Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920719029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892071902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892071902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-19
- Monat1892-07
- Jahr1892
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Abonnemenlspreis tn der Hauptexpeditioa oder den Im 8tad^ bezirk nud den Vororten errichteten Aus- obesleve» abgeholt: vierteljährlich4.50; ei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5^0. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direct« tägliche »reuzbandjenbuog tat Ausland: monatlich 8.—. DieMorgen-Ausgabe ericheint täglich '/,? Uhr, die Abeud-AuSgab« Wochentag» b Uhr. Ntdarlion und Erveditiou: JshanneSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag» unonterbroch«» geosjuet von früh 8 bi» Abend» 7 Uh». /ilialea: vtts Alemm's bortt»,. lMfre» Huhn), UniversitätSstrab« 1, Louis Lösche. Katharinenstr. 14, zxut. und KSiigSplotz 7. M. Abend,Ausgabe. ttWger. Tagrblatt Anzeiger. Lrgau für Politik, Locolgeschichte, Kandels- nnd Geschäftsverkehr. JttserttottSpeers Die 6 gespaltene Petitzeile 20 siH) Reklamen unter dem RrdactionSstrich (4g^ spalten) SO^j, vor den Familiennachricht«it (bgrspairen) 40^- Srößere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit Kr Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderuna 60 —, mit Postbesürderung .4l 70.—. Ännahmeschluß für Zuserate: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eint halbe Stund« früher. - Inserate sind stets an die Gxtzetzttiait zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. "'---st Dienstag den 19. Juli 1892. 86. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Juli. Ungefähr vor einem Jahre stand Kaiser Wilhelm II. in Amsterdam am Sarge des niederländischen Sechclkcn Michel de Ruyter, legte einen Kranz nieder und sprach: „Es ist kein kleines Volk, das seine großen Männer so ehrt." Bei uns in Deutschland scheint man dieses Kaiserwort vergessen zu haben; in den Niederlanden bat man cS nicht vergessen. Man wendet eö recht oft an. wenn man in den deutschen Blättern liest, wie Fürst BiSmarck von seinem Nachfolger geehrt und von seinen alten und neuen Gegnern mit Kolh beworfen wird. Meist aber wendet man daS Kaiserwort mit einer Berändcrnng an, indem man sagt: „Es ist ein kleines Volk, das seinen größten Man» so mit Koth bewirft." Und die Deutschen in den Niederlanden müssen daö anhören und schweigend zurüätenken an die Zeit vor einem Jahre. Zu den Ausführungen der „Kreuz-Zeitung" über die Gesichtspunkte, welche für die Reform des conservativen Parteiprogramms maßgebend sein müßten, nimml die „Post" Stellung, indem sie erklärt, daß die von der „Kcenzzeitung" geförderte Bewegung nur die Geschäfte der Social- demokraten zu fördern geeignet sei. Das freiconservatire Organ fährt dann fort: „Die Bestrebungen aus Reform des conservativen Partei- Programms im Sinne der „Kreuz-Zeitung" lausen auf nichts Anderes hinaus, als den tiefen Riß, welchen das BolkSschulgefeh zwischen den staatserhaltendcn Parteien z» reißen drohte, dauernd und un- überbrückbar zu machen. Die Klerikal-Conservativen auf der einen, die Liberalen, wohl einschließlich der Freiconjervaliven und Derer um v. Helldorf aus der anderen Seite werden als die Vertreter diainetral entgegengesetzter Weltanschauungen hingcstellt, zwischen welchen cS keinen Ausgleich, sondern nur .