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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809244
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880924
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880924
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-24
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1888
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Erste Geilage M Leipziger. Tageblatt and Ameiger. 268. Montag den 24. September 1888. 82. Jahrgang. ver gute voctor. Erzthlung voo I. Isenbeck. !»a«dru» ,rr»,tnu (Fortietzung.) Am Morgen, der dem Geburtstage der Köchin der Gräfin Dols»eck folgte, kam der Maler Gronau schon frühzeitig in da» stille, alte Hau-. Die Ruckerinnerung an den gestrigen Abend. der ihm eine so selige Gewißheit gebracht hatte, ver» klärte da- Gesicht de- schwarzbärtigen jungen Manne-. Dabei leuchteten seine Auge» in einer gewissen Erregung. Wollte er doch da» Gemälde, sein jüngste- Werk, aus da- er sein beste« Können verwendet batte, heule der alten Dome als vollendrl übergeben, sich damit von einem ibm durch die Mühe uud Arbeit an» Herz gewachsenen Gegenstand trennen, der daun nicht mehr sein Eigenthum sein konnte. In der Borhalle begegnete ihm. auch sichtlich erregt, Erich Witten, der da- Haus verlassen wollte. „Ich hätte gewünscht. Du wärst dabei gewesen, wenn ich mein Bild abliefere". sagte Gronau, nachdem er den Freund begrüßt batte. „ES ist doch immcrbin möglich, daß die Gräfin sich ausregt, baß sie, dir Recouvale-centin, ihren Krästen zuviel zulraut!" „Mach Du keine unnützen Sorgen, mein Junge-, unter brach ihn Witken. „Frau von WolsSeck ist gesunder und munterer al» je. Nebenbei komme ich bald zurück. Do kannst mich hier erwarten!" .Ist Fräulein Müller bei der Gräfin?' fragte Gronau. „Ich weiß nicht", erwiderte Wilken. „Aber auch darüber ängstige Dich nicht. Wenn Du sie nicht bei ver Gräfin findest, so laß den Kops nur nicht zu sehr hängen. Du sollst sie heute neck sehen und kannst Dich dann nach Herzen-!ust mit ihr ouSjprechen! Starre mich doch nicht so an! Ich habe nichts, gar nicht» mebr dagegen, wenn sie Dich lieber mag al» mich. Da» ist ja eigentlich ganz natürlich. Es kommen noch Dinge zu Tage, über die Ihr, Du und die Marie und alle Malfelder, weit mehr erstaunen werdet. — Wartet'» nur ab. Da hast Du schon eine Probe von dem Borspiel!" Willen steckte dem Maler ein Couvert in die Hand und eilte aus dem Hause. Dem Docker gedankenvoll nachsehenv, entfaltete Gronau mechanisch die Brieshülle und fand darin ein Blatt, da» in zierlich gedruckten Typen die Worte zeigte: „I»stiooe Brand, Iodanne» Hepvler empfehlen sich als Verlobte". Gronau schob sie Anzeige lächelnd in die Tasche und stieg die Treppe biuauf. „Wa- inkeressirt mich die Verlobung?" murmelte er. „Wenn e» nicht viel besser kommt, so wird der gute Erich wobl vergeben» aus mein Erstaunen warten müssen. Kann er denn im Ernst annehmcn. ich hielte e» für etwa» Ucber- natürliche», wenn er die Marie nicht zwingt, ihn zu heiralhen, da er wobl ahnt, daß sie mich lieber bat al» ihn?" Za dem rothen Salon war die Staffel« wieder ausgestellt, aus der da» von einem Tuch: verbüllte Bild slaud, da» Ganze von hochstämmigen Palmen, Lorbeeren und anderen in der Größe sich abstusenden Blattpflanzen umgeben. Al» Gronau dort einlrat, bfsnetc sich schon «>ne andere Tdür für die Gräfin, die er nach respektvoller Begrüßung mit der ihm eignen eleganten Sicherheit zu einem der Stasfelei gegenüber bereit gestellten Sessel führte. Der Maler fühlte, wie die Hand der alten Dame aus seinem Arme bebte, aber ihr Ge sicht war ruhig, ein freudig erwartung-voller Ausdruck lag aus demselben. Gronau hatte da» verhüllende Tuch gehoben. Der