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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-03-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940308029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894030802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894030802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-03
- Tag1894-03-08
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Marge „-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/.0 Uhr. Bei den Filialen «nd Annahineslellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditta» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Filialen: rit* Klnnm'S Gsrtt«. (Alfred Hahn). Uaiversitätssttaße 1, Lsnt» Lösche. »atharineasrr. 14, pari, und SöulgSplatz 7. Lrgail für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. 122. Donnerstag den 8. März 1894. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. ' Lrtpftg, 8. Mürz. Die Borlage, betreffend die Aushedu» »es FsenttlälS- nachwrise», ist gestern vom Reichstage in einer einzigen Sitzung in erster Lesung erledigt worden. Da, wie ver lautet, für die zweite Lesung von Seiten der konservativen und des Zentrums einige Äbändcrungsanträge in der Richtung vorbereitet werden, daß die Transitläger nur für ausländisches, nicht für niit inländischem gemischtes Getreide zulässig seien und daß der den großen Müdlcn für ausländisches Getreide bewilligte sechsmonatige Credit aufgehoben werden soll, weil davon eine Schädigung der kleineren Mühlen industrie und der einheimische» Getrcidrproduction befürchtet wird, so ist freilich ein Abschluß der Berathung der Vorlage vor der Osterverlagung deS Reichstags nicht zu erwarten. Jedenfalls aber sind die Aussichten für das Zustandekommen des Gesetzes die besten, und da in der Handelsvertrags-Commission die Aushebung der Staffel tarife von der preußischen Regierung definitiv zugesagt worden ist, so können schon jetzt die Bedingungen als erfüllt betrachtet werde», von denen eine namhafte Anzahl von Mit gliedern des Reichstags ihre Zustimmung zu dem Handels verträge mit Rußland abhängig machte. Der Herr Reichskanzler würde sich aber doch tauschen, wenn er die günstigen Aussichten des Vertrags lediglich der Aufhebung des Identitätsnachweises und der preußischen Staffeltarife auf Getreide und Miihlensabrikate zurücksührte. Besonders im Cent rum hat, wie man auS der „Köln. VolkSztg." ersieht, noch etwas Anderes mitgewirkt, die Stimmung zu Gunsten deS Handelsvertrages zu beeinflussen: die Furcht vor Herrn Iw. Miguel. DaS Organ der rheinischen Ultra montanen knüpft nämlich an eine Erörterung über das Auf treten der beiden Minister Miguel und v. Heyden bei der ersten Beratbung deS Vertrag« die folgende Auslassung: „Für die Ccntriimsabaeordneten des Westens kam in dieser Lage ei» wichtiges Moment mit i» Betracht. Fiel der Pertrag, jo wurde voraussichtlich Miguel Reichs kanzler: diesem bewilligten dann die Conservativeu, was sie Caprivi verweigert hatten, und dann wurde der Vertrag an genommen mit den Conservativeu, aber ohne Abschassung der Staffeltarife! Daher der scharfe Widerstand Miquel's gegen die Abschaffung der Staffeltarife (?). Ihm wäre es nwhl ganz recht gewesen, wenn gerade an diesem ^uncte der Vertrag gescheitert wäre. Er hätte dann seine tt'o»krva- liven Freunde nicht von der Annahme des Vertrags oiSpen- siren können, aber er hätte ihnen doch die Staffeltarife ge rettet gebabt. Jawohl, es war sehr sein eingefädelt! Da war's immer noch besser, man versuchte mit Caprivi den Vertrag zur Au- natnne zu bringen unter der Bedingung, daß die Staffeltarife, die