(tan,Pf bis zum gänzlichen Siege der einen, oder zur gänzliche» Niederlage der andern Welt anschauung giebt. Für unsere heutige Betrachtung genügt die Thatsache, daß an Stelle der Parole der Zusammenfassung aller staalserhaltenden Elemente zu einer geinetnjame» Front gegen die aus de» Umsturz der Staats-, Rechts- und Gejclljchastsordnung gerichteten Bestrebungen die Parole schärfsten Kampfes gegen Alles treten soll, was nicht klerikal-reactionär nach der Fa?on der „Kreuz-Zeitung" ist. Rechnet man hinzu, daß die Tendenzen noch eine ausdrückliche Spitze gegen die zu einer entschieden natio nalen Politik in dem Lartel mit den Conservativen verbündeten Mittelparteien dadurch erhalten, daß dem nationalen Momente für die Gegenwart und Zukunft die noch in dem deutsch-conservativen Programm von 1876 anerkannte hervorragende Bedeutung ob- gesprochen wird, so ist klar, daß der Sieg dieser Programm- beftrebungen gleichbedeutend sein müßte mit einer so scharfen Kampfes- stellung zwischen den Anhängern derselben und ihren Ccntrums- verbündeten auf der einen und den übrigen die Mehrheit der denkenden und gebildeten Elemente des Bolks umfassenden Rich tungen innerhalb der bürgerlichen Parteien aus der andern Seite, daß daraus ein alle Kräfte in Anspruch nehmendes Ringen um den Sieg sich ergeben müßte. Direct und indirect zum Vortheil der Socialdemokratie. Indem die bürgerlichen Parteien, statt ihre Kräfte zu gemeinsamem positiven Wirken für die fortschreitende Ent- Wickelung unseres Gemeinwesens zu vereinigen, sie in einem Existenz, kamps zu verbrauchen genöthigt werden, staguirt Staat und Gesell- schast. Das ist aber Wasser aus die Mühte der Socialdemokratie, u deren Hauptkampfnntteln die Behauptung der angeblichen Un- ähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates, Fortschritte herbeizusühren, gehört." Auch die „Norddeutsche Allgem. Ztg." gebt auf daS Thema der Reform des conservativen Parteiprogramms ein, nennt allerdings die „Kreuz-Zeitung' nickt, kommt aber wie diese zu dem Schluffe, daß jetzt der religiöse Gedanke mehr betont werden müsse, als der nationale, da die „nationale Phrase" unendlich viel Selbstsucht und innere Auflehnung gegen die gött liche Ordnung habe decken müssen Unwillkürlich wird man durch diese Aeußerung des wieder osficiös gewordenen Blattes an be kannte Aeußerungen deS Grafen Caprivi erinnert, der alle Parteien für national erachtet und die Hauptaufgabe der Zeit in der Bekämpfung des „Atheismus" sieht, zu Hessen Trägern er bekanntlich alle Gegner der Zedlitz'schen Schul vorlage rechnete. Hiernach gewinnt cs den Anschein, als ob die„Kreuz;tg."sich kerZustimmuugdes HerrnReichSkanzlers zu er stellen hätte, der allerdings in Preußen i» Folge der bekannten kaiserlicken Intervention gegen jene Vorlage nicht mehr all zuviel Einfluß besitzt, aber immerhin durch den Nachfolger des Grafen Zedlitz im preußischen Ministerium einen Ber- trctcr seiner Gesinnung Es muß sich ja bald zeigen, ob die „Kreuzztg." durch den Wind, der von oben in ihre Segel webt, ihre Hoffnung auf Zustimmung der gcsammten deutschen Eonservativen verstärkt sieht. Sollte das der Fall sein, so würden wir bald im Reichstag jenen Kamps entbrennen sehen, den die „Post" voraussagt. In Prag bat bekanntlich das Oberlandesgericht die Wiederaufnahme der Commissionsberatbungcn über die nationale Abgrenzung der 32 gemischten Gerichtsbezirkc angecrdnet. Die Sprache der czechischen Blätter wegen dieser Maßregel, die ohne Mitwirkung von czechischen Vertrauensmännern erfolgen soll, wird von Tag zu Tag heftiger und sic erblicken darin eine Herausforderung deS czechischen Volkes, derselben den äußersten Widerstand ankündigend. Die jnngczechischen „Narodni Listy" ziehen ans dem