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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940423025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894042302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894042302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-04
- Tag1894-04-23
- Monat1894-04
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BezugS-PreiS tz, her Hauptexpedittou oder den im Stabt» deziri und den Vororten errichteten Au«, oabkiiellen ab ge Volt: vierteljährlich ^4.K), b« zweimaliger täglicher Zustelln», in« Laar » bSO. Durch dt« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich k,—. Dirrcte tägliche Sreuzbandieadung ins Ausland: monatlich » 7.SO. DieNorgen-Ansgab« erscheint täglich '/,7Uhr, di, Abend-Ausgabe Wochentag« b Uhr. Ledüctio» und Lrpedttio«: Aatzminesgasst 8. rie lkipeditio» ist Wochentag« aauntrrbroche» geöffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Filialen: ttta Mt««'» Porti«. («lfrrtz Hatzalb Universität-straff« 1. L»,i» Lüsche, ffatharinenstr. I«, part. und KSnigsvlatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Organ fSr Politik, Localgeschichte, Handels- «nd GeschLstSverkehr. A«zeige«.PreiS die 8 gespaltene Petitzeile 2V Pfg. Reklamen unter dem Redactioatstrich <4ga» spalte») bO^. vor den Kamiliennachnchle» ,6 gespalten) 40-ch. Vröfferr Schulten laut »nserem Preis verzeichnis!. 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Bei dem Trave Canal ließen sich noch allerlei Beschönigungen des Widerspruchs Vorbringen, wie der Gesichtspunkt, daß preußische Interessen verhältnißmäßig wenig von dieser Berbindung berührt würden und daß die Erfüllung einer Ehrenpflicht gegen Lübeck, dem aus dem Nord- estsee-Eanal schwerer Schaden droht, nicht alleinige Sache Preußens, sondern des Reichs sei. Gegen den Dortmunder Canal läßt sich aber noch weniger Sachliches einwenden. Er entspricht einem auSschließiich preußischen Interesse und ist die notbwendige Consequenz eines bereits vorbandenen Unter- nebniknS. Ueberhaupt ist es eine eigenartige Erscheinung, daß das auS den Wahlen im vorigen Herbste in einer augen scheinlich für die Regierung böebst günstigen Zusammensetzung hervorgegangene Abgeordnetenhaus unter conservativem Ein flüsse den wichtigsten Entwürfen seine Zustimmung versagt. Da« Kali-Gesetz ist bereits gefallen, das Bahn-BerpsänkungS- gesetz wird wahrscheinlich dasselbe Schicksal haben; die Er richtung obligatorischer LandwirthschastSkammern erscheint äußerst fraglich. Nur das Shnodalgesetz kann aus An nahme rechnen, aber unter Erscheinungen, die sehr bedenkliche Seilen aufweisen und zu der Bermuthung zwingen, daß die versöhnlichere Stimmung der Conservativen im Reichstage und ihre schroffe Opposition im preußischen Landtage, eine Opposition, die sich nur beim Zusammengeben mit dem Eentrum in der Frage deS Synodalgesetzes ins Gegentheil verkehrt, lediglich dem Zwecke dienen, dem Herrn Reichskanzler und dem preußischen Ministerium zu zeigen, wie gering in der Herdstsesflon de» Reichs tags und in der nächsten Session deS preußischen Land- US« die Aussicht auf konservative Mithilfe ist, wenn nicht in Preußen entschieden conservativ-klerikale Politik gemacht und im preußischen Abgeordnetenbause von der Regierung das ossicielle Siegel auf die conservativ-ultramontane Bundes- gknofsenschasl gedrückt wird. Und wen» nicht Alle« täuscht, ist die preußische Regierung — selbstständig oder auf Be treiben des Herrn Reichskanzlers — entschlossen, diese« Siegel