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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1891
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1891-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18911017027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1891101702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1891101702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1891
- Monat1891-10
- Tag1891-10-17
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Lm Hafen. 151 Roman von Ludw. Habicht. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) XIV. „Da bin ich und nun bleibe ich hier, Bater Hansen", redete einige Tage später ein junger Mann in der Mönch guter Fischerkleikung den alten Fischer an, der wie gewöhnlich seine Pfeife schmauchend auf der Schwelle seines Hauses saß. Der Alte »alnu die Pfeife aus dem Munde, schob den Hut zurück, rieb sich die Augen und glotzte den vor ihm Stehenden mit weit aufgerissencn Augen an. „Nun, kennt Ihr mich wirklich nicht?" „Christus, mein Heiland, ist cs denn möglich, Herr Wogenbrandt?!" rief der Alte, die Hände zusammenschlagend. „Was haben Sie denn mit sich angestcllt?" „Nennt mich nicht mehr „Herr Wogenbrandt", nennt mich „Du" und „Konrad", bat dieser, „ich bin jetzt ein Fischer, wie Ihr!" „Ha ha ha!", lachte Hansen, „der Spaß ist nicht schlecht." „Cs ist kein Spaß, eü ist Ernst", versicherte Konrad, „ich habe der Wittwe Mörk ihr großes Boot abgekauft und mich vorläufig bei ihr in Kost und Wohnung gegeben, bis ich mir ein Haus gekauft oder gebaut und meine eigene Wirthscbaft habe." Ter Alte schmunzelte ein wenig, hatte aber noch recht viele Bedenken. „Was sagt denn der Herr Vater dazu?" fragte er. „Nun, wenn ich sagte, daß ders gerne siebt, so würdet Ihr mirs ja koch nickt glauben", war die Antwort, „aber er läßt geschehen, was er nicht ändern kann. Ich bin majo renn und das Erbtheil von meiner seligen Mutter kann mir der Vater nicht vorcnthaltcn." „Und daö reickt für den Anfang?" fragte der Alte. „Ich könnte mir sämmlliche Boote in Gohren und Saßnitz dafür kaufe» und behielte noch ganz ansehnlich übrig", ver sicherte Konrad, der trotz aller Phantasterei doch so viel Menscheukcnntniß besaß, um seinen Mann richtig zu bc- urtbeilen. Die Miene des Alten bellte sich denn auch bei dieser Mit theilung sicktlich auf, er war jedoch auf seiner Hut und sagte gelassen: „Na, wcnu'S so steht, dann können Sie ja die Sacke mal Prokuren, werden das Fischerspiclen bald genug satt kriegen." „Ihr seid im Irrthum, Bater Hansen, im großen Jrr- thum", widersprach Konrad eifrig, „>etzt endlich habe ich das Leben und den Beruf gefunden, der mir zusagt und bei dem allein ich mich glücklich und zufrieden fühlen kann." „Wollcn's abwartcn", versetzte der Alte gelassen, „können Sie denn eigentlich ordentlich rudern und segeln?" „Gewiß", versicherte Konrad, „ich bin Mitglied des RudcrclubS." Vater Hansen'ö Gesicht drückte eine unsägliche Gering schätzung aus. „Kenne das Ding zwar nicht, wird aber für einen richtigen Mönckguter Fischer Wohl nicht viel taugen. Na, und wissen Sie denn, wie man Netze zieht und Neusen stellt und kennen Sie denn die Fischartcn, die brauchbar sind, und die, die man wieder ins Meer werfen muß?" „Die kenne ich nun allerdings nicht so genau, habe mich überhaupt noch nicht mit dem Fischfang abgegeben", gestand Konrad kleinlaut, „aber ich denke, das wird sich lernen lassen." „Ist so 'ne Sacke, wenn man'S nicht von Kindesbeinen an getrieben bat", meinte Vater Hansen kopfschüttelnd; „und Sie denken sich das so plaisirlick, weil Sie ein paarmal bei ruhiger See und bei