BEILAGE ZU NR. 3 DER »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12, III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76/77, III März 1924 * Sechzehnter Jahrgang * Nummer J Eventuell, Interesse — beziehungsweise, Belange Die beiden abscheulichen Fremdwörter eventuell und Interesse haben sich so tief in der deutschen Sprache eingenistet, daß sie kaum wieder hinauszuräuchem sind. Besonders das zweite Wort scheint unausrottbar zu sein. Für was alles werden diese Wörter eingestellt! Wie viele Begriffe müssen sie decken! Ja, man ist versucht, an das Goethesche Wort zu denken: Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Oft auch zur Unrechten Zeit. Wie bequem ist es doch, solch ein Allerweltswort anwenden zu können! Man braucht nicht nachzudenken: man braucht nicht mühsam nach einem passenden Wort zu suchen: man setzt eventuell oder Interesse, und der Satz ist fertig. Daß er unschön und undeutsch klingt, ist Nebensache. Der best gefaßte Satz wirkt abstoßend häßlich durch die Ver unzierung mit eventuell. Betrachten wir den Satz: Die Sonne steigt strahlend über den dunkeln Wald; hoffentlich begleitet sie uns auf unsrer ganzen Morgenwande rung. Der Satz ist gut empfunden und einwandfrei. Aber der schöne Eindruck würde vernichtet, wenn wir sprächen: Die Sonne steigt strahlend über den dunkeln Wald: eventuell begleitet sie uns ... Für jeden sprachlich feinfühlenden Menschen wirkt solch Wort wie ein unerwarteter kalter Wasserstrahl. Man spricht: Wir gehen am Sonntag ins Konzert, eventuell ins Theater. Weshalb sagt man nicht: »vielleicht gar ins Theater«? Sie fahren mit der Elektrischen, eventuell mit der Eisenbahn: statt: oder mit der Eisenbahn. Der Verein tagt im Zimmer, eventuell im kleinen Saal; statt: wenn nötig im kleinen Saal. Das Wort eventuell sagt gar nichts. Durch die beiden Worte wenn nötig wird angedeutet, daß bei stärkerem Besuch der kleine Saal als Versammlungsraum genommen wird. Man braucht das Wort eventuell oft nur ganz wegzulassen und erhält schon dadurch tadelloses Deutsch. Ein säch sischer Landtagsabgeordneter sprach folgenden Satz: Diese Anträge sind nur even tuell angenommen, nämlich für den Fall, daß ... Er berichtigte diesen Satz auch nicht bei der Durchsicht des Stenogramms, hielt ihn also für gut. Dabei müßte doch jeder, der sich gut deutsch ausdriicken will, dem Satz folgende Fassung geben: Diese Anträge sind nur angenommen für den Fall, daß . . . Eventuell und nämlich müssen wegbleiben. Betrachten wir das Wort Interesse. Es ist von hohem Interesse, dieses Wort Inter esse im Interesse der Sprachreinheit zu untersuchen, konnte man sagen, während es doch viel besser klingt: Es ist verlockend, dies Wort vom Standpunkte der Sprach reinheit zu untersuchen. Die Sache interessiert mich sehr (fesselt mich sehr). Das Mädchen hat ein interessantes Gesicht (ein anziehendes Gesicht). Hat dich das Schauspiel interessiert? (Hat es dir gefallen?) Die Zuhörer folgen mit großem Interesse seiner Rede (mit lebhaftem Anteil). Die Arbeiter stehen teilweise mit großer Interesselosigkeit (mit großer Gleichgültigkeit) der Politik gegenüber. Das Interesse (das WohT der Allgemeinheit steht höher als das des einzelnen. England 9