02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.04.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940419027
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-04
- Tag1894-04-19
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Nachdem gestern die Steuercommission des Reichs lag s Len grundlegenden tz. 4 der radaksteuerdorliigt mit 17 gegen 11 Stimmen abgelebnt hat, ist die Vorlage für jetzt gefallen. Aber auch nur für jetzt. Daß sie im nächsten Herbst, in etwas anderer, aber auf ansehnliche Mehrerträge abzielender Form zurückkehrt, ist zweifellos. Und da das Plenum des Reichstags jetzt zu einem endziltig ablehnenden Votum nicht mehr kommt, so ist auch dieses Plenum in keiner Weise gebunden. Nicht einmal der gestrige CommissionSbeschluß bereutet eineendgiltige principielleAblebnungdesProjccteSdurch r>e Commission, sondern nur den Verzicht auf die Lösung der Frage im gegenwärtigen Augenblicke einer weil vorgerückten Zession und einer nach Ansicht Mancher noch nicht hinläng lichen Aufklärung der Finanzlage. Das geht am deutlichsten aus der Erklärung des CentrumssührcrS vr. Lieber hervor, baS Centrum weise den Gedanken einer höheren Besteuerung tcS Tabaks keineswegs principicll ab, sondern wolle dabei mit- arbeiten. Wenn das Centrum jetzt gegen tz. 4 stimme, so habe es sich damit keineswegs gegen den Grundsatz der Heranziehung deS Tabaks erklärt. Ein anderes Centrumsmitglied äußerte sich freilich anders, aber daraus geht doch nur hervor, daß entweder nur ein Theil des CentruinS principiell gegen ein stärkeres Bluten deS Tabaks ist, oder daß Herr Lieber und sein College in die Rollen sich getheilt hatten, durch die den verbündeten Regierungen zu Gemüthe geführt werde» soll, daß daS Centrum je nach umständen willig oder bockbeinig sein wird. DaS Letztere ist das Wahrscheinlichere. Und damit eröffnet sich die angenehme Perspective aus ein Handels geschäft, durch das möglicherweise Deutschland für den Preis der Aufhebung des Je s ui tengesctzeS ein recht Kart es Tabaksteuergesetz erhält. Jedenfalls ist eS auffällig, daß das Centrum, daS seil Jahren seinen Jcsuitenantrag ruhig auf Lager behielt und die Aus Hebung des Jesuitengesetzes für keineswegs dringlich er achtele, jetzt auf das Energischste in den Bundesrath dringt, dem Beschlüsse des Reichstags aus Beseitigung dieses Gesetzes zuzustimmcn. So schreibt z. B. der „Westsäl. Merk.": „Was wird nun der Bundesrath jagen? Bisher hat er sich — trotz des jahrelang ihm vorliegenden bayerischen Redemvtonsten- Antrages — um Len beißen Brei herumgcdrückt. Jetzt müjjen die Negierungen Farbe bekennen. Für Preußen hat wahrend der Be- ralbung des Zrdlitz'ichen Schulgesetzes der damalige Ministerpräsident Graf Eaprivt erklärt, daß er mit Rein stimmen werde. In- zwischen ist ein neuer Ministerpräsident und auch ein neuer Kultusminister in Preußen ans Ruder gekommen. Mag das umgesormte Ministerium sich die Sache unbefangen noch einmal überlegen. Das Expatriirungsgesetz hat der Bundesrath gegen den AushebungSbeschluß des Reichstages auch noch einige Zeit, zu halten gesucht und hat schließlich Loch »achgebe» müssen, olraf Caprivi wird hoffentlich nicht aus den Einsall kommen, die Aeichstagsniehrheit von 28 Stimmer, für zu klein zu erklären — nachdem er das Milttairgefetz von einer noch kleinere» und sehr gemischten Mehrheit dankend angenommen bat. Sonst würde er in kurzer Frist erfahren, daß die Mehrheit für die Aufhebung des Keieyes viel Kraft zum Wachsen Hai, während die