schwere goldene Rahmen br» Bilvr» war von dem dunkelgrünen Blättergewirr verdeckt; wir au» einer Laube schien die durch den Pinsel hervorgezauberte Figur de» ReitervsficierS dem Beschauer entgegenzutreten. Minutenlang sah die Gräfin schweigend und still aus da» Gemälde. AuS ihren Augen tropfte Tbräne aus Thräne auf di« in ibrrm Sckooß verschränkten Hände; nun hob sie dieselben zu dem B>lde und ries in schmerzlichem Ausschluchzen: „Mein Sobn — mein Sohn." Gronau war hinter die Stasfelei getreten, um den für da» Mutterher; weihevollen Moment nicht zu stören. Er hörte» wie die Gräfin noch einmal laut aufschluchzt« und dann seiuen Namen rief. Sie reichte ihm die Hand, kein Wort kam über ihre Lippe, aber der innige Blick, mit dem ne ihn ansah, sagte ihm mehr Anerkennende», Lobende» und Dankende» al» die längsten Tiraden. „Jahre lang glaubte ich", begann Frau von Wols««ck ead- lich, „dem Tobten gerecht werden und die Stürme, dir in meinem Innern tobten, zum Schweigen bringen zu können, wenn ich mich der Welt ganz entzog und wie eine schon Ge storbene ein Scheinleben führte. Unter Qualen und Pein babe ich erfahren, baß damit nichts erreicht wurde; die Tosten setdst haben mich daran gemahnt, daß den Lebenden ihr Recht werden muß. daß ich nicht eigenmächtig die Nube mir er zwingen kan», deren sie sich schon erfreuen! — Sie lieben meine Pflegerin, da» Mündel de» Doctor Wilken, Sir lieben Mari« Müller, Gronau!" Nach Dem, wa» die Gräfin von sich gesagt, hatte Gronau wobl nicht» weniger erwartet al» kiese Frage. Trotzdem faßte er sich schnell, sein .Ja. Frau Gräfin!' war fest und bestimmt. .Die Marie ist ein Werkzeug in Gotte» Hand geworden", fuhr die alte Dame fort. „Hat der Herr da oben mir durch den Doctor den Körper gesund machen lassen, so geua» durch sie mein Geist von schwerer Krankheit. Da» Mädchen ist zu stolz, um einen Dank von mir anzunehmeu, geschweige kenn etwa» Andere». Und dock möchte ich dafür sorgen, daß ihm nie mehr die elende Misöre de» Leben» mit Sorgen und Entbehrungen nahe tritt. Unterstützen Sie mich in der Aus führung de- Plane-, den ich habe. Gronau! Hören Sie: Der Doctor hat mir gesagt, wie e» um Sie und Marie steht. Da muß man doch auch an eine Heirath denken. Ader ohne eine Mitgift wird sie nicht die Ihre. Wilken erzählte mir weiter, baß Marie nicht die Tochter, sondern eiu Schwesterkind der verstorbenen Wittwe Müller ist. Daraus baue ich meinen Plan. Ein kleine» vermögen, rin geringer Theil meine» Reichthum«, soll Marie sofort au»gezahlt werben. Damit sie die Summe ohne Widerstreben nehmen kann, wird Wilken ihr sagen, e» sei em Bermächtniß eine» verwandten ihre» Vater». Der Doctor ist sortgegangen, um dir Papiere noch einmal durchzulchen, die über ihre Abkunft Ausschluß geben; die Wittwe Müller soll die Au-weis« hinterlassen baden. Wir müssen vorsichtig zu Werke gehen und unserer Mystifikation einige Thalsachen ünterschiebeu. sonst gelangen wir nicht zum Ziele!" Der junge Mole, war einen Schritt inrückgetreten, er wollte wobl dem Plan der Gräfin widersprechen, ihn al- einen unauSsübrbaren und nicht annehmbaren hinstellen. Aber Frau v Wols»eck kam ihm zuvor. „Weisen Sie meine Bitte nicht ab!" sagte sie. „Sie müssen mich unterstützen. Sie müssen Morien- Bedenke» be siegen Helsen, wenn solche austaucheu sollten. Nebenbei haben Sie mir ja die Bestimmung de- Honorar» für da» Bild überlassen. Darf ich da» nun nicht in anderer Form Ihrer Braut geben?" Gronau schien immer noch zu schwanken. „Wa» sagt Dillen zu Ihrer Idee. Frau Gräfin?" sragle er endlich. „Der ist nicht mehr »'«gegen", erwiderte d!