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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.02.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920211020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892021102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892021102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-02
- Tag1892-02-11
- Monat1892-02
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Mil bezeichnender Naivekät kann darüber ein preußischer EnltuSiiiinisser im preußischen Äbgeordnetenhansc saaen: „Ich bekenne offen, wenn ein Mann öffentlich erklärt, ich will Preuße sein, ich will ein loyaler Unterlhan meines Königs und Herrn sein und mit meinem Blute dafür einstehen — dann weiß ick nicht, wie ich als EultuSminister einen Einspruch gegen diesen Mann begründen soll." Nun, Mißgriffe bei der Wahl römischer Bischöfe sind besonders in Preutzcn leine Seltenheit mehr, aber was im Staate eines Friedrich des Großen kaum glaublich erschien, nämlich, daß die Scvule an die römische Kirche ausgeliefcrt wurde — das zu erleben war unserem Zeitalter Vorbehalten. Man will es römischcrseitS oft so darstcllen — und leider kaffen sich auch viele echt evangelische, wahrhaft konservativ gesinnte Männer dadurch täuschen —, als ob es sich hier uni das Sein oder Nichtsein der con- sessioncllen Schule überhaupt bandle. Die Art und Weise, in welcher in nicht weit zurückliegender Zeit trotz der betreffenden Bestimmung der preußischen Verfassung weithin sür Einführung von Simultanschulen agitirt Worten ist, läßt die Sympathien vieler evangelischer Ebristen sür diesen Gesetzentwurf verstehen, aber auch bei entschiedenem Festhalten an der EonfessionSschnle und im Interesse der evangelischen Kirche kann man doch die Frage aufwcrfcn, ob die eigen- ihümliche Schärfe, mit welcher der Gesetzentwurf sür die konfessionelle Volksschule einlritt, nicht Weiber geht, als eS daS Interesse dcS Staates erfordert, und ob nicht auch hier allzu scharf schartig macht. Wird der römischen Kirche ein solcher maßgebender Einfluß aus die Schule zugestandcn, wie in diesem Gesetzentwurf, so kann auf die Länge kein Friede bestehen und es könnte schließlich das Gegcntheil von demjenigen, was man erstrebt, bervorgerufen werten, nämlich die religionslose Etaatsschule. Vor Allem aber muß bei der Benrtheilung dieses Ent- tourses bedacht werden, daß dieses Gesetz doch in erster Linie der römischen Kirche zu Gute kommt, wie eS denn überhaupt auf der Hand liegt, daß mit demselben vor Allem das Eentrum befriedigt werden soll, Ueberlcgen denn die Vertreter des Staates gar nicht, daß sie es mit einem un- sügsanien und unduldsame» Ultramontaniömus zu tku» haben, der über den Kaiser den Papst, über den Staat die Kirche, über die weltliche die geistliche Macht setzt! Durch dies neue Gesetz wird ein äußerst bedenkliches Mithineinrcgieren einer fremden Gewalt in die Ordnungen der Schule einge- sübrk. Und wenn wirklich der römischen Begehrlichkeit in der öffentlichen Volksschule auch nach dem neuen Gesetz ein Riegel vorgeschoben würde — auf welche Weise? wissen wir freilich nicht —, so blieben die Bestimmungen über Privatschulcn übrig, denen jede wirksame Beschränkung aus daS nothwcn- digc und hcisame Maß sebll und die dem schroffsten Ullra- niontanisniiiü Tbor und Thür weit offen lassen. In diesen Privatschulcn können sich kann die Römischen so recht „unter sich" suhlen, Ordensinänner und OrdciiSfrauen werten sich finden und der Befähigungsnachweis zum Unterricht wird unschwer erbracht werden. Wir wollen hier ganz abscben von den sinanzicllen Schwierigkeiten unk Nätbseln