Vorgänge der Regierung die Conseqnenz. daß dieselbe zur Auflösung des böhmischen Landtages entschlossen ist, da von dem gegenwärtigen Land tage die Annahme oder auch nur die Berathung der Ab grenzungsvorlagen nicht zu erwarten sei. Durch die Auf lösung des Landtages solle die Vertretung des Großgrund besitzes im Landtage bei der vvranssichtlichcn Wahlenthallung der conservativen Großgrundbesitzer wieder den versassungs- trenen Großgrundbesitzern übertragen und dadurch die ge wünschte Landtagömajoritat geschaffen werden, um die Ab grenzungsvorlagen durchzubringen. Allein das czechische Volk werde der Durchführung dieser Maßregel den äußersten Widerstand entgegensetzen. Daß die Auslösung deS bödmischen Landtages, mag sie nun vor oder erst nach der Ablehnung der AbgrknzmißSvorlage erfolge«, wieder de« verfassungs treuen Großgrundbesitzer in den Landtag bringen wird, ist allerdings zweifellos. Die belgischen Franzosenfreunde sind hoch entzückt von den kraftvollen Worten, womit kürzlich aus dem eid genössischen Schützenfest in Glarus der Schweizer Bundes- präsitent für den festen Entschluß der Schweiz eintrat, unter allen Umständen die Neutralität des Bundes zu verthei- digen. Dabei fehlt cs nicht an tendenziösen Vergleichen mit der angeblichen Zaghaftigkeit, die Belgien in Sachen der Neu tralitätspolitik zur Schau tragen soll, so wenig wie an Vermah- nungen, sich an dem Beispiele der „freien Sckwciz" aufzurichlen. In dem Munde von Leuten, deren glühendster Wunsch cS ist, je eber desto lieber dem Gemeinwesen der „großen und ruhmvollen französiscken Republik" eingcgliedert zu werden, entbehren derartige Lobhudeleien auf den ManncSmuth der eidgenössischen Schützcnbrüder nicht einer gewissen Komik, namentlich wenn man sich der von den belgische» Franzosen- freunden mit den Maasbcfcstigungcn ins Wert gesetzten Komödie erinnert. Wäre es diesen Biedermännern mit der Sicherstellung der bclgisckcn Neutralität ernst, so würden sie das Bemühen der Brüsseler Regierung, mit allen Mächten auf gutem Fuße zu bleiben, unterstützen, statt dagegen zu opponircn, daß Belgien auch noch nack anderer als nur französischer Sekte, so z. B. nach und mit Deutschland, sreundnachbarlichc Beziehungen pflegt. Die Art von Neutralität freilich, welche de» FranSquillonS vorschwebt, nämlich wohlwollend, sympathisch, enthusiastisch in Ansehung Frankreichs, feindselig und haßerfüllt gegen Deutschland, hat in den völkerrechtlichen Beziehungen der Nationen bislang noch seinen Platz gefunden und dürste binnen absehbarer Zeit wobl nnr ei» frommer Wunsch von Leuten sein, deren Urtbeils- losigkeit höchstens von ihrer Skrupellosigkeit überlroffen wird In Belgien scheint man übrigens auch in den betreffenden franzosenfreundlichcn Kreisen ein sehr schwaches Gcdächtniß zu besitzen, kenn sonst müßte man sich daran erinnern, daß Fürst BiSmarck bei Ausdruck des Krieges im Jahre >870 ein Actenstiick veröffentlickcn ließ zum Beweis dafür, daß der französische Botschafter Benedelli rin Aufträge seiner Regierung dem König von Preußen einen Vertrag wegen beiderseitiger Aneignung Belgiens vorgcschlagen halte. DaS Endresultat der englischen Parlaments wahlen bestätigt die bisherige Annahme, daß die Mehrheit für Gladstone nickt über 40 Stimmen betragen wird. Man kann jetzt mit Bestimmtheit behaupten, daß die britischen Wähler, Irland als inleressirte Partei bei Seite gelassen, sich gegen Homerule erklärt habe», denn unter den 56? Abgeord neten, die England, Schottland und Wales in das Parla ment entsenden werden, sind 292 Unionisten und nur 275 für He'merule. Und