« alte Dame lächelnd. „Ader fast scheint e». al» ob ich mit Ihne» ebenso schwer zu kämpfe» haben soll, wie mit ihm l" Dir Gräfin wurde unterbrochen; der Diener trat eia und meldete, daß der Doctor Willen zurllckgekommen sei und um eine Unterredung mit der Frau Gräfin allein bitten lasse. „Wilken hat e» eilig, da» weiß ich", weinte Frau v Wols»- eck. „Ihn darf man nie warten lassen. Bitte Gronau, gehen Sie. so lange ich mit dem Doctor zu verhandeln habe, in da» Nebenzimmer, dort finden Sie Fräulein Müller. Jeden falls rechne ich vorläufig aus Jbre Verschwiegenheit." X. Capilel. Die Gräfin erwartend, ging der Doctor Erich Wilken in einem andern der so reich vuSgestattelen Gemächer ihre» Hause» umber. Er schien von einem eiligen Gange erhitzt; wieder und wieder wischte er mit seinem großen rolhseivenen Tuche die Stirn und stieß dabe> AuSruse au», dir halb sreudige, halb unwillige Verwunderung erkennen ließen. Dona zog er au» der Brustlasche seine» kurzen braunen Rocke» «in Packet vergilbter Papiere; in diesen blätternd, bemerkte er auch der Gräfin Eintritt nicht gleich. „Nun, wo» bringen Sie, wa» haben Sie erfahren, Doctor?" fragte sie. „Geben un» die Briese genügenden Anhalt?" „Mehr al» einen Anhalt", rief Wilken eifrig und legte die Papiere auf den Tisch. „Ich habe auch Marien« Tauf schein und den Trauschein ibrer Ellern gefunden. Alle» in bester Form, beglaubigt und besiegelt. Frau v. WolsSeck wollte nach den Papieren greisen, Willen aber nahm dieselben und schob sie schnell wieder in dir Tasche. „Verzeihen Sir. Frau Gräfin I" sagte er. ,.E» ist besser, wir lassen die Papiere noch eine Weile beiseite. Ich könnte mich ja täuschen, könnte mich durch eine Ähnlichkeit der Namen zu einem Jrrlhum verleiten lassen. Vorläufig habe ich nur Bermutbuiigen, ganz vage Vermnthungen. Wenn die aber sich verwirklichen sollten, dann sage >ch: Gölte» Wege und Führungen sind wunderbar! — Äber wolle» wir un» nicht setze». Frau Gräfin? Ich glaube, unsere Unterhaltung wird sich so schnell nicht abdrcchen lassen." Als die alte Dame aus einem Sessel Platz genommen batte und ihn fragend und erwartung-voll ansah, fuhr Wilken fort: „Es würde mir lieb sein, wenn Sie mich zuerst in Ihre Familienvcrhältnisse etwa» näher einweibten Ich möchte darüber gern Authentische» von Ihnen selbst erfahren; Da», wa- man bier in Maiseld redet, wa» Sie nur andeutelen. genügt nicht. Nicht müßige Neugier läßt mich darum bitten! Sie wollen meinem Mündel in irgend einer Form eine größere Summe Gelde» zuwenden. Gut — dagegen habe ick nicht» mehr einzuwenden! Aber al» Vormund der Marie Müller muß ich wissen, ob später nach Ihrem, der Donatrix, Tode auch kein Verwandler ausslehen und die Schenkung unter Lebenden ongreifen kann." ,,Sie kommen meinen eignen Wünschen zuvor, Doctor!" erwiderte die Gräfin. „Ick will Idnen die Geschickte meine« Leben« und den letzten Tdril der Familiengeschichte der WolsSeck'» erzählen. Ick gebe Ihnen damit die beste Auf- klärung über mich, Sie werden erfahren, wodurch ich wurde, wie ich war, al» wir un» zum erste» Mal sahen. Daß meine Verfügung zu Gunsten Ihre« Mündel« jemal» umgestcßen werden kann, fürchte ich nickt. Außer der Frau Brand und ihrer Schwester, den Cousinen meine« verstorbenen Manne«, lebt Niemand, der den Wolf-eck'» oder mir aucb nur im entferntesten Grade verwandt ist. Ich will die Leiden in einem neu za errichtenden Testamente ausreichend bedenken, ibnen auch bei meinen Lebzelten eine Rente au-zahlen lassen, aber nur unter der Bedingung, daß sie mich nicht belästigen. Den Nest meine» Vermögen» will ich zu einer Stiftung ver wenden. die da» Andenken an die Wolf-eck'» für fernere Ge schlechter lebendig erbalten soll!" „Schön, Frau Gräfin, sehr schön!" sagte Wilken, die Hände reibend. „Und nun bitte, erzählen Sie!" Frau von WolsSeck letzte sich bequemer in ihrem Sessel