und ihm ihre weiße schmale Hand enlgegengestreckt. „Sie haben mir einen großen Dienst geleistet!" fuhr sie, wie kraftlos sich wieder zurücktehnend, sork. „Ich kann beute keinen Schritt aus diesem Zimmer thnn und will keinen Fremde» sehen!" „Um so mehr weiß ich dann den Vorzug zu schätzen, der mir durch die Ehre wird, daß Sic, Frau Gräfin, mich hier empfangen!" siel Gronau ein. „Ich habe mich säst daran gewöhnt, in Ihnen einen Haus genossen zn sehen, kann darin wohl ein Vorzug liegen? Kann ein Hau», wie daS meine, dem gegenüber vielleicht ein Kloster, ja ein Gesängniß noch heiter erscheint, irgend etwas An ziehendes für einen lebensfrohen junge» Mann haben? Jede Antwort daraus erlaste ich Ihnen, Ihre Uebcrzeugnng würden Sie ja doch nicht aussprechcn!" Ein schmerzliches Lächeln flog über daS bleiche Gesicht der Gräfin; sie deutete aus einen der plumpen Holzstühle und sprach dann weiter „Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Gronau! Ich bin Ihnen eine Aufklärung schuldig, weshalb ich die Frau deS Bürger meister« Brand und ihre Tochter so behandle. Aber sagen Sit mir zuerst offen, welchen Eindruck die beiden Damen aus Sie gemacht haben!" Die unerwartete Frage frappirte den Maler, er schien sich nickt gleich darüber klar zu werden, wie weit er seine Meinung aussprechen konnte, ohne Anstoß zu erregen. „Ich soll ein Urtheil über Damen fällen, gnädige Frau", sagte er ausweichend, „die »och dazu der gräfliche» Familie angebören?" Die Gräfin WolsScck »ickle bejabeno. „Ich möchte gern wissen, ob der Friedrich recht bat", fügte sie erklärend hinzu „Menschenkenner diu ich nicht", meinte nun Granau, „ich habe mich »>e bemüht, au» der Art und Weise, wie ein mir zum ersten Mal Begegnender spricht, sich bewegt oder sich kleidet, Schlüffe aus seinen Charakter zu ziehen. Als Maler habe ich mir angewöbnt, die Mensche», niit denen ich nicht in näberen, Verkehr stehe, nur aus ihren äußeren Effect zu betrachten!" „Da» genügt mir! Welchen Eindruck haben Sie also von dem Aeußeren der beiden Frauen gehabt?" „Keinen angenehmen, Frau Gräfin I Der Anzug, die Be> weguiigen der Damen waren nicht malerisch, weder den Jahren angemessen, noch in die geringste Harmonie mit den Figuren oder den Gesichtern gebrockt ! Da« sprrche ich nur von meinem Standpuncte al« Maler au». AlS Mann muß ich mir noch die Bemerkung erlauben, daß sie Frau Bürger, meister Brand die Grenzen edler Weiblichkeit für sich sehr weit gezogen zu haben scheint. zn stören, die den Kops in die Hand gestutzt hatte und starr vor sich hinsah. endlich schien sie sich gewaltsam von quälen den Gedanken loSzureißen „Ich habe gehört, daß Sie daS Bild meines SvhncS noch einmal umarbsiten wollen", sagte sie mit voller Nube. „Alten Leuten geht eS wie kleinen Kinvern — beide werken leicht ungeduldig, wenn sie lange aus Erfüllung ihrer Wünsch warten muffen! Aber ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf, ich werde Sie nickt drängen. Es ist mir beinahe lieb, daß Ihr Werk Sie nicht ganz befriedigt hat, daß meine Geduld aus die Probe gestellt wird Nun kann ich Ihnen doch noch eine Weile Zusehen, wenn Sie malen!" AlS Gronau daS HauS der Gräfin verließ, batte er die unangcnebmc Begegnung mit der Frau Bürgermeister Brand säst vergessen. Wie sänstigendeS Oel hatte die letzte Unter Haltung aus die ätzenden Worte gewirkt, die er vorher hatte hören müsse». Die Freude, die er euipsand, daß er nun noch länger in Maiseld bleiben konnte, wurde durch keinen Mißklang in seinen, Innern getrübt. Er fühlte sich dabei durch de» Gedanken noch gehoben, daß er vielleicht mit dazu beitragen könne, die Gräfin WolsSeck ihrer krankhaft trüben Stimmung zu entreißen. VI. Capitel Frau Beatrix Brand war noch knochiger und gelber ge worden; ihre hastigen Bewegungen, die schnelle Art, in der sie sprach, das Funkeln ihrer Augen, Alles zeugte von der Wuth und dem Aerger, die in ihrem Innern tobten und gährte». In dem bürgerineisterlichcn Hause hatte Niemand eine ruhige Stunde. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend wurde gezankt, gekeift und gesckollen. Seit dem letzten verunglückten Versuch, ihre gräfliche Tante zu sehe» und zu spreche», hatte die Frau Brand ihr HauS noch nicht wieder verlassen, sie scheute sich, mit der Blomeycr oder einer ander» ihrer ehemaligen Freundinnen zusammenzlitrcffen. In ihrer Eitelkeit schon dadurch auf daS Tiefste verwundet, daß Andere ihr batte» sagen müssen, wer die als Theaterpriiizejfi» Verlachte war. glaubte sie, ein böbnische- Bedauern, weil die Gräfin sie abgewiescn, nicht überleben zn können. Daß die ganze Stadt wußte, wie es ihr bei der WolsSeck ergangen, daran zweifelte sie nicht, sie konnte fick nicht verstellen, daß der schwarzbärtige Maler darüber schweige» würde. Einen Gedanken, wie sie sich auS ihrer Verlegenheit ziehen, die Spötter zum Schweigen bringen und die ihr gebührende Stelle unter MaiscldS Damen wieder erringen könne, hatte sie noch nicht gefaßt. Vorläufig war eS ihr weit wichtiger. Jemand zu finden, den sie zum SUnbenbod machen konnte. Zuerst hatte sich die übervolle Schale ibreS Zorneö aus deS beklagcnSwerthcn Gallen Haupt ergossen. Die Gräfin-Tante wollte eS nun und nimmermehr verzeihen, baß ihre Nickte sich so weit vergessen hatte, einen Bürger lichen zu beiratheu, ein Fall, der in de» Familien WolsScck und Harder noch niemals dagewescn sei, sagte sie. Diese Einleitung schon ließ de» Bürgermeister zittern, er wagte keine Entgegnung. Um so mehr tobte die Frau. „Ich bin ein verralheneS, verlassenes, unglückliches Wesen", jammerte sie „Für einen solchen Mann habe ich meinen Namen, meinen Stand, meine Familie, Alles, Alles dahin- gegcben, weil ich tböricbt genug war, an seine Liebe zu glauben! Zum Dank für nieinc Opfer bat er mich betrogen und hintergangen! Ja, daS bast Du, Du Barbar? Du Tyrann! Neve kein Wort, entschuldige Dich nicht. Hast Du e« nickt so weit gebracht, daß mir meine Tante nun die Thür ge wiesen? Trägst Du nicht die Schuld, daß daS ganze Mai selver Pack noch v-rlacbt und verspottet? Du hast eS Voch gewußt, daß die Gräfin WolfSeck meine Verwandte ist." „Keine blaffe Ahnung hatte ich von Deinen Verwandt schaften. Nur von Deinen sauberen Herrn Vater habe ich gehört", knurrte der Bürgermeister und setzte halblaut hinzu: „von dem allerdings mehr, als mir lieb war!" „WaS?" fuhr nun die Frau aus. „Du willst meinen Vater schlecht machen? Wenn der Tod ihn mir nickt zu früh entrissen hätte, dann wäre ich nie in ein solches Elend ge kommen. Nie. nie hätte mein Baker eS zugegeben, daß ich einen Mann, wie Du bist, heiratbete." Christian Brand hatte diese AeußSrung seiner Frau in der langjährigen Ehe schon so oft gehört, daß er von der Nutzlosigkeit einer Widerlegung vollkommen überzeugt war. Er hielt eS für besser, zu schweigen, und ging pseisenv in der Stube ans und ab. Nun brach Beatrix in Thränen aus. aber auch die versebllen ihre Wirkung aus den Mann, er griff nach seinem Hut und wollte daS HauS verlassen. „Ich gehe in mein Bureau", sagte er. Frau Beatrix trocknete ihre Augen. „Gott sei Dank", lachte sie aus. „Mir wäre eS lieber, wenn Du überhaupt nie mehr zurück kämst! Eins aber sage ich Dir: Laß eS Dir nicht einfallen, in den „Stern" zu gehen und Dein liederliches Leben wieder anzusangen. Du weißt ja so wie so nie. wa« Du sprichst, und würdest in Deiner Dummheit fähig sein. Deine eigene Schande unter die Leute zu bringen. Wenn ich höre, daß Du Jemand er zählt hast, nie w,r mit der verrückten Allen stehen, so sollst Du mich kennen lernen!" Der Bürgermeister war sroh, so leicht davoiizukcmmen; eilig schlüpfte er auS dem Hause und athmete wieder frei aus. Wie ein Pudel seine Tracht Schläge, so schüttelte er