rieht man gar nur England mit seinen 465 Wahlkreisen in Betracht, so sind etwa 270 gegen und l95 für Homernle. Wie viele von den letzteren aus Ueberzeugung die Selbstständigkeit Irlands anstreben und auch kann dafür stimmen werden, wen» Gladstone endlich einmal jene Bill an daS Tageslicht bringt, steht noch sebr dahin. Herbert Gladstone, der Sohn des Ex- und zukünftigen Premiers, hielt am letzten Donnerstag in Hawarden eine bemerkcnswerthe Rede. Er sagte, die Annahme wäre, daß die liberale Partei, wenn sie wieder ans Ruder käme, nichts als Irland und Homerule kennen würde. Homerule müsse allerdings zuerst erledigt werde». Von anderen Reformen sei die der Schankconccssion zuerst in Angriff zu nehmen. Irgend ei» besonderes Jnkividium oder Geschäft anzugreisen, liege den Liberalen fern. Die Wirlhschastösrage aber berühre das Volk tief. lieber solche Sachen müsse das Volk entscheiden. Die Liberalen schlügen deshalb eine Acnderung des bestebendeu LicenzsysteuiSvor. Erwählte Behörden müßten über Conccssioncn entscheiden und das Volt müsse eine directc Stimme baden. Die M'higkeitSfrage ruhe wie ein Alp ans der liberalen Partei. Sie habe ihr schon viele Stimmen gekostet. Die Frage habe schon zu lange das Parlament beschäftigt und müsse endlich endgiltig auö der Welt geschafft werden. In Frankreich begrüßt die osficiöse Presse, was zu erwarten war, den Sieg Gladstone's als eine Schwächung deS Dreibundes; zugleich hofft man dort, Gladstone werbe seine wiederholte Zusage der Räumung Egyptens nunmehr erfüllen. Wie man sich auf Seite der Uuionisten zu der jetzigen Lage stellt, darüber sagt die Lord Salisbury nahestehende „Morning Post" Folgendes: Gladstone stehe jetzt vor der ministeriellen Litadelle, wenn er nicht angrcise» könne, müsse er erwarte», mit der ganzen vereinigten Kraft der unionislijchen Partei angegriffen zu werden. Lord Salisbury würde seine Pflicht at» Staatsmann vernachlässigen, wenn er seine Beraulworttichkeiten einem maSktrte» Angrisie über- gäbe. Ohne eine Politik, die er erklären könne, ohne eine Partei, aus die er rechnen könne, verlange Gladstone die Macht, als ob das Königreich und dessen Bevölkerung sein persönliches Spielzeug wären. Gladstone sei von keiner britischen Mehrheit unterstützt, sonder» von Männern, welche das Reich zerstückeln wollen. Ohne die Kräfte der Treulosigkeit und einer verbrect «rischen Verschwörung habe Gladstone keine Mehrheit. Im Lause einer am Sonnabend in Rugcley gehaltenen Rede spöttelte auch Chamberlain über die Zusammen- jetzung der Gtadslvne'sche» Mehrheit. Er sagte, so viel» Hractionen, von denen jede ihr Sonderprogramm in de» Vordergrund zu drängen bestrebt jei, würde» die Lösung jeder dringlichen Frage verhindern; selbst ein so gewiegter Parlamentarier, wie Gladstone, würde es schwierig finden, ein solches Gespann zu lenken; die Kutsche würde an der ersten Ecke umsloben. Wir haben vor Kurzem einen Erlaß der russischen Re gierung an ihren Vertreter in Bukarest mitgetheilt, welcher grelle Streiflichter auf die russischen Wühlereien auf der Balkan Halbinsel warf. Einen noch empfindlicheren Stoß erleidet die russische StaatSmoral durch den Wortlaut der Verrechnung über dic-an diebnlg arisch en Verschwörer bezahlten Gel der, im Ganzen 762 000 Franken, welche neuer dings das Amtsblatt der Negierung in Sofia, die „Swobada", veröffentlicht. Es handelt sich hierbei um den Ausstand, der mit Hilfe dieser russischen Unterstützung im Jahr l88l an- gczettclt wurde. Es wurden u. A. bezahlt: Den Mitgliedern deS Revolutionscomitüs in Bukarest für die Erhaltung der