zurecht, stützte eine Weile den Kops in die Hand, al» wenn sic ihre Erinnerungen sammelte, und begann dann, ohne den Doctor anzusrhrn, die Augen halb geschlossen, mit ihrer Erzählung. « * » „Mein Vater war der ReichSgraf v. Dornburg-, al» dessen einzige Tochter wurde ich verzogen und verhätschelt, von frühster Kindheit an wurde das Gefühl in mir geweckt, baß ich durch meine Geburt weit über der großen Masse ver Menschheit stand und. im Grunde genommen, eine kleine Gottheit sei. Al» ich älter wurve, sagte man mir oft, leider zu oft, wie schön und klug ich sei. E< war meine Schuld, wenn ich auch immer bcchmütbiger und stolzer wurde. De» Segen« einer leitenden Mutterhand bin ich nie theilhaftig ge worden. sie wurde mir in meinem ersten Lebensjahre genommen. Ich crwäbnr meine Jugendzeit deshalb, weil meine Fehler, unter denen ich am meisten zu leiben gehabt habe, dadurch vielleicht in einem milderen Lickt erscheinen. Kaum achtzehn Jahre alt. heiralhetr ich meinen Gatten, den Grasen v. WolsSeck. Ich lieble meincu Gatten, soweit ich zu jener Zeit eben zu lieben fähig war. Wa» galt e» mir, ob mein Herz Genüge fand. Wurde tock mein Stolz befriedigt! Die Stellung, Ser Reich hum de» Grasen Wolfseck gestatteten mir zu glänzen, alle meine Launen zu befriedigen und den ersten Platz in der Gesellschaft al» ein mir gebührende» Neckt In Anspruch zu nehmen. Ost genug bemerkte ich, daß die Auge» meine» Gälte» mit einem liestraurigen, fast bedauernden AuSvruck aus mir ruhten. Ich fragte mich aber nie nach dem Grunde. Ich verlachte r» äl» eine thürichkr Sentimentalität, wenn er mit mir über seine Liebe sprechen wollte. Ich folgte nie seinen Bitten, wenn er mich in seiner sanften, stillen Art veranlassen wollte, rin rauschende» Bergnügen für einen rubig verlebten Abend in unserm eignen H im zu opfern. Besser und ander» wurde ich auch nickt, al» ich Mutter eine» Sobne» wurve. Da» Kind war mir ebenso gleichgiltig wie sein Vater. Ich überließ e« von seiner Geburt an sremven Händen. Nur meiner Eitelkeit lebend, nur meinen Launen stöhnend, bemerkte ich auch nicht einmal, wie mein Mann kälter und verschlossener mir gegenüber wurde. Ich freute mich sogar darüber, daß unser eheliche» Berbältniß endlich so war, wie ich e» für einzig möglich und schicklich hielt, baß der eine Gatt« nach dem andern nickt fragte und jeder seinen eignen Weg ging. Und dock lrampste mir oft ein Gefühl VaS Herz zusammen, da» nur eine Folge brr Eifersucht war, wenn mein schöner, stattlicher Mann andern Frauen ein freundliche» Wort gönnte. Stur in einer Hinsicht war ich mit Wolf-eck einig, nur über einen Punct kamen wir nie in Differenzen. Er war ebrnso adel-stolz wie ich; auch er war der Uedrrzeugung. daß jeder Bürgerliche de» Adligen geborner Diener sei. Edler uno besser al« ich dachte er aber doch. Ich pochte nur aus die Rechte, welche eine hohe Geburt verleiht, er wußte, daß der Adel auch verpflichtet, und brtonte e« oft genug, daß Jedem der Adelttitel aberkannt werden müsse, der sich seiner unwürdig mache. In seiner eignen Familie hat Wols»eck nach diesem Grundsätze gehandelt. Ein jüngerer Bruder leine» Vater» war so ein Unwürdiger, der sein Hab und Gut in der Befriedigung unritterlicher Leidenschaften ver praßt hatte und de« Gelde« wegen eine reiche grau von gemeinem Herkommen und schlech'em Ruf drirakbele, ihr leinen allen, edlen Namen verkaufte. Bus dem Vermögen dieser Frau muß ein Fluch gelegen baden; so groß e» auch war, tem Oheim meine« Manne» ist e» in Zeit von zwei Iabren unter den Händen zerronnen, ihn noch verworfener, noch schlechter machmd. Al« Spieler und Betrüge, hat er dann weiter gelebt, eine Schande feine» Geschlechtes. Da» war der Wurm, der un dem Herzen meine» Manne» fraß, aber