auf dem VcrwaltungSgcbicle, welche daS neue Gesetz in reichem Maße mit sich bringt. Wir bleiben dabei: eS ist eine gefährliche Selbst täuschung, wenn man durch dies Gesetz die con- fessionelle Volksschule felsenfest zu gründen er hofft. Rom mag sich dieses Gesetzes freuen, an welchem selbst Windtborst wenig zu tadeln gefunden hätte — ein evangelischer Ebrist, ein preußischer Eonscrvalivcr sollte einem Gesetz nicht beistiminen, das de» Staat in seiner Einwirkung auf die aufwachsende Jugend zu Gunsten der römischen Kirche lähmt und beschränkt. Durch die Stärkung, die daS Gesetz der römischen Kirche von Staats wegen gewährt, wird es dem Vaterland nur zum Unbeil ausschlagcn, und auch die evangelische Kirche wird erfahren, daß die Stellung zum Schulwesen, welche ihr im preußischen Staate von EeutrumS Gnaden gegeben wird, keinenSegen bringt, sondern ein Danaergeschenk ist! Leipzig, 11. Februar» * Am nächsten Sonnabend findet ein parlamentarisches Diner bei dem Slaatsministcr von Bocttichcr statt, wobei auch der Kaiser erscheinen wird. * Tic Vernrtbeilung deS Grafe» Limburg- Stirn m findet auch in der regierungsfreundlichen Prefse keinen Beifall. So schreibt die „Schles. Ztg.": „Was die Ein leitung dcS DiSciplinarversabrenS gegen den Grase» Limburg betrifft, so hat dieselbe bei keiner einzigen der parlamentarischen Parteien und ebenso wenig im Lande selbst Anklang gesunden. Eine Verpflichtung der Regierung zur Erbcbung tcr An klage lag jedenfalls nicht vor. Aber auch die Opportunität des Einschreitens gegen den Grasen wird mit Recht an- gczwcisclt. Gras Limburg Slirum stand seit langen Jahren so sehr im Vordergründe des parlamentarischen Leben« und war dem diplomatischen Dienste, dem er- seiner Zeit angchört hatte, so sehr entrückt, daß seine Kundgebungen vor Allein als die dcS Parlamentariers, nicht als die dcü Beamten an- zusehen sind." * Dem Vernehmen nach haben die Ausschüsse des Bundes- rathS nunmehr den Gesetzentwurf, betreffend die Gesell schaften mit beschränkter Haftpflicht, durchbcrathen und eine Reihe zum Thcil recht erheblicher Abänderungen gemacht, welche der Beschlußfassung deS Plenums demnächst nnterbreitet werden sollen. ES ist wahrscheinlich, daß der Buiideörath sich i» einer seiner nächsten Sitzungen schon mit dem Gegenstände zu beschäftigen baben wird, so daß die Einbringung dcö Gesetzentwurfes im Reichstage in Bälde würde erfolgen können, wodurch dessen Arbeit« Pensum einen recht erheblichen Zuwachs erfahren dürste. Da zur Zeit in den Ausschüssen deS Bundcsralhs noch mehrere andere Gesetzentwürfe, wie z.B. bctr. den Vcrratl, militairischcr Geheimnisse, bctr. den Belagerungszustand in Elsaß-Lotbringen, betr. taö Zubälterwescii :c., bcr.Ubcn und sicherlich noch im Februar dort zum Abschluß gebracht werden dürften, so würde noch ein weitere« unisangrcichcS Arbeitspensum der Erledigung dnrck den ReickSlag barrc». * Ter Präsident wollte aus die heutige Tagesordnung des Reichstags auch den Iesnitcnantrag setzen. Abg. Graf Ballcslrem beantragte indeß Namens seiner Fraction Ab setzung diese« Gegenstandes, weil sie die durch de» preußische» Volks)chulgcsctzeniw»rf bervorgerusene Erregung nicht noch vcr mckrcn wollten. Tic Ullraniontancn bleiben sich in ihre» schlaue» Berechnungen eben immer gleich, sic sckcn von der Erreichung ikrcr Ziele inomenlan ab, wenn die Trauben vor läufig zu bock, hänge». Die Zurnckzichnng de« Iesuitcn- antragcs geschieht nur deSkalb, weil man befürchtet, die Er folge, welche man vom Zustandekommen de« VolksschulgcsctzcS sür die römische Klerisei bofft, zu gefährden. Die Er klärung, welche Abg. Gras Ballcskrcm