Gegenseite an Zahl und Gründen immer schwächer wird." Und die „Germania" wendet sich direct an Kaiser und Regierungen: „Unser jetziger Kaiser, unsere jetzigen Regierungen sind unschuldig an dem Lulturkainpf, stehen seinen Resten frei gegenüber. Sie haben jetzt eine welthistorische Entscheidung in der Hand, ob in Teutschland wahre Gleichberechtigung der Confessionen und damit her confefsionelle Friede bestehen soll, oder ob in dem Jesuitengesetz Attzeigerr-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich <4g«» spalten) bO->j, vor den Familieanachrichlea <6 gespalten) 40-H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzerchaiß. Tabellarischer und Zifferajatz nach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postdesörderung 80.—, mit Postdesörderung 7V.—. Annatimeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Marge ».Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,9 Uhr. Bei den Filialen nnd Annadmestelleo ze eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die tzrprviti«» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 88. Jahrgang. der Geßlerhut der Herrschaft von Protestantismus und Unglauben über den Katholicismus errichtet bleiben soll. Wir würden diesen Hut niemals grüßen!" Noch auffälliger aber ist eS, daß der conservativen „Schles. Ztg." aus parlamentarischen Kreisen geschrieben wird: „Die bisher in politischen Kreijen allgemein gehegte Annahme, daß der sogenannte Jesuiten-Anlrag im Bundesrathe keine Aus sicht auf Annahme hätte, begegnet neuerdings ernsten Zweifeln, und hier oder da konnte man bereits in bestimmter Form hören, daß die Wiederzulassung der Jesuiten in naher Aussicht stehe. Wenn auch die Dinge so weit nicht gediehen sind, so muß immer hin die Thatsache, daß im Verlaufe der Debatten über den fraglichen Antrag des Centrums kein Vertreter der verbündeten Regierungen sich irgendwie zur Sache geäußert bat. auffallc» und dies um so mehr, als der HerrReichska nzleramSounabend bezüglichdesAntragesKanitz in die Debatte eingriff und seine persönliche Ansicht unter Hinweis auf die wahrscheinstche Stimmung unter de» verbündeten Regie- rangen aussprach. Nimmt man auch a», daß dieses Eingreifen den Zweck haben mochte, einer agitatorische» Ausnützung des Antrages entgegenzuwirken, so lag doch andererseits bei dem Jesuitenanlrag das Moment vor, daß notorisch in weite» Kreisen der evangelischen Bevölkerung durch di» Annahme des Antrages Besorgnisse entstanden sind, die es wünschenswerth erscheinen lassen müßten, eine bündige Erklärung vom Regierungslisch« zu erhalten." Jedenfalls haben diejenigen Parteien des Reichstags, die dem Centrum zur Annahme seines Jesuitenantraas verhaften und eine definitive, möglichst günstige Lösung der Tabaksteuer srage binauSs-1 oben, ganz wundervoll opcrirl! Sic haben dem BundeSrathe ein Mittel in die Hand gegeben, die Willfährigkeit des Centrums zur Bewilligung eines rigorosen Tabaksteuergesetzes zu erlangen, und dem Centrum haben sie die Aussicht aus die Aufhebung deS Jesuilengesctzes als Preis für diese Willfährigkeit eröffnet! Sicherlich wird sich der Bundesrath jetzt nicht beeilen, einen Beschluß in Sachen deS JesuitengesetzcS zu fassen, wenn er dem ReichstagSbescklnsse nicht beitreten will. Cr bringt sich ja in eine günstige Lage, wenn er daS Centrum zappeln läßt, bis die Tabaksteuerfragc wieder brennend wirk. Daß bis dahin auch Hundertrausende von Interessenten in schwebender Pein bleiben, daS hat mit seiner Weisheit der hohe Reichstag