ich batte niemals Zeit unv Sinn dafür, ihn zu trönen, seinen Kummer und fein Leid mit ibm zu tragen. Ich will die Geschichte diese» verkommenen Wolf-eck vorweg erzählen. Er batte zwei Töchter, die jüngere verheirathete er später an einen Mann, der ihn, gleich war, an einen Baron v. Harder. Für eine Spielschuld, die er nickt bezahlen konnte, bat der Vater seinem Cumpan sein Kind hingegeben, ihn in dem Glauben bestärkend, daß eine WolsSeck immer Ansprüche an meinen Gatten macken könne. Wie ein lästige« Ungeziefer haben sich die Beiden, ver Obeim und sein Schwiegersohn, jener Harder, auch an meinen I verstorbenen Gemahl gehängt, stet- neue Summen von ibm erpressend, die er zahlte, um neue Schande, neue Schmach von seinem Namen abzuwebren. Al» der Oheim starb, atbmcte mein Man» aus. Er erklärte sich bereit, für die beiden Töchter, seine Cousinen, ausreichend sorgen zu wollen, wenn sich die jüngere, die Frau v. Harder, von ihrem Gatten trenne. Schnell genug ging man auch aus diese Bedingung rin. Die Frau fühlte sich durch nickt», nickt einmal durch ihr Kind, ein Mädchen, gebunden, und der Man» willigte der Abfindungssumme wegen, die man bvt. in Alle». Ehe aber die Scheidungsklage eingelritet war, ereilte den Harder da» Verbängniß; wegen gemeinen Verbrechen, unter denen Weckselsälschuirgeu noch nickt die schwersten waren, sollte er verhaftet werden. Durch die Flucht nach Amerika entzog er sich dem Gericht; dort ist er ein Jahr später in einer Spiel- Kölle niedergestochen worden, weil er die Bank mit gezeichneten Karten hielt. Bis dabin hatte ich die Cousinen meine» Manne» nie gesehen. AIS dieser sich nun, gleich nach Harker'« Flucht, ibrer annabm. ihnen auch für die erste Zett Wohnung in einem der Nebengebäude de» WolsSeck'schen Palais anwie», da abnte ick nicht, wa» diese anscheinenv so bescheidenen, de- mlltbigrn Frauen Mr mich werden sollten. Frau v Harder und Fräulein v. WolsSeck mochten den Eindruck von Personen, die durch SckicksaiSichläge so ties getroffen und in ihrem Innersten verwundet sind, daß nur nock da- Gesllbl unter würfigsten. hingehendsten Danke» für Diejenigen tn ihre» Herzen Platz dal, die ihnen einen Zufluchtsort geben, wo sie ganz ihrem Schmerze leben können. Mein Mann, in seiner von mir zu spät gewürdigten Seelengüte keine» Argwohn» säbig, war bald von seinen Cousinen, in denen er nur die unschuldigen Opfer lab. vollkommen umgarnt. Cr überschüttete sie mit Beweisen seiner Fürsorge und zeigte auch für da» Kind der Harder eine fast väterliche Liebe. E» kam zwischen un» zu heftigen Ccenen, wenn ich ihm Andeutungen darüber machte, daß er mich unv unfern eignen Sohn der ihm ferner Stehenden wegen deruacklässiate. Dabei machte ick ober nie den Versuch, ihn durch ein Eingehen aus seine Wünsche an mich zu ziehen. Ich brachte nach wie vor jeden Abend in Gesellschaften zu. wenn wir nickt solche bei un» sahen. So gab ich den beiden Frauen, die mich glühend haßten, die beste Gelegenheit, ihren Vetter mehr und mehr zu fesseln und mir zu eiitsremdcn. Ich lachte darüber, wenn die Drei ihre Partie Whist spielten, während ich, von einem Ball noch ermüdet, schon für den andern wieder mich putzte. WolsSeck wurde kälter und kälter mir gegenüber. Zuletzt stellte er mir seine Cousinen al» Muster hin, an denen ich mir ein Beispiel nehmen sollte. Ta» empörte meinen Stolz. Ich verlangte, daß die beiden Frauen mit dem Kind« sofort au» unserem Hause entfernt würden. Mein Mann gab mir nach, er hoffte wohl, daß ich an dieser seiner Willfährigkeit mir gegenüber seine Liebe ermessen sollte. Die Cousinen gingen auch, Segen-Wünsche und Dankesworte auf den Lippen, aber Haß unv Racke im Herzen. Schaden hatte» sie dabei nicht, für ihre Bedürfnisse wurde