nicht zu verweigern. Ter Verlobung des Großfürsten - Thronfolgers von Rußland mit der Prinzessin Alix von Hessen wird augenscheinlich in den leitenden Kreisen der ReicbSbauplstadt eine hohe politische Bedeutung beigemessen. Wenigsten« geschieht dies in den Blättern, in denen man dir in diesen Kreisen herrschenden Ansichten wiedergegeben findet. .Wenn man auch" — so schreibt z. B. der „Hamb. Corr." — „viel fach behauptet, daß in neuerer Zeit die ehelichen Verbindungen zutschen fürstlichen Häusern nicht mehr die frübere Be deutung haben, so ist dem doch nur bedingungsweise zu zustimmen. Auch heute kann nicht nur der Einfluß, den die Gemahlin eines Herrscher» auf dessen Anschauung auSzuübcn versteht, von großem Gewicht sein, sondern e« bilden oder verstärken sich auch unwillkürlich Beziehungen zwischen den Geburtsländern der beiden hohen Persönlichkeiten, die von nicht geringem Belange sein können. Bei der Spannung nun, die längere Leit zwischen den beiden großen Nachbar ländern Deutschland und Rußland bestanden hat, und bei der großen Beflissenheit, womit die Franzosen diese Span nung in ihrem Interesse auszunutzen suchten, ist der Entschluß deS Erben der russischen Kaiserkrone, eine deutsche Prinzessin, deren Mutter die Schwester der Kaiserin Friedrich war, zu seiner Lebensgefährtin zu erwählen, ganz und gar nicht zu unterschätzen. Wie man vielfach gekört bat, sind sich Kaiser Wilhelm und der Großfürst-Thronfolger schon bishrr persönlich näher gekommen, und diese gegenseitige Sym pathie kann sich durch eine nahe Verwandtschaft, die beide demnächst verbinden wird, nur noch erhöben. Das aber kann unmöglich ohne Einfluß aus das Verhältniß der beiden Nachbarstaaten zu einander bleideu, zumal da in Rußland der Wille de» Herrschers allein entscheidend ist. Man wird deshalb auch in Frankreich durch die Nachricht auS Coburg nichts weniger als angenehm be rührt sein, auch wenn man sich wie gewöhnlich bemühen wird, die Verstimmung zu verbergen. Noch dieser Tage machte der „Figaro", als er mitlheiltc, daß die Erbgroß- herzogin von Luxemburg guter Hoffnung sei, die Be merkung, diese Meldung werde an gewisser Stelle eine Enttäuschung Hervorrufen. Sehr viel sicherer aber al« diese unbegründete Unterstellung ist dir Annahme, daß man in Pari« den neuesten Rückschlag in der so heiß ersehnten russischen Freundschaft sehr schwer empfinden wird. Vielleicht, daß man daraufhin endlich jede Hoffnung fahren läßt, sich mit Rußlands Hilfe an Deutschland rächen zu können. In starkem Abnehmer« ist die Ver trauensseligkeit jedenfalls schon begriffen, womit man sich in den überschwänglichen Kundgebungen von Toulon und Pari» geben ließ. Immerhin tbäte mau in Paris gut, den Mahnruf deS verstorbenen Waddington nicht zu vergessen, der eS den Franzosen drastisch vor Augen hielt, was au- ibnen werden würde, wenn sie in einem gemeinschaftlich mit Rußland unternommenen Kriege gescblaaen würden, und der e« ihnen ferner nicht verbeblte» daß sie selbst im Falle des Sieges immer nur zu Rußland in ein Verhältniß treten würden, in dem einst die Griechen zu den Römern standen: in die Stellung von Tanzlehrern und Schulmeistern bei den Herren der Welt." In Frankreich brennt man förmlich darauf, „Rache für Kiel" zu nehmen und einen Spion de« Dreibünde« ab zufangen. Einen glücklichen Griff glaubte man dieser Tage mit der Verhaftung de« inaktiven italienischen General« Go ggio aus französischem Boden nahe beim Fort lütv-cls- oiiieu gemacht zu haben, wo derselbe der