gethan! In den: soeben veröffentlichen französischen Budget für 1893 sind die bedeutenden Fehlbeträge zum Theil künst lich beseitigt oder verdeckt, so daß schließlich bei einer Aus gaben- und Einnahme» Summe von fast 3>/, Milliarden Francs noch eine kalbe Million Ueberschuß berausgercchnet wird. Ursprünglich war daS französische 1895er Deficit auf 140 Millionen Francs veranschlagt, man darf es aber gewiß noch um ein Erkleckliches höher schätzen. Die Hälfte des selben wird durch Ersparnisse gedeckt, welche an den Zins zahlungen für dieStaatSschuld infolge der kürzlich vorgenommene» Herabsetzung vcSZinssatzeS von l'/e auf3> »Proc. erzielt werden. Der Rest des Desicits wird in der Hauptsache durch Herab setzung der Eisenbahn-Garantiezahlungen von 135 auf 79 Millionen eingebracht. In Frankreich herrscht bekanntlich noch das Privatbahnsystem vor, und der Staat hat sich durch verfehlte Garanlicverträgc mit den sechs großen Privat- Eisenbabngescllschasten eine schwere, jährlich steigende Last aufgeladen. Nachdem der Staat den Gesellschaften schon über eine halbe Milliarde berauSgezablt, sollten dieGarantiezuschüssc für 1895 allein 135 Millionen betragen! Schließlich werden zur Deckung deS Fehlbetrags neue Steuern und Stcuer-ReviremcntS rorgeschlagen; die Gebäude-und die MictbSsleuer werden resor min bezw. erböbt; geplant ist auch bei einer Herabsetzung der Abgaben aus Wein eine Vermehrung derjenige» aus Alkobol. Von der neu rinzusührenden „Diensibotcnstcuer" werden etwa 15 Millionen erwartet. Die religiösen Vereinigungen sollen schärfer als bisher zu den StaatSlasten herangezogen, und 8>/» Millionen Francs, welche diese Vereinigungen auf Grund des Anwachsungsrechts seit längerer Zeit dem Staate schulden, sollen nunmebr eingetrieben werden. DaS Anwachsungsrecht selbst, daS heißt die Gebühr, die der Staac beim Austritt oder Tod eines Mitgliedes einer religiöse» Vereinigung bezieht, soll beseitigt und durch eine regelmäßige Steuer ersetzt werden, die nach dem Nachweise de« Gcsammt- vcrmögens der Vereinigungen an Grundstücken, Papieren und Baargcld zu bciuesfen ist. Daß die conservativc Presse über diesen Budgettitcl sich sebr ausgebracht zeigt, läßt sich denken. Die Ausgaben für Heer und Marine betragen nicht weniger als 920 Millionen Francs, uni 30 Millionen mehr gegen das lausende Jahr und im Ganzen auch erbeblich mehr, als Dcutjä'landS Ausgaben für Kriegszwecke. Frankreich ist ja gewiß ei» reiches Land, aber mit seiner Staatsschuld von 33 Milliarden — der größten aller Staaten — steht es gegenwärtig nicht besonders glänzend da. Eine Reibe von Jahre» ist mit verdeckten große» DeiicilS gearbeitet worden, so daß schon wiederholt von der Notb Wendigkeit die Rete war, zur Regelung der schwebenden Schuld eine neue Anleihe von 1000 Millionen Francs aufzunebmen, was sich schließlich kaum mehr vermeide» lassen wird. Wie man in Frankreich den jüngste» rgyptische» Ministerwechsel beurtbcilt, zeigt ein scharfer Leitartikel des „Journal des DebatS", der wie folgt schließt: „Die Lage ist jetzt vollkommen klar. Ter Augenblick ist ge kommen, wo es von Wichtigkeit ist, daß Niemand sich einer Täuschung hingebe. Es existirt eine englische Jntrigue. welche daraus ausgehk, den Khedive zu entthronen. Dafür giebl es so zahl- reiche Anzeichen, daß ein Zweifel nicht zulässig ist. Wen» Lieie Julrigue, die schon eine greifbare Gestalt angenommen hat, sich i» lhatsächiichcn Drohungen äußert, so mag Europa Ihn», was es will. Garuichis, wenn dies ihm