besonders den Westen, sowohl Landwirthschast wie Müllerei und Mälzerei, weit inehr schädigen, wie die Aushebung des Differential- zolle» gegen Rußland, abgeschafft würden. Aus diesem Grunde bat sich von vornherein eine größere Anzahl von Centrums- Abgcordneten des Westens dem russischen Vertrag keineswegs grund- jätzlich entgegengestellt, von der Annahme ausgehend, daß aus die Dauer ein solcher Vertrag doch nicht adgelehnt werden könne, son- dern vielmehr ihre eventuelle Zustimmung in Aussicht gestellt, aber unter der unbedingten Voraussetzung, daß die Staffeltarise von »801 sür Getreide und Miihlensabrikate aus dem Osten nach dem Westen sielen." Gras Caprivi hat sonach, wenn der Handelsvertrag mit namhafter Mehrheit bewilligt wird, alle Ursache, dafür Herrn IW. Miguel besonders dankbar zu sein und dasür zu sorgen, daß ihm dieser preußische Ministereollege an der Seite bleibt, als Popanz für das Centrum und gleichzeitig als Mann de« Vertrauens der Agrarier. Wie sehr Herr Iw. Miguel das Vertrauen der Landwirthc genießt, geht u. A. auch aus folgender Mittheilung der „Täglichen Rundsck." über eine Rete hervor, die der preußische Finanz minister am Dienslag bei dem Festessen der Mitglieder des deutschen Landwirthschastsralhs hielt. Es heißt in diesem Berichte: „Die Anwesenden hatten den Eindruck, daß vr. Miqnel sein wtrlhschastlich politisches Programm sür die Zukunft entwickelte. In einem geschichtlichen Rückblick schilderte der Minister zunächst die Entwickelung unserer gegenwärtigen Zustände. An knüpfend au den Umschwung, den die Stetn-Hardenberg'sche Gesetz gebung in dem ländlichen Besitzwesen berbeigesüdrt hätte, kam er in seinem Gcdankengange daraus hinaus, daß wir uns setzt in ähnlicher Weise in wirthjchastspolitijcherHinslcht an einemWendc- punct befänden, indem auch die moderne Gesetzgebung sür die wertb- erzengenben Stände und namentlich sür die Landwirthschast dasselbe leisten könne und müsse, wenn auch mit andere» Mitteln und in anderer Form, wie die Stein-Hardenbera'sche Gesetzgebung, die doch thatsächiich sür den Aufschwung und die Entwickelung der preußischen Landwirthschast von höchster Bedeutung gewesen sei. Freilich bewegten sich die Aeußerungen des Ministers mehr in der Form von Hoff nungen und Aussichten, was ein Mitglied des LandlvirthschastsrathS veraniaßte, seinerseits den Wunsch auszusprecheu, daß endlich einmal sich diese Hoffnungen in THaien umsetzen möchten. Auch der Slaatsminislec von Boctticher sprach sein Wohlwollen für die Landwirthschast in warmen Worten aus und bekundete sehr bedeutsam seine Ueb crein stimm ung mit dem preußischen Finanzminister damit, daß er erklärte, er lasse seinem Collegen völlig freie Hand Die Worte beider Minister, insbesondere die Miquel'sche Rede erregten Len stürmischen Beifall der Versammlung." Wenn Graf Caprivi eines Collegen beraubt würde, von dem das Centrum ebenso viel fürchtet, wie die Landwirth- schaft boffl, so würde er dadurch mehr verlieren, als er gewinnen könnte. Wenn die unsteten Verhältnisse in unseren wirtbschaft- licken Beziehungen zu Rußland und zuletzt die der Kampf- ölle von Handel und Industrie schon als Hindernisse und cbwere Schädigung empfunden wurden, so hat »och in viel höherem Maße, insbesondere unter de» Kampszöllen, die deutsche Leeschiffsahrt gelitten. Cs ist nicht die Gewohnheit unserer Rheder, sich in Klage» zu ergehen — diese Eigenschaft wurde noch letzter Tage durch den ^taatssccrctair deS Aus wärtigen, Herrn v. Marschall, im Reichstage erwähnt —, und so ist Venn die ungünstige Lage, in der die deutsche Seeschiff fahrt bei dem Nichtzustandekommen deS