Mondschein ausgefahren sind. Aber seien Sie nur erst draußen, wenn'S stürmt, und schloßt und brandet, da werden Sie wohl anders pfeifen." „O, das wird erst die wahre Poesie für mich sein!" rief Konrad begeistert, besann sich dann aber doch, daß Vater Hanse» für derartige Auffassungen kein Berständniß haben könne, und da ihm Alles daran lag, sich dem Alten geneigt zu machen, fügte er ruhiger hinzu: „Das schreckt mich Alles nicht, Ihr werdet sehen, Vater Hansen, ich werde ein Fiscker, wie er im Buche steht, und nicht wahr, Ihr habt nun auch Nichts dagegen, daß ich Euer Schwiegersohn werde." Er batte sich während des Gespräches zu dem Alten ans die Bank gesetzt und griff jetzt nach dessen Hand, dieser zog sie grinsend zurück, nahm die Pfeife auS dem Munde, spie auS, sah nachdenklich vor sich hin und sagte dann bedächtig: „Na, so weit ließe sich ja jetzt Nichts dagegen sagen; Sie haben ein Boot, wollen sich in Göhren ein Haus kaufen und hier bleiben, und habe» auch so noch etwas hübsch waS Eigenes, da käme das Mädchen ja ganz leidlich an und da 'S mit dem Gerd nun doch ein so schreckliches Ende ge nommen hak —" „Haltet Ihr ihn denn wirklich für schuldig?" fiel Kon rad ein. Vater Hansen nickte und sagte seufzend: „Es kann ja leider gar nicht anders sein, wenn auch meine Kinder nicht daran glauben wollen. Aber das mag nun sein, wie'S will, mit ihm und Marie ist'S auS, das gäbe ich niemals zu." „Aber gegen mich haben Sic doch sonst Nichts?" froh lockte Konrad. „Zwingen möcht' ich das Mädchen just nicht — aber wenn sie will —" „Das lasset meine Sorge sein." „Und Sie halbwegs ein ordentlicher Fischer werden —" „Das will ich, das werde ich", versicherte Konrad, „und wißt Ihr, Vater Hansen, was ich gedacht habe, da Gottlicb doch an Gerd seinen Gesellen verloren hat, könnten wir zwei mitsammen auSfahren. Dabei lernte ich denn daS Handwerk." „Wär' nicht schlecht", nickte der Alte, „wenn Sie denn Iahn'S Christine noch dabei hätten, brauckte Keiner Sorge zn haben, daß was passirte, reden Sie mit ihm darüber." „Wollt Ihr'S nicht lieber thun, Vater Hansen?" bat Konrad. „Wir können's gleich Beide zusammen thun, er ist heute daheim und arbeitet hinten ans dem Hofe", erwiderte der Alte und rief mit lauter Stimme: „Gottlieb, Marie, kommt doch mal heraus." DaS junge Mädchen war die erste, welche dem Rufe Folge leistete, etwas später kam der Bruder hinzu. Auch Marie erkannte im ersten Augenblicke de» neben ihrem Bater sitzenden Fischer nicht; als er nun aber aussprang und ihr cntgcgcneiltc, da ward ihr liebliches, jetzt ohnehin bleiche» (Besicht, noch uni Vieles bleicher und trauriger. Seit Gerd unter der schweren Anklage im Gcfängniß zu Bergen saß, war aus der Hütte deö Fischers Hansen der Friede» ent wichen. Ter Alte glaubte steif und fest an die Schuld deS jungen Fischers, weil er mit einer seltsamen Logik behauptete, eine hohe Obrigkeit werde Niemand ein sperren, der nicht WaS auSgefresscn habe. Er stritt beständig mit seinen Kindern, welche fest von Gcrd's Unickuld überzeugt waren; ärgerte sich besonders über Marie, daß sie die dumme Geschichte von dem Tuche, da - sie dem Burschen wcggenommen haben wollte, erzählt und eine lange Unterredung mit dem RecktSanwalt T ungern ans Grcifswaldc gehabt batte, der Gerd's Vcrtbei- dignng übernehme» sollte und behufs seiner Orientirung bereits in Göhren gewesen war. Der sonst so gelassene alte Mann war durch den unge wohnten Widerspruch, welchen er bei Sohn und Tochter fand, gereizt und heftig geworden, batte verboten, daß von dem Mörder noch weiter gesprochen würde, und sich plötzlich Konrad's Bewerbungen nicht so ganz