Osficiere und der anderen Emigranten laut Telegramm deS Minister- des Aeußcrn vom 15. Dec. 1886 126 000 Fr.; laut Telegramm deS Herrn Vorstandes des asiatischen Departe ments vom 10. Januar d. I. ausgegeben für die Erhal tung deS Comitös in Giurgevo und in Rnstschuk 75 000; ür die Mitwirkung bei der Bildung der RevolutionS- comitSS für bulgarische Nationalbcwegungen 60 000; dem Capitain Bohlmann, der an derRustschuker Revolution Antheil genommen hat, zum Zwecke seiner Heilung und für andere Bedürfnisse auSgesolgl 15 000; laut Telegramm deS asiatischen Departements vom 10.Februar 1887 dem Major Gruew und Capitain Benderew, zwei eidbrüchigen Offi- ciercii, zur Verfügung ohne Rechnungslegung 60 000- dem russische» pensionirten Stabs-Rittmeister Peter Nebolsin als Mittel zur Rückkehr nach Rußland 4000; laut Telegramm des Herrn Ädlatus deS Ministers des Acnßern vom 10. März l887 auf Rechnung der kaiserlichen Polizei .... für die Mitwirkung, welche sie unseren Agenten der geheimen Polizei erwiesen haben, 40 000; auf Grundlage desselben Telegramms und aus Rechnung der kaiserlichen Polizei au Herrn . . . zum selben Zwecke 20 000; verschiedene Ausgaben bei Ver seilten der Proclamationen und Zeitungen nach Bulgarien 30 000; als Unterstütziinz gegeben den Familien der in Rust- sckuk verurtheilten Ofsiciere und anderer Personen, di« durch die Revolution am 19. Februar 1887 Schaden erlitten, 25 000; als Unterstützung den Officieren und anderen Emigranten zur Reise nach Rußland zu verschiedenen Zeiten 62 000 Francs. Deutsches Reich. 6. H. Berlin, 18. Juli. Der hiesige russische Botschafter Graf Schuwalow weilt zur Zeit in Petersburg, und das ist sehr bcmerkenswertb. Die Güter deS russischen diplo matischen Vertreters am hiesigen Hofe liegen in Curland und Graf Schuwalow hat sonst, wenn er sich von Berlin nach Rußland begab, seine großen Güter ausgesucht. Daß Petersburg jetzt zur Svmmerszeit kein angenehmes Pflaster ist, bedarf wohl keiner besonderen Betonung; eS müssen also ganz besondere Gründe obgewaltct haben, welche den Grasen veranlaßten, sich nach Petersburg zu wenden. Kaiser Alexander ist bekanntlich erst ganz kürzlich von Kopenhagen nach Petersburg bezw. Pclerhof zuruckgekehrt, und man dürfte Wohl kaum fehl gehen, wenn man die Anwesenheit des russischen Botschafters am Berliner Hose mir der Rückkehr des Zaren in Verbindung brmgt. Graf Schuwalow bat, wie erinnerlich, auch der Hochzeit des Grafen Herbert BiSmarck in Wien beigcwohnt und die An nahme durfte Wohl nicht ausgeschlossen sein, daß der Zar sich von seinem diplomatischen Vertreter über die in den „Hamburger Nachrichten" und anderen dem Fürsten BiSmarck ergebenen Zeitungen gepflogenen Erörterungen eingehend Bericht erstatten läßt, zumal da die Stellung Rußlands zu Deutschland in denselben ja eine besonders hervorragende Rolle gespielt hat. ss. Berlin, 19. Juli. Das preußische Abgeord netenhaus war in seiner letzten Tagung mit einer für den Vollzug der socialpolitischc» Gesetze wichtigen Frage befaßt, ohne daß die weitere Oesfentlichkeit davon Notiz geuommen hätte. Eine große Anzahl von Städten mit Feiiilletsn. Der Letzte seines Stammes. 