deutsch russischen Handelsvertrags bleibe» würde, in der Oeffentlickkeit weniger bekannt geworden. Thatsächiich ist die deutsche Seeschifffahrt in dem gegenwärtigen Stadium des ZollkampseS mit Rußland nicht nur etwa mittelbar betheiligt durch Verringerung der Frachlmcngcn im gegenseitigen Waarcnaustausch, sondern es kommt, wie die „Köln. Ztg." betont, der jetzige Zu stand des wirthschasllichen Streils zwischen den beiden mäch tigen Reichen einem Verbot der deutschen Schifffahrt nach und von Rußland fast gleich. Die als Kampsmaß- nahme durch Rußland eingesührtc Erhebung der Lasteuqelder für Schiffe unter deutscher Flagge von 5» Kopeken auf l Rubel sür die Registertonne bedeutet eine so Hobe Belastung, daß in den gegenwärtigen Zeilen niedriger Frachten der erfolgreiche Wettbewerb aus dem Gebiete deS Frachlverkchrs nach und von Rußland gegen die Schiffe Englands, Hollands und Skandi naviens den deutschen Schiffe» fast unmöglich ist. Wen» ein deutscher Dampfer in derGröße von beispielsweise 1000 Register tonnen an russischenLastabgaben >000 Rubel entrichten inuß gegen über 5>o Rubel, die ein gleich großes Schiff der andere» Ration zu zahlen hat, bei einem Frachlenstand, der selbst bei dem niedrigen Abgabcnsatz nur ganz geringen Nutzen läßt, so ist dies ein.Zustand, dessen Beseitigung dringend erwünscht ist. Mil grojzer Freude begrüßt daher die deutsche Rhebcrci das Zustandekommen de« Vertrages mil Rußland und die Berücksichtigung, die ihren Interesse» in dessen Festsetzung zu Theil geworden ist. Die für sie wichtigste Bestimmung ist diejenige, die ihr das Recht der Meistbegünstigung von Seiten Rußland- gewährleistet, und zwar aus die feste Dauer von zehn Jabren. Gleiche Sonne und gleicher Wind im internationalen Wettkampf sind dergestalt der deutschen Seeschifffahrt auf dem russischen VerkehrSgebicte zurückzegcben, und mehr verlangt der deutsche Rkcder nicht, um mil der Zuversicht de« Erfolges aufzutrcten. Wie verstimmt man in Rußland bi« in die höchsten Kreise über die französische Schutzzollpolitik »och immer ist, zeigt ein Artikel des Petersburger „Grashdanin", des Leib- blatteS des Zaren. Offenbar anknüpfend an die Behauptung de« „Gaulois", daß zwischen Rußland und Frankreich eine Militairconvention defensiven Charakters bestehe — bekanntlich haben die Enthüllungen des „Figaro" gerade das Gcgentheil bewiesen —, führt das russische Blatt auS, daß die Unrube der Franzosen darüber, ob zwischen Rußland und Frankreich ein geschriebener Vertrag abgeschlossen worden oder nickt, erklärlich sei, wenn man die kluge, aus Annäherung an Rußland Hinziel ende Politik Deutschlands berück sichtige ; dagegen erscheine diese Unruhe weniger verständlich,wenn in Betracht gezogen werde, daß man in Frankreich für aut befunden bade, am Tage nach der Unterzeichnung des russisch-deutschen Handelsvertrages die Regierung zu „Handelsckikancn" gegen Rußland zu veranlassen. Wen» man erwäge, daß die Franzosen gleich nach dem Inkrafttreten des französisch- russischen Handelsvertrages bemüht gewesen seien, ibrc Re gierung zu Maßregeln zu verleiten, welche direct gegen die russischen Interessen gerichtet waren — welche Bedeutung könnte da ein politischer Vertrag sür Rußland und Frankreich haben, wenn er bestände? Offenbar nicht die geringste. „Wenn das gegebrne^Wort Rußlands", so wird weiter aus- gesükrt, „eine sichere Tdatsachc sei, so sei das Wort Frankreichs abhängig von tausend politischen „WcnnS", die es Rußland nickt gestatteten, aus die Unterstützung Frankreichs im Falle einer Einigung sicher zu rechnen. Die Franzosen seien im Falle einer solchen mit Rußland in der