abgab, lautet wört lich wie folgt: Auf Grund eines einstimmig gefaßte» Beschlusses meiner politischen Freunde habe ich den Herrn Präsidenten zu bitten, den letztgenannte» Gegenstand von der morgenden Tagesordnung <>l>- zusetzen. Wir stehen selbstverständlich nach wie vor unverändert aus dem Boden dcS Antrages. Tic Erklärung welche der preußische Ministerpräsident im preußischen Abgeordnctenhause am 29. Januar dieses Jahres abgegeben hat, aus der sich zu unsere»! Bebauern die ablehnende Haltung der preußischen Regierung und damit die Aussichtslosigkeit sür eine» wirklichen Eriolg unseres Antrags zur Zeit ergiebt, würde imS an und für sich noch nicht veranlaßt haben, aus die Berathnng desselben in diesem Augenblick zu ver zichten. Wenn das von unserer Seite dennoch geschieht, so thun wir eS im Hinblick aus die Lhatsache, daß »eben dieser Sache zur Zeit auS Beraniassung des in Preußen vorgeicgten VoikSschulgesepes eine hochgradige, wen» auch nach unserer Ueberzeugung nngerccht- scrtigte Erregung im Lande bervvrgerusen worden ist. Wir müsse» der Ansicht sein, daß die Berdaiidluiigen über unser» Antrag benutzt werde» wurden, um die jetzt wachgcrusenen Gegensätze noch mehr zu verschärfen (Abg. Bebel: Ei! Ei!). Wir glaube», dem Valerlande einen Dienst zu erweisen, wenn wir diese Gelegenheit nicht biete». Wir verlraue», hast die Zukunft die Beieitigung des für daS katholische Volk schmerzlichen Zustandes bringen muß, welcher durch das Ausnahmegesetz gegen die Jesuiten geschaffen worden ist; wir behalten uns vor, die Berathnng unseres Antrages zn uns geeignet erscheinender Zeit in geichail-ordiinngsmaßiger Weise wieder emzuregen. * Nach der „Norddeutschen Allg. Ztg." treffen täglich im preußischen EulluSministcrium au« den verschiedenen LandeS- thcilen und BcvölkerungSkrcisen, insbesondere auch au« Deutsch land Zuschriften ein, welche freudige Zustimmung zu dem Grundgedanken dcS Bvlksschulgesetzentwurses zum Ausdruck bringen. Es ist nur eigcntbümlich, daß nicht be kannt gegeben wird, von wem diese Zuschriften auSgchen. * Eine stark besuchte Versammlung von Bürgern und Bauern de« ganzen Neuruppiner Kreises »ahm nach mit Begeisterung aufgenommene» Reden der Abgeordneten Wisser und Thomfcn einstimmig eine Resolution an, worin die Regierung dringend aufgefordert wird, daS Volk durch An ordnung von Neuwahlen zum Abgeordnctenhause über das Volksschulgesey zn befragen. * Der Kaiser hat dem nationalliberalen Abgeordneten Iw. Bubl den Krvlicnordcn zweiter Elasse verliehen. * In Magdeburg erstatteten die beiden dortigen Land- tagsabgcordnclen, die Herren Dürre und Seyffarlh, ikrcn Wählern Bericht über die Verhandlungen des preußischen Landtage« und im Vordergrund stand dabei selbstverständlich der Volköschulgesctz-Entwurf. Abg. Dürre schloß seine Darlegungen mit folgenden Worten: In dem Schulgesetz bekämpfen wir den ultramontanen Geis», der die Hand »ach der Herrschast über die Schule ausslreckl. Stets ist Preußen aus der Wacht gewesen gegen römisch - klerikale Herrschastsgelüste; das soll auch ferner jo bleiben. Das Partei- inleressc Pflegen wir nicht, Streben nach Macht, wie uns vorgeworsen ist, liegt uns fern: aber die Staatshoheit über die Schule wollen wir ausrecht erhalten sehen und sie nicht antastc» lasten, sei es auch in Gegnerschaft zur augenblicklichen Regierung. Tic preußische Volksschule soll unverscbrt bleibe». Das leitet die »ationalliberale Partei des Abgeordnetenhauses bei der jetzigen Lage der Tinge und wird sie auch in Zukunsl leiten. Wir vertreten damit nicht nur die llcberzeugungen unserer Partei im Lande: wir dürfen auch aus Billigung vieler Anderer, die rechts und links von uns stehen, rechnen. Abg. Seyssarth sagte am Schluß seiner Rede Folgendes: Tcr Sturm, de» das neue Schulgesetz i» unserem Vaterland hervorgebracht hat, ist kein Sturm im Glase Wasser. Er hat ein Echo gesunden in allen deutschen Landen, die von dem Gefühl durchdrungen sind, daß TeulschlandS leitender Staat nicht aus längere Zeit in »ine Richtung ziirückgcsiihrt werden kann, die seit der Gründung des Deutschen Reiches Überwunden schien. Deutsch- land ist aber eine liberale, nicht conscrvatlv-ultrainontaiie Gründung, deß Zeuge sind seine Verfassung und seine Gesetze. Jede Macht ans Erbe» kan» nur gedeihe» auf Grundlage der Wurzeln, auf denen sie erwachst!» ist. Wir sind darum sicher, daß auch unser preußischer Staat bald wieder einlenken wird in die Bahne», die er mit dem Schulgesetz verlasse» bat. Das ist unser bester Trost in gegen wärtigen Zeitläufte». Uns gehört die Zukunft!! * Die sreiconservativc „Post" erklärt sich für die Los- lösung eines ScknldotationSgcseyrs aus dem Volks- schulgesctz und begründet den Vorschlag wie folgt: Wie immer strittige Frage» jetzt erledigt werden, wird man einen erheblichen Thcil der Bevölkerung fchwcr beunruhigen und zu starker Opposition treibe». Erfolgt die Lösung in einer dem Centrinu annehmbaren Weise, so wird dies mit ave» liberal und allen gemäßigt konservativ und zugleich entschieden deutsch gesinnten Elementen der Fall sein; ersolgt sie umgekehrt im Sinne der Mittet- Parteien, so würde der uderwiegenoe Thcil unserer katholischen Mit- bürger empfindlich berührt »ud so in jedem Fall der Zweck, zu versöhnen und alle staatserhaltenden Elemente gegen die Sociai- demokratie zu sammeln, versehlt werden. Nicht anders steht es mit der Wirkung aus die parlamentarischen Parteien. Je nachdem die Lösung der Streitstagen i» dem einen oder dem anderen Sinne erfolgt, werden parlamentarische Gruppen, aus deren Milwirkung die Regierung angewiesen ist, vor den »iops gcstosten. Die Los lösung eines Schuldotationsgesetzes aus dem Enlwurse ist technisch nicht allzuschwcr und eine nur lheilweise Durchführung eines gesetz geberischen Planes kan» weder als ein Mißerfolg der Regierung, noch als Ursache sür den Rücktritt des Ministers gelte». So bleibt auch jetzt der Plan einer Beschränkung aus ein Schuldotationsgesetz der zweckmäßigste Ausweg aus den vorhandenen Schwierigkeiten. * Besonders erregt ist in Schlesien die Stimmung gegen de» Zcdlitz'schen Schulgcseycntwurf. Ein Ausfluß dieser Stimmung war auch die Besprechung der Fauillrtsii. In zwölfter Stunde. Eine Skizze ans dem Leben von Willy Doenges. Na6d»uck verboten. Mit Hellen Schlägen verkündet die Fabrikuhr die siebente Stunde. Ein Weißes Dampsschlänglein entschlüpft graziös dem engen Rohre neben der großen Dampsessc, die wie ein gewaltiges Ausrufezeichen zum Himmel ragt, dann durch- dringl die Lust ein gellender, markerschütternder Pfiff und wie durch Zaubcrschlag verstummt da« eintönige Geräusch der weidenden Räder, das rastlose Surren und Schnurren der arbeitenden Maschinen i» der großen Fabrik. ES ist Feierabend! Die schweren eisernen Thorr, welche die emsig schaffende Arbeilerschaar dort drinnen tagsüber von der Außenwelt abschloffen, öffnen sich, und hervorquillt ein gewaltiger Strom berußter, staubbedeckter Gestalten in blauen Arbeitsolouse», um draußen schwatzend und lackend nack allen Seilen hin auseinander zu fluthen. Tie meisten von ihnen schreiten den »aber», noch im Terrain der Fabrik gelegenen, sauber gelüncklcn und von reizenden, woblgcpslegten Vorgärten umgebenen Häusern zu, welche die niensckenfreund- liiden Besitzer dcS