abgeneigt gezeigt, wenn er auch immer noch seinen Wablspruch: „Gleich zu Gleich" hören ließ. Und nun stand der junge Wogenbrandt in der Kleidung eines Mönchguter Fischers vor ibr! Mit dem einen Inslinct des Herzens errielh Marie sofort, WaS das bedeute. Er hatte die Schranke weggeräumt, die ihn von ihr trennte. Sie wußte, daß sein Vater an- grkommen war, hatte ihn ein Paar Tage nicht gesehen und gehofft, der Cvmmerzienrath habe seine väterliche Autorität gebraucht und ihn bestimmt, sie aufzugcbcn; ganz das Gcgentheil war aber eingetretcn, denn während der Vater dem inzwischen herbeigekominenen Bruder schmunzelnd zurief: „Da schau mal her, Gottlieb, ein neuer Kamerad", hatte ihr Konrad, ihre Hand ergreifend, zugeflüstcrt: „Jetzt, Marie, jetzt gehöre ick Dir ganz an. Ick habe mich von meinem Vater loSgcsagt, ich bin jetzt der Fischer Konrad; das Stranddorf ist fortan meine Heimatb, die Tu, mein holdes, süßes Mädchen, mir zum Paradiese machen wirst. O weise mich doch länger nicht zurück." Sie entzog ihm angstvoll die Hand, welche er stürmisch ergriffen hatte und atbmete auf, als ihr eine Antwort erspart ward, indem der Vater sagte: „Nun, Herr Wogenbrandt, Sie wollten ja mit meinem Sohne reden." „Fischer Konrad heiße ich, Vater Hansen." „Na, meinetwegen", lachte der Alte. „Also höre, Gottlieb. Fiscker Konrad hat ein Boot gekauft und will sich hier im Dorf setzen, und weil er den Rummel doch nicht versteht, möchte er mit Dir Compagnieschaft macken." „Aber Vater", unterbrach ihn der Sohn. Der Alte ließ ibn jedoch nicht auSreden. „Du meinst, weil Du jetzt mit Iahn'S Christine fährst", sagte er, „das schadet Nichts, die kann dabei bleiben und lange wird sie ja doch nicht mehr so immer mit hinauskönnen, ist sie erst eine Frau" —. Tie Anspielung auf eine Heiratb zwischen ihm und Christine batte für Gottlieb etwas so Peinliches; seine Augen verschleierten sich noch mehr, als gewöhnlich, zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine Falte und abwehrcnd sagte er: „Ich meinte nicht das, sondern wollte sagen, ich Han schon einen Kameraden." „Nicht daß ich wüßte", warf der Vater dazwischen. „Der kommt nicht wieder", sagte der Alte finster und schrie, als Sohn und Tochter ihm widersprechen wollten; „schweigt, Ibr wißt, ich will von der Geschichte kein Wort hören, der Mörder wird verurtheilt und dabei blcibt'S." Die Kinder batten cs längst ausgcgebcn, mit ihm darüber zu streiten. Marie ersah die Gelegenheit und entwischte wieder ins HauS, Gottlicb dagegen winkte Konrad bei Seite und begann mit ihm eine eifrige Verhandlung. Ter Vor schlag, den neugebackenen Fischer als Gehilfen oder besser als Lehrling in sein Boot zu nehmen, batte gleichzeitig so viel für und Wider sich, daß der brave Bursche gar nicht wußte, wie er sich in diesem Widerstreite der Bejahung und Ver neinung zurecktfinden sollte. Konrad Wogenbrandt war der Bruder deS Mädchens, das er still und glühend, wenn auch hoffnungslos liebte; ward er sei» ständiger Gefährte, so war dadurch zwischen ihm und der Geliebten ein Band geknüpft, so hatte er Gelegenheit, täglich und stündlich von ihr zu hören, von ibr sprechen zu können und daS schien ihm schon unaussprechliche Seligkeit. Außerdem wurde er durch Konrad's Tkcilnahmc an den Fahrten der beständigen Gemeinschaft mit Christine Jahn überhobcn, die ihn schon wie ihr unstrcitbareS Eigen- thum betrachtete, und durste hoffen, wenn daS Schlimmste eintrat und Gerd nicht wieder hcimkebrte, durch einen anderen Kameraden von der lästigen Compagnieschaft mit dem riesigen Fischcrmädchen dauernd erlöst zu werden. In dieser letzteren Erwägung lag aber