Lage Dessen, der Alles zu gewinnen und nichts zu verlieren, Rußland dagegen Dessen, der Alles zu verlieren und nichts zu gewinnen habe. Wen» Rußland IL Jahre lang erfolgreich eine Friedenspolitik ge führt habe und keine Verpflichtungen eingegange» sei, so wäre cs nicht geschehe», um das Errungene aus eine Karte oder in die Abhängigkeit eines schriftliche» Vertrages jenes Staates zu stellen, dessen Regierung nicht nur, sondern auch dessen allgemeine Stimmung täglich wechsele. Rußland vergelte Sympathien mit Sympathien, aber auch die Politik mit der Politik. Das sollten die Franzosen doch endlich verstehen". — Ev lange Rußland und Frankreich »och solche Beweise gegenseitiger Sympathie und Freundschaft auslauschen, hat es mit der so heiß ersehnten Verwirklichung der gallischen Revanchcgelüste »och gute Wege. In Frankreich und besonders in der Hauptstadt sind seit dem Bomben Altentat im Pariser Casö Terminus einige Hundert Anarchisten verhaftet worden, und die Berkas tungeu werden Tag für Tag mit Energie und Glück fort gesetzt. Die Mehrzahl der Verhafteten, die mitunter ihrer Festnahme bedrohlichen Widerstand entgegen setzen, namcnllich wenn sie in ibren Wohnungen verdächtige Schriftstücke oder Sprengstoff verborge» Hallen, werde», wie da« „Journal des DsbatS" mittbeilt, vor die Gerichte gestellt und die Ausländer unter ihnen werden an die Grenze ge bracht und ausgewiescn. Bei diesen Verhaftungen, welche den ehrlichen Willen der Regierung, mit der Mordbrennerbande so viel wie möglich aufzuräumcii, vcn Neuem bekunden und sür England, wo cS vom Kamps gegen den Anarchismus wieder ziemlich still geworden ist, als beschämendes Vorbild dienen könnten, sind in den letzten Tage» einige sehr aus fallende, die Aristokratie und den Klerus arg com promittirente Funde gemacht worden. So wurden bei den Anarchisten Perot und Marius Tournadre, dem Cassirer des Pariser Änarchistenbuiideö, Briefaussätze an die Herzogin d'llzös gefunden, in denen die anarchistischen Ideen auSeinandcrgesetzl werte», und die Herzogin um Geld an gegangen wird, das sie denn auch im Betrag von 2000 Frcs. sandle. Nach dem ossieivsen „aempS" ist eS erwiesen, daß noch viele andere reiche Persönlichkeiten den Anarchisten Geld geben, um von ibiic» verschont zu bleiben und ihren Schutz zu genießen. Bei Tournadre wurden sogar Visiten karten mehrerer Priester gesunde», welche die Sendung von Geldsummen i» AnSsict't stellten, „die unter den Empfänger und einige Genosse» verlhcilt werden sollten". Allerdings sind diese Geldsendungen wokl i» vielen Fällen nur aus Erpressung, ans die furchtbare Bedrohung mit Dynamilirung der Häuser der Betreffenden erfolgt, und darin liegt gewiß ein nicht zu übersehender MilderungSgrund in der Bcurlheilung der Bloßgestclltc», denn der Gedanke, jeden Augenblick einem Dynamilattenlat ausgcsctzl zu sein, muß sür mir halbwegs furchtsame Gemüther etwas entsetzlich Aufregendes haben. Allein jeder einiger maßen klare Mensch bätle gleich dem Baron Rothschild, der die ihm zugegangenen. Drobbricse einfach der Polizei überlieferte, ciiiseben müssen, daß jedes Sichbeuge» unter die Forderungen der Anarchisten eine Unterstützung derselben be deutet, und daß die einzig richtige Antwort ans solche Forderungen der Appell an die Polizei ist. Das hätte vor Allem den Priestern einleuchteil sollen. Lord Rosebery, der neue englische Prcmierminister, ist zur Annabme einer Erbschaft berufen, die er schwerlich in ikreni ganzen Umfange antreicn wird, denn das bießo die Verwirklichung des Newcastler Programms. Was hat cs mit diesem außerhalb Englands schon halb vergessenen, von den