Aerger und Verdruß ab unv ging mit der Miene rine- Manne». der sich der besten Laune und Verdauung erfreut, der die Liebe und Verehrung seiner Familie, die Achtung seiner Mitbürger genießt, dem Rathhause zu. Daß ihn dort keine Ueberlast von Arbeit erwartete, wußte er; die Dinge iu Maiseld gingen jahrein jahraus ihren altgewohnten Gang, die täglichen Geschäfte erlaubten eS sogar dem AmlSschreiber, die Zeit gähnend und gelangweilt zu verträumen. In dieser Beschäftigung wurde der Sccretarr auch jetzt durch daS Er- cheiueu seines Vorgrseytcn gestört. Er empfing den gestrengen Bürgermeister mit einem halb devoten» halb vertraulichen Gruß, nahm ihn» Hut und Stock ab und öffnete ihm mit einem vielsagenden Lächeln die Thür zu dem Allerheiligsten im Rathhause. „Ich will heute nicht gestört werden", sagte Brand, sich aus der Schwelle seine» Gemache- noch einmal umwendend. „Weisen S>« Jede» ab, der mich sprechen will. Ich habe wichtige Arbeiten zu erledigen. So gegen elf Uhr bringen Sie mir die Papiere, die ich unterschreiben muß!" Ta» Arbeitszimmer de« Bürgermeistrr« war ein kübler, behaglicher Raum. Vom Alter gebräunte Holzpaneele bedeckten die Wände, die Möbelstücke zeugten davon, daß sie schon einer ganzen Reihe von Bürgermeistern gedient hatten. Dies war besonders bei einem große», mit gepreßtem Leder bezogenen Lehnsessel der Fall; der Sitz war lies eingedrückt, Rücken-und Seilenlebnen glänzten wie Spiegel. Auch der in Holz ge- chnihte Avlcr, Maiseld» Wahrzeichen, der die Spitze deS Stuhles krönte, hatte Flügel und Fänge verloren; daS war kein Wunder, denn auf wieviel sorgenschwere bürgermeisterliche Häupter mochte das Thierbild schon theiluehmend uod mit leidig herabgeblickt haben! Auch Christian Brand vertraute die Last seine» wohl beleibten Körpers den immer noch elastischen Polstern dieses SesielS an. Die Füße weit von sich gestreckt, den Kops lies in die Nücklehne gedrückt und die Hände über den rundlichen Bauch faltend, starrte er durch daS ihm gegenüberliegende Fenster in die Laubmaffe einer Linde» deren Äeste nickend zu ihm herüber grüßten. Nach und nach verschwommen die Formen des BanmcS für den Bürgermeister mehr und mehr, niit blinzelnden Augen nickte auch er. und bald zeigte ein laule» Schnarchen an. daß daS Oberhaupt der Stadt mit seiner Arbeit den Anfang gemacht batte. Kurz vor elf trat der AmtSschreiber ein, eS kostete ihm Mühe genug, den Bürgermeister zu wecken. Erst nach einem energischen Rütteln und nach einer lauten Erinnerung an den „Rothen Stern" öffnete der Sckläser die Augen, reckte und dehnte sich noch einmal in dem bequemen Sessel und erhob sich dann stöhnend und ächzend. „Die Herren in, „Stern" warten", mahnte der Schreiber. Brand überlegte, er kämpfte mit einem Entschluß. „Nein — nein — eS ist bester, ich folge ihr diesmal, er fülle ihre Bitte!" murmelte er auf- und abgehend und wandte sich darauf an den Secretair: „Der „Stern", sagen Sie, der „Stern"! Haben Sie aber auch schon daran gedacht, daß eS der ganzen Stadt ein schlechtes Beispiel geben heißt, wenn der Bürgermeister jeden Vormittag ins WirthShauS zieht?" Der Schreiber sab seine» Vorgesetzten verwundert an. „DaS baden die Herren Vorgänger im Amte gethan, so lange Maiseld steht", wagte er zu erwidern. „Der Herr Bürgermeister haben sich bis jetzt dock auch reckt wohl dabei gefühlt! Umsonst steht doch der „Stern" nickt dem Rath- Hanse gegenüber. Wollen Sie denn eine neue Ordnung hier einsühren. Herr Bürgermeister?" Brand bemühte sich, sein Gesicht in noch ernstere Falten zu legen. (Fortsetzung folgt.) . Militairisches. DaS Reglement der Jäger nud Schützen. * Die Jäger und Schützen hatten bisher ihr eigenes, aus zweigliedrige Nangirung und daS Compagnic-Colonneir» System basirtcS sogenanntes Jäger-Reglement; dasselbe lag auch der Hauptsache nach dem Infanterie-Exerciren der