umfangrcickcn Werke« als Wohnungen für ihre Arbeiter erbaut baben. Nur wenige lenken die Sckritte nach der unweit gelegene» Stadt; eS sind fast ausschließlich tie nnvcrbciralhctcn Arbeiter, die keinen eigenen Hausstand kefihen. Unter den Letzten, die die Fabrik verlassen, befindet sich ein Mann von vielleicht 4» Jahren. Er ist von hohem, lugerem Wüchse und jenem krankhaft bleichen Aussehen, da« Trillern eigcntbümlich ist. Die au« den Höhlen bervor- guellrndeii, verschwommene» und wässerigen Augen blicken stumpf und ausdruckslos in die Welt; ungepflegt ist der Bart, der die aufgedunsenen, fahlgelb gefärbten Wangen und die Oberlippe bedeckt, und verwildert bängt da« lichtdraune Haar, wellbe« oo» verfrühten Silberfädcn durchzogen ist, an den Schläfen hernieder. ÜS ist Klans Fedtersen, der Schmied, der wie die anderen seiner verhciratbetcn Mitarbeiter drüben in einem der kleinen Arbeiterbäuser wolmt. Aber nur selten lenkt er seine Sckritte nach Feierabend der hcimiscken Stätte zu. Ihn treibt die unselige Lridenschast, der er ergeben ist. die sein aanzcS Leben verzehrt und ihn wie ein langsam schleichendes Gift »m Gesundheit und Kraft, ni» Glück und Frieden bringt, allabendlich inS WirtbShauS, in die duinpse, snselgeruchcrfüllte Schnapskneipe; unwiderstehlich treibt sie ihn dortbin. er vermag eS nicht, sich den, dunklen, gewaltsamen Drange zu entziehen, der ihn dem leiblichen und geistigen Verderben entgegcnfübrt Wohl kommen, wir über Jeden voin Pfade der Tugend und Ehre Abgewichenen, so auck über Klau« zuweilen Augen blicke, »n denen er die eindringlich zur Umkehr und Besserung mahnende Stimme deS Gewissens vernimmt, in denen er empfindet, wie tief, wie unendlich tief er gesunken ist, wie »renzcnloö elend »nd unglücklich ihn seine unersättliche scideiischaft zum Trünke gemacht hat. Aber daS sind nur kurze Licktblicke in die Nackt seines verfehlten Lebens, vergleichbar den Sonnenstrahlen, die bossiningS- srcudig durch schweres dunkles Regengewölk hindurchzu- breckcn streben und macktloS zurlickweickcn müssen vor der Gewalt des Feinde«. Denn eine seindliche Stimme ist'S, die in solchen Augenblicken aus seiner Brust zu ibm spricht, die die Mahnungen dcS Gewissens übertönt: „Waö willst Du daheim am verlassenen Herde, wo Niemand Deiner in Liebe harret, wo kein bänSlickcS Glück Dir lacht, wo Noth und Sorge und Kummer Dir auS allen Ecken entgegcngrinscn? Weit besser ist'S, Du gehst zur Sckänke, wo heitere Gesell schaft Deiner wartet, wo Du Schnaps findest, der Leid und Traurigkeit verscheucht, der Dich dem lachenden Leben znrnckgiebt!" Und er muß der feindlichen Stimme zuslimmcn: im WirthS- bauS, beim vollen Becker, da läßt'S sich gut sein; daheim nickt — da ist'S traurig und öde ... . Denn seine Frau ist ibm vor Iabren gestorben und er hat Niemanden, der seinem Hauswesen Vorsicht, Niemanden, der ibm de« Mittags einen Teller warmen Essens nach der »Fabrik berüberbringt, der dcS Abends, wen» er die barte, schwere Arbeit hinter sich bat, für ein trauliches Stübchen, einen gedeckte» Tisck, einen erquickenden Trunk sorgt Zwar hat Klaus ein Kind, eine» Knaben von zwölf Jahren, aber der vermag die kleine Häuslichkeit nicht in Ordnung zu kalten, wie gerne er cö auch tbun möchte; denn er muß nach Beendigung der Schulstunden drüben in der großen Dampf- mnble arbeiten und kebrt erst deS Abends von seiner Be schäftigung heim. Tan» aber lenkt er seine Schritte nickt nach der verlassenen väterlichen Wobnnng, sondern tritt bei den NackbarSleuten ein, die ihn sür geringe Entschädigung mit Speise und Trank versorgen. Meist ist Georg, so beißt der Bube, von der schweren