Gladstoncanerii aber eisersücktig gewahrten Pro gramm ans sich? In Ncwcastlc-o»-Tyne fand am 2. October 18ffl ein großer Parteitag der Liberalen statt. Glaostonc hielt eine seiner sorgfältig ausgcarbeilctcii, allzeit wirkungsvolle» Reden, in welcher er zuerst den Wunsch ans- drückte, daß die „lästige und unbeguemc Besetzung" EgyptcnS bald ei» Ende nebnicn möchte, und dann ein ganzes Füllborn von Rcformgedanken über seine Zuhörer ausschüttele. Er begehrte Entstaatlichung der Hochkircke, Cuischräiikuiig der Macht deS Oberhauses, Acndcruiig der Wahlgesetze, Zahlung von Diäten an die Abgeordneten, Errichtung von ländlichen District«- und Gemcinderäthcn, Herabsetzung der Arbeitszeit in allen Industrien und Handwerken. Als die wichtigste, als die dringendste Frage aber bezeichnte er die irische. „Irland bat den ersten Anspruch auf unsere Zeit", rief er au«. Die Selbstverwaltungs-Bill, welche das Cabinet Salisbury damals vorzulczcn versprochen, nannte er das Ergebniß einer Reue aus dem Sterbebette. Die Regierung habe versprochen, sagte er, keine Zwaiigsmaßrcgclu über Irland z» verhängen, kein britisches Geld sür den A»kaus irischer Ländereien zu ver wenden und Selbstverwaltung ciuzlisübren. Die beiden ersten Zusagen habe sie gebrockc» und nun gebe sie iu artieulo iuurti>; daran, die drille zum Theil einzulösen. Das britische Volk fühle Freniidschasl ftir Irland, wo mau das Verbalten der liberalen Partei als den Ausdruck der wahren Gesinnungen der Engländer betrachte. Das sind die Grundzüge des ost erwähnten Newcastler Programms Glatstonc mag daran geglaubt habe», daß er es durchführen töiinc — er war ja in der letzten Zeit von einem wahrhaft satalistiscken Optimismus erfüllt —, sein Nachsolger aber dürfte taum von der gieichen Zu versicht beseelt sei». Skeptiker in Bezug aus Irland, ist er es hockst wahrscheinlich auch den Radikalen gegenüber. Sie begehre», von Gladslonc's AbschiedSrede ausgehetzt, die Macht Feiiilletsii. Ellida Lilström. 33s Roman von H. Palmö-Paysen. N«»drn<k rerboten. (Fortsetzung.) Sie, die sich ibm bisher so stolz und ganz un nahbar gezeigt bat. Aber Murre und Edith, die Lebensklugbeit verlangen, daß sic sich beugt. Konnte sie sich ihn zum Be schützer erringen, dann sollte sic ja geborgen sei», dann fürchtete ja Keiner mehr für ihre Zukunft, dann brauchte sie keine andere Anstellung zu suche», brauchte nicht nach Oesterreich zu ziehen — die Zeitung, die ihr der Intendant gegeben hat, brennt ihr in der Hand — sie preßt die rothrn Lippen zu sammen, zieht dann schnell ihr Taschentuch hervor und trocknet sich die Augen. Wie sie sich schon verstellen kann, sie lächelt und grüßl ganz freundlich, als Lieulenanl v. Hochstedt sporenklirrend aus sie zukommt und sie begrüßt. Edith winkt ihr hinter seinem Rucken einen Abschicdsgruß zu, wendet sich dann nochmals um, droht mit dem Finger lind verschwindet im Hintergrund. Sic steht dem Lieutenant von Hochstedt »un, wie schon mehrmals, allein gegenüber, sie hat da« ja gewünscht und selbst herbci- gesührt. Ellida trägt heute einen hübschen, sie reizend kleidende» Straßcnanzug. ein graues Tuchcostüm mit grauem Pelzbesatz, dem cnlsprechend Hut und Muff. Sie hat sich besonders geschmackvoll angekleidet, besonders sorgfältig ihr weiches, blondes Haar geordnet und sich vorhin im Stillen recht eilet gescholten. Sie wollte, sie wünschte gut auS- zuschen. Hätte sic vorher gewußt, wie so anders, als sie sich vorzestellt, die Unterredung beim Intendanten anSsallen würde — dann wären ihr diese Acußerlichkeiten wohl ganz gleichgiltig gewesen. Werner betrachtete sie mit Wohlgefallen. „Doch ein famoses