161 Licht- und Schattenbilder von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Herr Gernot seufzte tief auf. ^ Ich weiß eS, meine Gute, ich weiß eS. Aber ick versickere Sie, daß ich sckon wochenlang in Rom bcrumgelauscn bin, um einen Römerkopf zu finden — ich finde keinen! Es ist zum Verzweifeln. Fräulein Krancher nahm ihre Pfeife einen Augenblick aus dem Munde und sann nach. Haben Sie sich den Stiefelputzer einmal angeseben, der in dem kleinen Garten vor San Marco sitzt? fragte sie endlich. Welchen meinen Sie? Ich weiß momentan nicht, wo San Marco ist. Wenn man vom Capitol herüber kommt, links ab. Ab ja, de» kenne ich! Das ist Nichts. Dem Manne fehlt das richtige Auge, der richtige Blick, den ich haben muß Mag jein, aber ick kann Ihnen versichern, Gernot, ccr Kops dort sitzt nicht. Und wenn Sie nun auch nock mit Ihrer gelben Schmiererei kommen, so vrrschimpfiren Sic die ganze Arbeit. Der Kopf muß schwarz, rolh, mit grellen Lichtern in den Augen bebandelt werden. Ob nein, meine Gute. DaS habe ich schon versucht. Hier sehen Sir einmal diese Skizze! Es gebt nickt: die Töne lassen sich nicht vermitteln. Sie stehen nicht zur Figur der Virginia, sie werden rob. Unsinn, Gernot, zeigen Sie mal her! Die Malerin übermalte die Gernot'scke Skizze nun selbst, und da Herr Gernot wußte, daß sie eine außerordentlich seine Empfindung und sickereS Gesübl für Farbe batte, so ließ er sie auch gern gewähren. Er batte von dem sichern Blick und der Praxis der Malerin schon viel gelernt, unt sie wieder profitirtr viel von ihm in Hinsicht aus Entwnrs und Eomposition. Während die Malerin schweigend an ihrer Arbeit saß, griff Herr Gernot nach einem Packet Zeitungen, daö die Malerin für ihn mitgebracht batte. Er war nun dock sckon eine ziemlicke Weile von Berlin fort, und wenn er auck nicht gerade Heimweh enipsand, so wollte er dock gern wissen, was man denn eigentlich in seinem — lieben Berlin machte und was dort passirte. Plötzlich wurde er blcick, sein Atbem stockte, seine Augen hefteten sich starr ans das Zeitungsblatt. Dann sprang er wie von einer Natter gestöcken von seinem Sitze aus, warf mit einem lauten Schrei daS Blatt zur Erde, nahm seine» Hut und stürmte fort. Lust. Lust! hörte ihn die erstaunte Krauckcr noch auf per Treppe ächzen, dann sah und hörte sie Nichts mehr von -bin. Was sind denn nun das wieder für saubere Sacken, ra:,on»iitc sic für sick hin, nahm daS zerknitterte Zeittmgö- blatt und suchte darin herum. Laßt mick sehen, was ihm iliiii wieder in die Krone gefahren ist. Es ist dock ein Scandal, daß der Mann bei seiner Arbeit nicht zur Rübe koiiiiiit. eS ist eine Schande. Verkäufe, Vcrmicthungcn — Gcldverkcbr — nun, das läßt ibn wohl Alles kalt, aber hier, Familicn-Nachrichteu, Minne Marius, halt, daS ist's. Bon seiner Mimic bat er ja immer schon gefasclt. Dann warf auch die Krancher daS Zeitungsblatt gering schätzig und miiibeud zu Boden. Vernialcdeitcr Schwindclkram, raisonnirte sie weiter, wer malt nun das Bilk? Ist daS nickt eine Sckande, daß solch ein nichtsnutziger Mätckenkopf rin Bild vernichten kann, noch che cs überhaupt fertig ist? Er war so sckön im Zuge, es hanvelc sich um ein Meisterwerk — diese Virginia — ah — Fräulein Krancher vergaß ihren Aergcr auf einige Augen blicke uut versenkte sich mit eckt künstlerischem Temperament in die Betracklung des Bildes, das allerkiiizS nock nicht voll endet, doch schon Details von wunderbarer Wirkung unt Schönheit zeigte. Vor tem Ausgange eine- Tempels deS MarS ruhte Virginia im Arme ihres Vater«, der den Tolch über ihr zückte. Wunderhübsch erfundene und außerordentlich charaktcri'mche Gruppen bestürzter Männer und Frauen eilten von alle» Seiten bcrbei. DaS Gemälde war vor. hinrcißen der dramatischer Kraft und Wirkung; Virginia,,» Farbe unt Composition wundervoll, die große» schwarzen Augen auf opfernd und todcsmuthig auf ihren Vater gerichtet, erwartete mir claffiscker Ruhe den Stoß. Ihre Züge halten Aehnlich- kcit mit Fräulein Minne, die Gestalt schien ganz