mehr al» au-reicbend gesorgt. So leichtsinnig ich war, so schlecht ich mein» Pflichten al« Gattin unv Mutter erfüllte, einer Untreue gegen meinen Gemahl habe ich mich niemals schuldig gemacht, nickt durch einen Blick, geschweige denn durch ein Wort. Ich suchte jede Gelegenheit auf, um gefeiert zu werden, ick glaubte nicht leben zu können, ohne zu glänzen, gegen jeden Fehltritt war ich aber durch meinen Stolz gefeit. Den Einflüsterungen meiner beiden Feindinnen gelang e» aber doch, mich bei meinem Manne in Verdacht zu bringen, un» immer mehr einander zu entfremden. Zuletzt gingen sie so weit» ihm direck einen jungen Mann au« der Hosgesellickast. der wegen seiner Frivolität unv lockeren Sitten bekannt war, al» Den zu bezeichnen, mit dem ich einen sträflichen Umgang haben sollte. C» kam zu einer entsetzlichen Scene. Mein Gemahl, sonst so aut, behandelte mich wie eine Lerworfrne: unter den furchtbarsten Drohungen forderte er von mir ein Geständniß meiner Schuld. Ich blteb rubig und kalt; aber statt ibm b»e Grundlosigkeit seine« Ver dacht» zu beweisen, spottete ick seiner, im Vollgefühl meiner Unschuld verlachte ick ihn. — Am nächsten Tage wurde der General v. Wolf-eck schwer verwundet in sein Hau» gebracht. Er batte den vermeintlichen Versübrer seiner Frau zu einem Duell gezwungen, jede Erklärung desselben durch den Vor wurf der Feigheit abschneidend. Monatelang schwebte mein Mann zwischen Leben und Tod. In dieser Zeit, in den bangen, angstvollen Stunden am Schmerzenslager de» von mir di» dahin Vernachlässigten fiel e» mir wie Schuppen von den Augen. Ich kam zu der Erkenntnitz. daß ich de» Über mich ergangenen Gericht» doch schuldig sei. wenn auch in einem anderen Sinne. Ich fühlte mit einem freudevollen Schauer, wie sehr ich Den liebte, dessen Gegenliebe zu verdienen ich mich nie den,übt batte. Damal» habe ich beten gelernt, mit den heiligsten Gelübden glaubte ich dem Himmel da» Leben meine» Gatten abzwingen zu können. Galt der Herr halte auch Erbarmen! WolsSeck llarb nickt, aber er blieb siech und ein Krllpprl, al» solcher bat er siebzehn Jahre gelebt. — Der Gegner meine» Manne» war in dem Zweikampfe auch schwer verwundet. Er starb an den Folge» seiner Wunden, al» Wolf-eck schon wieder in einem Rollstuhle umbersahren konnte. An skincm Tove-tage ließ er meinen Gatten zu sich rufen. Mit Ausbietung seiner letzten Kräfte hat der Sterbende den General beschworen, die Verleumder, deren Opfer wir geworden, zur Rechenschaft zu ziehen. Ein schändliche- Gewebe elender Jntriguen kam an den Tag, da» die Cousinen meine» Manne- gesponnen hatten. Wie weit ihre Absichten gingen, haben wir nickt erfahren. aber jede» Mittel war ibnen reckt gewesen, da- eine Trennung ihre« Letter- von seiner Frau bätte berbeisühren können. Aus meine Bitten bat WolsSeck Abstand davon genommen, die Verleumderinnen vor Gericht zu stellen. Aber feine Tbür und seine Börse blieb ibnen von da ab verschlossen, ihre Namen wurden nicht mehr genannt. Wundert e» Sie nu» neck. Doc'or, daß auch ich bi» aus den heutigen Tag weder von ver Tochter der Harder, der Frau de- Bürgermeister- Brand, noch von ihrer Tunte, der unverbeiratbeten Wols-eck babe etwa» wissen wollen? Die Brand ist ebenso falsch und schleckt, wie ihre Mutter war. Auch sie würde mit dem Ruf unv den, Leben ver Menschen spielen, wenn sie den geringste» Vortbeil dadurch erreichen könnte. Ich bin Ihnen gefolgt, ich babe gestern die Brand empfangen und sie genau durch schaut. Wa» ich ibr zuletzt sagte, bteibt wahr, über meine Schwelle darf sie nie wieder." (Foriletzuag folgt.) Altes Theater. i Leipzig, 23. September. Tie Posse: Die Hochzeit j de» Reservisten nach Duru und Ehivot von F. Zell ist einer jener ausgelassene» Schwänke, wie