Mädchen", denkt er bei sich. Lant sagte ec jedoch: „Welch' glücklicher Zufall, dies Zu sammenlrcffcn! Endlich kann ich Ihnen meinen Glückwunsch zur Genesung aussprechen, Fräulein Silström." Er reichte ihr daraus die Hand und zieht die ihrige, ibm ohne Zögern rntgegengehaltene leicht an die Lippen. „Wahr schtialich kommen Sie aus der Probe, wir baben wohl bald wieder das Glück, unsere allerliebste prima ballerioa aus den Ellida bemüht sich, freundlich und gefällig zu antworten. Sie klärt Len Fragenden über Alles auf. Werner wendet kein Auge von ihrem Gcsichtchen ab. Als er vernimmt, daß sie erst im nächsten Monal wieder austrete» soll, sagt er: „Aber da haben Sie ja eine» Ballast Zeit sür sich erübrigt. Zeigen Sie sich damit nun weniger geizig, als bisher, tbeilen ^>c davon au«, Fräulein Ellida, und auch rin wenig c>» den so ftiesmiitlerlich bebandelte» Lieutenant von Hochstedt, er wird sich dankbar dasür erweisen." Ellida faßt sich rasch. „Ich bin ja dabei — ick »heile ja schon auö", antwortet sie schlagfertig. Werner lacht. „Sagt' ich'S nicht — geizig sind Tie, wer rechnet die paar Minuten." Wieder sucht sie seine Worte zu pariren. „Ist Ihnen wirklich etwa« daran gelegen, jo dürste Ihnen schon eine Minute kostbar sein." „Daß in Ihnen eoi Schalk steckt, habe ich auch noch nicht gewußt", lacht er amüsirt, und Ellida lacht mit, bei blutendem Herze». „Doch Scherz bei Seile — wann haben wir einmal tas Vergnügen, Sie mit anderen Genossinnen in heiterer Gesell schaft z» srben? Fräulein Sonsttia giebt in den nächste» Tagen ein großes Fest. Sie haben ihr doch einen Besuch gemacht? Nein? Aber wie lomml da«?" fragt er. „Sic wissen ja, daß ich trank gewesen bin", weicht Ellida geschickt, wenn auch mit geröthele» Wangen aus. „Doch ist cS »och nicht zu spät", meint er, „ich darf Ihnen die Wohnung ausschreibe», ja?" Sie nickt und unterdrückt einen Seufzer. „Sie werden dann eingeladen werden — sind auch schon erwartet", sagt Werner und zieht sein Taschenbuch hervor, sehr langsam, sehr umständlich, während er immer weiter redet und dabei Ellida ansiebt. Er könnte sich in die« Geschöpschen verliebe», ernstlich verlieben» wenn sie etwa« dazu thäte, e« selbst wollte. Heule zeigte sie sich wahrkaftig gar nicht so abgeneigt. Was doch so em Fiaseo thut, denkt .r, mehr als Geld und gute Worte. „Da haben Sie den Namen und den mcinigen dabei", sagt er und übergiebt ihr seine Karte mit der daraus ver merkten Adresse der Sonsttia — es ist mehr ein Vorwand, ihr zugleich auch die seinige in die Hand zu spielen, ..ick boffe bestimmt, daß Sie mich ebenfalls einmal beehren. Ich gebe meine kleinen, aber immer beileren Gesellschaften bei Faller; doch wolle» wir, was den Ort anbetrifft, demnächst eine kleine Veränderung eintrete» lassen, davon später." Er nimmt ganz sicher an, daß sic auf seine Unterhaltung, überhaupt aus Alles plötzlich eingeht, daß er bereits besiegt hat. Er triumphirt. Wie sich Alle ärgern werden, besonders Relltoff, er war der Lieutenant v. Hochstedt, der Nesse des allmächtigen Intendanten. Freilich schmeichelhaft war das Bewußtsein, um dieser Beziehung Wille» gesiegt zu baben, nicht gerade sür ihn, aber er wußte doch auch, was aus sein Conto zu schreiben war. Einen häßlichen Kerl konnte nian ihn nicht nennen. „Nun", sagte er zu Ellida, als diese mit einem nickt zu bannenden Errvthcn, was er nur gar zu gern aus ihrem süßen Gesichlche» beobachtet, die Karte entgegengenommen hat, „ich denke, heute scheiten wir als Freunde. Eigentlich, reizende Ellida, haben Sie etwas an mir gut zu machen —" Werner geht langsam neben ihr her und blickt vertraulich aus sie