Arbeit, die sein kleiner schwacher Körper schon im zarten KindeSalter um kargen Lobn leisten muß, so ermüdet, daß er sogleich, nachdem er sein Abcndbrod verzcbrl »nd die Schulausgaben erledigt bat, das barte Lager aussucht, welches die mitleidige NachbarS- frau allmorgcntlich aufschültclt. Nur selten geschickt eS, daß er noch ein Weilchen im behaglich erwärmten NackbarS- stübckcn sitzen bleibt, um niit den Kindern seiner freundlichen WirtbSlcute zu plaudern und zn spielen. Ter Knabe entbehrt des Vaters Liebe so wenig, wie dieser die Zuneigung de« SobneS. Und da« ist erklärlich! Sic sehen einander ja fast gar nicht, außer deS Sonntags, denn KlauS mnß des Morgens schon zn sehr früher Stunde zum Werke binüber, de« Abend« aber kommt er säst immer erst zu nacktschlasener Zeit auS dem WinbShause heim Und wie gefugt, — der Gang ins WirtbShauS ist für Klaus ein Bedllrsniß, welche- er nickt unbefriedigt lassen kann. Er finket dort, was er dabeim entbehren muß: eine warme Stube, schwatzende, lachende Menschen und — Schnap« Schnaps aber ist für ihn der Inbegriff alle« Glückes; er er setzt ihm Alles und Jede«: Speise, Trank, Häuslichkeit, Liebe! Er ist bedürsnißloS, so lange er noch eine mit Rum gefüllte Flascke in seinem Besitze weiß. Wie einen Talisman, wie ein unersetzliche« Kleinod hütet und hegt er sie; den letzten Heller opfert er willig dafür. Sein sonst so stumpfer und ausdrucksloser Blick gewinnt an Leben und »immt den Aus druck wiedcrerwachcndcr Spannkraft und neuer DaseinSfrentc a», die fable» Wange» »Ptben sich, und die zitternden Hände verlieren ihre Unvcrläßlichkeit und werden, wie cbedcm, sicher und ruhig in ihren Bewegungen, wenn er das Glas milder wärmenden, kraslvcrlcibende» Flüssigkeit an den Mund setzt und den braunrotken Trank in langen Zügen gluck—glu— gluck—glu—u—»ck durch die Kehle rinnen läßt. Der ScknapS ist sein Herr und Meister, dem er blind lings, knechtisch, willenlos ergeben ist, den er abgöttisch liebt. Er ist ihm Speise, wenn ihn hungert, Trank, wenn ihn dürstet, er ist ihm Tröster, wenn Verzweiflung »nd Noth ibn quälen, und Arznei, wenn Krankheit und Eiechthum ihn plagen. Klaus kann die Menschen nicht begreifen, die ihn um seiner Liebe zum Branntwein willen meiden, die da sagen, der Schnaps sei ein Dämon, den man fliehen müsse, und die ihm Ergebenen seien verblendete, von der Leidcnsckaft irre geleitete Mcnscken. Haha! sic sollten ihn nur kennen, au- cigencr Erfahrung kennen diesen Kraftspcndcr, diesen Muth- vcrleihcr, dann würden sie anders urtbeilcn lernen. Dann würden sie cinscbcn, daß cs sür ihn und alle die anderen armen Menschen, die sich gleich ihm dabeim kein trauliches Stübchen, kein warme- Este», keinen labenden Trunk gönnen können, gar nichts Bessere« geben kann, als Schnap« und immer wieder Schnaps Der ist billig und wärmt doch so prächtig, bei! da wird einem so leicht, so Wohl um'« Herz, da vergißt man Noth und Leid und Kummer und fühlt sich so frei, so frei Er hatte nicht immer so gedacht, war nicht seit jeher ein so vcrloddertcr Mensch gewesen, wie jetzt. Als seine Frau noch lebte, die stille blaffe Anne Marie, der die TodeSrosen schon Iabre vor ihrem Hinschcidcn auf den blassen, abge zehrten Wangen geblüht hatten, da war er auch, wie der Nachbar drüben, ein braver, enthaltsamer und nüchterner Arbeiter gewesen, der nur sür Weib und Kind gelebt, ge wirkt und geschafft hatte, der allezeit bestrebt gewesen war, durch Fleiß und Sparsamkeit seine» kleinen Besitz zu mehren. Damals war er fast nie zum Wirtkshause gegangen, und Schnap- hatte ergleich gar nicht leiden mögen. Aber dann war Fran Anne-Marie jo schwer an