sie oft aus den zweiten Recitar« Bühnen zur Ausführung kamen. Gegeu die Aneignung dieser Possen seilen« der deutschen Theater giebt eS indeß ein gewichtige» Bedenken: solche Stücke müssen ganz au» dem Volksleben hervorgchen, wenn sie naiv und naturwüchsig erscheinen sollen; bei der Verpflanzung in eine andere Erde gebt dies Alles verloren. Die französische Posse von Duru uiiv Chivot ist gewissermaßen von Zell in» Oesler- reichisckc übersetzt: derartige mililairische Zuilände, wie sie hier geschildert werden, sind bei unseren deutschen Verhält nissen unmöglich. Ob sie in Oesterreich möglich sind, wissen wir nicht: jedenfalls ist un» da» alle» etwa» mehr in die Ferne gerückt, bat aber damit auch die Frische de» BolkS- tbümlicken verloren. Diese ganze französisch - österreichisch deutsche Posse ist für u»S eine Treibhauspflanze; e» ist auch gar nicht abzusehen. warum wir solche subalterne dramatische Erzeugnisse der Franzosen für uns annectiren sollen; aus dem Gebiete der Purzelbaumkomik leisten ja auch manche unserer eigenen Autoren Erstaunliche- genug. Und ein tolle» Drunter und Drüber herrscht in diesem Schwanke. Ein Civilingenieur, der gerade am Hochzeits tage zur Reserve emgezogen wird uud sich dort neben seinem LridenSgenossen. einem Baron, einer Behandlung rrsreut. die mit seiner bürgerlichen Stellung wenig im Einklang ist, stebt im Millelpuncte der Handlung. Der junge Ehemann begegnet einer Operettensängerin, mit der er früher eine Liaison hatte, aus dem Wiener Bahnhose und trifft sie später in Linz wieder, wo er die Hebungen der Reserve mitmacht. Nack einer höchst merkwürdigen Bestimmung oder Usance darf der Reservist nur dann im Hotel wohnen, wenn er ver- heirathet ist und seine Frau dem Compagniechef in natura vorqestellt hat. Die zufällig dazu kommende Operetten« sängerin erweist sich zu diesem Zwecke verwendbar und über nimmt die Nolle der Frau. Der Hauptmann, der früher mit der jetzigen jungen Frau de- Reservisten verlobt war, erfährt Len wahren Sachverhalt und benutzt ihn, sich an ver Familie zu rächen, die ihn al» Bräutigam ohne Weitere» ausgegeben; er setzt den Reservisten in die größte Verlegen heit, indem er, in Gegenwart der inzwischen dazu gekommenen Angehörigen, verlangt, daß er seine Operettensrau mit der nöihiaen ehelichen Liebe bebandle. Der unsügsame Civil ingenieur, der schon mit Arrest bestraft worden, hält e» nun für da» Beste, zu deseriiren. Glücklicherweise beruhte seine Einberufung aus einem Mißverständnis Die zweite Hauptfigur ist der Schwiegervater de« Reser visten, ein alter Geck, welcher der Operettensängerin nach reist. von ihr wie ein Lakai behandelt wird, bei einer Spazierfahrt mit den jungen Damen der Operette in» Wasser fällt und, da kein Civilanzug auszutrcibea ist, in die Militairkleider schlüpft, welche der Deserteur bei Seite gelegt. Neue Verwicklungen — Alle» löst sich am Schluß tu Wohlgefallen aus. ES sind einig« burle-ke Scenen in dem Stücke, die eia anspruchslose- Publicum ergötzen können, namentlich läßt sich der erste Act nicht Übel an. obschon darin etwa- zu viel und fortwährend in der offenen Bahnhofshalle vor dem ganzen Publicum geküßt wird. Die Excrcirscenen erinnern durchaus an den .Deilchenfresser". doch in den entsprechenden Austritten deS Moser'schrn Stücke- ist Leben-Wahrheit und graciöser Humor, während hier Alle» einen rohen und brutale» Zug hat. Diese Rohheit deS Empfinden» zeigt sich auch in der Art und Weise, wie sich der alle Bernhofer feiner Frau Lotli gegenüber beuimmt. und in den Geständnissen, die er dem Publicum wacht. Ueberhaupt ist viele» in dieser Posse schlüpfrig, unv für un» Deutsche unannehmbar, so daß wir nur immer wieder rathen können, den Parisern doch