Frlddirnstübung zweier Alpenbataillone zugesehen hatte. Wie die französische» Blätter erzählen, war Goggio den französischen Behörden scdon lange „verdächtig" vorgekommrn, weil er von Monaco auS, wo er sich niedergelaffen hat, oft Ausflüge nach den verschiedensten Richtungen unternahm. Als der alte Herr, der immer Eivilkleidung trägt, an einzelne Soldaten Fragen stellte, wurde er sestgenommcn, nach Nizza gebracht und alsbald vom General Vervier einem Verhör unterzogen, worauf er gegen die ehrenwortliche Verpflichtung, sich am nächsten Tage zu stellen, freigelassen wurde, wa« natürlich nicht geschehen wäre, wenn man den Verdacht für begründet befunden hätte. Ein paar Stunden später, naä'dem das Kriegsministerium in Paris von dein Falle verständigt worden war, trat derNizzarrGerichtshof zusammen, allein selbst der Staatsanwalt niußte zugestehen, daß die gegen den italienischen General erhobenen Beschuldigungen aus so unsicheren Grundlagen ruhlcn, daß das Spionaae- gesetz keinen Anhaltspunkt zu der Einleitung einer gericht lichen Verfolgung diele. Als General Goggio am nächsten Tage in Nizza erschien, mußte ibm General Vervier mit- tbeileu, daß man auf seine verbaftung und gerichtliche Be langung verzichte, doch werde er gewarnt, sich noch mal« „verdächtig" zu machen. Schließlich beschäftigte sich, um dem lächerlichen Vorgang die Krone auszusetzen, der französische Ministerrath mit der Sache. Er kam zu derselben Einstckt, wie rer Staatsanwalt in Nizza, beschloß aber trotzdem aus Verlangen deS KriegSministrr« und de« Minister« de« Innern die Ausweisung Goggio'«! Der Ausweisungsbefehl zwingt den General, gemäß der Convention vom Jahre >86;, auch Monaco zu verlassen. Die vom „Eclair" in die Welt gesetzte Nachricht, auch rin deutscher Osficier sei verhaftet, und ver dächtige Papiere seien bei ihm gesunden worden, ist bekanntlich umgehend widerrufen worden. Mit der „Rache sür Kiel" war e« also wieder einmal nicht» I In wenig erquicklicher Weise sorcirt dir radicale Mehr heit de« norwegische« Storthing« die oft recht kleinliche Opposition. Die Sperrung der bereit» aus 30 000 Kronen berabgesetzlen Kronprinzen-Apanage reihte sick» den übrigen Maßregeln ähnlichen Geistes, wie zrne wegen Ernennung der Prosessoren und die Entziehung von Pensionen wegen poli tischer Gesinnung, in würdiger Weise an. Man konnte indeß über alle diese Kleinlichkeiten füglich binwezaehen, wäre nicht die Consulatsfragr von demselben Geiste erfüllt. Diese ist viel ernster, denn da handelt eS sich um eine höchst bedenkliche Belastungsprobe deS UnionSverbält- nissrS. Bekanntlich hat König OSkar im vorigen Jahre dem Stortbings-Brschlusse betreffs Erricbtnng eine« eigenen nor wegischen ConsulatSwesen« seine Genehmigung versagt. Trotzdem nahm da« Storthing jüngst den Engelhardt'schen Antrag auf Einsetzung eine« Sonderausschusses zur Durch- sührung de« vorjährigen StorthingS-Beschlusse« an, und wurden fünf Radikale m den Ausschuß gewählt. Es wird also im Storthing zu einer neuerlichen Abstimmung in dieser Frage kommen; schreibt doch da« leitende radikale Organ „Dag bladet" wie folgt: „Vor Allem ist das Wichtigste sür das Storthing, seinen Standpunkt vom vorigen Jahre sestzuhallen, nämlich: Vom 1. Januar 18i»b ab soll mit Zustimmung des Storthings nicht länger eia gemeinsame« Lonsuloi«wesen bestehen. Vom genannten Tag« ab soll da« besondere norwegische Lonsulatswesen da« einzig geseyljche sein. Der nüthig« Plan wird vom Ltonhina geietzuct, jestgelegt, und die Mittel werden der