Lungenentzündung er krankt, daß sie trotz ihre« Widerstreben- in'S Lazarctb gebracht werden mußte Der damals fünfjährige Georg gebrauchte erklärlicherweise zu jener Zeit noch unausgesetzte Pflege und Obhut, und diese konnte ibm der tagsüber beschäftigte Bater nicht in der erforderlichen Weise zu Iheil werden lassen. Da war er denn gezwungen gewesen, ihn in Pflege zu geben, was natürlich nicht wenig Geld gekostet batte. Er selbst, der sehr schwere Arbeit leisten mußte — er war damals beim Dampfhammer beschäftigt — konnte wohl eine Zeit lang ohne die häusliche regelmäßige Ord nung auökommen und sich mit einem Stücke Brodcs und Wurst und einem Schluck Branuiwein statt eines warmen Mittagsessens begnügen, ans die Dauer aber lies; sich ein solches Leben jedoch nicht durchführen, lind seine Frau wollte nicht wieder gesund werden. Sic siechte täglich mcbr und mehr dahin, und als er eines Sonntags wieder nach dem Hospitale schritt, um sic zu besuche», da kam er gerade noch rechtzeitig genug, um ihr die Augen für imnicr zuzudrückcn. Die völlige Regellosigkeit in der Lebensweise dcö nuiimcbr ganz allein und vereinsamt dastehenden MaiincS, vielleicht auck der Gram Uber den frühen Verlust der Lebensgefährtin, die er wirklich von Herzen lieb gehabt batte, hatten ihn dann immer mehr verwahrlose» lassen und schließlich ganz zum Knechte jener unseligen Leidcnsckaft gcmackt. Selbstverständlich üble diese einen wesentlichen Einfluß auf sei» ganzes Leben und Treiben auö. War er früher mit Lust und Liebe zur Arbeit gegangen, so geschah eS jetzt niit Widerwillen und Unlust; sic ging ihm nickt mehr, wie cbedcm von Statten, bereitete ihm, wie cö erklärlich ist bei einer ohne Lust und Liebe verrichteten Arbeit, Schwierigkeiten, schrill nur langsam und kümmerlich vorwärts und verlor auch an Güte und Wcrtb. Tie natürliche Folge hiervon aber war, das; die Vorgesetzten Klausens ihren Unwillen über die Mangel haftigkeit der von ibm abgclicscrte» Arbeit ausdrücktc» und ibn tadelnd zu größerer Ansmerksamkeit und gewissenhafterer Ausübung seiner Pflichten anwiescn. Und da die« nickt nach haltig fruchtete, so entzogen sic ibm die schwierigeren Arbeiten und wiesen ibm, da sic seine Brauchbarkeit unter der Ein wirkung de« Alkohols immer mcbr schwinde» sahen, schließlich mir »och die untergcordnctstc Beschäftigung zu. Er, der sonst einer der fähigsten und beste» Arbeiter des ganzen Be triebe« gewesen war und allwöchentlich eine stattliche Enmuie Geldes als Lohn nach Hause getragen halte, stand jetzt mit »och lernenden oder kaum der Lehre entwachsenen Arbeiter» an eineni Platze »nd mußlc sich mit einem schmäleren Ver dienste begnügen, als mancher dieser kleinen Burschen. DaS erbitterte ibn. Er schrieb nicht sich, nicht seinem Laster die Schuld an seinem Unglücke zu, sondern der Un gercchligkcit seiner Vorgesetzten. Diese sah er als seine Feinde an und haßte sie dcmenlsprcchcnd. Und dieser persönliche Haß gegen seine Brodherrcn verwandclie sich alsbald in einen solchen gegen die ganze besitzende Welt. Er erblickte in sich und all' den der arbeitenden Elaste angcbörcndcn Menschen arme, unterjochte weiße Sclavcn, die sick Tag sür Tag abrackcrn mußte», nur um sür andere zu schaffen, sür glänzende Protzgcsichtcr und Glückövögel, die sick im Golde wälzten. In der Kneipe, wo er sick ständig aushielk, traf er immer Gesinnungsgenossen an, glcick ibm verlotterte, arbeitsscheue und dem Trünke ergebene Menschen, die wie er auf Gott und alle Welt schimpften, und dies umsomehr, je mehr sie die erregten Gemlllher durch Alkohol gereizt hatten
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