paßt; das aber wolle» wirhoffen, daß Frank reich sich diesmal nicht« vergeben wird. Es wird nicht wieder in die gleichen Fehler wie vor 12 Jahre» verfallen. Es wird sei» Jnieresse, sei» Recht, seine Pflichi begreise». Die Psorlc wird ihrerseits dasselbe Ihun. Früher oder später wird die eghptijche Frage in ihrem ganzen Umsange von neuem aufgeworfen werden; aber es thäle »ns kaum leid, wenn die erwünschie Gelegenheit dazu durch die Schuld, die Uuklugheil und das heraussvrdcriide Benehmen Englands herbei- gesührl würde. Ein Telegramm au« Egypten meidet, das Ministerium habe seine Einlassung genommen, weil es nicht mehr das Vertrauen des Khedive besaß. Nichts ist richtiger; es besaß dieses Vertrauen nicht mehr und es hatte alles gelhon, um es zu verscherze». Das Telegramm stammt jedoch ersichtlich aus englischer Quelle, denn andere werden nicht durchgelassen. Daraus scheint hervorzugehen, daß Lord Cromer von neuem AbbaS Pascha in den Augen Europas bloß st eilen und lei» Auftreten als Willkür kennzeichnen möchte. Dem Khedive wird dies nichts anzuhaben ver mögen, man kann ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er einem Ministerium nicht vertraut, daS ihn ausgeliesert hat. Alle Welt wußte, daß dieses Ministerium sich dadurch selbst gelödlcl hat. Es fragte sich »ur noch, wer cs ablöseu würde. Der Khedive hat Nubar Paicha gewählt, der schon zu verschiedenen Malen Minister war, der nicht mehr jung ist, aber dafür viel Erfahrung und Intelligenz besitzt. Seine Regierung wird sich nicht aus Widerstand verlegen, wohl aber dürste sie eine Regierung der Ausflüchte sein, und sicherlich wird es ihr weder an Geschmeidigkeit, noch an Schlauheit fehlen. Lhne zur Hoffnung zu berechtigen, entniuthigt sie dieselbe nicht. Erst nach ihren Werken wird man sie bcurtheile» können." In Frankreich bat man bekanntlich eine seine Witterung für die Vorgänge in Egnptcn, wird sich aber auch in Zukunft schwerlich zu mehr als wirkungslosen Protesten gegen englische AnnerionSgelüstc ausschwinzen. Nach den letzten Erklärungen deS italienische» Ministerpräsidenten in der Dcputirtenkammer und im FünszehnerauSschuß steigen wieder die Hoffnungen aus diezparlamentarischeii Aussichten der Cr isp i - So» »i nosch e n Finanzpolitik. Es ist. zumal nachdem die Fünfzcbner- coinmission bereits die Vorlage über den Notenumlauf mit nur geringen Abändernngcn angenommen bat, noch immer sehr möglich, um nicht mit der regiernngssreundlichen Presse RomS zu sagen sehr wahrscheinlich, daß die Regierung zu einer vollen Verständigung, wenn auch nicht mit dem Ausschuß, so doch »nt dem Plenum der Depiltirtcnkammcr gelangt, eine Aus sicht, a» welcher wir immer festgebalten haben. So schmerzlich auch die verlangten Qpser in dem materiell sebr geschwächten Lande berühren, die überwiegende Mehrzahl der Italiener bat doch die Einpsintung, daß die gegen wärtige Regierung ikrc Sache versteht. Man erkennt den Ernst der Lage an und glaubt daher nicht, daß die Regierung ohne Roth dem Lande neue Lasten zumuthen werde; das Gegenprogramm deS Ausschusses mit seinen weitgehende» Abstrichen am Militairbudgct wird von den Blättern überwiegend als unannebnibar bezeichnet. DaS Auf treten Crispi's in Kammer und Ausschuß war allerdings sach lich so entschieden wie je zuvor, der Ministerpräsident bestand darauf, daß die Kammer zuerst den Staaisvoranschlag, so dann die Finanzvorschläge nnd schließlich die außerordent liche» Vollmachten beraibcn solle, unk ließ keinen Zweifel darüber, daß