bereits DaS, WaS gegen die Verbindung mit Konrad sprach. Durfte er auch nur den lcisenstcn Zweifel hegen, daß des Freundes Unschuld an den Tag gebracht werde? War es nicht eine Untreue gegen ihn, wenn er schon jetzt einen neuen Gefährten annahm? Und handelte er nicht schlecht gegen seine Schwester, wenn er Konrad dadurch, daß er ihn in daS Fischergewerbe cinfübrte, in seinen ihr so wider- wärtigeu Bewerbungen um sie Vorschub leistete? Unfähig, sich mit Bestimmtheit nach der einen oder der anderen Seite zu entscheiden, tbat Gottlieb Das, waS man im parlamen tarischen Leben „ein Compromiß" schließen nennt. Er wollte Konrad sagen, daß er mit ihm fahren möge, bis Gerd Rnngc wieder frei sei, dann müsse er sich aber nach cineni anderen Gefährten umtbun, denn Jener bleibe sein Kamerad. Gcrd's Sache mußte sich ja in wenigen Wochen entscheiden, denn sie sollte bei der demnächst in Bergen stattfindcndcn Schwur- gerichtspcriode zur Verhandlung kommen, war der Freund wieder da und von der Anklage gereinigt, so fiel auch die Abneigung deS Vaters gegen ihn weg und dieser unterstützte Konrad nicht länger. Bis dabin würde sich aber die Schwester seiner Bewerbungen wobl noch zu erwehren wissen und er stand ihr ja darin am besten bei, wenn er ihn recht viel init auf die See nahm. Konrad war sofort bereit, auf Gottlieb'S Bedingung einzugchen. Er gehörte nicht zn den Menschen, die weit über den Tag hinaus sorgen und überlegen. Er träumte seligen Traum und war es wohl zufrieden, daß ihm dieser für den Augenblick nicht gestört wurde. Was kümmerte es ihn, wenn in etlichen Wochen Gottlieb Hansen nicht mehr sein Compagnon sein wollte. Dann war er schon der geschickteste Fischer und Schiffer auf ganz Rügen, batte bereits Fahrten gemacht, welche man niemals für möglich gehalten und Marie war längst in seine sich ihr sehnsüchtig entgcgcnbreitendcn Arme gesunken. „Topp, Bruder, cs sei so!" rief er, schloß Gottlieb in seine Arme und küßte den ganz entsetzt dreinschaucnden jungen Fischer, deni dergleichen ZärtlichkeitSbewcise unter Männern als etwas ganz Unerhörtes erschienen, auf beide Wangen. „Ich fahre mit Dir, und Du nennst mich nicht wieder anders alS: Konrad und Du! Werden wir doch SchwägcrSlcute!" Gottlieb'S Auge leuchtete auf, um sich sogleich wieder traurig zu senken. Ach, in welch' anderem Sinne hatte er die Worte aufgefaßt, als sie gesprochen waren! Noch an demselben Tage fuhren die neuen Kameraden in Begleitung von Christine Jahn zum Fischfang hinaus und schnell verbreitete sich die wunderliche Mähr, der Sohn des reichen Commerzicnratbs Wogcnbrandt ans Greifswald habe sich in einen Mönckguter Fischer verwandelt und wolle sein Leben hinfort ans der Insel zubringen. Tie Fiscker schüttelten die Köpfe, lackten und spotteten über den neuen Kameraden und wollten sich vor Lachen anSsckütten, wenn Christine Jahn von seiner Ungeschicklichkeit erzählte und nachabnite, wie er bald über eine schanmgckröntc Welle in Verzückung gerictb, bald hinauf in die Wolken starrte und von Dingen faselte, die sich dort begeben sollten, wo ein anderer verständiger Mensch Nicht» als einen derben Regenschauer sah und sich dabei die Fische vor der Nase Weggehen ließ. „Wenn ick ibn nicht gehalten hätte, wäre er mehr als einmal schon über Bord gefallen, man muß auf ihn Acht geben, als bätt' man ein kleines Kind im Boot", schloß sie eine ihrer Erzählungen. „Wird er nicht auch seekrank?" fragte einer der Zuhörer. Christine schnitt eine Grimasse: „Fürchterlich! Ich machte die Fahrten gar nicht mehr mit, wenn'S nicht —" „Um Hansen s (gottlicb wäre", unterbrach sic ein alter Fisch«, indem er ibr mit der Hand auf die Schulter schlug, daß cS klatschte, während die Umstehenden in ein schallendes Gelächter auSbrachen. „Das brauchst Tu uns nicht erst zu versichern, Christine, das wissen wir. Will er denn noch immer nicht anbcißen?" Ohne im Mindesten verletzt za sein, lächelte sie vor sich hin und sagte ganz ruhig: „Noch nicht, aber das schadet Nichts, er wird doch mein Mann." „Und dafür läßt Du Dir den verrückten Wogenbrandt gefallen", sagte ein Anderer, „na, Du wirst ja die Sache ab- sehen können. Fangen erst die richtigen Herbststürme an zu weben, wird er's wobl satt kriege», wieder die Stadtklcidunz anziehcn und nach Greifswald fahren." Dieselbe Ansicht von Konrad Wogenbrandl'ö Beständigkeit in dem neu gewählten Beruf hegte die Badegcsellschast, welcher die bald närrische Laune des reichen Kaufmannssohnes einen äußerst ergiebigen Stoff zur Unterhaltung gewährte. Die diesjährige Saison war überaus reich an sensationellen Ereignissen. Erst der an Frau PeterS verübte Mord mit allen feinen abenteuerlichen Nebcnumständen, dann die Wogenbrandt'scke Geschichte und endlich die in Aussicht stehende SchwurgerichtSvcrhandluug gegen Gerd Runge in Bergen, für vie man sich schon jetzt Einlaßkarten verschaffte und um derctwillen Mancher seinen Aufenthalt auf der Insel verlängerte. Man scheute keinen Weg, um Konrad Wogenbrandt zu sehen; wenn sich daS Gerückt verbreitete, er werde abfabren oder ankommen, war der Strand von Schaulustigen belagert, und ebenso interessant wie er selbst, ja, den Herren noch weit interessanter war Marie, um dcret- willcn der junge Wogenbrandt diesen tollen Streich gemacht hatte. Unbekümmert und unberührt von dem Spott von och und Niedrig, von den ehemaligen wie von den jetzigen tandeSgcnossen, setzte Konrad Wogenbrandt das begonnene Zeben fort und fand in demselben in der That Reize, die er nicht geahnt hatte und die ihn hinweg hoben über den Schmerz, welchen ihm Mariens fortdauernde Gleichgiltig keit bereitete. Statt durch sein beharrliches LiebeSwerben und seine Aufopferung gerührt zu werden, ward das junge Mädchen nur immer scheuer und spröder und wich ihm auS, wo sic dies nur irgend ermöglichen konnte. Nie mehr kam 'ie jetzt wie früher an den Strand, um beim AnSrüstcn des Bootes behilflich zu sein oder defsen Rückkehr zu erwarten, unk von einer Theilnabme an der Fahrt war nie mehr die Rede. DaS noch vor Kurzem so harmlose, so fröhliche Kind hatte sich sehr verändert. Daö runde Gefickt war länglich und schmal geworden, die Wangen waren bleich, ein herber Zug lag um den Mnnd, die Augen blickten traurig und in ihrem feuchten Glanze schimmerten Thränen. Ohne daß sie darüber sprach, wußte der Vater, daß ihre Gedanken in Gerd's Kerker weilten, und das erbitterte ihn noch mehr gegen den armen Burschen. „Ich wünschte, das Urtheil wäre erst gesprochen und sic hätten ihm meinetwegen den Kopf hcruntcrgcschlagcn, dann würde sie Wohl zur Einsicht kommen, an was für einen Menschen sic ibr Herz gehängt hat", machte er seinem Zorn gelegentlich Luft gegen Konrad, der immer Höker in seiner Gunst stieg, ;e mehr er zu bemerken glaubte, daß er bei dem Fischergewerbc Stich halten werde. So weit ging Konrad in seinen Wünschen allerdings nicht; er glaubte nicht einmal fest an Gerd's Schuld, aber er sehnte doch auch die Verhandlungen gegen den Angeklagten herbei, denn eine gewisse Entscheidung mußte der Tag bringen. Auch Gottlieb, bei dem er sich über den Kaltsinn der Schwester beklagte, hatte ibm gesagt, er möge doch daS arme Mädchen jetzt in Ruhe lasten, er könne doch nicht verlangen, daß sie einer anderen Liebe Gehör gebe, während sic