Regierung zur vollen Durch führung de« Plane« »urversügung g«ftc2! sein. Die Regierung wird hier einem Entweder — Oder gegenüberstehea. Entweder sordert sie, daß der Wille de« Storthing- geschieht, und geht dann ihren Weg, oder st» muß einen Schritt thun, den sie kaum wird verantworten wollen. Au« diesen «Sesicht-puncten ist der Vorschlag zur Einsetzung de« Sonderausschusses gemacht Das Storlhtag muff zeigen, daß La«, wa- ds» Regierung sich weigert zu thun, gemacht werden kann und muff." Bei der bäuerlichen Hartnäckigkeit der antiunionistischcu Radicalen dürste die Klärung des Verhältnisses der beiden RrichShälslen nicht ohne schwere Eonflicte vor sich gehen. Die Angelegenheit der bulgarischen Schulen in Mac« donien wird Dank der berüchtigte» Praxis der Pforte, Alle« zu versprechen und Nicht« zu kalten, nicht so bald von der Tagesordnung verschwinden. Im „Princip" war die Sache geregelt, die Pforte hatte sich bereit erklärt, den als berech tigl anerkannten bulgarischen Beschwerden abzubelsen, in der Praxis aber ist e«, wie wir von vornherein befürchteten, aanz beim Alten geblieben, so daß e- zu einem förmlichen Abbruch der Verhandlungen zwischen dem bulgarischen Exarchen und der Pforte gekommen ist. Wie bereit« ' telegraphisch gemeldet, ereigneten sich vor Kurzem zwei neue Fälle von Schließungen bulgarischer Schulen. Die Gemeindeschule von Vostarina, Bezirk Serin, wurde durch den Kaimakam von Serin auf Weisung des Vali Mooastir geschloffen, angeblich weil sie zugleich als Kirche verwendet werde. Ferner wurde die Schule im Orte von Zarewo durch den Kaimakam von Pechtschew gesperrt, und dem Lehrer jede weitere Thätigkeit streng verboten. Der peinliche Ein druck dieses Vorganges wird durch den Umstand verschärft, daß in dem letztgenannten Orte eine serbische Schule besteht, welche ungebindert bleibt. Zur Charakteristik der Mittel, mit welchen man in den bezeichneten Gegenden da« bulgarische Clement zu verdrängen sucht und nationalen Seelenfang betreibt, bietet ein Bericht der „Swoboda" einen interessanten Beitrag. In den letzten Tagen — so erzählt das Blatt — verließen mehrere Zöglinge das bulgarische Zyceum in Usküb uud logirten sich in Gasthäusern ein, um dadurch ihrer Unzufriedenheit mit der Pension demon- trativen Ausdruck zu geben. Diese» Vorkommniß erregte große« Aussehen, so daß der Vali sich veranlaßt fand, der Sache näder zu treten. Er ließ die deiuonstrircnden Zöglinge vor sich laden und ermahnte sie väterlich, zur DiSciplm zurückzukebren. Der wabre Grund der Schülerdesertion wurde jedoch erst entdeckl, als der bulgarische Metropolit im Vereint mit der Schulleitung sich der Angelegenbeil bemächtigte. Da soll sich nun ergeben haben, daß drei Zög linge de« acnannlen Institut« den ganzen Winter hindurch das serbische Consulal srequentirtcn, wo sie reichliche Geschenke er hielten und ihnen versprochen wurde, ihren Mitschülern Stipen dien sür daS Gymnasium vou Prizrend ober Belgrad zu ver schaffen, falls sie die bulgarische Anstalt verlassen wollten. Diese erwähnten drei Zöglinge sollen nun unter Len Mit schülern agitirt und sie zu der Uebersiedlung in Gasthäuser veranlaßt haben. Die drei Anstifter der Demonstration sind seither au« der Anstalt geschieden und befinden sich al« nen- angeworbene Serben in Prizrend. — Die Erregung über eine derartige Praxis ist in ganz Bulgarien wieder im Wachsen begriffen. Der Großvcsstr bat zwar angedeutet, daß die Regelung der Frage durch den Sultan selbst geschehen werde, aber man weiß, wa« daraus