er in, äußersten Falle zur Auslösung deS Parlamentes schreiten werde. Allein in der Form war CriSpi außerordentlich connivent, was einen sebr günstigen Eindruck hinterließ: auch gab er die offene nnd loyale Er klärung ab, daß die ihm vielfach untergeschobene Absicht, die Krisis aus eine Art Staatsstreich binauSzuspiclen, ihm vollständig fern läge. Er äußerte, als die gefürchteten außerordent lichen Vollin achten zur Sprache kamen, er beabsichtige weder die Gemeinde- noch die Provinz - Wahlkreise um- zugestaltcn; er werde sich niemals anmaßen, die Steuern abzuändcrn oder neue eigenmächtig auszucrlegen, an den in Rechtskraft befindlichen Gesetzen zu rühren oder daS geltende Wahlsystem anzutastcn. Das Ziel der ver langten außerordentlichen Vollmachten sei eine Vereinfachung der verschiedene» VerwaltunaSzweigc und dadurch eine Ver minderung der Ausgaben. Ihm, dem alten Parlamentarier, falle cs nicht ein, dem cvnstttutionellen Princip und der Prä rogative des Parlaments etwas zu vergeben. Das hatte man von CriSpi nicht erwartet, weil in der That die Be fürchtung weit verbreitet war, die Regierung wolle im Wege der Verordnung mittelst königlichen TecrcteS die Kammer auf längere Zeit vertagen und während dieser Vertagung ans eigene Verantwortung die von ihr bezweckte Regelung der Finanzen und Durchführung der geplanten Reformen im VcrvrdnungSwcge gegen »ach- herigcs Absvluioriuin des Parlaments vornehme». Diese Befürchtungen hat CriSpi vollständig zerstreut und er erreichte damit, daß selbst ein irretentistischer Heißsporn, wie Im- briani, seine Freude über die sreimüthigcn Erklärungen LeS Minislerpräsidenlcn zu erkennen gab, wenngleich er von seinen« Stankpuncte aus natürlich nicht cinräumen wollte, daß die Ersparnisse am Mililairetat als „Verirrungen" angesehen würden.. Wir halten tie Lage gegenwärtig für viel geklärter, als sie eS noch vor wenigen Tagen war, und erhoffen viel von der Thatsache, daß in die Reiben der Gegner de« Cabincts das Vertrauen zu seinem Chef endlich doch noch eingckehrt ist. Fenilletsn. Medea. Ein bürgerlicher Roman von Wilhelm Wolters. (Nachdruck verboten.» 21 j (Fortsetzung.) XXIV Verstört saß Paul in der kleinen Weinstube, in der er ebedem so manchen lustigen Abend in dem frohen Kreise Bekannter verbracht. Martinis gallige Scherze schlugen an sein Qhr, aber er hörte sie nickt. Wie ein Messerstich war eS ihm durch Hirn und Herz gefahren, als er sich selbst kiesen letzten fürchterlichen Gedanken ausgesprochen, diesen Gedanken, den er nicht wieder loS werden konnte . . . scheiden . .». scheiden von Martha . . . Scheiden . . . DaS war das Ende, die Grenze, jenseits welcher ein neues, ein anderes Leben begann . . . Ein neueS Leben . . . Und ohne daß er es wollte, zog das alte Leben an seinen Augen vorüber, glitten wie aus einem florverdülltcn Wandel panorama die Bilder dieses Lebens an ibm vorbei, rückwärts, von Station zu Station . . . bis zu jenen ersten stürmischen Tagen, da er um sie geworben, da sic Heimath, Eltern, ihr eigenes altes Leben dran gegeben, ein neues von ihm zu empsangen . . . Und nun war eS so geworden . . . Warum? . . . Es wurde ihm beiß, dicke Schweißtropfen traten ihm aus die Stirn, er fühlte, wie das Herz sich ibm zusammenzog... Wie batte es doch ^o weit kommen können, daß sie, da- ehrliche, treue Kind sich soweit vergessen konnte . . . lügen, fälschen, betrügen . . . Betrügen? . . . War daS auch ein Betrug gegen den großen, ungeheuren Betrug, den er gegen sie verübt? . . . Und