nnd gar dieselbe zu sein. Ist daS nicht eine Schande? fragte sich die Krancher wiederholt und fuhr dann wüthend zwischen den Zähnen »inrmclnd fort: Wenn mir daS Gänschen einmal zwischen die Finger kommt, so soll sie nickt im Zweifel über die Sckandthaten bleiben, die sic anricktct! Ich hätte große Lust, ibr eine VcrlobiisigSgratulation zu schreiben, die sie nicht an den Spiegel steckt. Macht den armen Gernot verdreht, und dann — — Na warte, Püppche», Du sollst mir büßen! Also Marius heißt sie? Na warte! Schade uni den hübschen Namen! Damit spuckte die Malerin tüchtig aus und schloß, nacktem sie sich noch in nicht wiedcrzngcbcnder Weise über das prüde, blcichsüchtige, gefühllose Gesindel ereifert hatte, daS Atelier Gcrnvt's zu. — Die Sonne war ani Untergeben und färbte die römische Campagna gelb und rothbraun. Meilenweit, in wellen förmiger Botengci'taltnng umgab sie schweigend »nd ernst die ewige Stadt. Zahllose Trümmer warfen lange, gcspenstisckc Tckattc» über die öde Haide, die nur stellenweise durck große Picbhecrdcii und melancholische „Easale"*) oder durch malerische Gruppen berittener, beimkebrender Hirten belebt wurde. Etwa zwei Wegstunden von der Stadt entfernt, in der Nähe der alten rin »ilmrtinn, saßen vor einer alten, schwarzgeräuchcrtcn Wegkucipc an einer lange» Holztasel einige Hirten, nahmen einen Abendtrunk z» sich und schwatzten Es waren kernig«, robuste Gestalten. Die spitzest, schäbige» Filzbüte saßen idncn bebändert, .nanckmal mit beben Federn geschmückt, verschroben und bedrohlich auf den Köpfen. Lange Mäntel von zweifelhafter Farbe umhüllten ihre Gestalten, die im klebrigen mcbr niit Lumpen als mit Kleidern bedeckt waren. In dem breite» Ledergurt bing der Revolver und ein langes, tolchartigcö Messer. Schwere Stieseln mit *) Hirten- und Pächterhäuser. fingerdicken Sohlen, klirrenden Sporen nnd langen bis zum .Knie reichenden Ledcrstulpen bedeckten ihre Beine. Hier kam Herr Gernot plötzlich aus schweißbedecktcm Pferde vorübergerast. He, He! ries einer der Hirten, wollt Ihr den Hals brechen? Haltet an, ballet an! Der Bauchgurt rutscht k schrieen die Uebrigen, bis endlich das Pferd, wobl mehr aus eigenem Bedürsniß als aus Antrieb des Reiters, stehen blieb. Einige der Hirten sprangen hinzu, um dem Reiter zu Helsen. WaS wollt Ihr von mir? rief Herr Gernot bleich und aufgeregt. Er nahm die Leute natürlich für Briganten und versickerte ihnen, daß er NicktS habe und eS ihm gleichgiltig sei, wen» sie ibn tottschliigen. Die Hirten lachten. Wartet nur so lange, bis wir Eurem armen Thier den Gurt fcstzickc», »nd dann reitet nack Belieben, wobin Ihr wollt. Weit wertet Ihr ja doch nicht kommen, sagte einer der Hirten spöttisch, und ein Anderer fügte lackend hinzu: Mit solchen HöScken und mit solchen Stieselchen ist in der Campagna Nichts gemacht. Kehrt um, wen» wir Euch ralhen dürfen. Herr Gernot besah sich die Leute, die um ibn berumstanden. Wozu habt Ihr die Revolver bei Euch? fragte er mißtrauisch. Kuuguv äi ckio, gegen die Hunde. Ilnd die langen Stulpenstiefeln? Man steht Euch wohl an, daß Ihr nicht wißt, wie die romi'cke Campagna auSsicbt. Nehmt Euch vor den Schlangen in Acht. Durck Eure Stiefeln beißen sie durch! Herr Gernot sckauerte leicht zusammen. Er batte im Leben noch keine Schlangen in der Freiheit gesehen. Aber mit einem energischen Ruck setzte er sich wieder im Sattel zu- rcckt. Die Bitte der Schlangen schienen ibm weniger schreck lich, als die Schläge seines wilden Schicksals, denen er sich auf jeden Fall entziehen wollte. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite