02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940609027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894060902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894060902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-09
- Monat1894-06
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im Stadl» tele» An». Iich^I4.öO. ltu»g int ''»ogen für erleijährtich andienduna 7.50. LieMorgea-Ausgab« erscheint täglich '/»7llh^ die Abend-Ausgabe Wochentag« b Uhr. Ltdartto« »nd Lrpeditioa: AstzanneSgaffe 8. Dte krveditio» ist Wochentag« anunterbroche» geäffnet »»» früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. /Male»: vtt« Klemm'« bartt». ssllfrr» UniversitätSftraße 1, Lmli« Lösche. RtHarinenstr. 1«, Part, and Königsvlatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Lrgan für Politik. Localgeschichte, Kandels- und Geschäftsverkehr. SlnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile S? Pfg. Neclamen »ater demSiedaction4strich (1 ge spalten) b0^, vor den FamiUenaachnchtea (k gespalten) 40->j. Gröbere Schriften laut unserem drei«, »erzrichnib. Tabellarischer und Ziffern so? nach höherem Tarif. Sptra-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-An-gabe, ohne Postdesördrrung ^l SO.—, mit Poslbefördcrung ^ 70.—. Aunalsmrschlnß für ^»zeigen: Lbend-Auigabe: Vormittag« 10 Uhr. Worge n-Autgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtag« früh '/,9 Uhr. Sei den Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Stund« früher. Anreiz«« sind stet« an die Expröttiao zu richten. Druck und Verlag von E. Pos» tu Leipzig. ^?2S1. Tonnabend den 9. Juni 1894. 88. Jahrgang. Hin gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 10. Jnni, Vormittags nnr bis /»O Uhr geöffnet. LxpeilMon l1e8 ^e!p/4^er ^n^ed1ntt68. politische Tagesfchan. * Leipzig, 9. Juni. Nach dem Sturze deS Fürsten Bismarck war einer der schwersten Vorwürfe, den die seinem Nachfolger zujubclnde Presse gegen den Einiger Deutschlands schleuderte, der, daß er durch die osfiriüsc Presse die Parteien gegen einander gc- betzt und die öffentliche Meinung corrumpirt habe. That- sächlich war die Leistling der osficiösen Presse nicht derGlanzpunct des Bismarck'schen Systems; cS mag überhaupt unmöglich sein, Leute, die entweder kein eigenes Urthcil haben oder cs verkaufen, zu einer nur der Wahrheit dienenden n»b die öffentliche Meinung aufklärenden Truppe zu organisiren. Aber jeden falls war unter dem Fürsten Bismarck auch die officiöse Presse noch eine musterhafte Einrichtung im Vergleich zu der heutigen osficiösen Preßmißwirthschast. Damals ge horchte die ossiciöse »Meute", die als solche genau kenntlich war, wenigstens dem eigenen Herrn und Meister und be kämpfte nur das, was ihm mißfiel. Heute ist diese .Meute" überall und nirgends; nirgends ist sie genau er kenntlich, aber überall spürt man ihr anmaßliches, Alles an- jaüendeS, nichts schonendes Wesen, überall vergrößert sic die herrschende Verwirrung. Am schliuimstcn tritt dies jetzt in der parlamentarischen Ferienstille zu Tage, wo von keinem Mimstertische ein aufklärendcS Wort fallen kann. Alle unab hängigen Blätter erörtern daher jetzt dieses Thema und weisen aus die groben Mißständc hin, die aus diesem Gebiete Kerrschen. 2>e entspringen, wie heute die „Nat.-lib. Corresp." aus- siihrt, der vollständigen Zerfahrcnbeit und Verwirrung, die in diesem Zweig der Publicistik eingerissen ist. Auch wohlbewanderte Leute vermögen oft nicht mehr zu unter scheiden, ob Zeitungsstimmen, die den Anschein tragen, die Anschauungen der Negierung wiederzugebcn, dies mit Recht oder Unrecht tbun, ob sie überhaupt und von welcher Seite sic inspirirt sind. Da die Publicisten dieser Art vielfach gegen einander selbst arbeiten, empfängt nian den Eindruck, als ob innerhalb der Regierung fortwährend die entgegengesetztesten Strömungen sich kreuzten, und der Borwurf der Unklarheit, Planlosigkeit und Inconsequenz, der so häufig gegen den heutigen Eurs erhoben wird, empfängt immer neue Nahrung. Das kann »n Interesse von Niemanden, am allerwenigsten der Regierung liegen. Die „Kreuzzeitung" bemerkt in einer Beleuchtung deS osficiösen Prcßmesens nicht mit Unrecht: „Es leuchtet auch wohl dem größten Laien in Venvallunqs- und Preßangelegenheiicn ein, daß diese Verhältnisse ebenso der Regierung unwürdig, wie der Sache nach unangeniessen sind und datz sie aus die Tauer völlig unhaltbar erscheinen. ES thut dringend Wandel noth, und zwar in dem Sinne, daß, was die ständige und nicht nur gelegentlich benutzte officiöse Presse anlangt, in dieselbe nur die seitens der Regierung selbst für nothmendig erachteten Nachrichten gebracht werden, daß die Jni- liative zu derartigen Veröffentlichungen, mag es sich nun um Fühler, Anregungen, Berichtigungen oder Angriffe handeln, nicht von einer swssbedürsligen Presse ausgeht, die zu fraglichem Behuf« noch dazu, mild« gesagt, sehr mangelhaft qualificirte Persönlichkeiten benutzt, und daß endlich auch dabei stets eine Form gewühlt werde, die keine Verbitterung erzeugt, sondern völlig sachlich bleibt." Der kranke Punct ist offenbar der, daß sensationSbedürstizc, mit dem Schein tiefster Eingewcitheit sich brüstende und zum Theil reckt unberufene Schriftsteller ihr Wesen als angebliche Sprachrohre aus Regien,»gskreisen treiben dürfe», ohne daß ein Urtheil über ihre Qualifikation hierzu für weitere Kreise möglich wäre. Das zunchmeude Bedürfnis eines großen Tbeils des zcitungSlcsenden Publicums nack einem ge wissen aufregenden Kitzel, daS sinkende Interesse an einer nüchternen ernstlichen Behandlung sachlicher Fragen kommt dieser publicistischen Entartung fördernd entgegen. Unsere nervöse Zeit verlangt eben leider »ach beständiger Aufregung. Soweit die Negierung von diesen Mißständen betroffen wird und zu deren Abstellung etwas thun kann, wäre ihr zu ratben, in der Presse mit offenerem Bisir als bisher zu kämpfen und die Zweifel möglichst zu beseitigen, wo wirklich und wo nur mit falsckcm Schein ihre Anschauungen zum Ausdruck kommen. Es wäre sehr zu überlegen, ob nicht ein anerkannt und zugcstanden osficiöseS Organ ins Leben gerufen werden sollte, wie cs früher in der „Provinzialcorrespondenz" bestand und jetzt nirgends mehr vorhanden ist. Daun könnte cs vielleicht gelingen, die un erquickliche und uncontrolirbare ossiciöse Preistreiberei und Freibeuterei, die nicht- nützt und nur Schaden bringt, cinzuschränken. DaS „Berliner Tageblatt" brachte dieser Tage einen längeren Artikel aus der Feder des bekannten Afrikarcisendcn Eugen Wolf. Man kann nicht sagen, daß in dem Artikel sehr viel Neues enthalten sei, von Interesse aber ist cS, daß eine Reihe von Ausführungen in grellem Gegensätze zu der Haltung stebt, die von der „freisinnigen" Presse in ssoloiiialsragcn eingenommen worden ist. Herr Wolf beklagt eS gleich im Eingänge seines Artikels, daß die coloniale Be wegung nur in engeren Kreisen sich geltend gemacht habe, während eS ihr nicht gelungen sei, die breiten VolkSmasscn heranzuzieben. Die Thatsacke ist leider richtig, der Grund aber, den Herr Wolf angiebt, erscheint u»S nicht stichhaltig. Er meint nämlich, der colonialen Bewegung sei dadurch Abbruch gethan worden, daß sie ein zu gelehrtes Gepräge an sich getragen habe; man hätte statt dessen mit in die Augen springenden statistischen Ziffern operiren sollen. Wir meinen aber, daß nicht die Form, in der man daS Interesse für die colonialen Be strebungen zu wecken versuchte, die Schuld trug; diese Be hauptung ist eine entschiedene Ungerechtigkeit gegenüber den Männern, die ihre ganze Kraft der Ausdehnung der colonialen Bestrebungen gewidmet haben. Wenn eS ihnen nickt gelungen ist, die breitesten Massen dafür zu gewinnen, so lag die Schuld an der hartnäckige» und gehassitzen Gegnerarbeit der freisinnigen Presse. Man konnte nicht genug Spott namen für die „Colonialschwärmer" erfinden, man verwandte die fettesten Lettern, deren man habhaft werden konnte, um über eine kleine Schlappe zu berichten, welche die Schutztruppen in Afrika erlitten batten; man pries die ungünstigen Vertrage, die Deutschland mit anderen Staaten in colonialen Angelegen heiten abschloß, als wahre Muster der CtaatSkunst, und man jubelte den Herren Bamberger und Richter zu, wenn sie im ReickStagc an der gesamniten colonialen Politik kein gutes Haar ließen. Diese Herren haben zu unzähligen Malen ver sichert, daß unsere gcsammlcu afrikanischen Colonien keinen Schuß Pulver Werth seien und daß wir deSbalb am Besten daran thäten, sie den Engländern zu überlassen. Jetzt aber schwärmt Herr Wolf von Usambara und verkündet, daß es die herrlichste und nutzbringendste Kaffee-Plantage der Welt werden müßte. Und haben nicht die freisinnigen Partei führer den Scharfsinn der deutschen Finanzmänner ge priesen, weil diese für Afrika kein Geld auswenden mochten? Jetzt aber bedauert Herr Wolf, daß die deutschen Fiuanzleute ihr Geld in zweifelhaften exotischen Wcrthcn an gelegt hätten, statt in Afrika, wo sie es sehr vortheilbasl hätten unterbringcn können. Unserer Meinung »ach könne» "ich die deutsche» Eapitalisien dafür bei der freisinnigen Presse bedanken, die ein so abschreckendes Bild von den Eolonie» entworfen hat. Indessen, cs ist auch jetzt noch Zeit »r Umkehr. Wollen die „Freisinnigen" einlcnken, so werden ie sehen, daß auch schon auf Erden Freude über reuige Sünder herrscht. Der Stand der Dinge auf Samoa scheint sehr ernst zu ein. Rach einer Melkung des Renter'schcn Bureaus aus Apia vom 22. v. M. erweist sich die Regierung daselbst voll» tändig ohnmächtig; die beiten gegnerischen Parteien leben sich in festen Stellungen gegenüber. Bekanntlich hat die Regierung der Vereinigte» Staaten ein Kriegsschiff nach Samoa gesendet, lieber den Zweck dieser Sendung ist man, wie dent „Hamb. Corr." aus Berlin geschrieben wird, in unseren colonialen Kreisen noch im Zweifel. Einmal glaubt man, Amerika wolle sich an der Entwaffnung der Aufständischen bethciligcn, was nach den nenliche», dem Senate gemachten Mittbeilungcn über die Samoa- ffage nicht eben wahrscheinlich ist, daS andere Mal bringt mau die Entsendung deS KriegSsckifseS mit der Erwerbung deS Hafens von Pago-Pago in Zusammenhang. Die Aufklärung wird ja nicht lange auf sich warten lassen. Allem Anschein »ach ist man in London wie in Washington nicht recht zufrieden damit, daß Deutschland mit den AnnexionS- absichten, die man ihm dort — mit Recht oder mit Unrecht — zuschreibt, nicht deutlicher hervorrückt. Zu einem „Geschäft" wäre man, wie cS scheint, bereit. Die Ansprüche Frankreichs in Afrika mögen in formal- recktlicher Beziehung beschaffen sein wie sie wollen, aber die Anerkennung wird man den Franzosen nicht vorenthalten können, daß sie das Prestige ihres nationalen Banners a»S allen Kräften zu wahre» entschlossen sind, und sich nicht lange bei der Vorrede aushalten. Hanoteaux, der neue Minister deS Auswärtigen, macht unter cinmüthiger Billigung der Kammern mit Engländern und Congostaallern, soweit diese sich in Dinge mischen,diesie nachMeinung der Franzosen nichtSangrben, kurzen Proceß. Es mag liier ununtcrsuckt bleiben, inwieweit die Wahrnehmung, daß auch Deutschland sich nicht so ohne Weiteres die Butter vom Brodc wegnebmen lassen will, ans daS Vorgehen Frankreichs »»spornend gewirkt hat, jedenfalls darf man für einen ziemlich naben Zeitpunkt interessanten Neuigkeiten a»S Afrika entgegensetzen, wenn erst die nach den bedrohten Pnnctcn der französischen Interessen sphäre in Marsch gesetzten Truppen an Ort und Stelle angelangt sein und sich ihrer instruction-gemäßen Aufgabe entledigt haben werden. Die Neutralität de- CongostaateS, ganz abgesehen von naheliegenden Erwägungen der allgemeinen Politik, verbietet den Truppen dieses letzteren Staates, außer in Vertheidigung eigener, sonnenklarer Reckte, eS auf bewaffnete Friktionen mit seinen Grcnznachbarn an kommen zu lassen, cS wird daher den Agenten des Congo- staateS, welche anf französischem Territorium Posten be setzt haben, wenn sie sich und ihrem Staate eine Demüthigung eriparen wollen, nichts übrig bleiben, als sich rückwärts zu concentriren, ebe die französischen Streitkrästc zur Stelle siud. Was England betrifft, so hat cS bereits seine Geneigtheit kund- gegrben, wegen der afrikanischen Angelegenheiten in Verband- jungen einzutreten. Es ist jedenfalls der corrcctere Weg, und dem Verfahren, über die Köpse der anderen afrikanischen Colonialmächte hinweg sich von dem Wohl mehr als Dcco- rationSstück vorgeschobenen Congostaate in Centralafrika mit Gebieten ausstatten zu lassen, zu deren auch nur pacht- weiser Ccdirung letzterem durchaus keine einseitige Bc- »guiß zusteht, bei weitem vorzuziehen. Bei Alledem ist die erschöpfende Begleickung der internationalen RcchtS- 'rage in Afrika ein recht weitauSschauendcs Unternehmen, da» Keime zu ernsten Verwickelungen — nian denke nur an die in den oberen Nilländern concurrircnden Ansprüche Egyptens bezw. der Türkei. Englands und Frankreichs, auch Italiens — in fick birgt. Es kommt als erschwerendes Moment noch die hochgradige Unsicherheit des Kartenmaterials hinzu, aus Grund dessen die internationalen Grenzabmachungen erfolgen, was zu Consequcnzen führt, welche durch Vorkommnisse, wie die wiederholten bewaffneten Conslicte zwischen Engländern und Franzosen in Westafrika, zur Genüge illustrirt werden. Immerhin wird Derjenige am besten fahren» der am rücksichtslosesten zugrcift — und dazu scheint Frankreich jetzt allen Ernstes entschlossen. Zur »»garischen Krise, in welcher nunmehr im Laufe des heutigen Tages daS entscheidende Wort gesprochen werden soll, nimmt die „Neue Freie Presse" in sehr beachtenSwerthcr Weise daS Wort. DaS Blatt schreibt: „Tie liberale Parlei ist durch das eigensinnige Festbalten an Szilagyi in eine» Engpaß gerathen, auS dem sie nicht schnell genug fliehe» kan». Der Kaiser steht aus unanfechtbarem Boden; er bat trotz der begründeten Verstimmung, welche die Demonstra- tionen a» der Leiche Kossuth's und die geringe Rücksicht aus die Pietät gegen die Krone Hervorrufen mußten, seine ganze Arbeit daraus gerichtet, die Krise einzudämmen »nd die Leiden« schaffen zu besänftigen. Auf dem Bahnhöfe von Pest drängten sich die Abgeordneten der Opposition an den Kaiser heran; aber sie wurden kaum eines Blickes gewürdigt. Tie klerikalen Magnaten de- " warben sich in Ofen um Audienzen, aber sie fanden verschlossene Thuren. Ter Kaiser verhandelte über die Bildung des Cabinets nur mit de» Führern der liberalen Partei: er hat seine Pflichten a!» cousiitntioncllcr Herrscher iin vollsten Maße erfüllt! Was. bedeutet Szilagyi neben dem Ansehen der Krone? Neben der Turchsuhrung des liberalen Programms und dem Sieg« der Civilehe? Diese große Frage darf sich nicht in dem niedrigen Sumpse eines Pein« lichen Streites um ein Portefeuille verliere». Ter Kaiser hat sich Vorbehalte», andere Maßregeln zu ergreifen, wenn die liberale Partei verblendet genug sein sollte, ihm einen Minister aufzu« drängen. Di« Lage ist somit genau z» übersehen: „Szilagyi oder Szapary!" Es wäre die höchste Thorheit, noch einen Augenblick länger zu schwanken und mit dem Schicksal zu spiele»." Nun ist ja freilich Szilagyi kein Labouckörc, mit dessen Zurückweisung von dem Ministerium Gladstone durch die Königin Victoria von England die „N. Fr. Pr." die Per- horrcscirung Szilagyi'- durch den König Franz Josef al- durch die constitiilionellen Gepflogenheiten gerechtfertigt er weisen möchte, den» Labouchbre ist ein rabiater Radikaler von reinstem Wasser ohne irgend welche« staatsmänniscke Talent und Verdienst, Szilagyi dagegen ist der Schöpfer der ungarischen EherechtSreform, eine- Werkes, das; selbst der Opposition Achtung abgczwungen hat und um daS sich eben der Kampf zweier Weltanschauungen, der liberal-fortschritt lichen und der conservativ klcrikal-reactionairen, dreht. Allein daS ist richtig, daß, wenn eS zur Entscheidung kommt, die Person hinter die Sache zurückzntretcn bat. Denkcn wir unS, der Reichstag würde aufgelöst und die liberale Partei gezwungen, vor die Wähler hinzutreten: kann dann Szilagyi die Wahlparole sein, nachdem der Kaiser die Civilehe bc willigt, ein liberales Ministerium berufen u»d der liberale» Parlei die Macht angeboren hat? Mit diesem Schibolct würde die Partei die Schlacht verlieren. Noch ist nichts darüber bekannt geworden, »ach welcher Seite I>r. WekcNc sich entschieden hat; erklärt er sich aber, waS wir nicht an- nebmen »löcklcn, mit seinem alten Kampfgenossen solidarisch, dann gewinnt, falls der Köniz nicht vorzieht, mit der Opposition in Vcrbandlung zu treten — und die Führer derselben setzen alle Hebel in Bewegung, ihn dazu zu ver> /eirillrton. Der Liebe und des Glückes Wellen. 11s Roman von M. v. Eschen. Nachdruck rrrbrim. (Fortsetzung.) Jetzt fällt es ihr ein; sie hat einmal etwas erfahren, eigentlich kaum läuten hören, wie man hier sagt, daß Tilli und Doclor Neuber etwas zusammen gehabt — er thut ihr leib; ihre Augen werken scuckt — Gerda ist eben sehr empsänglich in diesem Punct. Ein Augenblick denn auch nur, sie ist bei dem eigenen Leid, fassungslos, haltlos, ein armes kleine- dummes Ding, dem ein viel zu großer Kummer wider fahren, als daß sie allein damit fertig werden könnte. Und fassungslos, haltlos, legt Gerda plötzlich die Arme aus den Tisch, den Kopf in die Hände, und schluchzt und schluchzt. Bestürzt sicht er drein. Er weiß i» der Tbat nicht, wa lk»». Ja, wenn eS einer seiner Schüler wäre! Oft genug haben diese ihr Herz dem Lehrer auSgeschüttet; er bat Trost und Rath für ihre großen und kleinen Leiden gewußt. Aber eine junge Dame, die Schwester von Tilli Rettberg! — Doch sie ist unglücklich — schon ist Doetor Neuber der Weinenden um einen Stuhl näher gerückt. Unvermindert fließen Gerda s Thränea. Wilhelm Neuber ist gänzlich ungeübt im Damen- verkehr — dock noch einmal ist er dem Mädchen näher gerückt; jetzt sitzt er dicht neben ihr: „Fräulein, Sie haben Kummer?" Gerda nickt. „Haben Sie jemand verloren?" Heftiger nickt Gerda; aber auch da- Schluchzen beginnt von neuem. „Ich werde niemals wieder glücklich sein!" Traurig sieht er auf daS Mädchen bin. Er denkt de- selbst erfahrenen Kummer-» und all seine Scheu ist damit vergessen. „So dürfe» Sie nicht reden, Fräulein" — leise jetzt wagt seine Hand ihren Arm zu berühren, wirklich nicht. Und nun beginnt er zu trösten, liebevoll mahnend, wir man zn einem Kinde spricht, aber auch achtungsvoll, wie man mit einem Menschen spricht, dessen Schmerz man versteht und achtet. Und er meint, sie ist noch so jung: da- Leben liegt »och so weit vor ihr — daS Leben sei so reich an Gutem »d vchinem, da« man thun, an dem man sich freuen kann, daß man nicht gleich allen Muth und alles Vertrauen zu demselben verlieren darf, wenn Einen ein Schicksal, ein Verlust getroffen hat. „Zuweilen auch war eS gar das Glück nicht, was wir beweinen; ein gütiger Gott nahm, waS sich — als eine Täuschung — ein Elend erwiesen hätte, um unS zu geben, später, WaS für unS taugt! Auch er ist einmal sehr unglücklich gewesen: er ist eS zuweilen noch. Aber er hat gewollt, und er bat überwunden und sich wieder freuen ge lernt an allem Guten, waS zu tbun in seiner Macht stebt, an allem Schönen, waS ihm begegnet auf seinem Wege. Gott will nickt, daß der Mensch um ein Gut ewig trauern soll. Und wenn dieser nur einigermaßen will, so hilft er ihm, daß er sich wieder freue» lernt an den Wundern seiner Güte." „Darum Muth, liebes Fräulein. Muth und Vertrauen. Blicke» Sie einmal um — dabei nimmt er, als sei sie dock sein Schüler uud er ihr Lehrer nur, dem Mädchen die Hände vom Gesicht: Wie schön solch ein Herbsttag ist! Gewiß nicht reizend, wie der Frühling, aber darum nicht minder schön; vielleicht erst schöner noch in seiner reisenden Pracht und Erfüllung!" „Dock, liebes Fräulein, wollen Sie nur, machen Sie nur einen Bcrsuch, sich wieder auSzusöbnen mit dem Leben — und glauben Sie gewiß, wenn ich Ihnen dabei helfen könnte — gern soll daS geschehen." Gerda blickt auf. Die Rasen glänzen in der Sonne, die reiben Ranken spielen in dem Wind, hoch droben unter dem blauen Himmel streifen die heimwärts strebenden Schwalben flüchtig bin und her — Sie sieht, sorglich zu ihr niedcrgeneigt, ein Männergesicht, so edel in seinen Zügen, wie die Güte» die auS den klaren Augen leuchtet. Ein Lächeln spielt um de- Mädchen- Lippen, wevmüthig noch, doch vertrauensvoll, wie die Stimme klingt, die sie zurückgewinnen will für daS da» Leben und sein Glück. Gerda ist noch so jung. Die Jugend kann den Glauben nicht aufgrben daran: wie denn diese Sehnsucht deS HerzenS mit dem Herzen erst stirbt. — Seitdem sind die Beiden aufrichtige, ehrliche Freunde ge worden. Doetor Neuber verbringt seine Ferien in Oberndorf, wohin sich seine Mutter zu ihrem ältesten Sohne, dem dortigen Pfarrer, zurückgezogen hat. Oberndorf liegt vielleicht ein Stündchen von Frohnhausen; die Neuber- und MoranS sind länger schon bekannt; als ein alter Hausfreund der Familie erscheint jetzt Doetor Wilhelm fast jeden Tag in der kleinen Villa auf dem Hügel. Fräulein Annette ist mannigfach beschäftigt; Hilde verbringt die Morgen aewölmjich vor der Staffele!; der Präsident bedarf viel stiller Stunden, um völlig zu ruhen. So bleibt eS meist Gerda allein überlassen, den jungen Mann zu empfangen. Dann pflegen sie Wohl in der Wildwcinlaube zu sitzen; Gerda mit einer Hand-, oft auck mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Unmcrklich beginnt die junge Dame Interesse für der gleichen zu entwickeln. Aber auch andere Interessen regen sich in dem jungen Ding, dem Kätzchen, daS sich zum ersten Mal unter eine ernste Leitung schmiegt, wie denn auch zum ersten Mal jemand ausschließlich um dasselbe sorgt als um ein armes verirrtes Menschenkind, welches einer Führung bedarf. So plaudert denn Wilhelm Neuber mit ihr von manchem, WaS Gerda Rettberg bisher recht fern gelegen bat; zuweilen auch liest er vor. Denn er dabei einmal gar zu mentorbaft weise zu werten droht, lacht sie aus. Er bemerkt mit cigcn- tbümlicker Befriedigung, daß die zierliche Gestalt, daS Weiche Gesichtchen neben ihm keinem Schüler gehört, die ganze Scenrric eine recht andere als die seiner Tertia ist. Dann, mit säst andächtigem Staunen, weilt sein Blick auf Len kleinen rosigen Fingern, ob sic mit einer für ihn unbegreiflichen Geschicklichkeit bunte-Scidenpapicr zu eigcntbümlichen Blumen erknittern oder einfach die Nadel führen» ob sie einen Kohl- opf putzen oder einem jungen Gänschen daS Daunenklcidcken rauben- alle- Dinge, die ibm bei der jungen Dame sehr rätbsclhaft, aber sehr lieblich, sehr köstlich dünken und sein Herz mit aufrichtiger Bewunderung erfüllen. Ein Tag reiht sich an den anderen. Die Sonne bleibt, auf dem Rasen glänzend, ungetrübt. Dir MonatSrosen drüben auf den Beeten sieben in immer vollerem Flor, ring« um sie her winden sich die Reseden zu üppigem Kranz; weit und breit weht der Duft. Dir Beeren zwischen den grünen Blättern dort an dem Spalier werden immer blauer; in verheißungsvoll lockender Färbung reifen die Früchte auf den Bäumen ringsum. Zuweilen schütteln die Linden ibrr Zweige, lei- fällt ein welke» Blatt: noch aber scheint die Sonne, und in dem Sinken leuchtet eS auf wie Gold — in Purpur und Gold getauckt erstrahlt der Wald auf der Höbe — wonnig kühl »nd mild, frisch und rein webt die Lust über die Welt; die HerbsteSluft, die so wohltbuend jede Schläfe berührt, durch alle Poren dringt und den Menschen kräftigt von innen, an der Seele heraus. In dieser Lust, unter dem sonnig blauen Himmel ziehen die weißen Fäden, welche der BolkSmund glückbringend nennt. Und sie spinnen über den Spitzen der Gräser; von Blume zu Blume, von Strauch zu Strauch, von Baum zu Baum bis tief unter die rotben Ranken in die Wildwcinlaube hinein. » e- * Der Großgrundbesitzer Herr Doclor Gustav Ködding und strebsame Walilcandidat für die Kreise Bockenroda, Mönche» bcrg »nd Frcienstadt hatte sich länger schon bemüht, eine allgemeine Popularität hier zu erwerben. Manch Füßchen Branntwein und Bier war auf seine Kosten und zu seiner Ehre von den dafür Geworbenen in den Schenken der um liegenden Gemeinden zum Besten gegeben; mancher Flasche edlen WeineS halte er selbst unter sogenannte» Freunden den Hals gebrochen, um dieselbe» für seine parlamentarischen Absichten z» erwärmen und z» seinen! Beste» für Gott. König und Vaterland zu überzeugen. Auch da» Fest, welche« ec beute dem Geburtstag seiner Frau zu Liebe auf KugelSdris gab, soll i» Wabrbeit nur die Leute im weitesten Kreise für seine Persönlichkeit gewinne». Die ganze Umgegend war ge laden. Für die Honoratioren wartete ein seine« Diner in den Hallen des neugebauten Herrensitze«; für die ländliche Bevölkerung war der mit dem angrenzenden Walke verbundene Park geöffnet. Bier, Branntwein, Kucken und belegte Brote wurden gratis vertbeilt. Ein kleine» Carroussel, eine Glücksbude und ein Ta»; im Freien sorgten für da- Vergnügen in dem volkSthümlichen Stile, den das Ganze baden sollte. Ja. er ließ cS sich etwa- kosten und scheute keine Müde. Aber trotz alledem — und obwohl gleichfalls auf seine Kosten vertbeille Blättchen länger und massrnbast schon die Leute zu überzeugen strebten, daß die Sorge für ihr Wohl einzig und allein seine würdige Vertretung in dem durch Intelligenz und Kemitnisse wie uneigennütziges Interesse sich au-zeich- nenden Doetor Gustav Ködding finden könue; grade in dem Kreise Bockenroda, wo er angesessen, schien die Wahl de« Herrn Doclor Ködding am wenigsten gesickert Die Leiite in seinen Fabriken — er batte die Industrie mit der Landwirlhschast verbunden — scherte» sich den Teufel um die schönen Redensarten, die Brocke», welche sic zu ködern der Herr, wie sie sagten, jetzt auSzuwerse» sür nötvig fand. Sie hielten, wie ibre-glcicken in der Nachbarschaft, zu Bebel und Liebknecht. Auch die auf den Gütern beschäftigten Arbeiter erklärten, daß der Herr versinchtig genau war, schleckte Löhne zahlte, daß keiner zu denken brauche, er sei um ein Haar besser als die andern, WaS wieder nur beifällig unter ihren Genossen ausgenommen ward. Die Bauern der umliegende»
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