ihre zerbrochenen Töpfe zu lassen und sie nicht aus den deutschen Jahrmarkt zu bringen. -Bk» ' --«l Die Posse war von Herrn Grünberger ganz lebendig arratigirt und die Knalleffecte verpufften nicht. Dir Eisen bahnscene. die Epercitieu der Reserve, die flotte LergnügungS- lust der Opcretlcuflora im letzten Acte, da» kam Alle» zu seiner Geltung. Herr Bült er spielte den Tausendsasa Casimir Bernhofer, deu Don Juan mit mildernden Umständen, mit vielem Humor, besonder» da» Mienenspirl in den Ver« legenheil-scenen gekört zu deu Forcen de» Darsteller». De» etwa» cholerischen O-car Dankelmann stellte Herr HLnseler mit großer Lebendigkeit dar und wußte die BÜhnenrequiftten geschickt zu handhaven. Herr Ernst Müller al» Feldwebel GLtschenberger gab einen Pendant zu seinem Exercirunter» ossicier im „Beilchensrrsscr", er spielte ihn mit martialischer Bravour. Der Hauptmann von THUrmeyer de» Herrn Meery war «in mit resoluten Zügen entworfene» Chorakter- bilv. Der Lieutenant von Zernecke de» Herrn Werner und der Führer Steinfurt de« Herrn Gr einer vervollständigten die Gruppe der militairischcn Vorgesetzten, zu denen auch der Bediente de» Civilingenieur». Ignaz Pann, gehört, der auf einmal seinen Herrn jetzt al» Untergebenen tractirt. Herr Prost stellte die» ganz wirksam Var. Ein etwa» blasser Liebhaber ist der GaSarbetter Rost, und auch Herr Matthae» konnte au» ibm keine in den Vordergrund tretende Person machen. Noch erwähnen wir deu Reservisten Schlemmer Ve» Herrn Tieh, unv auch der au» den .Fliegenden Blättern" anne-irte Reservist Meyer, eine stumme, nicht aus dem Zettel verzeicknete Person, hatte eine gute MaSke. Den Baron Spärling spielte der Regisseur, Herr Grün berger. selbst: daß dieser hier allerdings in KnechtSgestalt umherwandelnde Baron eine Löwe der Saison war, davon hätte man doch in einzelnen Zügen noch etwa» merken müssen. Die Frauenrollen treten in dem Stücke mehr in den Hintergrund Einen Anlaus zu possenhafter Bedeutung nimmt da» Dienstmädchen Rosel, doch bleibt e» nachher «ine episodische Figur. Frl. Göhr« spielte ihre Scenen so munter, daß wir meinen, diese Darstellerin könnte öfter im Lustspiel beschäftigt werden; sie würde manche frische ing-nuv recht gut zur Geltung bringen. Frl. Körner al» Hedwig Chiari hatte die Ungenirthrit und den Uebrrmuth einer Iüngerin der freizügigen Thalia. Valentine ist nicht« al» zärtlich« junge Gattin: Frl. Witt entledigte sich de» hochzeitlichen Gcschnä« bei« besonder» im ersten Act mit dem ganzen Opsrrmuth, den diese Scenen verlangen. Eine unglücklich« Figur ist die alte Frau Lotli Bernhoser; Frl. Buse spielte die beklagen-» werlhe Gattin in ihren thüricbten eifersüchtigen Anwand lungen ganz charakteristisch, und an ihr lag e» nicht, wenn der letzte Abgang, den ihr die Autoren zurechtgemacht, keinen Beifall fand. Diesem triste» Charakter läßt sich kein Humor ankränkcln. Noch erwähnen wir die Kellnerin de» Frl. Schneider, die Bäuerin de» Frl. Kuntzschmann und die Colleginnen Hedwig'«, recht se,che und forsche Mit glieder de« Operetlenchor». Die höheren Ränge amllsirten sich offenbar Über die Verwechselungen und tollen Ueberstürzungen de» Schwank». Da» übrige Publicum zeigte doch seine Bedenken einzelnen Scenen gegenüber, Bedenken, welche von der Kritik gelhrttt werden. Rudolf von Gottschall. Musik. Neues Theater. Leipzig. 2S. September. Werke tiefernsten Inhalte» Nie Beethoven'« „Fivelio" sollte man nicht in da- Meß» reperloire ausnebme». Wenn man auch nicht zu fürchten braucht, daß jene Sorte von „Kunstfreunden", die den Werth der Werke nach ihrer Anziehungskraft aus da» Publicum zu messen pflegen, ihre unsauberen vergleich« auch hier anst«ü«H
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