Pioniere und der Fuß-Artillerie zu Grunde. DaS neue Excercir-Neglement der Infanterie hat nunmehr gleichfalls die zweigliedrige Rangirung und die Compagnie ist unter allen Verhältnissen als die untere Einheit im Bataillon anerkannt, waS bisher nicht der Fall war, sobald die Ausstellung in drei Gliedern stattsand. E« zerfiel im letzteren Fall da» Bataillon direct in acht Züge und der Compagnic-Ches führte den ersten Zug ferner Compagnie, während der zweite vom Premier-Lieutenant geführt wurde. Heute haben nun Infanterie wie Jäger dieselbe Nangirung in zwei Gliedern und beiderseits daö Conipagnie-Colonrren- System. ES würde direct das Scbul-Exccrcrren der Jäger demjenigen der Infanterie durch Wegfall der bei jenen form eil noch bestehenden Linie deS Bataillon-, sowie deS BataillonS-CarrLs (letzteres kam irrkeß bei der eigentlichen Verwendung der Jäger kaum je zum wirklichen Gebrauch) angepaßl werden können, bällen nicht die Jäger und Schützen die Einthciluirg der KriegS-Conipagnie in vier, der Friede,>S- Cvmpagnie in zwei Züge, deren jeder wieder in zwei Halb züge zerfällt, so baß im Frieden der Halbzug seiner Bedeu tung „ach dem Zuge der KriegS-Compaqnie entspricht. Sachlich liegt unserer Ansicht nach kern Grund vor, den Jägern und Schützen fernerhin ein besondere» Reglement zu belasten und nicht ohne Weitere» da» neue Jnsanlerie-Rcgle- mcnl auf dieselben zu übertragen. Wie wir hören, wird die Ausbildung von jetzt ab nach letzterer» erfolgen; ob damit auch die Ernlhcilung in drei Züge statt in vier beziehungs weise zwei verbunden sein wird, vermögen wzr nicht genau anzugeben, glauben «S aber. Wir wären damit bezüglich der taktischen Ausbildung und Verwendung bei einer ErnheitS- Jnsarrterie angelangt, in entsprechender Weise, wie eS heute bei der Cavalterie (ungeachtet der noch bestehenden Unterschiede in der Bewaffnung mit oder ohne Lanze) that- sächlich der Fall ist. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß daS neue Infanterie-Reglement künftighin der Hauptsache nach für die taktische Ausbildung der Pioniere und der Fuß-Artillerie gleichfalls maßgebend sein wird und nicht minder da» Fußgefecht der Cavallerie sich dem Geiste nach demselben airpassen wird. * Dem Oberbefehlshaber de» dritten franzSsischerr LorpS hat der Kriegsminister Freycinet folgendes an ihn gerichtetes Schreiben des Präsidenten der Republik zugehcn lassen: „Rouen, 14. Sept. Mein lieber Minister! Die heute von uns abgehaltene Pa rade war glänzend. Ich bewundere die treffliche Haltung aller Truppen, ihr kriegerisches Aussehen, ihre Unbeweglichkeit unter den Waffen. Ich freute mich, rvahrzunehmcn, daß kein Unterschied zwischen den Mannschaften der Reserve und denen der acttven Armce besteht. Der Vorbeimarsch wurde mit Eifer und der ganzen Regelmäßigkeit ausgciührt, welche die Schwierigkeiten des Boden» und die Aus dehnung der Fronten gestatteten ; diese Parade ist der würdige Ab- schirrst der ManSver, an! deren bemerkenSwerthen Verlaus man mich ansmerksam gemacht hat. Ich bitte Sie, dem Oberbefehlshaber drS dritten Armeecorps >owi« den Truppen aller Waffengattungen der Landarmee und der Marinetrrrvven, welche unter dessen Befehlen manävrirt haben, meine volle Besriedignng arrszudrückca. Iu den preußischen Wahlen. Ul.6. Berlin. 17. September. In den Kreisen unserer Parteigenossen hat der nationalliberale Wahlaufruf, wie un» durch zahlreiche Äußerungen bezeugt wird, außrr- »kdenttich viel «»klang gesunden. Er wird al» eine klärende Kundgebung bezeichnet, welche in einem der entschcrdungS- vollsten Augenblicke der innern prrußischerr Geschichte ein feste» und gemeinverständlicher Programm einer besonnen fort schreitenden, die guten historischen Ueberlirserungen mit de» neuen Bedürfnissen der Zeit verbindenden Politik ausstellt.
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