zu geben »st, und bars sich daher nicht wundern, wenn die Sprache der bulgarischen Presse gegen die Pforte eine immer schärfere wird. Deutsches Reich. Perlt», 22. April. Mit den Fragen der eigentlichen Arbeiterpolitik bat sich der Reichslag in seiner ver flossenen Session verhältnißmäßig wenig zu beschäftigen ge habt. Neue Gesetzentwürfe aus diesem Gebiet lagen gar nicht vor und Anregungen aus dem Hause führten nur bei zwei Gelegenheiten zu eingehenden Erörterungen, bei der Ver handlung über die socialbemokratischr NotbstaiidSinlerpellatioi» und beiden Anträgen aus Revision deS InvalidilätSversicheruogs- gesetzeS. Die letztere Verbandlung konnte als eine wahrhaft glänzende Rechtfertigung dieser arbeitersreundlicken Gefetz- gebung betrachtet werden. Gegen die Grundlagen derselben lampflen eigentlich nur noch die freisinnigen Redner an. AuS allen ankeren Parteien wurde zwar die RevisionSbedürstigkeit an erkannt und aus mannigfache, vielleicht vernieidbare Belästigungen bingewiesen; gegen eine principielle Aenderung oder gar voll ständige Aufhebung dc« Gesetze« wurde aber doch fast all seitig» Verwahrung eingelegt, auch von konservativer Seite für die lankwirthschaftlichen Arbeiter. Die äußeren Be lästigungen, über die im Grunde mehr geklagt wird als über die auserlegten materiellen Leistungen, können und werden noch gemildert werden, mit der Zeit werde» sie auch durch die allmähliche Eingewöhnung immer leichter ertragen, und man Fruillotsn. Die neue Lehre. Eine Erzählung ans de« sächsischen Ltetzentzürgen »nr Zelt der Reformation. Lj Von Siegfried Moltke-Raimund. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Mein Sohn", batte der Fremde mild und freundlich, ohne alle Feierlichkeit schlickt und einfach gesagt und seine Hand ergriffen. Dabei schaute er dem jungen Mönch so ernst und doch so eigentbllmlick lieb in'S Antlitz, daß diesem das Herz erwärmte: „Mein Sohn, i» einem schönen Walde, in dem das Wort Gotte» un« näher tritt im Geist, Herz und Ge- müth, in einem Walde lernte ich mich zurecht finden, in dem jedes Blatt deutlich redet zu un« von der Herrlichkeit de« Herrn und seines SobncS, da wir die Stimme Gottes ver nehmen und die Lodgesänge seiner Engelscbaaren!" „Ibr seid ein Lutherischer, Herr!" Mit diesen Worten batte Erbard dem Fremden seine Hand entzogen. „Ich bin ein Christ, junger Freund, wie Ihr, wenn ich auch ei» Lutherischer bin! Soll der Christ dem Christen ver ächtlich die Hand entziehen?" Der stattliche fremde Mann hatte webmüthig aus Erbard geblickt. ES war eine kleine Pause entstanden; dann reichte der junge Mönch ihm zögernd die Hand, die der Fremde warm drückte. „Geht kort rechlS hinab, so sebt Ihr die Stadt!" So batte Erbard gestammelt und war verwirrt gegangen. Auf seiner Seele lastete ein Druck. Die Genossen seine« Klosters, er selbst fluchte den Lutherischen und er hatte wie zum Bündniß diesem Manne, dem Ketzer, dir Hand gereicht. Seine milde Stimme, sein Blick waren so mächtig, er hatte nicht widerstehen können. Das geliebte Rollen des DonnerS erst, das Rauschen des Urwaldes überlönte die tobende, quälende Stimme seine» Gewissens und sie schlief ein. um von Neuem erweckt zu werden von der Hilfe und Freundlichkeit des Mädchens. Wie sie ihm erschienen war! Wi« einer jener Engel, von denen der Fremde gesprochen, rein und herrlich! Wie sie zürnend zwischen ihn und seine Peiniger getreten, wie der heilige Erzengel Michael! Wie sie liebevoll zu ihm ge sprochen, dem Gegner ihrer Religion, der so »ft