in der furcht barsten Sorge um Gerd Runge sei. Dergleichen wolle Zeit haben, wenn cs überhaupt komme. Während Konrad auf diese Weise im Stranddorf lebte, verbrachten die Scinigen ihre Tage in Saßnitz in recht unbehaglicher Slimmung. Der Commerzienrath war außer sich über den tollen Streich seines Sohnes und nicht minder über das große Auf sehen, welches dasselbe allerwärts hervorgebracht halte. Man hütete sich zwar, in seiner Gegenwart davon zu sprechen, aber er merkte reckt wobl an dem verlegenen Stillschweigen, daS bei seinem plötzlichen Erscheinen im Casino, aus der Kegelbahn oder wo sonst sich die Herren seiner Bekanntschaft zusammen fanden, sofort eintrat, was wieder den GcsprächSgcgenstand gebildet hatte. Gern wäre er entflohen, wenn er nur die Rückkehr nach Greifswald und die Fragen und daS Bedauern seiner Geschäftsfreunde nickt noch mehr gefürchtet hätte. Machte hier wirklich Jemand Miene, mit ihm über die Ge schichte zu sprechen, so konnte er ihm ausweichcn, daheim mußte er Stand halten. So entschloß er sich denn, bis nach der Verhandlung geaen Gerd Runge, zu welcher seine Töchter ohnehin wieder in Äergcn erscheinen mußten, in Saßnitz zu bleiben, und die beiden Mädchen batten böse Tage bei dem Vater. Wilbelmine ließ sich das wenig anfechtcn. Sie War es gewohnt, von ihm getadelt zu werden, lebte ihr eigenes Leben und hatte mit einer >ungcn Schauspielerin aus Dresden Freundschaft geschlossen, mit der sic nun im Walde und im Angesichte des Meeres elastische Dramen recitirte. Sic glaubte den Beruf zur Tragödin in sich entdeckt zu haben, war ganz von diesem neuen Gedanken erfüllt und hatte Gerd Runge und ihre Liebe für ibn darüber ganz, Konrad's Fischer-Idyll aber zum großen Tbcil vergessen. Anders Margarethe, die selbst schwer genug an deS BrudcrS wunderlichem Gebühren jitl und welcher der Kummer deS Vaters tief zu Herzen ging. Sie blieb beständig in seiner Nähe, stickte ihn zu trösten und zu erheitern und wurde da durch der Äbleiter für seine üble Laune, die sich gegen sic ganz besonders in Vorwürfen Lust machte, daß sie für Gerd Runge Partei genommen und ihm gar einen Verthcidiger besorgt hatte. „Was geht Dich der Mensch an?" fragte er heftig, während er an ihrer Seite den Weg nach dem Berg- schlößchen verfolgte. Sie hatte ihn überredet, mit ibr über Crampas dorthin zu gehen, in der Restauration Kaffee zu trinken und später den Lenzberg zu ersteigen und von dort dem Sonnenuntergang zuzuschcn; aber die Wirkung, welche sie sich von dem Spaziergang versprochen, war gänzlich ausgcbliebcn. Nie ein sonderlicher Naturfreund, achtete der Commerzienrath heute gar nicht auf die reizvolle Umgebung, ließ die freundlichen Aufforderungen seiner Tochter dazu völlig unbeachtet unv war bald wieder bei dem einzigen Thema, das ihn ganz erfüllte „WaS gebt Dich der Mensch an, daß Du ihm einen Vertbeidiger verschreiben mußtest", wiederholte er. Marvzarcthe hätte schwer zu sagen gewußt, zum wie vielten Male sie schon geantwortet: „Aber, lieber Vater, cS ist doch Christenpflicht, einem Unglücklichen bcizustchcn, noch dazu wenn man von seiner Unschuld überzeugt ist." „So, das bist Du?" versetzte der Commcrzienratb in grimmig, während er mit seinem Stocke die ani Wege wachsenden Pilze köpfte; „möchte nur wissen, woher Dir die Zuversicht kommt." „RecktSanwalt Düngern ist eS auch." „Ein schöner Beweis , natürlich muß er das sein, sc wäre er ein schlechter Vertbeidiger", lackte er spöttisch. „Nein, er ist es wirklich", versicherte Margarethe. „Papperlapapp. Wenn je etwas sonnenklar bewiesen so ist es dieser Mord. Wie sollte das Tuck an den H der Ermordeten