er wollte rechten, er wollte . . . Er biß die Zähne zusammen. Nein, nein . . . Scheiden . . . Wie ein heißer Quell stieg eS langsam, glühend in ibm in die Höhe, er fühlte, wie das Blut ihm Wangen und Stirn rötbete . . . Martba verlieren . . . Und er sah Martha'S treue, liebevolle Augen auf sich gerichtet, fühlte ihre Arme sich umklammern, hörte ihre angsterfüllte Stimme rufen: nein, ick lasse Dick nicht . . . Es war ja nur ein unglückseliges Mißvcrständniß, batte sie gesagt. Mißverständnis)? Als ob eS sich darum bandelte?... AIS ob ihm das nicht nur ein willkommener Borwand ge wesen, die eigene große Schule hinter der kleinen sremden zu verstecken? . . . Nicht darum handelte eS sich, sondern um Anita . . . O Gott, Martha, Anita, Martha . . . nein, scheiden, wie bat er nur solcher Gedanken denken können ... letzt fühlt er erst, jetzt, da er nabe daran war, sie zu ver lieren, daß er sie nicht verlieren kann, zu fest verwachsen ist sie mit ihm, als daß solch ein Schnitt nickt Beider Leben kosten würde, ja. im Angesichte ihres Verlustes sühll er, daß er sie dennoch liebt, ja, liebt . . . Aber Anita? Er wischte sich mit dem Tuche den Cckwciß von der Stirn. Und wenn auch . . . wenn auch Anita . . . „Sic möchten so freundlich sein, einen Augenblick heraus zukommen", flüstert ihm der Kellner in S Lhr. Paul erbleicht. Draußen siebt das Mädchen. Paul stockt daS Blut in den Adern. „Um GotleSwillcn . . . was ist . . „Sie sollen nach Hause kommen, es ist ein Unglück ge schehen ... die gnädige Frau. . „To dt?!" schreit Paul. „Nein, aber . . ." Paul hört nicht, ohne Hut stürmt er durch die nächtlichen Straßen. Er reißt an der Klingel. Drinnen regt sich nichts. Noch einmal. Er hat ganz vergessen, daß er selbst den Schlüssel bei sich trägt. Sie kommt nickt. Jetzt endlich öffnet sich die Thür. Den Leuchter in der Rechten, mit gelöstem Haar, bleich, die Anzen groß und starr auf ihn gerichtet, steht Martha vor ibm. Er wich einen Schritt zurück. „O. ich thue Dir nicht» . . . Dir nichts! . . . Dir nickt und Deiner Ereusa nicht! . . Er zuckte zusammen. „Ich bin nicht wahnsinnig, nein, nicht wahnsinnig! . . . Deine Medea war ich ja . . . sagtest Tu nicht so? . . ." „Martha . . . was . ." „Tic war so tninin, die Medea, so dumm, die Barbaren- tock'Ier, so leichtgläubig, so dumm . . . aber treu war Medea dock, treu war sie doch, Du großer, Du glänzender Mann .. „Martha . . ." Ihre Brust keuchte. „Nenne mich nickt so! . . . Nenne mich, wie Du mich immer genannt ... Ja. zur Medea bin ick durch Tick geworden . . . Hat nicht Medea Vater und Mutter und Bruder verlassen, weil sie den Mann liebte, der sie verrieth, der sie betrog?! . . „Wer hat . . ." „Hat nicht Medea ihre Kinder ermordet?! . . „WaS . . „Zur Medea bin ich geworden durch meine Liebe . . . Recht hast Tu, Recht . . . ganz Recht ... geh hinein . . . Drinnen liegt« . . . tokt . . . erschlagen . . Ansstölmcnd riß ihr Paul den Leuchter anS der Hand, mit dreckenden Kniecn stürzte er binüber in die Kinderstube. Martha lies in den Salon, durch dessen Dunkel die weißen schrecklichen Blätter auf dem Tischchen schimnierten, tastete ans dem Schreibtische nach einem Stückchen Papier, schrieb mit Bleistift ein paar Heilen, steckte den Zettel in ein Couvert nnd adressirte eS. Dann ging sic nach dem Vorplatze, setzte rasch den Hut auf, der auf der Commote lag, nabni den Hausschlüssel vom Haken am Pfosten der Vorsaaltbür, sprang die Treppe hinunter und rannte binauS in die Nacht. Vor Martha'S Bette, aus