gefleht hatte, da« Feuer dcS Himmels möge auf die fallen, die ihrem Glauben anhängen! Und nun schlug ibm das Herz so freudig, so stürmisch, als sie ihm die Hand drückte. Folgsam wie ein Kind halte er die nassen Gewänder gewechselt und war vor den Altar getreten, um für sie zu beten, eine derjenigen, die er verflucht! Für seine Beschützerin! Alle« dies fuhr ibm jetzt durch da« Hirn. Waren da« die Ketzer, die sein Prior verdammte zu ewiger Höllenpein? Waren diese Verworfene de- Himmel», Kinder des schwarzen Fürsten? Oder waren sie die Reinen, die Christen, die Gott fchirmte und liebte? Bange, schwere Zweifel senkten sich zum ersten Male in die junge Brust. Er setzte das Vöglein in den Holzkäsig zurück und eilte vor den Altar, aber wie er sich auch betäube» wollte in brünstigen Gebeten: er sab nicht den Heiligen dort oben im Bilde, sondern da« ernste und doch so milde Antlitz des Fremden nickte ihm zu. Nicht die ewig reine, gnaden reiche Mutter Gottes stand über ihm, sondern sie, die Muthige, seine Schützerin Anna, streckte die weiße Hand herab und flüsterte: „Schließ mich ein in Dein Gebet!" Er sprang von den Stusen auf, er glaubte di« Stimme der warnenden Mutter zu hören: „Raube Deinem Vater und Dir nicht die ewige Seligkeit I" Kalten Schweiß auf der Stirn, lies er in di« enge Zelle zurück und schloß sich rin. Die Sonnenstrahlen drangen durch da« kleine Fenster und umflossen das Haupt de« Knienden. Die Klänge der fröhliche» Sänger draußen in den Bäumen de« KlvstergarteiiS zogen herein, und diese eitle Lust der Natur verwirrte ihn immer mehr und mehr. „Herr, mein Gott, verlaß mich nickt, verlaß mich nicht I Bleibe bei mir, Allewiger, reine himmlische Jungfrau, sieh mein Herz, köre mein Gebet und hilf und hilf!" Doch die Vögel sangen: „Soll der Christ den Christen verachten?" Und die Sonnenstrahlen leuchteten und drangen Warm in sein Herz, wie der Blick de» Mädchens. „Hits, Maria! Maria hilf! Laß Dein süße» Herz mein schwaches Wort vernehmen!" „Kam bä und matz mech ewennig, menj inich Kenjd!" Anna streckte idre Arme nach dem Kind« au«, da« ihre Schwester an die Brust drückte. „Kam, menj inick Häsichen, kam, mer welle ze dem Kuzi! Sprach: Tai, Mami, tail" DaS Kind hatte sich willig von dem Mädchen nehmen lafsen und verfuchte nun, die vorgesprochenen Worte zu wiederholen. „Tai, menj Schätzken, tail" sagte die junge Mutter und küßte daS kräftige, gesundbcitstrotzendc Mädchen auf die rosigen Wangen. „Kam weder »eräck, guldig Mizken, kam »eräck!" Sie winkte mit der Hand dem Kinde nach und Anna trat mit ihrer kleinen lebenden Last hinaus in den Hof und durchschritt diesen nach dem Garten zu. In der Vorstadt war da» kleine Häuschen gelegen, in dem die Schwester mit dem Gatten wvbnte seit mehr denn zwei Jahren. Der kleine Garten hinter dem Haus« lehnte sich an den himmelanstrebenden Berg, die Obstbäume gruppirten sich an dem Abhange. Ein kleine« «insaches Holzgitter begrenzte die« Grundstück, hinter welchem rin schmaler Weg in die Berge führte, wenig begangen, reichlich mit Unkraut be wachsen. Eine kleine Laube bildete die eine Ecke de- Garten«, von welcher man eine schöne Fernsicht aus da« alte Kronen hatte. Hier war Annas LieblingSvlatz Hier saß sie am frühen Morgen und betrachtete da» Sprühen der ausgehenden Sonne, hier feierte sie ihre Abendandacht unter den Strahlen des untergehenden blutrothen Balle«, ja oft, wenn die silbern« Scheibe schon voll und mild über da« herrliche Thal leuchtete, liebte sie e«, mit der Schwester und dem