gekommen sein?" „Gerd Runge hat cS nicht darum geknüpft, denn er es nicht mehr besessen." „Ach, Du glaubst also noch immer an die Geschick welche sich jene Dirne auSgedackt bat?" rief er wütbend. „Warum sollte ich nicht daran glauben?" „Weil die Dirne durch und durch verlogen ist, weil alle Männer anlockt, weil sie —Der Commerzienrath rang völlig nach Albem und Margarethe bat beschwichtigend: „Rege Dich nicht auf, lieber Vater, sieh, da sind wir am Berqschlößchcn." Sie traten in das Gehöft und nahmen in einer freund lichen Gartenanlagc Play, von wo man den Blick auf Campaö und die See hatte. Einige Minuten war eS wirk lich, als werde der Commerzienrath von dem hübschen Bilde, das sich ihm bot, gefesselt und von seinen trüben Gedanken abgezogen, da tauchte aber schon das Segel eines Fischer bootes auf und unmutbig sich abwendend rief er: „Wer weiß, ob mein Herr Sohn da unten nicht an mir vorübcrsckwimmt! Ich mag keine Fischerbarke mehr sehen, ie regt mir die Galle aus" Er setzte sich so, daß er der Aussicht den Rücken zuwandte. „Er wird wieder zur Besinnung kommen und zurück- lekrcn", sagte Margarethe. „Wie soll ein Mensch zur Besinnung kommen, der keine Besinnung hat!" erwiderte der Commerzienrath bitter. „Was nützt es denn, wenn er zurück käme? Er beginge ja doch nur neue Tborbciten. Macht es denn Deine Schwester anders? Glaubst Du, ich merke die Schauspielmanie, die sie jetzt hat, nicht, wenn ick auch lbue, als ob ich'S nicht sehe, um mich nicht noch mehr zu ärgern." „WilhclminenS Spielerei ist ungefährlich", begütigte Margarethe. „Bis sie einmal an Jemand kommt, der sie dabei fest- zuhaltcn versteht, wie die Fischerdirne Konrad", fuhr der Commerzienrath, zäh an seinem Borurtheil gegen Marie scslhaltcnd, fort. „Und ich hatte ihm eine so vortreffliche Frau ausgesucht!" seufzte er. „Vater", sagte Gleichen und ergriff seine Hand, „glaubst Tu wirklich, daß Konrad mit Karoline Peters hätte glücklich werden können? Sie hätten doch gar zu wenig zu einander gepaßt.'' „Sic würde einen vernünftigen Menscken auS ibm gemacht baben", erwiderte er, „wenigstens hoffte ich das; ich sehe jetzt freilich ein, daß an ihm Hopfen und Mal» verloren ist und daß aus der Sacke Nichts werden kann. Aber gleichviel, in unsere Familie kommt sic doch." „Was willst Du damit sagen?" fragte Margarethe, von einer bangen Ahnung ergriffen. „Ich habe Karolinen mein Wort gegeben, mein Sohn, der Thcilnehmer an meinem Geschäft, soll sie heirathen; nun genug, Derjenige, der jetzt daS Letztere wird und die Stelle des Elfteren vertreten muß, soll cö einlösen." „Sprichst Du von Heinrich?" fragte Margarethe mit bebenden Lippen. „Von Heinrich Boltenstern", erwiderte der Commerzien- ratk, „ich habe bereits an ibn geschrieben und —" „Vater" — wollte Margarethe ausrufcn, „der Mann, über den Du verfügen willst, ist meinem Herzen theuer, mache ihn zu Deinem Sohn, indem Du ihm die Hand Deiner Tvcktcr giebst, und wir werden glücklich werden, Dir unsäglich dankbar sein!" — aber kein Wort kam über ihre Lippen. Wußte sie denn, ob Heinrich ibrc Liebe erwiderte? — sic glaubte eS, sie boffte cS, aber nie batte er ihr eine Andeutung gemacht; mit welchem Grunde könnte sie an den Vater ein solches Ansinnen stellen? Und da fuhr er auch schon fort: „Heinrich hat mir geantwortet, daß er sich meinen An ordnungen füge." „Er bat cingcwilligt, Karoline PeterS zu beiratbcn?" fragte Margarethe. Der Atkem drohte ibr zu versagen, sie drückte die Hand aufs Herz, in dem sie einen stechenden Schmerz empfand. „Wie ich cS von einem Vernünftigen, der weiß, WaS er mir schuldig ist, nicht ander» erwarte. Er schreibt zwar, er