welches sic daS Kind gelegt, kniete Paul, thräncnloS, stumm, die Stirn ans die Decke gepreßt. Sein Kind tobt . . . Wie war das Alles gescbebcn, was mnßtc Alles vorgegangcn sein in den kurzen Stunden seiner Abwesenheit? Martha Wisserin seines Treubruchs. verzweifelt, sein Kino tobt . . . Wie war'« »ur möglich! Nur möglich! . . . Furchtbar straft ihn ein rächende- Geschick . . . Er erbob sich langsam und trat über die klirrenden Scherben am Boden hinweg. Scherben seines zerbrochene» Glücks . . . Stöhnend sank er in den Stuhl am Fenster nieder. Und wieder wurde es still. Der graue Schein des dämmernden Morgens mischte sich mit dem rotbgelbe» rer bernntergdbrannten, flackernden Kerze und erfüllte da- Gemach mit einem ungewissen wechselnden Schimmer wie von Frühnebel und Irrlicht, in das die weißen Fenftrrkrcuze, die sich beller gegen den bläulichen Grund der beschlagenen Scheiben abkoben, fahl bineinragtcn, wie in das Dämmerlicht einsamer Landstraße die steinernen Kreuze am Wearande, unglücklichen Wanderern zum Gedächtnisse errichtet, glücklichen ein memento m»ri. Dann zuckte die breite Flamme noch einmal züngelnd empor, sank in sich zurück zu einem zitternden blauen Flämmcben und verging, grauer Rauch icbwcbtc von den verglimmenden Funken zur Decke empor. Regungslos saß Paul. Langsam steigt ein feuriger, rother Ball hinter den Bergen ans. Horck! Was war daS?! ... War daS nickt der leise Ton eines Athmenden?! Paul springt in die Höbe nnd taumelt nach dem Bett. Tie Wände um ihn drehen sich im Kreise, die Knice zittern ibm. Zitternd tastet er nach des Kindes Hand ... ja, ja ... sie ist warm, lebenSwarm ... bat er denn nur geträumt... einen schweren, furchtbare» Traum geträumt? ... er nestelt das Kleid vom Halse des Kinds ... die Finger versagen ibm fast den Dienst . . . und legt das Skr, den Alhem anhaltend, aus seine Brust ja, ja, cs lebt, es lebt! Martba! Martba!" schreit er. „Martba! Martba!... Martha! Unser Kind lebt! Unser Kind! Martha! . . . Komi»! Kon»»! . . ." Aber Nicinand antwortet. Aengstlick horcht das Mädchen, daS bald nach Paul ziirückgckonimcn, in ihrer Kammer, in die eS sich fürchtend versteckt, aus den wilden Schrei. Tic Treppe heraus komnicn schwere Tritte, kurze, schwere Tritte von Männern, die eine Last trage» . . . ^ * „Wo b'cibt denn Herr Förster?" fragte Martini den Kellner, als Paul nickt wieder zurückkam. „Ich weiß nickt, ein Mädchen ließ ihn herauSrusen." „Ein Mädchen?" „Ja, jctensallö sein Tie»sl»iätcl>en." Martini sah nach Pauls Hut, der am Haken hing. „Merkwürdig." WaS kann da geschehen sein? Erregt und bleich war Paul gekommen, einsilbig, stumm hatte er den ganzen Abend vor fick binbrntend tagesessen ... Es ließ Martini keine Rübe, er verabsmictetc sich und ging langsam in der Richtung nach Paul s Wcbiüing. Ucbcr der Balm draußen wurden die Straßen menschen leerer. Vom Bergkette» ans der Höbe tönten abgerissene Klänge der Tanzmusik herunter. Auf der andere» Seite der Straße drüben an der Post bnscht Jemand mit flatternden Haaren. Was ist ... ist daS nickt Martba Förster? Martini bleibt sieben. Wabr- baslig! Sie biegt »in die Ecke. Martini läuft. Die Querstraße miindcl in die Felder binanS Tort zwischen den gelben Acdrcn gleitet cs tnnkcl dabi» TaS muß sie sei» Mit langen Tckritten rennt Martini den Feldweg binan. An der kleinen einsamen Schmiede vorbei, an der Pappel beim Kreuzweg vorüber. Es ift finster geworden, kein Mond am ttctblauea
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