Schwager hier zu weilen und in freundlichem Geplauder die herrliche linde Lust der Sommernächte einzuathmeu. Hierher lenkte sic auch jetzt die Schritte. Eigentlich war eS die Zeit, da da« Kindchen in sein Bettchen gebracht werden mußte, jedoch der Vater hatte sich wohl ein wenig verspätet, und ohne ihm den Gute- nackt-Kuß gereicht zu haben, war da» Mädchen nicht ge wöhnt, einzuschlafen So kam e-, daß Anna ihren kleinen Liebling noch einmal hinauSlrug. „Zum Kuzi begehrte di« Kleine, doch der zottige Hund war nicht daheim, gewiß den, Herrn entgegengclaufen. So rcchtele sie denn ihren Weg nach der Laube. E« dämmerte bereits und unten aus den Wiesen zogen die Nebelstreifen lange weiße Bänder und theilten sich und zerrissen und sahen au« wie Gestalten, di« sich auswichen »nd fingen und endlich ineinandrrflofsen oder sick auflösten, Gc- fpenstern gleich, Niemand weiß, woher — wohin Und dann spielte plötzlich ein letzter rosiger Schimmer aus den kahlen Felsgebilden oben io den Lüsten. Anna lehnte an dem Pfosten der griinumrankten Laube und blickte auf da« Spiel der Natur. Und wa- ist natürlicher, al» daß der Mensch in den einsamen traulichen Dämmerftuadro, da er müßig sein Auge in die Ferne schweifen läßt, sich mit allerlei Dingen und Ge stalten beschäftigt »nd manche Frage sick auswirst, die er nur an sich selbst zu richten vermag? Solche Fragen stellte sich Anna, solche Gestalten, oder wenigsten«: eine solche Gestalt erschien ihr jetzt im Geiste. Ehrlich gestanden, sie hatte sic heute verfolgt in Träumen und Wachen und jetzt, da ne recht lcbbast vor ihrem inner» Auge sich zeigte, da nahm d.e Gestalt Fleisch und Bei» an, kurz .... Iupu8 in tabula! Denn es knisterte im Unkraut aus dem schmalen Wege draußen, wie unter flüchtigen Tritten, und an der Fenster öffnung vorbei eilte unser lupna. In einem Gewände, unter dem allerdings schon manch' ein reißend und beißend Wöls- lein sein Lebtag cinberschlich, in der Kutte. Freilich in diesem Falle iiiochle daS Sprichwort vom Wolf im Schafspelz nur als solche« gelte», denn der hier die Kutte trug, batte nichts von einem Wolfe, noch weniger, wenn- möglich wäre, von einem reißenden und beißenden „Grüß Euch Gott, Erhard!" Der also Angeredetc fuhr zusammen. „Ich dank Euch ebenso, Jungfer Anna!" Er wollte vor beihasten. „Habt Ihr keinen Augenblick Zeit, Erhard? Kommt ein wenig her, wir wollen plaudern." „Der Abt " »Hat Zeit!" ergänzte Anna „Ein Abt bat immer Zeit. Und wenn er Euch sehnlichst erwarlet, nun: Geduldsproben gehören ja Wohl auch zu den Regeln der kirchlichen Lehre." „Ei, Jungfer, spottet Ihr, und gestern —" „War'S Ernst. Daß ich jetzt spaße, müßtet Ihr von gestern wissen " „Gewiß, Anna. Die heilige Mutter vergilt « Euch." Erhard trat näher und lehnte sich an den entgegengesetzten Pfosten der fensterartigen Oeffnung. Es war einer jener häufige» Momente, der nun kam. da zwei Menschenkinder, die bewußt oder unbewußt, den ersten Augenblick de- Alleinseins ersehnten, nicht wißen, da er nun gekommen. waS sic reden sollten. Und schon zur Zeit de« Doctor Martin gab - da einen Ausweg, den Tausende be- benutzten, den auch Anna nun wählt«: sie sprach vom Wetter. „Seht, Erbard, wie schön goldig die Zinne dort oben glänzt. E- giebt einen schönen jungen Tag, wenn die Sonne de« alten purpurn versinkt. Wie die rosigen Strahlen «eit, weit drüben den Schüler umspielen. Ist da« nicht schön?" „O gewiß, und e« stimmt un» so andachtsvoll." (Fortsetzmig folgt )
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