hoffe, Konrad werde zu seiner Pflicht und zu dem Platze, der ibm gebühre, zurückkchrcn; da aber diese Voraussetzung hin fällig ist, so betrachte ich die Sacke als abgemackt." „Und was sagt sie — Karoline — willigt sie in den Tausch?" „Ich hoffe es. Nock bin ich ja, wie Du weißt, nicht wieder bei ihr gewesen, ick mag nicht hinübersahrcn, wo der unselige Mensch sein Wesen treibt; wo er mir in seinem lächerlichen Auszuge begegnen könnte, wo alle Welt mit Fingern auf mich als auf den Vater deS Fischer« Konrad wei;en müßte. Aber ich habe an sie geschrieben und sie hat mir geantwortet, so ruhig, so verständig, daß cS mir eine wahre HerzcnSerquickung war. Ich zweifle nicht, daß sie mit dem Tausch zufrieden sein wird." Mit dem Tausch! Was ihr die höchste Seligkeit, der Inbegriff alles Glücks ge wesen wäre, daS war für den Vater und für jene Karoline, gegen die sic jetzt eine geheime Abneigung, ein unüberwind liches Mißtrauen empfand, ein Gegenstand de» Tausches! Und Heinrich batte eingewilligt! Sic galt ibm Nichts oder doch so wenig, daß er den Plänen des Vater« auch nickt den leisesten Widerstand entgcgenzusetzen wagte. O, das that web, unsäglich weh! . . . „Laß uns den Heimweg antrctcn", sagte der Commerzien rath, nachdem sic einige Zeit schweigend neben einander gesessen hatten; sic stand augenblicklich auf und willfahrte ihm, ohne daran zu erinnern, daß sic die Absicht gehabt, nach dem Lenzberg hinaus zu steigen und dort dem Sonnenunter gang zuzusckauen. Für sie war soeben eine Sonne unter- gcgangen, ohne ein leuchtendes Abendroth zu hinterlassen; trübe, graue Dämmerschleicr senkten sich auf ihr warm- fühlendeS, junges Herz und spannen es ein. (Fortsetzung folgt.) tleueke Nachrichte». Hamburg, 17. October. (Privattclcgramm.) Die „Ham burger Nachrichten" sagen anläßlich der Polemik über die Ent lassung Bismarck'S: „Die fortwährenden Entstellungen der damaligen Vorgänge würden vielleicht dazu beitragen, daß die historischen Aktenstücke über die Vorgänge bald publicirt würden. Die „Straßburger Post" scheine aus amt lichen Ouellcn zn schöpfen, verschweige aber trotzdem die Vor gänge vom l5. bis 17. Mär; Morgens." * Paris, 17. October. Einer Mittbeilung aus BucnoS- Ayrcs zufolge hätte daS Einverständnis; der Parteien über den Präsidentschaftskandidaten völlig aufgchört. Der General Mitrc habe die Candidatur für die Präsidentschaft zurück gezogen. Gegenwärtig werde erwogen, hervorragende Männer aller Parteien zusanimenzubcrufcn zur Nominirung eines gemeinschaftlichen Präsidentschaftskandidaten. General Mitre habe ein maßvolles Manifest erlassen, in welchem er den Rücktritt von der Candidatur aukündigt. Er werde aber fortfahrcn, an der inner» Politik mitzuwirkcu. Hierbei werde er sich in den konstitutionellen Grenzen zu halten suchen, um nicht Unruhen hervorzurufen, deren Freund er nie gewesen sei. — Wie aus Montevideo gemeldet wirk, hat der Minister deS Auswärtigen seine Entlassung eingereichl. «I^in , on clor kevirart« «n Hamburg, NM 16. lictober 16!»I. ^lei-^ie, 6 l br. 8 os N Liclnunx; cmst Lt-irke »Io« Will»!«». Wetter. ß <2. s morst 763 xxo «tarl« liefen K- « s'hnstmnemick 743 ZV ettiriinecli kreisen -k- » Kmikaii 767 IV leieer Aue besteckt P 6 Xeulabr^aeeer 762 IV ncl,«»» li »ulkeiilo» -s- 12 Karlsruhe . . 762 XO «elnvack heiter ff- 13 IVieediuIeu . . 762 ,-tiII kalb beckecht -s- IN Ikreslau . . . 766 XIV leiser Tue heiter -k- 13 Kiera. ... 7«»5 0 leicht Kalb bestecht -s- 15 »««M»»NI><»cr HelnrlH U»I« <i, I. ». Lien P,»l t» nr>« v,,. < in rei»»i». , AUr d» „sstililqen Lh-il Proscker Dr.
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