nieder „Sic haben mich reckt grausam bisher be handelt — Sit dürfen mir nicht wieder einen Schmuck zurücksenden." Ellida steht während des ganzen seichten Gespräch- immer wie ans Posten. Sie will, ihrer Absicht getreu, au» schmählich selbstsüchligen, sie anwidernten Gründen ibn nicht ärgern, nicht verletzen oder har erzürnen, aber auch seinem kreisten Vordringen jetzt eine Lchranlc setzen. Mit rer Beweglichkeit und Raschheit ihres Geistes hat sie im Augenblick ihre Ge danken gesammelt. „Gewiß nicht", sagt sie in ziemlich bestimmtem Tone, denn dazu werden Tie keine Gelegenheit mehr haben —" Er steht sie ein wenig verblüfft an. „Sie meine»: wer nichts erhält, kann auch Nickt- zurück- senden, nicht so?" „Sie habe» mich recht verstanden — ich danke Ihnen." „Allerliebst! Sie sind ein kleiner Racker", lackt er. „O bitte", ruft sie und zwingt sich zu einem Lächeln. Sie beabsichtigt, unter jeder Bedingung gute Miene zum bösen Spiel zu macken, obgleich sie dabei Ovalen erduldet. Nun bat sie den AuSgang erreicht. Sic braucht nur die Hand auszustrecken, um die Thür zu öffnen, fortzugrhen, dann ist sie erlöst von ihm. Da sag« Werner: „Fräulein Silström, sagen Sic mir bock, sind Sie mit der Familie Bracht verwandt? Ich behalte es sür mich — verrathe nickt«." Ellida « Erstaunen ist grenzenlos. „Wie kommen Sie zu der Frage, zu der Entdeckung?" „Also in der Thal — es schien mir undenkbar — un glaublich." Ellida drückte de» Mund zusammen, damit ihr nicht die aus den Lippen schwebende» bittere» Worte entschlüpfen. „Ich habe noch nibtS bejaht", sagt sie bilslo«. „Aber auch nichts verneint", antworlet er und sieht sie forschend an. Sie schüttelt stumm de» Kopf, sie ist ängstlich und weiß nickt, ob sie die Frage offen bejahen oder unbeantwortet lassen soll; eine Bejahung konnte ibr Unannehmlichkeit bringen — Nutzen aber gewiß nicht. „Es ist ja ganz gleich, wie ick beiße", bemerkt sie in ibrrni gewöhnlichen, ernsten, ungezwungenen Tone, den» eine Traurig keil ohne Grenzen erfüllt plötzlich ibr ganzes Gemütb, „ick bin das, was ich aus mir mache, oder —" sie bricht ab. Der Lieutenant ist kein Mann, dem sie eine» ernsten Gedanken, einen Grundsatz, ibrc Ansicht offenbaren, einen Blick in ikre Seele gestatten niöchle. Werner zweifelt doch sckr an der Bewahrheitung des Gerüchtes. Warum sollte die Tänzerin sonst nickt ein Zu geständniß machen, was ibr doch nur zum Bortbeil gereichen könnte Er läßt die Sacke fallen. „Auf reckt baldige» Wiedersehen denn, reizende» Fräulein Ellida", sagt er endlich, reicht ihr mit der leichten Galanterie, die ibm eigen ist, die Hand und verabschiedet sich, ^seine glänzende Gestalt verschwindet hinter der schnell geöffneten und wieder geschlossenen Tkiir. Er trägt Uniform, und die gestattet ibm nicht, sick öffentlich mit einer Tänzerin sehen zu lassen. Auch Ellida gcbl beim. Sie glaubt, in dieser Stunde Alles getban zu baden, was die ledenSkundigen Freundinnen als unumgängliche Nolbwentigkcit in der augenblicklich kritische» Lage verlangt und angeratbc» baden, schwere, brennende Tbräncn sitzen ibr dickt vor den Augen. Ihr ist'-, al» hätte ihre Seele beute einen Flecken erhalten — einen Flecken und einen tiefen, unbeilbaren Riß. 40. Capitcl In der Wohnung der Fra» Dclponda begegnet ihr der größte Wirrwarr, denn der Arzt bat seine Diagnose aus Diph therie gestellt. Die aufgeregte Frau, die i» ibrer Lebhaftigkeit eine schlechte Krankenpflegerin abgiebl, raff im Hause umher, statt in Besonnenheit und Rübe den ärztlichen Anordnungen nachzu- kommen. Gleich de« Morgens bat man ibr eines rer
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